[Rezension] Der Stummfilm „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau ist einer der ersten und gleichzeitig auch einer der berühmtesten Vampirfilme der Geschichte. Als die Verfilmung, die lose auf der Geschichte von Bram Stokers Roman „Dracula“ aus dem Jahr 1897 basiert, im Jahr 1922 im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin Premiere feierte, konnte noch keiner ahnen, wie stark dieser Film die popkulturelle Darstellung von Vampiren prägen würde. Zu seinem 100. Jubiläum widmet die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin dem Film nun die Sonderausstellung „Phantome der Nacht“ in der Sammlung Scharf-Gerstenberg. Die Ausstellung beleuchtet, welche kunsthistorischen Vorbilder den Film „Nosferatu“ prägten, von Francisco de Goya über Caspar David Friedrich bis hin zu Alfred Kubin. Mit einem Blick auf Kunstschaffende wie Alexandra Bircken, Louise Lawler oder Tracy Moffatt wird zudem thematisiert, wie die Ästhetik des Films die zeitgenössische Kunst inspirierte.
„Nosferatu, Tönt dies Wort Dich nicht an wie der mitternächtige Ruf eines Totenvogels. Hüte Dich es zu sagen, sonst verblassen die Bilder des Lebens zu Schatten, spukhafte Träume steigen aus dem Herzen und nähren sich von Deinem Blut.“
Akt I, 10. – Nosferatu, eine Symphonie des Grauens
Das Unheimliche in Film und Kunst
Angeblich soll Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ zu den Lieblingsfilmen von André Breton gezählt haben, dem Begründer des Surrealismus. So liegt es nahe, sich zum 100. Jubiläum etwas genauer mit dem Zusammenhang insbesondere surrealistischer Kunst und Murnaus Vampirfilm zu beschäftigen. Denn der „erotisch-okkultistisch-spiritistisch-metaphysische“ Film, wie er 1921 in der Zeitschrift Bühne und Film betitelt wurde, bot zahlreiche Anknüpfungspunkte: Es ging um die Grenzen zwischen Traum und Realität, um die Auseinandersetzung mit Ängsten, um Geschlechterfragen und um Verlangen – alles Themen, die auch eine zentrale Rolle in den Werken des Surrealismus spielten.
In der Sammlung Scharf-Gerstenberg untersucht nun die Ausstellung „Phantome der Nacht“ die Wechselbeziehung von Murnaus „Nosferatu“ zur bildenden Kunst, von der Romantik über den Symbolismus bis zur Gegenwartskunst. Zunächst geht es um die Werbekampagne zum Film, der übrigens einer der ersten war, bei dem das Budget für die Werbung höher war, als das für die Filmproduktion selbst. Bereits Monate vor der Filmpremiere am 4. März 1922, zu der die Gäste in Biedermeier-Kostümen erscheinen sollten, hatte die Produktionsfirma Prana die Werbetrommel gerührt. Die Ausstellung zeigt hier von Albin Grau illustrierte Zeitungsartikel zum Film sowie von ihm entworfene Anzeigen und Plakate. Hier wird die Begeisterung des „Nosferatu“-Filmausstatters für Okkultismus und Astrologie deutlich, also für Themenbereiche, von denen auch die Künstler des Surrealismus fasziniert waren.
Im Anschluss betrachtet die Ausstellung die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Reich der Schatten und den Einbruch des unvorstellbaren Bösen in die vermeintlich heile Welt. Das Kleinstadtidyll, das zu Beginn von „Nosferatu“ zu sehen ist, erinnert in der Darstellung an Bilder der Romantik, etwa von Carl Gustav Carus oder Caspar David Friedrich. Auch zu den im Film gezeigten Motiven der Einsamkeit und Sehnsucht finden sich künstlerische Vorbilder, etwa bei Max Klinger oder Edvard Munch. Darstellung der Reise des Protagonisten Hutter zum Vampir Graf Orlok sowie sein Aufenthalt in dessen Schloss erinnern zudem an Zeichnungen von Odilon Redon oder Alfred Kubin.
Sobald sich der Vampir selbst auf die Reise in Hutters Heimat begibt, ähnelt der Film den Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Gustav Meyrinks Roman „Der Golem“. Das Vorbild überrascht nicht, schließlich hatte Henrik Galeen, der Drehbuchautor von „Nosferatu“, bereits 1914 gemeinsam mit Paul Wegener die Geschichte des Golem verfilmt. Schließlich beleuchtet die Ausstellung auch die vielfältigen Darstellungen des Vampirs, der als Tod- und Seuchenbringer mit Ratten oder Fledermäusen in Verbindung gebracht, aber auch in diversen grotesken Gestalten dargestellt wird. Vorbilder zu „Nosferatu“, ob als Monster mit spitzen Zähnen oder als dämonische Erscheinung, finden sich in Zeichnungen von Alfred Kubin, Max Klinger oder Edvard Munch. Ebenso findet die Darstellung der Opfer des Vampirs Vorbilder in der Kunst, etwa bei Johann Heinrich Füssli oder bei Félicien Rops.
„Aus den Samen Belials erstund der Vampyr Nosferatu, als welcher lebet und sich nähret von dem Blute der Menschheit unerlöset hauset er in erschröcklichen Höhlen, Grabkammern und Särgen, so gefüllet seyen mit gottverfluchter Erde von den Ackern des schwarzen Todes.“
Akt II, 45. – Nosferatu, eine Symphonie des Grauens
Der Vampir als Symbol
Ergänzen zur Ausstellung erschien im Sandstein Verlag eine Publikation, die nicht nur die Ausstellungstexte und Abbildungen der gezeigten Werke umfasst. Neben der Titelliste zu Murnaus „Nosferatu“ beinhaltet der Band auch Beiträge zur Rezeption des Films, den gesellschaftlichen Hintergründen seiner Produktionszeit und seinen popkulturellen Einflüssen. Dass dieser vertiefte Einblick durchaus notwendig ist, stellte bereits Hanno Hauenstein in seiner Ausstellungsbesprechung in der Berliner Zeitung fest. Das Konzept des adligen Blutsaugers erinnert nämlich an die Vorstellung einer vermeintlich parasitären, fremden Übermacht, die nicht erst in den 1920er Jahren und nicht nur in Deutschland im Unterbewusstsein der Gesellschaft verankert war: Es sind antisemitische Stereotype, die in der Darstellung des Vampirs und seiner Gefolgschaft immer wieder zum Vorschein kommen. Während in der Ausstellung die gezeigten Werke relativ umkommentiert präsentiert werden, bietet erst der Begleitband genaueren Kontext.
Jürgen Müller stellt etwa in seinem Beitrag „Spinnennetz und Schattenbild“ heraus, dass der Vampir in seiner negativen Unsterblichkeit und in der daraus resultierenden Ruhelosigkeit und Heilsunfähigkeit an das Motiv des Ewigen Juden Ahasver erinnert. Insbesondere in Stokers Roman „Dracula“, der als Vorlage für „Nosferatu“ diente, kommen zudem weitere antisemitische Motive zum Vorschein, etwa die Vampirinnen, die sich von Kindern ernähren – ein Verweis auf das Klischee des Ritualmords. Stokers Vampirismus-Konzept, und damit auch das Vorbild von Murnaus Film, ist durch die starke Betonung der Umkehrung christlicher Überzeugungen in einem religiösen, antijüdischen Kontext zu verorten. [1]
In Murnaus Film wird der Vampir zudem zur geisterhaften Figur, der auf seine Opfer eine hypnotische Wirkung ausübt. Sein todbringender Einfluss wird im Film mit der Pest verknüpft, begleitet von Ratten als Überträger der Seuche. In „Nosferatu“ wird der Vampir also als Auslöser einer Pandemie dargestellt – vielleicht ein Motiv, das an die Spanische Grippe erinnern sollte, die zwischen 1918, gegen Ende des Ersten Weltkriegs, und 1920 weltweit Millionen von Todesopfern forderte.
Die Ausstellungsmacher nehmen dies zum Anlass, auf die Aktualität des in „Nosferatu“ behandelten Themas hinzuweisen und auch die Corona-Pandemie anzusprechen. So wie in „Nosferatu“ der „Paracelsianer“ Professor Bulwer mit der Erforschung von vampirischen Lebewesen beschäftigt ist, wird nun der deutsche Virologe Christian Drosten als „unermüdlicher Verfechter der medizinischen Aufklärung“ im Vorwort des Ausstellungskatalogs erwähnt. „Vor 100 Jahren hätte er auch Nosferatu in die Knie gezwungen“, heißt es hier. [2] Ob der Charité-Institutsdirektor wohl weiß, dass ihm die Publikation gewidmet und er hier zum modernen Vampirjäger ernannt wurde?
Anlässlich der Ausstellung „Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“ erschien 2022 die begleitende Publikation, herausgegeben von Jürgen Müller, Frank Schmidt und Kyllikki Zacharias für die Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, im Sandstein Verlag (ISBN: 978-3-95498-710-8). Der Ausstellungskatalog mit Filmausschnitten und zahlreichen farbigen Werkabbildungen beinhaltet auch die Titelliste des Stummfilms sowie Beiträge von u.a. Hartmut Böhme, Kristina Jaspers, Paolo Caneppele und Günter Krenn.
Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu
Sammlung Scharf-Gerstenberg, Berlin
16.12.2022-23.04.2023
Freien Eintritt in die Ausstellung gibt es übrigens für alle, die im Museum Blut spenden. Die Aktion findet einmal im Monat in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz statt.
musermeku dankt dem Sandstein Verlag für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Detail aus: Hugo Steiner-Prag: Der Weg ins Grauen (1915/16) – LACMA, Rifkind Center for German Expressionist Studies – Public Domain
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Siehe dazu: Jürgen Müller: Spinnennetz und Schattenbild. Nosferatu oder vom Schlaf der Vernunft, In: Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu, Hg.v. u.a. ders., 2022, S. 33-45, hier S. 36.
[2] Vorwort, Ebd., S. 15.
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