Von Goya bis Kubin: Nosferatu und seine künstlerischen Vorbilder

Das Buch „Phantome der Nacht“ betrachtet die künstlerischen Einflüsse auf und durch Murnaus Vampirfilm „Nosferatu“, die sich auch in Robert Eggers` aktueller Verfilmung zeigen.

Das Buch "Phantome der Nacht" betrachtet die künstlerischen Einflüsse auf und durch Murnaus Vampirfilm "Nosferatu".

[Rezension] Mit seinem aktuellen Film „Nosferatu – Der Untote“ (2024) unternimmt Regisseur Robert Eggers den Versuch einer Neuverfilmung des legendären Stummfilms „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1922, der als einer der ersten und gleichzeitig auch als einer der berühmtesten Vampirfilme gilt. Eggers orientiert sich dabei eng an seinem Vorbild und stellt in seinem Film teils eins zu eins Murnaus Bildeinstellungen nach, vom gewundenen Weg zu Graf Orloks Schloss über Ellen Hutters einsamen Blick aufs Meer bis hin zu den unheimlichen Schattenwürfen des Vampirs. 

Als Murnaus Verfilmung, die lose auf der Geschichte von Bram Stokers Roman „Dracula“ aus dem Jahr 1897 basiert, im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin Premiere feierte, konnte noch keiner ahnen, wie stark dieser Film die popkulturelle Darstellung von Vampiren bis ins 21 Jahrhundert hinein prägen würde. Zum 100. Jubiläum von Murnaus Stummfilm erschien die Publikation „Phantome der Nacht“, die beleuchtet, welche kunsthistorischen Vorbilder „Nosferatu“ prägten – von Francisco de Goya über Caspar David Friedrich bis hin zu Alfred Kubin. Mit einem Blick auf Kunstschaffende wie Alexandra Bircken, Louise Lawler oder Tracy Moffatt wird zudem thematisiert, wie die Ästhetik des Films die zeitgenössische Kunst inspirierte.


Hugo Steiner-Prag: Nachtgespenst (1915/16)
Fast wie eine Begegnung von Hutter und seinem vampirischen Gastgeber Graf Orlok erscheinen Hugo Steiner-Prags Illustrationen zu „Der Golem“.

Detail aus: Hugo Steiner-Prag: Nachtgespenst (1915/16) – LACMA, Rifkind Center for German Expressionist StudiesPublic Domain

„Nosferatu, Tönt dies Wort Dich nicht an wie der mitternächtige Ruf eines Totenvogels. Hüte Dich es zu sagen, sonst verblassen die Bilder des Lebens zu Schatten, spukhafte Träume steigen aus dem Herzen und nähren sich von Deinem Blut.“

Akt I, 10. – Nosferatu, eine Symphonie des Grauens

Das Unheimliche in Film und Kunst

Angeblich soll Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ zu den Lieblingsfilmen von André Breton gezählt haben, dem Begründer des Surrealismus. Entsprechend wirft das Buch „Phantome der Nacht“, das begleitend zu einer gleichnamigen Ausstellung erschien, die 2022/23 in der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Berlin zu sehen war, einen Blick auf den Zusammenhang zwischen surrealistischer Kunst und Murnaus Vampirfilm. Denn der „erotisch-okkultistisch-spiritistisch-metaphysische“ Film, wie er 1921 in der Zeitschrift Bühne und Film betitelt wurde, bot zahlreiche Anknüpfungspunkte: Es ging um die Grenzen zwischen Traum und Realität, um die Auseinandersetzung mit Ängsten, um Geschlechterfragen und um Verlangen – alles Themen, die auch eine zentrale Rolle in den Werken des Surrealismus spielten.

Das Buch untersucht die Wechselbeziehung von „Nosferatu“ zur bildenden Kunst, von der Romantik über den Symbolismus bis zur Gegenwartskunst. Zunächst geht es um die Werbekampagne zu Murnaus Film, der übrigens einer der ersten war, bei dem das Budget für die Werbung höher war, als das für die Filmproduktion selbst. Bereits Monate vor der Filmpremiere am 4. März 1922, zu der die Gäste in Biedermeier-Kostümen erscheinen sollten, hatte die Produktionsfirma Prana die Werbetrommel gerührt. Das Buch zeigt hier von Albin Grau illustrierte Zeitungsartikel zum Film sowie von ihm entworfene Anzeigen und Plakate. Hier wird die Begeisterung des „Nosferatu“-Filmausstatters für Okkultismus und Astrologie deutlich, also für Themenbereiche, von denen auch die Künstler des Surrealismus fasziniert waren.

Im Anschluss betrachtet die Publikation die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Reich der Schatten und den Einbruch des unvorstellbar Bösen in die vermeintlich heile Welt. Das Kleinstadtidyll, das zu Beginn von „Nosferatu“ zu sehen ist, erinnert in der Darstellung an Bilder der Romantik, etwa von Carl Gustav Carus oder Caspar David Friedrich. Auch zu den im Film gezeigten Motiven der Einsamkeit und Sehnsucht finden sich künstlerische Vorbilder, etwa bei Max Klinger oder Edvard Munch. Die Darstellung der Reise des Protagonisten Hutter zum Vampir Graf Orlok sowie sein Aufenthalt in dessen Schloss erinnern zudem an Zeichnungen von Odilon Redon oder Alfred Kubin.

Sobald sich der Vampir selbst auf die Reise in Hutters Heimat begibt, ähnelt der Film den Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Gustav Meyrinks Roman „Der Golem“. Das Vorbild überrascht nicht, schließlich hatte Henrik Galeen, der Drehbuchautor von Murnaus „Nosferatu“, bereits 1914 gemeinsam mit Paul Wegener die Geschichte des Golem verfilmt. Schließlich beleuchtet die Publikation auch die vielfältigen Darstellungen des Vampirs, der als Tod- und Seuchenbringer mit Ratten oder Fledermäusen in Verbindung gebracht, aber auch in diversen grotesken Gestalten dargestellt wird. Vorbilder zu „Nosferatu“, ob als Monster mit spitzen Zähnen oder als dämonische Erscheinung, finden sich in Zeichnungen von Alfred Kubin, Max Klinger oder Edvard Munch. Ebenso findet die Darstellung der Opfer des Vampirs Vorbilder in der Kunst, etwa bei Johann Heinrich Füssli oder bei Félicien Rops.


Edvard Munch: Zwei Menschen. Die Einsamen (1899)
Haben Edvard Munchs Werke die Darstellung von Hutter und seiner Frau Ellen im Film „Nosferatu“ inspiriert?

Detail aus: Edvard Munch: Zwei Menschen. Die Einsamen (1899) – Städel Museum, Frankfurt am MainPublic Domain

„Aus den Samen Belials erstund der Vampyr Nosferatu, als welcher lebet und sich nähret von dem Blute der Menschheit unerlöset hauset er in erschröcklichen Höhlen, Grabkammern und Särgen, so gefüllet seyen mit gottverfluchter Erde von den Ackern des schwarzen Todes.“

Akt II, 45. – Nosferatu, eine Symphonie des Grauens

Der Vampir als Symbol

Die im Sandstein Verlag erschienene Publikation „Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“ enthält nicht nur eine Übersicht der Werke, die in der Ausstellung in der Sammlung Scharf-Gerstenberg zu sehen waren, sondern auch die Stummfilm-Titelliste zu Murnaus „Nosferatu“ sowie Beiträge zur Rezeption des Films, zu den gesellschaftlichen Hintergründen seiner Produktionszeit und zu seinen popkulturellen Einflüssen. Dass dieser vertiefte Einblick durchaus notwendig ist, stellte bereits Hanno Hauenstein in seiner Besprechung in der Berliner Zeitung fest. Das Konzept des adligen Blutsaugers erinnert nämlich an die Vorstellung einer vermeintlich parasitären, fremden Übermacht, die nicht erst in den 1920er Jahren und nicht nur in Deutschland im Unterbewusstsein der Gesellschaft verankert war: Es sind antisemitische Stereotype, die in der Darstellung des Vampirs und seiner Gefolgschaft immer wieder zum Vorschein kommen. Hier bietet die Publikation genaueren Kontext; Jürgen Müller stellt etwa in seinem Beitrag „Spinnennetz und Schattenbild“ heraus, dass der Vampir in seiner negativen Unsterblichkeit und in der daraus resultierenden Ruhelosigkeit und Heilsunfähigkeit an das Motiv des Ewigen Juden Ahasver erinnert. Insbesondere in Stokers Roman „Dracula“, der als Vorlage für „Nosferatu“ diente, kommen zudem weitere antisemitische Motive zum Vorschein, etwa die Vampirinnen, die sich von Kindern ernähren – ein Verweis auf das Klischee des Ritualmords. Stokers Vampirismus-Konzept, und damit auch das Vorbild von Murnaus Film, ist durch die starke Betonung der Umkehrung christlicher Überzeugungen in einem religiösen, antijüdischen Kontext zu verorten. [1]

Im Film „Nosferatu“ wird der Vampir zudem zur geisterhaften Figur, der auf seine Opfer eine hypnotische Wirkung ausübt. Sein todbringender Einfluss wird hier mit der Pest verknüpft, begleitet von Ratten als Überträger der Seuche. In „Nosferatu“ wird der Vampir also als Auslöser einer Pandemie dargestellt – vielleicht ein Motiv, das an die Spanische Grippe erinnern sollte, die zwischen 1918, gegen Ende des Ersten Weltkriegs, und 1920 weltweit Millionen von Todesopfern forderte. Die Herausgeber der Publikation nehmen dies zum Anlass, auf die Aktualität des Themas hinzuweisen und auch die Corona-Pandemie anzusprechen. So wie in „Nosferatu“ der „Paracelsianer“ Professor Bulwer mit der Erforschung von vampirischen Lebewesen beschäftigt ist, wird nun der deutsche Virologe Christian Drosten als „unermüdlicher Verfechter der medizinischen Aufklärung“ im Vorwort des Buches erwähnt. „Vor 100 Jahren hätte er auch Nosferatu in die Knie gezwungen“, heißt es hier. [2] In Robert Eggers Verfilmung übernimmt nun statt dessen aber Professor Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe) die Rolle des Vampirjägers – ein Schweizer Metaphysiker und Okkultist. Der Charakter vereint namentlich die Schweizer Psychotherapeutin Marie-Louise von Franz, die den Lehren von C. G. Jung folgte und alchemistische Texte veröffentlichte, und Albin Grau, den Produzenten und Filmausstatter von Murnaus „Nosferatu“. Zu dessen Zuwendung zum Okkultismus, die auch Robert Eggers für die Figur in seinem Film inspirierte, bietet die Publikation „Phantome der Nacht“ vertiefte Einblicke.


Francisco de Goya: Los Caprichos: Tantalus (Tantalo) (1799)
Hingesunken auf einem Stuhl, nach einem nächtlichen Besuch von Graf Orlok, findet sich Hutter in „Nosferatu“ in der gleichen Position wieder, wie die weibliche Gestalt in Goyas Radierung.

Detail aus: Francisco de Goya: Los Caprichos: Tantalus (Tantalo) (1799) – Metropolitan Museum of ArtPublic Domain

Anlässlich der Ausstellung „Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“ erschien 2022 die begleitende Publikation, herausgegeben von Jürgen Müller, Frank Schmidt und Kyllikki Zacharias für die NationalgalerieStaatliche Museen zu Berlin, im Sandstein Verlag (ISBN: 978-3-95498-710-8). Der Ausstellungskatalog mit Filmausschnitten und zahlreichen farbigen Werkabbildungen beinhaltet auch die Titelliste des Stummfilms sowie Beiträge von u.a. Hartmut Böhme, Kristina Jaspers, Paolo Caneppele und Günter Krenn.


Nosferatu – Der Untote

Regie: Robert Eggers
USA, 2024 – 132 Minuten

musermeku dankt dem Sandstein Verlag für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.


Header-Bild: Detail aus: Edvard Munch: Zwei Menschen. Die Einsamen (1899) – Städel Museum, Frankfurt am MainPublic Domain


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Siehe dazu: Jürgen Müller: Spinnennetz und Schattenbild. Nosferatu oder vom Schlaf der Vernunft, In: Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu, Hg.v. u.a. ders., 2022, S. 33-45, hier S. 36.

[2] Vorwort, Ebd., S. 15.


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