Spellbound: Hexen, Einhörner und magische Rituale

Das Ashmolean Museum wirft in der Publikation „Spellbound: Magic, Ritual and Witchcraft“ einen Blick auf historische und aktuelle Vorstellungen von Magie.

Das Ashmolean Museum wirft in der Publikation "Spellbound: Magic, Ritual and Witchcraft" einen Blick auf historische Vorstellungen von Magie.

[Rezension] Magie und der Glaube an das Übernatürliche prägten die mittelalterliche Gesellschaft. Doch auch in den folgenden Jahrhunderten blieben abergläubische Vorstellungen und Ängste vor „bösen Mächten“ erhalten. Und selbst heute, in einem Zeitalter, in dem alle möglichen Bereiche unseres Lebens bis ins kleinste Detail wissenschaftlich erforscht sind, existiert noch immer magisches Denken. Mit der Publikation „Spellbound: Magic, Ritual and Witchcraft“ wirft das Ashmolean Museum in Oxford einen Blick auf die historischen Vorstellungen von Magie und zeigt, wie sich bis ins 21. Jahrhundert ein vielfältiger Aberglaube in unserer Gesellschaft fortsetzt.


The microcosm (man) and the macrocosm (the world)
Radierung des Mikrokosmischen Menschen, welche die Beziehung zwischen dem Körper und dem Kosmos zeigt.

Ausschnitt aus: T. de Bry: The microcosm (man) and the macrocosm (the world), 1617. Wellcome Collection. Public Domain – bearbeitet

„Die Vorstellung von Magie, von Zauber, von der Ausübung einer Macht, die keine Grundlage in Fakten oder Vernunft hat, fasziniert uns noch lange nachdem die meisten von uns aufgehört haben, daran zu glauben. Die Magie hat uralte Wurzeln und stammt aus einer Zeit, in der man glaubte, die gesamte natürliche Welt sei von Geistern beseelt, die wohlwollend oder bösartig sein konnten, die aber mit den richtigen Ritualen und magischen Gegenständen für menschliche Zwecke kontrolliert werden konnten.“

Philip Pullman im Begleitwort zur Publikation „Spellbound“

Der Böse Blick und der Teufel persönlich

Im Jahr 2018 versammelte das Ashmolean Museum für seine Ausstellung „Spellbound“ ein faszinierendes Kabinett von Kuriositäten, historische Dokumente und Bücher, sowie mittelalterliche und zeitgenössische Kunst. Ob das Horn von Einhörnern (in Wirklichkeit Narwal-Hörner), magische Kristalle oder Talismane, die aus Edelsteinen und Korallen gefertigt wurden und den Träger vor dem bösen Blick und den damit verbundenen zufälligen Todesblitzen schützen sollten – seit Jahrhunderten versuchen Menschen ihr Leben durch magische Objekte positiv zu beeinflussen oder sich vor negativen Einflüssen zu schützen.

Hexerei und Übernatürliches standen im Mittelalter nicht unbedingt in Widerspruch zum christlichen Glauben. Vielmehr wurde die Vorstellung vom Bösen in die Welt des Christentums integriert. Bestimmte Männer und Frauen wurden als Hexen betrachtet, denn ihnen wurde vorgeworfen, mit Dämonen und dem Teufel selbst zu verkehren, um das Schicksal ihrer Nachbarn oder ihres ganzen Dorfes zu verfluchen und Unheil heraufzubeschwören. Infolge dieser Vorstellung von böser Magie wurden zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, von Massachusetts bis Moskau, um die 100.000 Menschen verfolgt. Mehr als die Hälfte dieser Menschen wurde als Hexen verurteilt, grausam gefoltert und umgebracht.

Egal wie viele vermeintliche Hexen man ermordete, böse Zauber waren allgegenwärtig. Da die Gesellschaft scheinbar also nicht von Hexerei befreit werden konnte, war Gegenmagie erforderlich, um ihren bösen Einfluss abzuwehren. Man vergrub in Kaminen und unter Türschwellen deshalb alte Schuhe, toten Katzen, gebogene Nägel, die in Urin eingelegt waren, oder Stierherzen, die mit Stiften durchbohrt wurden. Dieser Glaube an Magie und Hexen beeinflusste auch zahlreiche Künstler.

In der Publikation „Spellbound: Magic, Ritual and Witchcraft“ wirft das Ashmolean Museum anhand von diversen Objekten aus rund 800 Jahren europäischer Geschichte einen Blick auf den Glauben an Magie und Hexerei und betrachtet auch, wie Kunstschaffende wie Albrecht Dürer, Melchior Küsel, Salvator Rosa oder Johann Heinrich Füssli sich mit dem Thema in ihren Werken auseinandersetzten.


Michaelis Scoti Astrologia
Illustration von Beelzebub, dem selbsternannten Liebesgott.

Ausschnitt aus: Michael, Scotus: Michaelis Scoti Astrologia cum figuris (Liber introductorius, ca. 1220-35) – BSB Clm 10268, Bayerische StaatsbibliothekCC BY-NC-SA 4.0

Hexerei und Aberglaube

Neben historischer Kunst, die sich mit Hexen und magischen Wesen befasst, werden auch Werke von zeitgenössischen Kunstschaffenden betrachtet. Sie untersuchen nicht nur, wie unsere Vorfahren das magische Denken in ihren Alltag integrierten, sondern wie sich diese Denkprozesse auch noch in der heutigen Gesellschaft wiederfinden. Ackroyd & Harveys Werk „From Aether to Air“ (2018) bezieht sich etwa auf ein mittelalterliches Universum, das von Engeln und Dämonen bevölkert ist. Durch eine Art zeitgenössischen Akt der Alchemie wird eine kristalline menschliche Form aus Aluminiumsulfat geschaffen, die in Richtung Himmel aufzusteigen scheint. Unter einer liegenden Figur kauern hier mittelalterliche Dämonen, zwei Teufelsfiguren mit Drachenflügeln.

Katharine Dowson setzt sich in „Concealed Shield“ (2018) mit der Bedeutung des Schornsteins auseinander, der im Mittelalter (und auch später noch) ein Ort war, an dem Schutzobjekte vergraben, eingemauert oder angebracht wurden, um vor dem Bösen zu schützen. Im Zentrum von Dowsons Installation ist allerdings kein verstecktes Objekt zu finden, das vor Dämonen, Geistern oder Hexen bewahrt, sondern ein großes Kristallherz, das von roten Lichtstrahlen durchdrungen wird. Im Werk der Künstlerin werden ein zeitgemäßes medizinisches Verständnis des menschlichen Körpers den geheimnisvollen Kräften des Okkulten gegenüberstellt, verdeutlicht durch mysteriöse und unheimliche Geräusche, die das Kristallherz umgeben.

Auch Annie Cattrells Werk „Verocity 11“ (2018) verknüpft historischen Aberglauben mit dem Heute. Ihre Arbeit umfasst eine Reihe von Wohnobjekten, in die verschiedene magische Symbole und Wörter eingebrannt sind, sowie zwei Videoinstallationen. Während eine Installation eine Flamme zeigt, werden in der zweiten Installation die bewegenden Bekenntnisse einer der Hexerei beschuldigten Frau gegenübergestellt. Beide Videoinstallationen verdeutlichen – direkt und im übertragenen Sinne – wie aus einem zaghaften Beginn eine Eskalation entsteht. Aus einer kleinen Flamme wächst ein verzehrender Brand und aus einem Anfangsverdacht gegen eine unschuldige Frau entsteht eine Hysterie mit tödlichen Folgen.


Albrecht Dürer: Die Hexen
Ausschnitt aus: Albrecht Dürer: Die Hexe (1498-1502) – Rijksmuseum, Objektnummer: RP-P-OB-1229 – Public Domain – bearbeitet

Liebesschlösser und eine Hexe in der Flasche

Der Aberglaube prägt bis heute das Leben vieler Menschen. Noch immer vermeiden es zum Beispiel die meisten Menschen, unter einer Leiter durchzugehen, weil es Unglück bringen könnte. Und auch Liebesschlösser sind ein Zeichen von magischem Denken in der heutigen Zeit. Die Schlösser werden an Brücken auf der ganzen Welt von Liebenden angebracht, in der Hoffnung, dass die Beziehung so für immer hält, wenn der passende Schlüssel unwiederbringlich weggeworfen wird. Doch weil das Gewicht dieser Liebesbeweise droht, die Statik der Brücken zu gefährden, werden die Schlösser oft im Auftrag zuständiger Behörden entfernt. Bedeutet das dann, dass die Liebe der Menschen zerbricht, sobald die Liebesschlösser von ihrem Ursprungsort abgeschnitten werden?

Neben diesen harmlosen Anzeichen von Aberglauben Thematisiert das Museum in „Spellbound“ aber auch eher unheimliche magische Artefakte aus neuerer Zeit. So wurde 1988 ein kleines Tablettenfläschchen an das Ufer der Themse gespült – darin enthalten waren menschliche Zähne und Münzen aus dem Jahr 1982. Es wird vermutet, dass dies ein Zauber gegen Zahnschmerzen sein sollte.

Das vielleicht unheimlichste Objekt, das in „Spellbound“ Erwähnung findet und heute zur Sammlung des Pitt Rivers Museum in Oxford gehört, ist aber eine kleine unscheinbare Silberflasche. Sie wurde 1915 von einer alten Frau in Sussex an das Museum übergeben, und zwar mit einer Warnung: „They do say there be a witch in this and if you’re let un out there be a peck o’ trouble.“ Bis heute wurde die Flasche, in der angeblich eine Hexe gefangen ist, noch nie geöffnet – sicher ist sicher!


Anlässlich der Ausstellung „Spellbound: Magic, Ritual and Witchcraft“ (31.08.2018 – 06.01.2019) erschien die gleichnamige Publikation, herausgegeben vom Ashmolean Museum (ISBN: 978-1-910807-24-8). Der Ausstellungskatalog mit zahlreichen farbigen Werkabbildungen beinhaltet Essays von u.a. Sophie Page, Marina Wallace, Owen Davies, Ceri Houlbrook und Malcolm Gaskill.


Header-Bild: Ausschnitt aus: Jan van de Velde II: Eine Hexe an ihrem Kessel, umgeben von Monstern (1626) – Wellcome CollectionCC BY 4.0 – bearbeitet


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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