Warum viele Museen endlich umdenken müssen

Ob notwendige Deakzession, bereichernde Perspektivwechsel oder bessere Arbeitsbedingungen: Für viele Museen ist es höchste Zeit, etwas zu verändern.

Ob Deakzession, Perspektivwechsel oder bessere Arbeitsbedingungen: Für viele Museen ist es höchste Zeit, etwas zu verändern.

[Debatte] Museen müssen sich kontinuierlich weiterentwickeln. Dazu gehört es nicht nur, technische Innovationen im Hinblick auf Ausstellungsdesign, Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit im Blick zu behalten. Es sollte auch ständig hinterfragt werden, wie sich zeitgemäße Methoden der Forschung auf die Sammlung anwenden lassen, wie aktuelle Trends im Vermittlungsbereich aufgegriffen werden können und wie man inhaltlich besser auf die Bedürfnisse seiner diversen Zielgruppen eingehen kann. Die Bereitschaft zu einer kontinuierlichen Verbesserung und Anpassung fördert dabei auch generell eine offene Haltung gegenüber Veränderungen, die als fortlaufender Prozess gemeistert werden können und keinen harten Umbruch darstellen müssen. Handlungsbedarf kann bei Museen dabei in allen Bereichen bestehen, angefangen bei der Sammlung über die Infrastruktur bis hin zum Personalbereich. Wir geben hier einige Denkanstöße…


Deakzession: Es wird Zeit zu ent-sammeln.

Museen sollten stärker hinterfragen, was genau ihre Sammlungen alles umfassen und wie voll ihre Depots sind. Hierzu is es zunächst notwendig, die Sammlungen vollständig zu erschließen – und sich in dem Prozess auch mit Deakzession, also mit dem Ent-sammeln zu beschäftigen. Denn nicht alles gehört sinnvollerweise in die eigene Museumssammlung; manches würde vielleicht auch besser in ein anderen Museums passen. Ein Tausch von Objekten oder die Entsendung von Leihgaben an andere Institutionen könnte die Zusammenarbeit zwischen Museen fördern und würde es ermöglichen, von den Ressourcen anderer Einrichtungen zu profitieren.

Durch eine Sammlungsverkleinerung kann ein Museum seinen Fokus auf die qualitativ hochwertigsten Exponate legen, die eine aussagekräftige Geschichte erzählen. Immerhin ändern sich im Laufe der Zeit auch Interessen und wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Ent-Sammeln würde es ermöglichen, sich auf aktuelle Entwicklungen in Forschung und Gesellschaft einzustellen und die Sammlung entsprechend anzupassen – zum Beispiel durch die Rückgabe bestimmter Objekte im Zuge einer Restitution. Im Hinblick auf das Ent-Sammeln ist schließlich auch der Umgang mit Ressourcen ein wichtiges Thema, denn große Sammlungen erfordern mehr Lagerfläche, Instandhaltung und Personal zur Pflege. Durch eine Verkleinerung könnten Museen diese Ressourcen effizienter nutzen und auch Kosten reduzieren.

Ein Beispiel ist das Schweizer Regionalmuseum Chüechlihus in Langnau i.E., das Kulturgut aus dem Oberemmental sammelt und bewahrt. Über Jahre hinweg haben sich dabei hunderte Objekte angesammelt, die mehrfach vorhanden oder unvollständig sind und die deshalb für eine Deakzession in Frage kommen. Was mit den Gegenständen passieren soll, die nicht im Museum bleiben können, entscheidet das Museum gemeinsam mit seinem Publikum. Auf entsammeln.ch kann jeder abstimmen, Objekte besichtigen und sich für eine Übernahme bewerben. Unter dem Motto #AltSuchtNeu finden auch regelmäßig öffentliche Veranstaltungen statt. Für 2024 ist eine Fortsetzung des Projekts geplant.


Schatzsuche: Es wird Zeit, eigene Objekte neu zu entdecken.

Statt aus anderen Institutionen regelmäßig Werke aufwändig auszuleihen, sollten sich Museen mehr darauf konzentrieren, Objekte aus der eigenen Sammlung zu zeigen und zum Beispiel durch eine spannende Ausstellungsgestaltung neu zu inszenieren oder Exponate aus dem Depot zu zeigen, die bisher noch nie oder lange nicht gezeigt wurden. 

Die Fokussierung auf die eigene Sammlung ermöglicht in erster Linie die Einsparung von Ressourcen, die sonst für den Transport, die Versicherung und die Organisation des Leihverkehrs benötigt würden. Damit verbunden ist nicht nur eine Zeit- und Kostenersparnis, sondern auch eine Verringerung von CO2-Emissionen im Sinne von nachhaltigen Entwicklungszielen. Die Konzentration auf die eigene Sammlung erleichtert außerdem die langfristige Planung von Ausstellungen, Vermittlungsangeboten und Veranstaltungen, da schon weit im Voraus direkt mit den Objekten gearbeitet werden kann. Schließlich bietet sich so auch die Gelegenheit, die Vielfalt der eigenen Sammlung besser dem Publikum zu präsentieren. Immerhin können Museen in der Regel immer nur einen Bruchteil ihrer Sammlung öffentlich zugänglich machen und viele Museumsschätze sind im Depot potenziell noch unentdeckt.

Ein Beispiel hierfür war die Ausstellung „Von Mischwesen. Skulptur in der Moderne“, die ab 2021 für zwei Jahre in der Hamburger Kunsthalle zu sehen war. Die rund 25 gezeigten Arbeiten stammten alle aus dem Bestand des Museums, wurden aber zum Teil schon jahrzehntelang nicht mehr ausgestellt, etwa die Skulpturen der französischen Künstlerin Germaine Richier oder die Arbeiten der Hamburger Künstlerin Ursula Querner.


Freizeitspaß: Es wird Zeit, sich nicht so ernst zu nehmen.

Der Museumsbereich neigt dazu, die eigene gesellschaftliche Bedeutung zu überschätzen. Für viele Besucher ist der Aufenthalt im Museum eine Freizeitaktivität, ähnlich wie der Besuch eines Kinofilms oder ein Ausflug in die Natur. Auch wenn sich Museen wünschen würden, dass Besucher von einem Drang nach Bildung bewegt werden – tatsächlich wird ein Museumsbesuch oft als Zeitvertreib wahrgenommen, vorzugsweise an einem regnerischen Tag oder im Urlaub.

Historisch gesehen waren Museen oft elitäre Institutionen, die vor allem dazu dienten, exklusive Objekte für eine begrenzte Oberschicht zugänglich zu machen. Einige Institutionen haben sich bis heute nicht von dem Gedanken gelöst ein „Musentempel“ zu sein – gleichzeitig sehen sie sich aber auch in einer Rolle als unverzichtbare Institutionen mit hoher Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Dass dem nicht wirklich so ist, zeigte die COVID-19 Pandemie, als Museen mit anderen Orten der Freizeitgestaltung gleichgesetzt wurden. Sie wurden nicht als Bildungsinstitutionen und vor allem nicht als systemrelevant eingestuft. Für viele kratzte diese Einordnung in der gesellschaftlichen Bedeutung stark am Selbstverständnis. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass es nicht notwendigerweise problematisch ist, wenn Museen vor allem als Orte der Freizeitgestaltung wahrgenommen werden.

Es spricht vieles dafür, die Wahrnehmung als zugänglicher und unterhaltsamer Ort sogar aktiv zu fördern. Je weniger ein Museum als elitär oder als Ort der reinen Bildung wahrgenommen wird, um so mehr ist vielleicht auch ein breiteres Publikum dazu bereit zu kommen. Wenn ein Museumsbesuch vor allem mit Spaß und Unterhaltung assoziiert wird, steigt auch die Bereitschaft, die Institution häufiger zu besuchen. Denn die meisten Menschen möchten in ihrer Freizeit eher Zerstreuung von ihrem Alltag und haben nicht unbedingt Interesse, sich in erster Linie zu bilden. Zudem ist die Trennung zwischen Bildung und Freizeit oft künstlich, denn Menschen können in entspannter Atmosphäre durchaus lernen und sich weiterbilden – idealerweise sogar ohne dass sie es bewusst wahrnehmen. Insgesamt sollten Museen ihre gesellschaftliche Bedeutung daher nicht überbewerten, sondern vielmehr flexibel auf die Erwartungen und Bedürfnisse des Publikums eingehen. Ein Angebot, das Unterhaltung, Bildung und kulturelle Teilhabe kombiniert, kann dazu beitragen, Museen als bereichernde und zugängliche Einrichtungen zu positionieren.

Ein Beispiel ist die Fondation Beyeler bei Basel, die im Sommer regelmäßig zu Musik-Events auf ihr Gelände einlädt. Hier kann im Park um das Museum gefeiert und getanzt werden, parallel können aber auch die Ausstellungsräume besucht werden. Zu Halloween 2023 bat das Museum zudem zum Maskenball, bei dem die Besucher dazu eingeladen waren, sich passend zu den ausgestellten Kunstwerken zu verkleiden und in den Ausstellungsräumen zu feiern.


Rahmenbedingungen: Es wird Zeit, nicht nur über Inhalte nachzudenken.

Wie ein Museumsaufenthalt von Besuchern wahrgenommen wird, hängt auch von der Infrastruktur ab. Wenn etwa die Toiletten defekt oder nicht sauber sind, kann sich das negativ auf das Besuchserlebnis auswirken, ebenso wenn das Kassen- oder Aufsichtspersonal unfreundlich ist, wenn es in der Ausstellung keine Sitzmöglichkeiten gibt oder wenn die Beschilderung die Orientierung erschwert. Die Inhalte können dann noch so interessant sein – wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, werden Besucher das Museum nicht in guter Erinnerung behalten. 

Insgesamt kann eine Kombination aus verschiedenen Rahmenbedingungen und Faktoren das Besuchserlebnis in einem Museum stark beeinflussen. Es geht darum, eine einladende und ansprechende Umgebung zu schaffen, in der sich die Besucher wohl fühlen und die Ausstellungen genießen können. Ein wichtiger Faktor ist hier die Zugänglichkeit, denn Museen sollten für alle Besucher erlebbar sein, unabhängig von physischen Einschränkungen. Hierbei helfen umfangreiche Informationen zur Anreise, die Bereitstellung von barrierefreien Angeboten, funktionierende Aufzüge und eine angemessene Beschilderung zur Orientierung.

Auch die Infrastruktur trägt zum Wohlbefinden im Museum bei, angefangen bei sauberen Toiletten über die Bereitstellung von ausreichend Sitzgelegenheiten und Ruheräumen bis hin zum Angebot von Aufenthaltsbereichen, in denen zum Beispiel gegessen und getrunken werden kann. Diese Punkte spielen insbesondere auch zum Thema Kinder- und Familienfreundlichkeit eine wichtige Rolle. Ebenso kann freundliches und hilfsbereites Museumspersonal, das bei Fragen und Anliegen behilflich ist, das Besuchserlebnis positiv beeinflussen. Und schließlich kann auch ein schöner Museumsshop dafür sorgen, dass ein Museumsbesuch in guter Erinnerung bleibt.


Rollentausch: Es wird Zeit für einen Perspektivwechsel.

Ein Rollentausch der Mitarbeitenden könnte in einigen Museen neue Impulse liefern. So wäre es möglich, dass Verantwortliche in Leitungspositionen im Rahmen von Projekten oder Diskussionsangeboten mit Besuchern direkt in Kontakt treten, um besser nachvollziehen zu können, welche Bedürfnisse und Erwartungen die Besucher an das Museum haben. Hier kann es vor allem darum gehen, Hindernisse für eine positive Besuchserfahrung besser zu erkennen und einen unmittelbaren Eindruck davon zu bekommen, wo Potenzial für Verbesserungen besteht. Im Gegenzug können Personen, die normalerweise in Positionen „am Besucher“ arbeiten, stärker in Verwaltungs- und Konzeptionsprozesse mit einbezogen werden. Sie kennen häufig die Interessen und Bedürfnisse der Besucher besonders gut, da sie regelmäßig in direktem Austausch mit ihnen stehen.

Ein Beispiel war 2022 die Ausstellung „Guarding the Art“ im US-amerikanischen Baltimore Museum of Art, die vom Aufsichtspersonal des Museums kuratiert wurde. Das Konzept bot sich an, da die Museumsaufsichten bereits mit den Werken des Museums gut vertraut waren und dazu auch immer wieder mit Museumsbesuchern ins Gespräch kamen. Auch die Hamburger Kunsthalle bezieht im Rahmen der Sammlungspräsentation „Making History. Hans Makart und die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts“ Mitarbeitende aus dem nicht-wissenschaftlichen Bereich in die Vermittlung mit ein.


Perspektiven: Es wird Zeit, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Niedrige Löhne, befristete Verträge, Überstunden auch an Feiertagen und Wochenenden und zu viele Aufgaben, die von zu wenigen Mitarbeitenden bewältigt werden müssen: Wenn Museen nicht von einem empfindlichen Fachkräftemangel getroffen werden wollen, müssen sie ihre Personalpolitik überdenken. Die Investition in Mitarbeitende und die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen in Museen kann eine Vielzahl von positiven Auswirkungen auf die Effektivität, Qualität und Nachhaltigkeit des Museumsbetriebs haben.

Zum einen sind Mitarbeitende, die in einem unterstützenden Umfeld arbeiten, eher bereit, neue Ideen auszuprobieren, innovative Ansätze zu verfolgen und kreative Lösungen für Herausforderungen zu finden. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, gewertschätzt und gefördert zu werden, sind sie zudem eher dazu bereit, langfristig im Museum zu bleiben. Dies reduziert die Fluktuation und den Bedarf an häufigen Neueinstellungen. Hierzu müssen natürlich auch Stellen vermehrt unbefristet ausgeschrieben werden, denn insbesondere sachgrundlose Befristungen führen dazu, dass in Museen regelmäßig wichtiges Wissen und Vernetzungen verloren gehen. Die Ungewissheit einer Befristung belastet zudem die Mitarbeitenden, denn dadurch wird nicht nur im privaten Umfeld eine langfristige Planbarkeit verhindert, sondern auch die Planung langwieriger Museumsprojekte wird damit erschwert.

Auch in Museen wird der Fachkräftemangel kommen bzw. ist im technischen Bereich bereits längst da. Museen müssen sich daher nicht nur bemühen, als gute Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, um qualifizierte Mitarbeitende für sich zu gewinnen und zu halten. Auch eine umfangreichere Investition in Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten wird immer wichtiger, um eigene Mitarbeitende mit benötigten Qualifikationen auszustatten. Langfristige Investitionen in die Mitarbeitenden und in ihre Entwicklung tragen so auch zur Nachhaltigkeit des Museums bei.


Header-Bild: Angelika Schoder – Victoria & Albert Museum, London 2023


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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