Andere Blickwinkel: Jeder kann Kurator sein

Welche Objekte in einem Museum gezeigt werden, bestimmt ein Kurator. Doch was, wenn Menschen zu Kuratoren werden, die das nicht professionell gelernt haben?

Welche Objekte in einem Museum gezeigt werden, bestimmt ein Kurator. Doch was, wenn Menschen zu Kuratoren werden, die das nicht professionell gelernt haben?

[Debatte] Neue Perspektiven ins Museum zu bringen, andere Blickwinkel aufzuzeigen und auf Augenhöhe dem vielleicht auch nicht-akademischen Publikum zu begegnen, das versuchen immer mehr Kulturinstitutionen. Im vergangenen Jahr lud deshalb das Baltimore Museum of Art sein Aufsichtspersonal dazu ein, eine Ausstellung für das Museum zu kuratieren. Gemeinsam mit dem Team des Museums erarbeiteten die Aufsichten die Ausstellung „Guarding the Art“, die jetzt im Frühjahr 2022 zu sehen war. Und auch das Zentrum Paul Klee in Bern hat letztes Jahr ein Projekt mit ungewöhnlichen Kuratoren gestartet: Für die Ausstellung „Leuchtendes Geheimnis“ wurden Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren eingeladen, sich mit den Werken von Paul Klee auseinanderzusetzen. So erhielten sie einen Einblick in die Arbeit als Kurator – und noch bis September können Ausstellungsbesucher jetzt die Perspektive der Kinder auf die Kunst kennenlernen.


Vielschichtige Blickwinkel

Niemand verbringt so viel Zeit mit Kunstwerken in einem Museum wie die Museumsaufsichten. Das Baltimore Museum of Art bat deshalb im letzten Jahr diese Mitarbeitenden, eine eigene Ausstellung zu kuratieren. Insgesamt arbeiten 45 Aufsichten in dem Museum, 17 davon nahmen an der Planung der Ausstellung „Guarding the Art“ teil. Die Kunstwerke, die sie auswählten, reichten von einer präkolumbianischen Skulptur aus dem 6. Jhd. über einen französischen Türklopfer aus dem Jahr 1925 bis hin zu einem Protestbild aus dem Jahr 2021. Die Auswahl der Werke war dabei so vielschichtig, wie der persönliche Hintergrund des Aufsichtspersonals. Wie das Medienunternehmen NPR berichtete, waren unter den an der Ausstellung beteiligten Aufsichten Studierende, ehemaliges Gastronomiepersonal, Veteranen und Senioren.

Die Idee zur Ausstellung „Guarding the Art“, die jetzt von März bis Juli 2022 im Baltimore Museum of Art gezeigt wurde, entstand aufgrund einer Beobachtung der Kuratorin Asma Naeem. Sie hatte bemerkt, dass das Aufsichtspersonal bereits auf gewisse Art in der Kunstvermittlung aktiv war: Sie machten sich mit den Werken vertraut und kamen dazu auch immer wieder mit Museumsbesuchern ins Gespräch. Die Kuratorin hatte auch selbst Museumsaufsichten immer wieder für sich als wichtige Ansprechpersonen wahrgenommen, um Fragen beantwortet zu bekommen und sich mit ihnen über die Werke auszutauschen. Bis heute schätzt sie den Austausch als Besucherin mit den Aufsichten sehr; für sie ist es eine Möglichkeit, in einem kurzweiligen Gespräch die Monotonie im Museum zu durchbrechen.


Die Nähe zur Kunst

Eine der neuen Museums-Kuratoren des Baltimore Museum of Art war die ehemalige Soldatin Traci Archable-Frederick. Nach ihrem Armeedienst wechselte sie 2006 an das Museum als Aufsicht. Ihre Wahl für die Ausstellung „Guarding the Art“ fiel auf das Bild „Resist #2“ (2021) der Künstlerin Mickalane Thomas, das mit Glitzer, Strass, Fotos und dem Gesicht des Schriftstellers James Baldwin verziert ist. Es geht darin um die anhaltenden Proteste und rassistischen Spannungen in den USA – ein Thema, das der Museumsaufsicht persönlich sehr am Herzen liegt. Für sie ist das Bild mit dem Ausspruch von James Baldwin verbunden: „Nicht alles, dem man sich stellt, kann man ändern. Aber nichts kann geändert werden, bis man sich ihm stellt.“

Tatsächlich stand die Ausstellung in Kooperation mit den Aufsichten für eine große Veränderung im Baltimore Museum of Art, denn viele Werke, die von den Mitarbeitenden ausgewählt wurden, waren bis dahin noch nie im Museum ausgestellt worden. Das gilt auch für das Bild „Winter’s End“ (1958) von Jane Frank. Ausgewählt wurde es von der Museumsaufsicht Elise Tensley. Sie ist selbst Künstlerin und wollte mit ihrer Wahl den Fokus darauf lenken, dass Museen der Kunst von Frauen mehr Sichtbarkeit einräumen sollten.


Weg vom akademischen Blick

Dass jemand, der selbst künstlerisch tätig ist, als Museumsaufsicht arbeitet, ist übrigens nicht ungewöhnlich. Sowohl Sol LeWitt als auch Robert Mangold arbeiteten als Wachleute im Museum of Modern Art in New York, bevor sie zu erfolgreichen Künstlern wurden. Auch Andrea Fraser arbeitete als Galerieaufsicht im Dia Chelsea, bevor sie eine etablierte Künstlerin wurde.

In ihrer Arbeit „Museum Highlights: A Gallery Talk“ (1989) spielt Fraser die Rolle einer Kunstvermittlerin, die eine Führung durch das Philadelphia Museum of Art leitet. Während ihrer Performance persifliert die Künstlerin die übertriebene Sprache, die oft bei Ausstellungsführungen zum Ausdruck kommt. Jedes noch so banale Detail wird von ihr mit Bedeutung aufgeladen, als wäre es das wichtigste Kunstwerk der Welt – auch wenn es nur ein einfacher Wasserspender ist. (Ein Video der Performance befindet sich in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle.)

Frasers Performance führt vor Augen, wie elitär manche Museen bis heute oft noch erscheinen. Was hier gezeigt wird und wie darüber gesprochen wird, darüber entscheiden Menschen mit akademischem Hintergrund. Auch wenn die meisten Museen versuchen, die Interessen und Bedürfnisse ihrer verschiedenen Zielgruppen bei Ausstellungskonzeptionen im Blick zu haben – oft bleibt der Blick auf ein Thema geprägt vom professionellen Hintergrund der Kuratoren.


Von Kindern für alle

Kinder haben es bei speziell für sie konzipierten Ausstellungen und bei entsprechenden Museumsführungen meist besser als Erwachsene. Museen achten bei Inhalten und Vermittlungsangeboten für Kinder in der Regel sehr genau darauf, auf Augenhöhe zu kommunizieren, Fachbegriffe zu erklären und einen spielerischen Zugang zu Ausstellungsobjekten oder Kunstwerken zu bieten. Einige Erwachsene würden sich vermutlich auch so einen niedrigschwelligen Zugang zu Museumsinhalten wünschen.

Statt sich nur in die Bedürfnisse von Kindern hineinzuversetzen, hat das Zentrum Paul Klee in Bern jetzt Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren gleich selbst zu Kuratoren gemacht. In einem 7-monatigen Austausch entstand so die aktuelle Ausstellung „Leuchtendes Geheimnis. Kinder kuratieren Klee“. Im Dialog mit dem Fachpersonal des Zentrums entwickelten die Kinder das Thema der Ausstellung und entschieden auch selbst, welche Werke gezeigt werden sollen, wie diese präsentiert werden und welche Geschichten sie damit erzählen möchten.

Das Besondere daran ist, dass es keine Ausstellung von Kindern für Kinder ist – was ja seit einigen Jahren in manchen Museen wiederkehrende Projekte sind. Nein, die Ausstellung „Leuchtendes Geheimnis“, die von Mai bis September 2022 im Zentrum Paul Klee gezeigt wird, richtet sich tatsächlich an alle Museumsbesucher – zu einem Großteil also vor allem an Erwachsene.


Einmal Kurator sein

Das Projekt „Kinder kuratieren Klee“, das als Zusammenarbeit zwischen der Abteilung Sammlung, Ausstellungen, Forschung des Zentrum Paul Klee, dem Kindermuseum Creaviva und dem Community-Projekt paul&ich entstand, hat es sich zum Ziel gesetzt, Kinder in den Prozess des Ausstellungsmachens mit einzubeziehen. Damit ist das Konzept ganz nah bei der Idee des Künstlers: Paul Klee selbst war vom Blick der Kinder auf die Welt fasziniert. Sein Sohn Felix gab ihm immer wieder wichtige Anregungen und Ideen für seine künstlerische Arbeit.

Vor diesem Hintergrund lud das Zentrum Paul Klee 2021 eine Gruppe von Kindern dazu ein, an einer 7-monatigen Serie von Workshops teilzunehmen. Von August 2021 bis März 2022 arbeiteten 13 Kinder aus der Region Bern wöchentlich im Austausch mit dem Team des Museums an der Ausstellung. Sie erhielten dabei Einblick in alle Verantwortungsbereiche, die auch ein regulärer Kurator im Museum hat: von der Themenfindung über die Werkauswahl bis hin zur Ausstellungsgestaltung. Auch auf das museumspädagogische Programm nahmen die Kinder Einfluss. Basis der Zusammenarbeit mit den Kindern war eine Vielzahl von experimentellen Methoden, die vom Projektleitungsteam speziell für diese Ausstellung entwickelt wurden, und mit denen die komplexe Aufgabe der Ausstellungskonzeption in spielerische und partizipative Entscheidungsprozesse übertragen werden konnte.

Am Ende profitieren davon nicht nur die Kinder selbst, die nun einen detaillierten Einblick in die Arbeit als Kurator erhalten haben. Auch die Museumssbesucher profitieren, da sie nun eine Ausstellung erleben können, die eine andere Perspektive einnimmt, auf die klassische Kuratoren im Museum aus ihrer akademischen Sicht heraus vielleicht nie gekommen wären.

Ob Aufsichtspersonal, Kinder oder ganz andere Gruppen außerhalb des Museumsbereichs – vielleicht werden wir in den nächsten Jahren ja häufiger ähnliche Ausstellungskonzepte kennenlernen, die neue Blickwinkel auf Museumsinhalte ermöglichen.


Leuchtendes Geheimnis. Kinder kuratieren Klee

22.05.-04.09.2022
Zentrum Paul Klee, Bern

Im Auftrag des Zentrum Paul Klee hat der Filmemacher Matthias Dömötör den Arbeitsprozess an der Ausstellung „Leuchtendes Geheimnis. Kinder kuratieren Klee“ begleitet. Der Film gibt Einblicke in die Arbeitsmethoden, die vom Team des Museums speziell für dieses Projekt entwickelt wurden.


Header-Bild: Angelika Schoder – Louvre, Paris 2022


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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