[Ausstellung] Was passiert, wenn man junge Menschen Inhalte im Museum kuratieren lässt? Das zeigt die Kunsthalle Bremen aktuell mit der Ausstellung „Mis(s)treated. Mehr als Deine Muse!“. Es ist nach der Ausstellung „Generation*. Jugend trotz(t) Krise“ (2023) bereits das zweite Projekt von New Perceptions, dem Jugendkuratorium der Kunsthalle Bremen. Das Ziel der Initiative, die aus Freiwilligen im Alter zwischen 17 und 25 Jahren besteht, ist es, das Museum neu zu denken, sich einzumischen und mehr Diversität im Kulturangebot einzufordern. Das wird auch im aktuellen Projekt „Mis(s)treated“ deutlich, denn die Ausstellung macht nicht nur eine Perspektive von Menschen aus der Generation Z auf Kunst deutlich, sondern rückt auch ein bisher im Museum eher vernachlässigtes Thema in den Mittelpunkt: die Repräsentation von Künstlerinnen in der Kunsthalle Bremen und insbesondere feministische künstlerische Positionen.

Feministische Perspektiven
In der Ausstellung beschäftigt sich das Jugendkuratorium zusammen mit erfahrenen Kuratorinnen mit der Repräsentanz von weiblichen Positionen im Museum. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass auch heute noch Werke von Künstlerinnen in Museen unterrepräsentiert sind, was auch auf die Kunsthalle Bremen zutrifft. Die aktuelle Ausstellung will daher den Blick auf feministische Perspektiven lenken, die in der Dauerausstellung bisher kaum vorkommen. Es geht darum, wie Künstlerinnen seit dem 19. Jahrhundert immer mehr aus dem Schatten ihrer Kollegen heraustraten, sich von der männlich dominierten Kunstgeschichte emanzipierten und mit ihren Ideen und Werken gesellschaftliche Debatten sowie die Kunstwelt bereicherten.
In vier Räumen werden zu den Schwerpunkten Körper, Identität, Geschlechterrollen, Sorgearbeit und sexualisierte Gewalt Werke aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen gezeigt, die bisher selten oder noch nie zu sehen waren, ergänzt durch Leihgaben zeitgenössischer Künstlerinnen, um Leerstellen und bislang fehlende Perspektiven zu ergänzen. Zu sehen sind hier Arbeiten von u.a. Valie Export, Elif Çelik, Nan Goldin, Käthe Kollwitz, Cindy Sherman, Shirin Neshat, Fatma Özay, Yoko Ono und Carrie Mae Weems.
„Ich war in vieler Augen doch nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky.“
Tagebucheintrag von Gabriele Münter
Von der Muse zur Künstlerin
Die Ausstellung beginnt unter anderem mit Werken von Clara Rilke Westhoff und Camille Claudel. Beiden gelang es zu Lebzeiten nicht, sich von der Dominanz ihrer männlichen Partner zu lösen und als eigenständige Künstlerinnen anerkannt zu werden; ein Schicksal, das viele Künstlerinnen mit ihnen teilten. Bis 1918 war Frauen der Zugang zu Kunstakademien meist verwehrt, stattdessen blieben ihnen private Ausbildungsstätten, die häufig von männlichen Künstlern betrieben wurden. Für bürgerliche Frauen war das öffentliche Leben zudem stark eingeschränkt, weshalb sie oft auf das private Umfeld als Motiv zurückgriffen. Beispiele sind Werke von Künstlerinnen wie Eva Gonzalès, Mary Cassatt oder Marie Laurencin, die Innenräume, häusliche Szenen, Kinder und (Selbst-)Porträts zeigen – ein Einblick in weibliche Lebensrealitäten um 1900.
Trotz gesellschaftlicher Hürden gelang es einigen Künstlerinnen, sich aus der Rolle der Muse zu befreien und sich einen Namen in der Kunstwelt zu machen. Hierzu zählt auch Gabriele Münter, die nicht nur die Gruppe Der Blaue Reiter mitbegründete, sondern auch etwa 2.000 Gemälde, über 1.000 Fotografien und Tausende von Zeichnungen, Hinterglasbildern und Druckgraphiken schuf. Ihr Frühwerk blieb dennoch lange unbeachtet und wurde v.a. über ihre Beziehung zu Wassily Kandinsky betrachtet. Erst in den letztren Jahrzehnten wurde Münsters Rolle in der Kunst des 20. Jahrhunderts neu bewertet, so wie von vielen ihrer Zeitgenossinnen, die in der Ausstellung „Mis(s)treated“ zu sehen sind.

Politische Statements
Als 1961 der italienische Künstler Piero Manzoni den nackten Körper einer Frau signierte und ihn damit zu seinem Kunstwerk erklärte, zeigte das, wie selbst Mitte des 20. Jahrhunderts Frauen noch immer in der Kunstwelt als Objekt betrachtet wurden. Ab den 1960er Jahren begannen Künstlerinnen allerdings im Zuge feministischer Bewegungen diesen patriarchalen Blick zu hinterfragen und sich den eigenen Körper als Ausdrucksmedium zurückzuerobern. Durch Performances, Fotografie und andere künstlerische Formen thematisierten sie gesellschaftliche Machtverhältnisse, Geschlechterrollen und Schönheitsnormen, etwa Cindy Sherman, Yoko Ono oder Gabriele Stötzer. Sie nutzten ihre Arbeiten, um auf Missstände aufmerksam zu machen und Tabus zu brechen. Unter dem feministischen Leitsatz „Das Private ist politisch“ rückten sie Themen wie Diskriminierung, sexualisierte Gewalt oder Reproduktionsrechte aus dem Privaten ins gesellschaftliche Bewusstsein.
Die Ausstellung thematisiert in diesem Themenabschnitt auch, dass die Selbstbestimmung über den eigenen Körper für viele Frauen auch heute noch eingeschränkt ist, insbesondere für Schwarze Frauen und Women of Colour, die mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Zeitgenössische feministische Positionen setzen sich daher zunehmend kritisch mit Weißen, westlich geprägten Normen auseinander. So erzählen Künstlerinnen wie Ngozi Ajah Schommers, Carrie Mae Weems oder Elif Çelik in ihren Werken von Schwarzen, muslimischen oder migrantischen Lebensrealitäten und erweitern so die Perspektive auf Identität, Körper und Geschlecht.

Mis(s)treated: Sichtbarkeit herstellen
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gründeten sich immer mehr Netzwerke, Bündnisse und Kollektive von Künstlerinnen, um sich gegenseitig zu unterstützen und sich in politischen und künstlerischen Kontexten Gehör zu verschaffen. So machen die Guerrilla Girls etwa seit Mitte der 1980er Jahre mit provokativen künstlerisch-aktivistischen Aktionen auf die strukturelle Benachteiligung von Künstlerinnen in Museen und Galerien aufmerksam. Ein anderes Beispiel ist das queerfeministische Künstlerinnen-Kollektiv MATERNAL FANTASIES aus Berlin, das zeitgenössische feministische Positionen zum Thema Mutterschaft in der Kunst sichtbar machen will, indem die eigenen Kinder der Mitglieder in den künstlerischen Arbeitsprozess mit einbezogen werden. Die Kunsthalle Bremen zeigt hier das Wallpaper „The first supper“ (2023), in dem das berühmte Gemälde „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci aus einer feministischen, kollektiven Perspektive neu in Szene gesetzt wird. Die Arbeit hinterfragt auf ironische Weise stereotype Vorstellungen von Müttern als „heilig“ oder „monströs“, symbolisch dargestellt durch Tiermasken. Mit der Änderung des Titels vom letzten zum ersten Abendmahl verweist die Gruppe auf die erste Mahlzeit eines Babys, die Muttermilch.
Auch individuelle künstlerische Positionen thematisieren Formen weiblicher Solidarität, etwa im familiären Kontext wie im Werk von Fatma Özay. Auch Sibylle Springer befasst sich in ihren Arbeiten mit der Rolle der Frau und ihrer Wahrnehmung in der Gesellschaft. In „Flowers of Ranking“ (2020) widmet sie sich fast vergessenen Künstlerinnen der Gegenwart und Vergangenheit: In einer Art Stammbaum wachsen ihre Porträts wie Blüten aus einer rankenden Pflanze. Die Arbeit bezieht sich auf das Gemälde „Stammbaum Christi“, in dem Hans Holbein d.Ä. neben Maria lediglich die männliche Abstammungslinie Christi darstellt. Im Kontrast dazu setzt Springer die Porträts von Künstlerinnen aus mehreren Jahrhunderten Kunstgeschichte in Bezug zueinander.
Im letzten Ausstellungsabschnitt trennt ein Vorhang den Raum. Er steht sinnbildlich für gesellschaftliche Themen, die meist im Verborgenen bleiben, jedoch öffentliche Aufmerksamkeit verdienen. Die hier gezeigten künstlerischen Arbeiten, etwa von Ulrike Rosenbach, Sibylle Springer oder Taryn Simon, thematisieren unbezahlte Sorgearbeit, prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen oder sexualisierte Gewalt. Mit zu den bedrückendsten Arbeiten zählen die drei Werke „Hand on Body“ (2012), in denen Talia Chetrit das Thema sexueller Übergriffe andeutet. Die Künstlerin spielt hier mit der Unsichtbarkeit und Verdrängung von sexualisierter Gewalt in der Gesellschaft und macht auf ihre subtile Präsenz aufmerksam, als etwas, das oft unbemerkt bleibt, aber tief in sozialen Strukturen verankert ist.
Mis(s)treated. Mehr als Deine Muse!
22.02.-03.08.2025
Kunsthalle Bremen
Bilder: Angelika Schoder – Kunsthalle Bremen, 2025
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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