Carrie Mae Weems: The Evidence of Things Not Seen

In der Ausstellung „The Evidence of Things Not Seen“ zeigt das Kunstmuseum Basel eine Auswahl der wichtigsten Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Carrie Mae Weems aus rund 40 Jahren Schaffenszeit.

In der Ausstellung "The Evidence of Things Not Seen" zeigt das Kunstmuseum Basel die wichtigsten Arbeiten von Carrie Mae Weems.

[Pressereise] Sich selbst beschreibt Carrie Mae Weems als Frau die nach Wegen sucht den Horror zu durchbrechen, der sich aus einem System speist, das durch Macht und Privilegien korrumpiert ist. Ihre künstlerische Arbeit widmet die US-amerikanische Künstlerin vor allem auch deshalb den Menschen, die systematische Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus erfahren, und die dennoch weitermachen. [1] In der Ausstellung „The Evidence of Things Not Seen“ zeigt das Kunstmuseum Basel nun eine Auswahl der wichtigsten Arbeiten von Carrie Mae Weems aus rund 40 Jahren, in denen sie blinde Flecken der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts erkundet.


Auf drei Stockwerken zeigt das Kunstmuseum Basel im Bau für Gegenwartskunst Arbeiten von Carrie Mae Weems aus rund 40 Jahren, etwa die bekannte "Kitchen Table Series" (1990/1999).
Auf drei Stockwerken zeigt das Kunstmuseum Basel im Bau für Gegenwartskunst Arbeiten von Carrie Mae Weems aus rund 40 Jahren, etwa die bekannte „Kitchen Table Series“ (1990/1999).

„from the very beginning, I’ve been interested in the idea of power and the consequences of power; that relationships are made and articulated through power.“ [2]

Carrie Mae Weems

Von Zugänglichkeit und Verschlossenheit

In ihren Arbeiten tritt Carrie Mae Weems (*1953) häufig selbst in Erscheinung, etwa in der Fotoserie „Roaming“ (2006), in der sie auf verschiedene Orte in Rom blickt. Auch in ihrer bis heute fortgeführten „Museums Series“ (ab 2006) taucht sie persönlich auf. Hier ist sie vor bekannten Museen zu sehen, etwa vor dem Philadelphia Museum of Art, dem Louvre in Paris, dem Dresdner Zwinger oder dem Guggenheim Bilbao. In den Fotoserien ist Weems zugleich Regisseurin und Darstellerin; als in Schwarz gekleidete Figur, von der immer nur die Rückansicht zu sehen ist, wirkt sie zudem anwesend und abwesend zugleich. Sie nähert sich den Museen und historischen Schauplätzen an, ohne die sprichwörtlichen Schwellen zu ihnen zu überschreiten. Die Bilder hinterfragen so die Beziehungen zwischen Architektur, Stadtplanung und Macht in Bezug zu ihrem Körper – immerhin bleibt dieser immer in Distanz zu den Kulturorten.

Weems verweist mit der „Museums Series“ insbesondere auf die Idee moderner öffentlicher Museen, die Demokratie, Bürgerschaft und Humanismus verkörpern sollten. Gleichzeitig verkörpern diese Kulturinstitutionen aber auch Ausgrenzung, Unterdrückung und Ausbeutung von denjenigen, die nicht als Bürger gelten. Bis heute sind in Museen in westlichen Ländern vor allem männliche Weiße Künstler vertreten. Auch Carrie Mae Weems wurde als Künstlerin lange der Zugang zu Kulturinstitutionen erschwert, aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe. In ihrer Fotoserie erscheint sie in diesem Zusammenhang als Gestalt wie eine Heimsuchung, die Gerechtigkeit einfordert. Die imposanten Museumsbauten im Hintergrund und davor die verloren wirkende Figur – allein schon das disproportionale Größenverhältnis verdeutlicht, welches Machtgefälle hier besteht. Dass sich langsam etwas ändern kann, zeigt Carrie Mae Weems selbst. Acht Jahre, nachdem sie mit der Fotoserie begonnen hatte, wurde ihr Werk mit einer Einzelausstellung im Guggenheim Museum in New York gewürdigt – als erste afroamerikanische Künstlerin überhaupt.

Auch in der Fotoserie „Scenes and Takes“ (2016) tritt Carrie Mae Weems als in Schwarz gekleidete Frau in Erscheinung. Hier begibt sie sich an leerstehende Drehorte und Filmsets populärer US-amerikanischer TV-Serien. Die Erfolgsformate „Empire“ (2015-2020), „Scandal“ (2012-2018) und „How to Get Away with Murder“ (2014-2020) stehen dabei für einen Umbruch innerhalb der Unterhaltungsindustrie, denn die Hauptrollen wurden hier nicht nur mit Schwarzen Schauspielstars wie Viola Davis, Kerry Washington oder Gabourey Sidibe besetzt. Auch für Drehbuch und Produktion waren Schwarze Akteure wie Shonda Rhimes und Lee Daniels verantwortlich. An den verlassenen Produktionssets wirkt Weems wie die Zeugin einer Veränderung in Film- und Fernsehbusiness, das auch nach #MeToo noch bis heute teils von sexistischen und rassistischen Machtstrukturen geprägt ist.


In einem Kubus im Untergeschoss des Museumsbaus ist die Installation "Lincoln, Lonnie, and Me" zu sehen, die mit einem optischen Illusionstrick aus dem 19. Jahrhundert arbeitet.
In einem Kubus im Untergeschoss des Museumsbaus ist die Installation „Lincoln, Lonnie, and Me“ zu sehen, die mit einem optischen Illusionstrick aus dem 19. Jahrhundert arbeitet. Auch hier tritt Weems wieder selbst als Figur in Erscheinung.

„It’s assumed that autobiography is key, because I so often use myself, but it’s never about me; it’s always about something larger.“ [3]

Carrie Mae Weems

Leerstellen sichtbar machen

Jenseits von der persönlichen Annäherung an problematische Machtstrukturen, beleuchtet Carrie Mae Weems in der Ausstellung „The Evidence of Things Not Seen“ vor allem zeitgeschichtliche Leerstellen, über die oft kaum etwas in der öffentlichen Wahrnehmung bekannt ist. So greift sie in ihrer Fotoserie „Missing Link“ die Geschichte der rassistischen Parade „The Missing Links to Darwin`s Origin of the Species“ auf, die 1873 im Umfeld des traditionellen Karneval von New Orleans entstand. Oder sie dokumentiert in der „Painting the Town Series“ (2021) den Umgang mit Demonstrationen in ihrer Geburtsstadt Portland in Folge der Ermordung von George Floyd durch Polizisten im Mai 2020. Monatelang hinterließen Demonstrierende hier immer wieder Protestbotschaften an Wänden, die stets überstrichen und damit unsichtbar gemacht wurden.

Um unsichtbar gemachte Geschichte marginalisierter Gruppen geht es auch in der raumgreifenden Installation „The Hampton Project“ (2000). Hier zeigt die Künstlerin Bildmaterial aus dem Archiv des Hampton Institute in Virginia. Das Institut wurde 1868 vom Abolitionisten Samuel Chapman Armstrong auf dem Gelände einer ehemaligen Plantage gegründet und war als Bildungseinrichtung für Schwarze und Indigene Menschen gedacht. In ihrer Arbeit setzt sich Weems kritisch mit der Institution auseinander. Dabei greift sie vor allem auf Fotografien von Frances Benjamin Johnston zurück, die einst für die Ausstellung „Exhibit of American Negroes“ angefertigt wurden, welche im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1900 gezeigt wurde.

Die Fotografien, die das Lernen, Leben und Arbeiten im Hampton Institute dokumentieren, ließ Carrie Mae Weems für ihre Installation stark vergrößern und auf durchscheinende Stoffe drucken, die sie von der Decke hängend im Ausstellungsraum arrangiert. Hierbei ergeben sich teils bewusst provokante Gegenüberstellungen, etwa das historische Foto der christlichen Taufe eines Indigenen Amerikaners neben der Aufnahme von einer Bürgerrechts-Demonstration in Birmingham, Alabama aus dem Jahr 1963, auf der zu sehen ist, wie die Teilnehmenden vom Strahl eines Wasserwerfers getroffen werden. Weems lenkt damit den Blick auf die gewaltvolle Unterdrückung von Schwarzen und Indigenen Menschen, die sich in verschiedenen Formen zeigt und letztendlich teils auch die versuchte Auslöschung der Identität dieser Gruppen dokumentiert.


Im Obergeschoss des Bau für Gegenwartskunst wird die Installation "The Hampton Project" (2000) gezeigt.
Im Obergeschoss des Bau für Gegenwartskunst wird die Installation „The Hampton Project“ (2000) gezeigt. Die Künstlerin setzt sich hier kritisch mit der Geschichte einer amerikanischen Bildungsinstitution auseinander.

Die Künstlerin als ihre eigene Muse

Zu den wohl bekanntesten Arbeiten von Carrie Mae Weems zählt „The Kitchen Table Series“ (1990/1999). In dieser Fotoserie fungiert ein Küchentisch als Bühne diverser inszenierter Szenen. Im Zentrum steht eine von der Künstlerin selbst verkörperte Frau, die in verschiedenen weiblichen Rollen dargestellt wird, etwa als Mutter, als Geliebte, als Freundin, als Betreuerin oder als Betreute. Während der Küchentisch traditionell in der weiblich besetzte Privatsphäre verortet ist, wird dieser bei Weems hier zur öffentlichen Bühne der Selbstdarstellung einer Frau in ihren diversen sozialen Gefügen und Rollen. Sie verkörpert dabei verschiedene Perspektiven, mal als selbstbewusste, emanzipierte Person, mal als verletzlicher und einsamer Mensch, mal als enthusiastische oder rebellische Akteurin. Die Texte auf den dazugehörigen Tafeln thematisieren vor allem den Geschlechterkampf, wobei auch populäre und volkstümliche Redewendungen oder Slang aufgegriffen werden. Weems spielt damit auf Filme und TV-Serien an, aber auch auf Gospel-, Jazz- und Rocksongs.

In der „Kitchen Table Series“ trat das Alter Ego von Carrie Mae Weems erstmals in Erscheinung; eine Frau, die von der Künstlerin auch als ihre Muse bezeichnet wird. Diese Frauenfigur steht in ihren Arbeiten für sie selbst, sie kann aber ebenso für das Publikum stehen. Sie zieht den Betrachter in die Geschichte und fungiert dabei als Zeugin und Führerin zugleich. Je nachdem, wo diese Muse zum Einsatz kommt, verhält sie sich anders – ob eben am Küchentisch, an historischen Orten in Rom oder an Filmsets. Für Weems trägt diese Muse eine außerordentliche Last, als Schwarze Frau die sie durch das Trauma der Geschichte führt. Sie ist letztendlich die Führerin in Umstände, die selten wahrgenommen werden.


„My girl, my muse, dares to show up as a guide, an engaged persona pointing toward the history of power. She’s the unintended consequence of the Western imagination. It’s essential that I do this work and it’s essential that I do it with my body.“ [4]

Carrie Mae Weems

Begleitend zur Ausstellung erschien die Publikation „Carrie Mae Weems. Reflections for Now“, herausgegeben von Raúl Muñoz de la Vega, Florence Ostende und Maja Wismer 2023 bei Hatje Cantz (ISBN: 978-3-7757-5555-9). Das Buch, das in Zusammenarbeit zwischen dem Kunstmuseum Basel und dem Barbican Centre in London entstand, umfasst Texte von Carrie Mae Weems, Interviews und Abbildungen von Fotografien der Künstlerin.


Carrie Mae Weems: The Evidence of Things Not Seen

Kunstmuseum Basel | Gegenwart
26.10.2023–07.04.2024

Die Ausstellung in Basel basiert auf den Ausstellungen „The Evidence of Things Not Seen“ im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (02.04.-21.08.2022), „A Great Turn in The Possible“ in der Fundación MAPFRE und Fundación Foto Colectania in Barcelona (05.10.2022-15.01.2023) sowie „Reflections for Now“ im Barbican Centre in London (22.06.-03.09.2023).

musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Bilder: Angelika Schoder – Carrie Mae Weems: The Evidence of Things Not Seen, Kunstmuseum Basel | Gegenwart, Basel 2023


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Siehe: Carrie Mae Weems: Acknoloedgements, In: The Evidence of Things Not Seen, S. 171.

[2] Mutual Beliefs. Carrie Mae Weems im Gespräch mit Dawoud Bey, In: Ebd., S. 26-31, hier S. 28.

[3] Ebd.

[4] Ebd., S. 30.


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