[Rezension] Düstere Landschaften, seltsame Erscheinungen, unheimliche Wesen oder sogar Blut und Gemetzel: Die Welt des Horrors ist vielfältig und jedem Menschen jagt vielleicht etwas anderes einen Schauer über den Rücken. Doch woher kommt eigentlich die Faszination für das Grauenhafte? Schon seit Hunderten von Jahren zeigen Tod und Teufel in der Kunst und Literatur ihre schaurigen Fratzen und auch in der Popkultur findet man Elemente des Horrors in allen möglichen Medien und Genres, von Heavy Metal und Pop-Musik über Mode bekannter Designer bis hin zu Filmen und Serien. Diese Vielfalt des Horrors beleuchtet nun die Ausstellung „Tod und Teufel“ im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt. Anhand von rund 120 Werken aus verschiedenen Epochen der Kunst- und Kulturgeschichte wird hier gezeigt, dass das Grauen viele Gesichter hat, die mal beängstigend, mal skurril und mal schrill und faszinierend sein können.
Die Faszination des Horrors
Während einige gläubige Christen nach dem Motto leben „Was würde Jesus tun?“, sehen andere eher den Teufel als ihr inspirierendes Vorbild an. Als gefallener Engel, der gegen Gott rebellierte, gilt Satan zum Beispiel den Mitgliedern des amerikanischen Satanic Temple als Metapher für individuelle Freiheit, für das Streben nach Wissen und Erkenntnis und für das Auflehnen gegen Autoritäten, insbesondere gegen unterdrückende fundamental-christliche Machtstrukturen in den USA.
Die Idee des Individualismus mit düsteren Vorbildern setzt sich in einigen Bereichen der US-amerikanisch geprägten Popkultur fort, sei es in der Spielzeug- und Merchandise-Welt der „Monster-High“ von Barbie-Hersteller Mattel, die mit dem Slogan „Sei Du selbst, sei einzigartig, sei ein Monster“ beworben wird, oder als Appell der Musikerin Lady Gaga an ihre Fans, die „Little Monsters“, zu sich selbst zu stehen in ihrer Individualität und ihrem Anderssein Ausdruck zu verleihen. Auch die seit den 1980ern florierende Gothic-Szene spielt mit düsterer Ästhetik und satanischen Symbolen, um sich künstlerisch oder auch nur im persönlichen Styling kreativ auszudrücken und vom Mainstream zu unterscheiden. [1]
Tatsächlich ist das Spiel mit unheimlichen Motiven und möglichst schockierender Ästhetik in Mode, Musik, Kunst oder Literatur und Filmen heute in erster Linie ein auf Konsum ausgelegtes Konzept. Im Kapitalismus kann sich alles behaupten, was sich gut verkauft. Und in einer Zeit, die von sozialer Unsicherheit, politischer Instabilität und Klimakatastrophen geprägt ist, von Kriegen und Pandemien, scheint sich vor allem eines gut zu verkaufen: das Unheimliche und das Böse – vielleicht als willkommene Ablenkung von der Realität. Doch wie die Kuratorin Westrey Page in der Ausstellung „Tod und Teufel“ und in der begleitenden Publikation herausstellt, wird das Interesse am Bösen und an dessen Ästhetik nicht nur durch Faktoren gesellschaftlicher Instabilität hervorgerufen. Insbesondere in den letzten 20 Jahren kam ein weiterer Faktor hinzu, der die Faszination an der Welt des Horrors weiter vorantrieb: das Internet. Es bot die Möglichkeit einer grenzenlosen Vernetzung von Subkulturen, was die Entwicklung einer noch größeren Vielfalt der Genres hervorbrachte, die sich am „Vokabular des Horrors“ bedienen. [2]
Künstlerische Perspektiven auf das Grauen
In der Ausstellung „Tod und Teufel“ dient der vielfältige Begriff des Horrors als eine Art roter Faden, dem genre- und medienübergreifend diverse Kunstakteure aus verschiedenen Jahrhunderten zugeordnet werden. Als Einstieg in das Thema wird veranschaulicht, wie Motive des Todes, der Teufel und andere unheimliche Wesen in der Kunst- und Kulturgeschichte aufgegriffen wurden. Ob Darstellungen von grauenhaften Dämonen in mittelalterlichen Manuskripten, bei Albrecht Dürer, Francisco de Goya und Johann Heinrich Füssli; die düsteren Landschaftsdarstellungen bei Carl Blechen, Arnold Böcklin und Eugen Bracht oder frühe Horrorfilme wie „Nosferatu“ (1922) – die künstlerische Auseinandersetzung mit Angst einflößenden Themen ist seit Jahrhunderten präsent und beeinflusst bis heute unsere Kultur und diverse Medien. Im Hauptteil konzentriert sich die Ausstellung vor diesem Hintergrund auf zeitgenössische Kunstwerke des 21. Jahrhunderts. Die ausstellungsbegleitende Publikation, die im Sandstein Verlag erschienen ist, bietet hierzu ergänzend Interviews mit zentralen Kunstakteuren, deren Werke in „Tod und Teufel“ gezeigt werden.
Zu ihnen zählt die amerikanische Künstlerin Doreen Lynette Garner (*1986) aka King Cobra, die sich in ihren Arbeiten vor allem mit Gewalt und Rassismus gegen Schwarze Körper auseinandersetzt und dabei auch auf die Medizingeschichte in den USA verweist. Insbesondere ihre Arbeit „Red Rack of Those Ravaged and Unconsenting“ (2018), die an Metallhaken hängende fleischartigen Gebilde zeigt, erinnert an eine Mischung aus Metzgerei-Auslage und Requisit aus den „Saw“ Horrorfilmen. Im Interview mit Kuratorin Westrey Page betont King Cobra aber, dass es ihr in ihren Skulpturen nicht generell um Blutrünstigkeit ginge, sondern eher um einen Verweis auf historische Verbrechen in der Realität: „Natürlich werden menschliche Verletzungen und Krankheiten dargestellt, doch was die zerstückelten Körperteile angeht, so sind sie letztlich leichter verdauliche Versionen der Gewaltexzesse, die Weiße […] während der vergangenen Jahrhunderte an Schwarzen und indigenen Völkern verübt haben. Das ist das wahre Grauen.“ [3]
Von der Kultur in den USA geprägt sind auch die Werke des deutschen Künstlers Via Lewandowsky (*1963). Er befasst sich in seinen Arbeiten häufig mit dem Absurden und Unheimlichen in Alltagssituationen, wobei seine künstlerische Annäherung geprägt ist durch seine Eindrücke aus amerikanischen Medien, in denen es häufig zu einer ästhetischen Umwertung kommt. Seiner Aussage nach wird dem Grauen in den USA oft ein medialer Schein verliehen, der das Furchteinflößende nimmt und jede Schwere in eine „leichte Revue“ verwandeln würde. Bei Lewandowskys Arbeiten wie der Skulptur „Bona Fide Erstechen“ (1999), einer Art abstraktem Exekutionsstuhl, schwingt vielleicht deshalb auch immer etwas Humorvolles mit. Für den Künstler haftet allen Dingen auf eine gewisse Art Humor an, aber nur Betroffne könnten dies erkennen: „Manche Dinge sind so entsetzlich, dass man darüber lachen muss – einschließlich der moralischen und pietätischen Minenfelder. In meinen Arbeiten ist Humor ein ästhetisches Kriterium, ähnlich wie das Schöne. Es gehört in unterschiedlicher Anteiligkeit dazu und hat immer auch eine Aufgabe. Sei es, dass dieser Teil es überhaupt erst ermöglicht, über ein bestimmtes Thema oder Bild zu sprechen oder wie die Beimengung von Zucker geschmacklich aufzubereiten.“ [4] So werden auch Themen wie Scheitern, Fehlkommunikation oder auch der Tod in seinen Werken zugänglich.
Von Mode bis Film: Eintauchen ins Dunkel
Einflüsse düsterer Kunst wirken sich auch auf andere kreative Felder unserer Kultur aus, etwa auf die Welt der Mode. Die Ausstellung „Tod und Teufel“ zeigt hier diverse Designs, von Thom Browne und Rick Owens über Alexander McQueen und Vivienne Westwood bis hin zu den „Satan Shoes“ (2021), die MSCHF in Kooperation mit dem Musiker Lil Nas X herausbrachte, und den Entwürfen des britischen Designers Gareth Pugh (*1981), der unter anderem mit Musikerinnen wie Lady Gaga und Rihanna zusammenarbeitet. Als Einflüsse für seine Entwürfe nennt er unter anderem den Künstler Francis Bacon, dessen Werk für ihn oft von einer „fast unerträglichen Beklemmung und Hässlichkeit“ geprägt sei. Mit seinen Arbeiten versucht Pugh die kollektiven Ängste und Fantasien der Gesellschaft widerzuspiegeln, was vor allem durch seine düster und futuristisch wirkende Mode zum Ausdruck kommt. [5]
Neben Kunst und Mode blickt die Ausstellung „Tod und Teufel“ auch auf den Horror in Filmen. Im Ausstellungskatalog kommt hierzu der US-amerikanische Filmemacher Robert Eggers (*1983) zu Wort, der mit „The Witch“ (2015), „The Lighthouse“ (2019) oder „The Northman“ (2022) den Stil des zeitgemäßen Arthouse-Horrorfilms prägte. In Kürze startet sein Remake von Friedlich Wilhelm Murnaus Genre-Klassiker „Nosferatu“ in den Kinos. Als seine künstlerischen Vorbilder nennt er Albrecht Dürer, Martin Schongauer und Künstler der Nordischen Renaissance. Für ihn besteht der größte Unterschied zwischen heutigen Kunstschaffenden und denen des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit darin, dass die Menschen früher vielleicht wirklich an den Teufel und Dämonen glaubten. Diese Idee greift Eggers in seinen Filmen auf; sie spielen stets in einer Zeit, in der das Übernatürlich für die Akteure noch Teil ihrer Realität ist. Für ihn drückt die Faszination am Horror vor allem ein Bedürfnis nach Geschichten aus, „mit denen wir die Düsternis in unserer Gesellschaft und in uns selbst zu verstehen versuchen.“ [6]
Anlässlich der Ausstellung „Tod und Teufel: Faszination des Horrors“ erschien die gleichnamige Publikation, herausgegeben von Westrey Page für den Kunstpalast Düsseldorf, 2023 im Sandstein Verlag (ISBN: 978-3-95498-776-4). Der Ausstellungskatalog mit zahlreichen farbigen Werkabbildungen beinhaltet auch Interviews mit u.a. Robert Eggers oder Gareth Pugh sowie Beiträge von Westrey Page, Wolf Eiermann und Catherine Spooner.
Tod und Teufel: Faszination des Horrors
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
14.07.-20.10.2024
Die Ausstellung war zuvor vom 14. September 2023 bis 21. Januar 2024 im Museum Kunstpalast in Düsseldorf und vom 1. März bis 2. Juni 2024 im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt zu sehen.
musermeku dankt dem Sandstein Verlag für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Ausschnitt aus: Albrecht Dürer: Der Tod reitet Seite an Seite mit einem Ritter, gefolgt vom Teufel (1564) – Wellcome Collection – Public Domain – bearbeitet
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Dazu: Interview mit Robert Forst, In: Tod und Teufel: Faszination des Horrors, 2023. S. 128f, hier S. 128.
[2] Siehe: Westrey Page: Tod und Teufel. Einführung in die Faszination des Horrors, In: Ebd. S. 12-33, hier S. 13f.
[3] Interview mit King Cobra, In: Ebd. S. 178f, hier S. 178.
[4] Interview mit Via Lewandowsky, In: Ebd. S. 158f, hier S. 158.
[5] Interview mit Gareth Pugh, In: Ebd. S. 142f, hier S. 142.
[6] Interview mit Robert Eggers, In: Ebd. S. 114f, hier S. 114.
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