Rendezvous der Träume: Deutsche Romantik trifft auf Surrealismus

Von Caspar David Friedrich bis Max Ernst: In der Ausstellung „Rendezvous der Träume“ stellt die Hamburger Kunsthalle den Werken der Deutschen Romantik bedeutende surrealistische Arbeiten aus der ganzen Welt gegenüber.

In der Ausstellung "Rendezvous der Träume" stellt die Hamburger Kunsthalle Werke der Deutschen Romantik Arbeiten des Surrealismus gegenüber.

[Ausstellung] Ob André Breton, René Magritte, Salvador Dalí oder Max Ernst – wer eine Ausstellung zum Surrealismus besucht, darf erwarten, auf die großen Namen dieser Kunstströmung zu treffen. Dass man neben diesen bekannten Vertretern in der Ausstellung „Rendezvous der Träume“ auch bisher unbekannte Werke von Surrealistinnen entdecken kann, ist der Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers zu verdanken, die es sich explizit zum Ziel gesetzt hat, ebenso viele Künstlerinnen des Surrealismus wie Künstler zu zeigen. Und so sieht man aktuell in der Hamburger Kunsthalle neben ikonischen Werken wie dem „Eichhörnchen“ (1969) von Meret Oppenheim, dem Gemälde „Äußerste Nacht“ (1977) von Leonor Fini oder „Himmlischer Brei“ (1958) von Remedios Varo auch selten gezeigte Arbeiten von Edith Rimmington, Valentine Hugo, Judith Reigl, Jane Graverol und Suzanne Van Damme.

Die Ausstellung „Rendezvous der Träume“ beschränkt sich jedoch nicht allein auf Werke des Surrealismus – obwohl schon das mit den vertretenen 65 Akteuren ein sehr umfangreiches Projekt gewesen wäre. Hinzu kommen Werke von 30 Romantikern, die der surrealistischen Kunst in thematischen Schwerpunkten gegenübergestellt werden. Wer die Ausstellung besucht, sollte also Zeit mitbringen, denn es gilt 300 Werke auf rund 2.000 Quadratmetern zu erkunden.


Auf drei Etagen zeigt die Hamburger Kunsthalle rund 300 Werke der Deutschen Romantik und des Surrealismus, von Caspar David Friedrich bis Salvador Dalí und René Magritte.
Auf drei Etagen zeigt die Hamburger Kunsthalle rund 300 Werke der Deutschen Romantik und des Surrealismus, von Caspar David Friedrich bis Salvador Dalí und René Magritte.

Ein Rendezvous der Träume

Knapp zehn Jahre nach der Ausstellung „Surreale Begegnungen“ findet in der Hamburger Kunsthalle wieder ein Zusammentreffen surrealistischer Kunst statt. Diesmal ist es ein „Rendezvous der Träume“, bei dem wichtige Akteure des Surrealismus auf Vertreter der Deutschen Romantik treffen. Dabei werden zentrale Konzepte und Ideen einander gegenübergestellt, von traumhaften Visionen, die im Hubertus-Wald-Forum zu sehen sind, über Motive des Waldes, die neben der Rotunde des Lichtwarkbaus gezeigt werden, bis hin zu vielfältigen Motiven, die das Museum im Kuppelsaal unter dem Motto des „Kosmos“ zusammenfasst. Dazwischen bietet eine aus verschiedenen Räumen bestehende „Passage“ die Möglichkeit, diverse Hintergründe zur Kunst des Surrealismus zu entdecken. Mit allen Sinnen sind Besuchende jeden Alters dazu eingeladen, die Motive und Ideen der Kunstrichtung zu erkunden: an Hör-, Video- und sogar Riech-Stationen, aber auch an interaktiven Kunst-Stationen, die mit Fotografie und Frottage-Technik oder Wortkombinationen experimentieren.

„Rendezvous der Träume“ fügt sich dabei in eine ganze Reihe an Ausstellungen ein, die in verschiedenen europäischen Ländern und in den USA anlässlich des 100. Jubiläums des Surrealistischen Manifests gezeigt werden. Als der Dichter André Breton in Paris im Jahr 1924 das „Manifeste du Surréalisme“ veröffentlichte, begründete er damit eine der einflussreichsten Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts. Der Surrealismus vereint nicht nur Akteure aus Literatur und bildender Kunst aus verschiedenen Ländern, sondern war auch über Jahrzehnte aktiv und hatte von Anfang an eine internationale Ausrichtung. Die Kunstschaffenden bedienten sich dabei einer Vielzahl an Inspirationsquellen, wozu auch die Literatur und Kunst der Deutschen Romantik des frühen 19. Jahrhunderts zählte. Wie die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zeigt, kritisierten beide Kunstströmungen die „Entzauberung der Welt“ durch eine rein verstandesbetonte Weltsicht und suchten nach einer tieferen Wirklichkeit: Während die Romantik von einer „Romantisierung der Welt“ (Novalis) sprach, die alles als Teil eines größeren Ganzen sichtbar machen wollte, griff der Surrealismus diese Idee auf, indem er versuchte eine „Über-Realität“ im Alltag darzustellen.


Hinter der Rotunde des Lichtwarkbaus zeigt die Hamburger Kunsthalle den bekanntesten Film des Surrealismus, "Un chien andalou" von Luis Buñuel und Salvador Dalí aus dem Jahr 1929.
Hinter der Rotunde des Lichtwarkbaus zeigt die Hamburger Kunsthalle den bekanntesten Film des Surrealismus, „Un chien andalou“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí aus dem Jahr 1929.

Die Deutsche Romantik als Bezugspunkt

Den Einstieg in die Ausstellung „Rendezvous der Träume“ bildet ein Ausschnitt aus der Videoinstallation „Manifesto“ (2015) von Julian Rosefeldt, in dem Worte aus Bretons Surrealistischem Manifest in Szene gesetzt werden. Die Schauspielerin Cate Blanchett spricht hier zentrale Sätze daraus in der Rolle einer Puppenspielerin, die sich selbst als Puppe inszeniert. Rosefeldt macht so die Ideen des Surrealismus hör- und sichtbar: Träume, das Unbewusste, das Fantastische und das Irrationale stehen im Mittelpunkt. Mit diesen Themen, die bis heute aktuell sind, zeigt die Installation, wie stark der Surrealismus die Kunst noch immer beeinflusst.

Im Anschluss widmet sich die Ausstellung dem Fundament des Surrealismus, den Freundschaften und dem Austausch zwischen seinen Mitgliedern. Nach der offiziellen Gründung des Surrealismus im Jahr 1924 schlossen sich viele Kunstschaffende der Bewegung an – zuerst Akteure aus der Literatur, bald auch bildende Künstler wie Max Ernst, André Masson und Hans Arp, später Man Ray, Yves Tanguy, Salvador Dalí, René Magritte, Meret Oppenheim und andere. Unter der Leitung von André Breton entstanden gemeinsame Werke, Gedichte, Spiele und Manifeste. Dabei stand das kollektive Arbeiten im Vordergrund, wie die Ausstellung anhand verschiedener Exponate zeigt. Max Ernst bildet dieses Gemeinschaftsgefühl schon früh in seinem Bild „Das Rendezvous der Freunde“ (1922) ab, ein Werk dem die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle ihren Namen entlehnt. Ernst stellt in seinem Gemälde Surrealisten neben historischen Vorbildern dar, in der Tradition der Freundschaftsbilder aus der Zeit der Romantik. Eine weitere Verbindung zu dieser Epoche waren zudem die kreativen Gruppenspiele, die auch in surrealistischen Kreisen beliebt waren. Spiele wie „Cadavre exquis“, bei dem überraschende Wort- oder Bildfolgen entstehen, waren schon in den literarischen Salons der Deutschen Romantik beliebt.

Die Akteure des Surrealismus fühlten sich besonders den deutschen Romantikern wie Novalis, Goethe, Clemens Brentano oder Karoline von Günderrode verbunden. Vor allem in den 1930er und 40er Jahren entdeckten sie durch Übersetzungen ihre Werke neu. André Masson und andere Künstler ehrten romantische Dichter sogar in Porträts, wie die Ausstellung zeigt. 1941 entstand in Marseille zudem das „Spiel von Marseille“, bei dem Novalis als „Magier der Liebe“ eine Hauptrolle bekam. Auch Meret Oppenheim ließ sich später von romantischer Poesie inspirieren. Die Romantik und den Surrealismus verband dabei vor allem das Ziel, eine „innere Sicht auf die Welt“ zu entwickeln. Für die Akteure dieser Strömungen war Kunst vor allem ein Weg, das Unsichtbare, Geheimnisvolle und Emotionale auszudrücken.


In der Ausstellung werden Werke von 30 Vertretern der Deutschen Romantik den Arbeiten von 65 Surrealisten gegenübergestellt.
In der Ausstellung werden Werke von 30 Vertretern der Deutschen Romantik den Arbeiten von 65 Surrealisten gegenübergestellt.

Traumwelten des Surrealismus

Als zentrale Inspirationsquelle diente den Surrealisten der Traum. André Breton schrieb 1924 in seinem Manifest, dass Traum und Wirklichkeit keine Gegensätze seien. Für ihn sollen sie in einer „Surrealität“ zusammenfinden, einer höheren Form von Realität. Damit stellte er bewusstes Denken und Kontrolle infrage. Besonders beeinflusst war diese Idee von Sigmund Freuds Traumdeutung (1900), die neue Einblicke in das Unbewusste bot. Die Kunstschaffenden des Surrealismus experimentierten mit Traumprotokollen oder ließen sich von Traumbildern inspirieren, wie Max Ernst in seinen Bildern mit dem „L’ange du foyer“ (1937), dem Hausengel – einem farbenfrohen Wesen, das aus schwebenden Stoffen zu bestehen scheint und dessen Werktitel den Beinamen „Triumph des Surrealismus“ trägt. Schon der Kritiker Carl Einstein sah in solchen Werken eine Rückkehr zur Romantik, denn auch dort war das Unbewusste Thema, etwa bei Carl Gustav Carus, einem Arzt und Maler, der sich mit der Traumwelt beschäftigte. In beiden Bewegungen steht der Traum für eine besondere, höhere Form des Sehens, eine Mischung aus Fantasie, Realität und Prophezeiung.

Sowohl in der Romantik als auch im Surrealismus beschäftigten sich Akteure aus Literatur und Kunst außerdem mit Verwandlungen: von Menschen in Tiere, Pflanzen oder Steine. Im „Zweiten Manifest des Surrealismus“ (1929/30) knüpfte André Breton an die Ideen von Novalis an, der an eine Seelenwanderung durch alle Naturreiche glaubte. Diese Transformationen durchziehen nicht nur Märchen oder Mythen, sondern auch surrealistische Werke. Künstler wie Philipp Otto Runge in der Romantik oder Max Ernst im Surrealismus zeigen diese Veränderungen in ihren Bildern.

Beide Kunstströmungen fühlten zudem eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit mit der Natur, Landschaften dienten ihnen dabei als Spiegel innerer Gefühle. Auch die künstlerische Arbeitsweise war teils sehr ähnlich, so komponierte Caspar David Friedrich seine Landschaften aus einzelnen Motiven, ähnlich wie die Surrealisten ihre Collagen. Zu einem besonderen „Rendezvous“ kommt es in der Hamburger Kunsthalle hier zwischen Landschaftsgemälden von Caspar David Friedrich und Max Ernst: die „Kreidefelsen auf Rügen“ (1818-22) und der „Wanderer über dem Nebelmeer“ (1817) sind hier den Gemälden „Landschaft mit Meer“ (1922) und „Weib, Greis und Blume“ (1923) gegenübergestellt, so als ob Max Erst mit seinen Werken direkt auf sein Vorbild aus der Romantik geantwortet hätte. In den 1930er Jahren betonten Surrealisten wie Max Ernst in der Zeitschrift Minotaure dann auch offen ihre Nähe zur Deutschen Romantik.

Einen besonderen Platz in der Reihe der Naturmotive nehmen außerdem Wolken ein; ihre sich ständig verändernde Form faszinierte Kunstschaffende der Romantik und des Surrealismus gleichermaßen. In der Romantik galten Wolken als „Übergangsphänomene“, Künstler wie Caspar David Friedrich oder Carl Gustav Carus zeigten sie als Mischung aus Naturbeobachtung, Gefühl und wissenschaftlichem Interesse. Die Surrealisten wollten solche Deutungen bewusst aufbrechen: Bei René Magritte wurden Wolken zum Spiel der Vorstellung, losgelöst von echter Natur, und auch Meret Oppenheim sah in Naturphänomenen wie Wolken eine Spiegelung innerer Gefühle.


Im Ausstellungsabschnitt mit dem Titel "Passage" gibt es interaktive Angebote zur Kunstvermittlung.
Im Ausstellungsabschnitt mit dem Titel „Passage“ gibt es interaktive Angebote zur Kunstvermittlung. So kann man etwa die surrealistische Technik der Frottage ausprobieren, den Durchrieb von Strukturen auf Papier.

Themeninseln als Passagen

Vom Hubertus-Wald-Forum setzt sich die Ausstellung im Erdgeschoss des Lichtwarkbaus der Hamburger Kunsthalle fort. Betitelt ist dieser Übergang zwischen den Ausstellungsteilen mit dem Begriff „Passage“, in Anlehnung an Walter Benjamins „Passagen-Werk“ (1927-1940), in dem es um das Flanieren als Quelle neuer Entdeckungen geht. In diesem Sinne reiht das Museum mehrere Schwerpunkträume aneinander, die dazu einladen, kunsthistorische Hintergründe, Filme und Kunstwerke spielerisch zu entdecken. Neben dem ersten Raum, bei dem die Kunstvermittlung mit interaktiven Angeboten zum Ausprobieren und Mitmachen rund um surrealistische Zufallstechniken im Mittelpunkt steht, geht es in weiteren Räumen etwa um die private Kunst- und Objektsammlung von André Breton, um Meret Oppenheims künstlerische Auseinandersetzung mit der deutschen romantischen Dichterin Karoline von Günderrode sowie ihrer Freundin Bettine von Brentano, und um die Fälschungsgeschichte von Werken von Giorgio de Chirico durch Óscar Dominguez.

Einen besonderen Schwerpunkt bildet hier die Verbindung des surrealistischen Künstlers Max Ernst mit Hamburg. Darauf geht zum einen der Film „Rendezvous der Freunde“ von 1992 ein, der die Geschichte des gleichnamigen Bildes erzählt. Das Gemälde war fast 30 Jahre in einer Hamburger Privatsammlung und überstand so die Zeit des Nationalsozialismus, zu der Max Ernst als „entarteter Künstler“ galt. Doch Ernst verbindet noch mehr mit Hamburg: Im Januar 1964 reiste er erstmals in die Hansestadt, um den Lichtwark-Preis zu erhalten. Dabei besuchte er auch die Hamburger Kunsthalle und konnte die Werke der Deutschen Romantik vor Ort sehen, die ihn seit seiner Studienzeit beeinflusst hatten, insbesondere Arbeiten von Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich. Ein Jahr später malte Ernst das Bild „Ein schöner Morgen“ (Un beau matin, 1965), das in der Ausstellung „Rendezvous der Träume“ neben Runges „Der Morgen“ im letzten Ausstellungsabschnitt zu sehen ist.

Während seines Aufenthalts in Hamburg traf sich Max Ernst außerdem mit den Besitzern seines Gemäldes „Rendezvous der Freunde“; Archivmaterial zu den Begegnungen rund um das Werk und die besondere Freundschaft zu den Hamburger Sammlern sind in diesem Ausstellungsabschnitt zu sehen. Daneben geht es in diesem Themenabschnitt auch um Ernsts Künstlerbuch „Maximiliana“, das vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg in seine Sammlung aufgenommen wurde. In dem Buch entwickelte Max Ernst eine eigene Symbolsprache, sogenannte Chiffren, also Zeichen mit verborgener Bedeutung. Diese erinnern an die „Hieroglyphen“, wie sie Philipp Otto Runge schon zur Zeit der Romantik nutzte. Auch in Ernsts Werk spielt der Bezug zum Kosmos, zur Natur und zum Geheimnisvollen eine zentrale Rolle. 1966 entstand dazu ein künstlerischer Dokumentarfilm von Peter Schamoni, an dem Max Ernst selbst mitwirkte – auch hierzu bietet die Ausstellung Einblicke.


In der Ausstellung werden Waldbilder der Romantik denen des Surrealismus gegenübergestellt.
In der Ausstellung werden Waldbilder der Romantik denen des Surrealismus gegenübergestellt, etwa „Die Lehrstunde der Nachtigall“ (1804/05) von Philipp Otto Runge neben Max Ernsts „Der letzte Wald“ (1960-70) oder Richard Oelzes „Baumtraum“ (1938).

Der Wald als Spiegel der Gedankenwelt

An die „Passage“ schließt sich der Ausstellungsschwerpunkt zum Thema Wald an. Für die Kunst und Literatur der Deutschen Romantiker spielte er eine wichtige Rolle, so war er etwa für Caspar David Friedrich ein Spiegel für die Seele und ein Ort der inneren Gedankenwelt. Auch Philipp Otto Runge sah den Wald als Ort der künstlerischen Erkenntnis, etwa in seinem Bild „Die Lehrstunde der Nachtigall“ (1804/05). In Märchen aus der Zeit der Romantik ist der Wald zudem oft ein geheimnisvoller Ort, an dem man auf verzauberte Wesen und Tiere trifft, mal freundlich und mal bedrohlich. In romantischen Bildern und Texten erscheinen diese oft in einsamen Landschaften oder nächtlichen Ruinen, besonders Eulen oder Raben, die mit Tod und Aberglauben verbunden sind. Die Ausstellung zeigt hier etwa eine Zeichnung von Bettina von Arnim mit einer Eule als geheimnisvollem Mischwesen.

Diese Faszination für das Dunkle und Fantastische griff auch der Surrealismus auf, was in den Werken von Leonor Fini, Suzanne Van Damme oder Toyen deutlich wird. Die Kunstschaffenden des Surrealismus sahen den Wald als Symbol für das Unbewusste und als Projektionsfläche für die rätselhafte Verbindung zwischen Mensch und Natur. Wie in den psychoanalytischen Theorien von Freud und Jung erscheint der Wald in surrealistischen Werken oft als verführerisch und unheimlich zugleich. Max Ernst beschäftigte sich besonders intensiv mit dem Wald; seine wuchernden, undurchdringlichen Wälder aus den 1930er Jahren wirken wie albtraumartige Ankündigungen des nahenden Krieges.

Die Ausstellung setzt sich in der Rotunde des Lichtwarkbaus fort, wo surreale Skulpturen unter anderem von Meret Oppenheim zu sehen sind, etwa ihr „Eichhörnchen“ (1969), ein Bierglas mit einem buschigen Fellschwanz. Über das Treppenhaus, in dem der bekannteste Film des Surrealismus gezeigt wird, „Un chien andalou“ (1929) von Luis Buñuel und Salvador Dalí, gelangt man in den letzten Raum der Ausstellung, in den Kuppelsaal im ersten Stock des Museums.


Der letzte Ausstellungsabschnitt im Kuppelsaal der Hamburger Kunsthalle ist dem Thema Kosmos gewidmet.
Der letzte Ausstellungsabschnitt ist dem Thema Kosmos gewidmet. Hier sind unter anderem Höhlen-Darstellungen zu sehen, etwa „Gräber gefallener Freiheitskrieger“ (1812) von Caspar David Friedrich.

Ruinen, Steine und die Nacht

Der letzte Ausstellungsraum steht thematisch unter dem Motto Kosmos, also das große Ganze des Universums, das schon für die Romantiker ein zentrales Thema war. So wollte Philipp Otto Runge mit seinem Bilderzyklus „Die Zeiten“ (1807) nicht nur den Ablauf von Tag und Jahr zeigen, sondern auch den Kreislauf des Lebens und der göttlichen Schöpfung. In seinen Landschaften verbindet er Natur mit dem menschlichen Dasein, etwa in seinem Werk „Der Morgen“, das Max Ernst bei seinem Besuch der Hamburger Kunsthalle 1964 zu seinem Bild „Ein schöner Morgen“ inspirierte. Beide Gemälde treffen sich in der Ausstellung nun zum „Rendezvous“.

Weitere hier gegenübergestellt Motive sind Darstellungen von Höhlen und Grotten. Sie galten in der Romantik als Symbole des Innersten der Erde, als Orte der Inspiration – eine Idee, die auch von Surrealisten wie Hans Arp oder Joan Miró in ihren Werken aufgegriffen wurde. Auch Steine wurden in der romantischen und surrealistischen Kunst als Träger von Geheimnissen zum zentralen Motiv, von Caspar David Friedrichs „Hünengrab im Herbst“ (1820) über Man Rays „Kieselsteine“ (1933) bis hin zu Salvador Dalís und René Magrittes Bildern „Die Anpassungen der Begierde“ (1929). Dem gegenüber stehen Darstellungen von Ruinen, die in der Romantik meist die Vergänglichkeit verkörpern und bei Caspar David Friedrich oft als Orte der Stille und Erinnerung dargestellt wurden. Auch die Surrealisten widmeten sich diesem Motiv, ob als Erinnerung an Vergangenes und Geheimnisvolles oder als Symbol für eine zerstörte Zivilisation nach den Weltkriegen.

Schließlich zeigt die Ausstellung auch Werke, die sich mit der Nacht befassen. Der Dichter Novalis beschrieb 1800 in „Hymnen an die Nacht“ die Nacht als etwas Geheimnisvolles, Heiliges und Unerklärbares. Sie steht für das „Nichts“, das vor der Welt war, wobei ihre Dunkelheit auch einen Blick ins Innere ermöglicht, zu Träumen, Erinnerungen und Sehnsüchten. Diese Faszination für die Nacht teilte auch der Surrealismus, sie steht dort ebenfalls für das Unsichtbare und Unbewusste. André Breton beschrieb, wie ihm beim nächtlichen Spaziergang durch Paris das Wunderbare begegnete und der Fotograf Brassaï hielt das geheimnisvolle Nachtleben der Stadt in eindrucksvollen Bildern fest. Auch René Magritte schuf unheimliche Nachtbilder, die Träume und Wirklichkeit vermischen. Ganz anders zeigt Caspar David Friedrich die Nacht: ruhig, tröstend und als Ort für innere Einkehr. Der Blick ins Dunkle erinnert hier eher an das Unendliche, wovon sich auch Max Ernst inspirieren ließ. Deutlich wird dies in der Gegenüberstellung von Friedrichs „Meeresufer im Mondschein“ (1835/36) und Ernsts „Das Floß“ (1927) – ein weiteres „Rendezvous der Träume“.


Anlässlich der Ausstellung „Rendezvous der Träume. Surrealismus und Deutsche Romantik“ erschien die begleitende Publikation, herausgegeben von Annabelle Görgen-Lammers, 2025 bei Hatje Cantz (ISBN: 978-3-7757-5968-7). Der Ausstellungskatalog mit zahlreichen farbigen Werkabbildungen beinhaltet auch Beiträge von u.a. Marie Sarré, Will Atkin, Jürgen Pech, Markus Bertsch, Andrea Gremels, Gavin Parkinson, Julia Drost, Verena Kuni, Hubertus Gaßner, Laura Förster und Maria Sitte, Annabelle Görgen-Lammers, Vera Bornkessel und Michael Richardson.


Rendezvous der Träume. Surrealismus und Deutsche Romantik

13.06.-12.10.2015
Hamburger Kunsthalle

Die Ausstellung ist Teil einer Reihe zum 100. Jubiläums des Surrealistischen Manifests. In anderer Form wurde die Ausstellung in den Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel (21.02.-21.07.2024) gezeigt, sowie im Centre Pompidou in Paris (04.09.2024-13.01.2025) und in der Fundación Mapfre in Madrid (04.02.-11.05.2025). Im Anschluss an die Station in Hamburg werden Teile der Ausstellung im Philadelphia Museum of Art (08.11.2025-16.02.2026) gezeigt.

musermeku dankt der Hamburger Kunsthalle für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.


Bilder: Angelika Schoder – Hamburger Kunsthalle, 2025


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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