[Pressereise] Für das Metropolitan Museum of Art in New York kam der Wendepunkt schon im Jahr 2011: Das Museum erlaubte seinen Besuchern damals nicht nur die Nutzung von Smartphones – es ermutigte sie sogar dazu. Die digitale Erfahrung war dazu gedacht, die Erkundung des Museums vor Ort zu verbessern. Digital und analog sollten sich gegenseitig positiv ergänzen. Mittlerweile sind viele Museen weltweit diesem Beispiel gefolgt – so auch das Museum Barberini in Potsdam. Die Institution zeigt mit der „Museum Barberini App“, dass eine plattformübergreifende Präsentation von Angeboten und eine digital-orientierte Denkweise heute unverzichtbar geworden sind, wenn man als Kulturinstitution attraktiv für Besucher werden und bleiben will.
Museen im Transformationsprozess
Das Digitalzeitalter verlangt von Museen eine Transformation – und zwar in jedem Bereich. Das fängt bei der Art und Weise an, wie Kunst und Objekte präsentiert und erlebt werden, wie die Sammlung bewahrt wird, wie Inhalte vermittelt werden oder wie man Zugänge (auch barrierefrei) ermöglichen kann. Besonders für Häuser mit einer Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte alten Tradition kann dieser Transformationsprozess komplex sein. Etablierte Strukturen aufzubrechen und umzustellen ist kein leichtes Unterfangen.
Das Bedürfnis, ein jüngeres, digital-orientiertes Publikum anzusprechen, das sich von Technologie begeistern lässt, ist bei dem Prozess, in dem sich einige Museen befinden, und der anderen noch bevor steht, aber nicht das Hauptmotiv. Das Digitale ist einfach ein zusätzlicher Raum, der Museen und Kulturinstitutionen viel mehr Möglichkeiten bietet, ihre Inhalte zu vermitteln. Barrieren wie Ort und Zeit entfallen. Informationen können immer und überall verfügbar gemacht werden. Aber auch das Erlebnis im Museum selbst kann durch Technologie bereichert werden.
Eine Reihe an digitalen Technologien werden auch in Deutschland teils heute schon von Institutionen eingesetzt oder entwickelt:
- Es werden 3D-Mess- und Drucktechnologien genutzt, mit der genaue Nachbildung eines Objekts reproduziert werden können. Ein Beispiel waren die 3D-Modelle in der Ausstellung „Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft“ in der Bundeskunsthalle Bonn. Hier konnten Besucher u.a. das Modell einer Schneeflocke ertasten.
- 360°-Panoramen, die virtuelle Museumsrundgänge ermöglichen, kommen zum Einsatz. Ein Beispiel ist die „Virtuelle Tour“ durch das Berliner Bode-Museum.
- Auch Virtual Reality (VR) spielt für Museen eine immer wichtigere Rolle. Die Technologie bietet eine Möglichkeit, komplett in eine digitale Welt einzutauchen. Das Städel Museum in Frankfurt hat hierfür eine VR-App entwickelt, die den Besucher mit auf eine virtuelle „Zeitreise“ nimmt und zeigt, wie das Museum im 19. Jahrhundert aussah.
- Schließlich wird von Museen auch mit Augmented Reality (AR) experimentiert. Eine Software liefert hier ergänzende Informationen oder Bilder zu einem Objekt an ein Mobilgerät. In Deutschland haben einige Institutionen hier schon Erfahrungen gesammelt – und das sogar ganz ohne eigenes Zutun. Grund dafür war die App Pokémon GO. Sie wurde von Besuchern in Ausstellungsräumen, aber auch auf dem Gelände von Museen und Gedenkstätten genutzt, um virtuelle Wesen im analogen Raum zu sammeln. Und der nächste AR-Hype lässt nicht mehr lange auf sich warten: Auch „Harry Potter – Wizards Unite“ wird Museen und Kultureinrichtungen sicher neue Besucher bringen.
Analog vs. virtuell?
Einen positiven Einfluss auf die digitale Entwicklung von Museen hatten sicher auch Konzerne wie Google und Facebook – nicht nur, weil sich über soziale Netzwerke wie YouTube, Facebook und Instagram Museumsinhalte an ein großes Publikum verbreiten lassen. Beide Konzerne unterstützen Museen auch direkt dabei, ihre Inhalte digital zugänglich zu machen, etwa das zu Facebook gehörende Oculus, mit dessen Hilfe das British Museum im Herbst 2017 eine 360-Grad-Tour durch seine Ägyptische Galerie ermöglichen konnte.
Noch aktiver ist Google mit seinem Art Project. Mithilfe von High-Definition-Kameras werden von Google Bilder und Objekte aus Museen digitalisiert und online zugänglich gemacht. Google Art Project begann mit 17 Museen im Jahr 2010 und hat heute bereits mit hunderten Museen weltweit kooperiert und dabei mehrere Millionen Kunstwerke digital erfasst. Die High-Definition-Bildtechnologie ermöglicht es Online-Besuchern und Wissenschaftlern auch Details von Kunstwerken und historischen Objekten zu vergrößern, bis hin zu Pinselstrichen, und so noch einmal einen ganz anderen Zugang zu erhalten, als es vor Ort im Museum überhaupt möglich wäre.
Vor nicht allzu langer Zeit waren einige Museen noch besorgt, dass das Bereitstellen von Bildern im Internet die Museumsbesuche beeinträchtigen würden. Wer sollte noch Eintritt in ein Museum bezahlen, oder überhaupt die Anreise auf sich nehmen, wenn alle Inhalte auch gratis und bequem online von zu Hause aus abrufbar sind? Doch diese Befürchtung hat sich mittlerweile als falsch erwiesen. Es hat sich gezeigt, dass digital zugängliche Bilder oft neugierig machen, Gebäude, Kunst und historische Objekte auch im Original zu erleben. Das ist der „Louvre-Effekt“: Die „Mona Lisa“ ist online jederzeit verfügbar – und trotzdem möchte jeder ein Selfie mit ihr vor Ort im Louvre in Paris.
Digital ins Museum Barberini
Das Museum Barberini in Potsdam ist international zwar noch nicht ganz so bekannt wie der Louvre, aber zumindest in Deutschland zählt das Museum bereits mit zu den bekanntesten Publikumsmagneten. Was den digitalen Transformationsprozess angeht, hat das erst 2017 eröffnete Museum einen entscheidenden Vorteil: Jahrzehntelang eingeschliffene Strukturen gibt es nicht und auch der digitale Wandel ereilte das Museum nicht schleichend über einen langen Zeitraum. Digitalthemen sind etwas, mit dem sich das Museum Barberini schon von Anfang an auseinandersetzen musste – schon vor seiner Eröffnung. Ob eine responsive Website, die sich an Mobilgeräte anpasst, oder Accounts bei Instagram, Twitter und Facebook – wo andere Museen erst interne Überzeugungsarbeit leisten müssen, war für das Museum Barberini klar: Man kann in den 2010er Jahren kein Museum eröffnen, das nicht über diese digitalen Möglichkeiten verfügt. Hier geht es nicht nur darum, dass viele Besucher dies heute erwarten, um sich unkompliziert über Inhalte des Museums informieren zu können. Es geht auch um verschenktes Potenzial, hätte man diese virtuellen Orte für seine Präsenz nicht genutzt.
Natürlich, das Museum Barberini hat an einigen Stellen in Social Media deutlichen Verbesserungsbedarf, nicht nur bei Instagram. Immerhin existieren die Kanäle aber – und das ist mehr, als viele andere Museen in Deutschland vorzuweisen haben. Jetzt müssten sie aber auch qualitativ bespielt werden. Das Museum Barberini sollte hier beweisen, dass es auch digital mit den „Großen“ mithalten kann und nicht einfach nur „da ist“. Aktuell ist das leider noch nicht der Fall. Zumindest die Notwendigkeit, Kunst auch digital zugänglich zu machen, hat das Museum aber grundsätzlich erkannt. Dies geschieht zum einen auf der Website des Museums. Hier werden nicht nur aktuelle Ausstellungen mit Texten angekündigt, sondern es werden in Bildergalerien auch Einblicke in die Räumlichkeiten gewährt und Werke der Ausstellung gezeigt. Aktuelles Beispiel ist die Ausstellung „Max Beckmann. Welttheater“, die vom 24. Februar bis 10. Juni 2018 gezeigt wird. Die Website ermöglicht es, in eine Auswahl von Beckmanns Gemälden, in denen er die Welt des Theaters, des Zirkus und des Varietés darstellt, online einzutauchen. Auch in die Ausstellungsräume wird online ein Blick gewährt.
Die Museum Barberini App
Ergänzend setzt das Museum Barberini auf eine eigene App, die für Android und für iOS verfügbar ist. Die App umfasst alle digitalen Projekte des Museums, inklusive einer Digitalen Pinakothek und dem „Barberini Guide“. Die Frage ist, ob es dafür wirklich extra eine eigene App gebraucht hätte, oder ob man die Inhalte nicht auch einfach über die Website digital hätte zur Verfügung stellen können. Das Museum hat sich aber nun für die App-Variante entschieden. Wichtigster Ansatz: Die hier präsentierte Galerie soll von zu Hause oder unterwegs „zur Kunst führen“ und einen Vorgeschmack auf die digitale Vermittlung im Museum liefern, u.a. durch 360°-Panoramen. Die „Museum Barberini App“ setzt also hier ganz bewusst auf den „Louvre-Effekt“ – nämlich dass die Auseinandersetzung mit Kunst aus der Ferne Lust darauf macht, Werke auch einmal aus unmittelbarer Nähe im Original zu erleben.
Auch im Museum selbst soll die App ein nützlicher Begleiter für die Besucher sein. Man erhält hier nicht nur Zugang zu allen Audio-Touren für Kinder und Erwachsene, sondern kann mithilfe der App auch durch das Gebäude navigieren. Die App lässt sich auf Leihgeräten des Museums nutzen, oder auch auf dem privaten Mobilgerät. Deshalb sind im Museum Barberini auch Smartphones willkommen und auch das Fotografieren ist erlaubt, zumindest für private Zwecke. (Ein früheres Fotoverbot im Museum Barberini wurde durch eine aktualisierte Hausordnung aufgehoben. Besucher sollten beim Veröffentlichen von Bildern in Sozialen Netzwerken jedoch auf Urheberrechte von Künstlern achten.)
Neugier durch digitale Angebote
Rund ein Jahr nach der Eröffnung ist das Museum Barberini zu einem erheblichen Wirtschaftsfaktor für Potsdam geworden. Allein die Eröffnungsausstellung zog mehr als 320.000 Besucher an. Bisher haben über 600.000 Menschen das Museum besucht – und das, obwohl das Kunst-interessierte Publikum auch einfach hätte zu Hause bleiben können, um via App einen Einblick in die Ausstellungen zu bekommen. Mehr als 160.000 Menschen haben bisher Erfahrungen mit der „Museum Barberini App“ gesammelt: 95.000 Besucher nutzten die App über Leihgeräte im Museum, 65.000 Menschen haben die App auf ihr Smartphone heruntergeladen. Von einem Museumsbesuch hielt die digital verfügbare Kunst jedenfalls wohl niemanden ab. Ganz im Gegenteil: Das Digitale macht neugierig auf das Museumserlebnis vor Ort.
musermeku dankt dem Museum Barberini für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Bilder: Angelika Schoder – Museum Barberini, 2018
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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