[Debatte] Welche Möglichkeiten bieten Soziale Medien, historische Hintergründe zur NS-Zeit zu vermitteln und erinnerungskulturelle Diskurse zu führen? Hierüber spricht Iris Groschek, frühere Leiterin der Abteilung Gedenkstättenpädagogik und heute Pressesprecherin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, im Interview. Sie diskurtiert die Möglichkeiten und Herausforderungen, die sich für Gedenkstätten und Erinnerungsorte aus der Präsenz in Social Media ergeben und stellt Ansätze vor, wie auf das Nutzungsverhalten, besonders von Jugendlichen, reagiert werden kann.
Iris Groschek von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Interview
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist in verschiedenen Sozialen Netzwerken präsent. Wie werden diese Kanäle genutzt, um historische Inhalte zu kommunizieren?
Iris Groschek: „Mit dem Relaunch der Internetseite vor ca. einem Jahr hat die Gedenkstätte auch die Social-Media-Aktivität aufgenommen. Konkret heißt das, dass wir im Internet nicht nur mit wichtigen und überwiegend eher statischen Informationen gefunden werden wollen, etwa über unsere Homepage oder über unsere virtuelle Ausstellung. Wir möchten ergänzend auch historische Inhalte und Ereignisse aus der Gedenkstättenarbeit aktuell kommunizieren. Dazu eignen sich die Sozialen Medien sehr gut, die je nach Wahl des Mediums unterschiedliche Interessentengruppen auf unsere Arbeit aufmerksam machen.“
Welchen zusätzlichen Mehrwert bieten die Social Media Kanäle für die Gedenkstätte?
Iris Groschek: „Zwar stellen wir auch in unserem Blog auf der Homepage Themen aus der aktuellen Arbeit der Gedenkstätte vor oder weisen auf besondere Veranstaltungen hin, jedoch können Einträge in Sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram anders genutzt werden, da diese einen kommunikativeren Charakter haben. Dies erleichtert es Menschen, mit uns in Kontakt zu treten, Einträge mit eigenen Kommentaren zu versehen und hilft mitzubekommen, welche Aktivitäten die Gedenkstätte aktuell ausübt. Wichtig ist es für uns, in Social Media auch wirklich präsent zu sein und nicht nur eigene Themen sendend zu verbreiten, sondern auch ansprechbar zu sein und auf Fragen zeitnah zu reagieren.“
Die Gedenkstätte hat im Herbst 2015 erste Tweetups durchgeführt, also Führungen von denen auch Bilder getwittert oder bei Instagram oder Facebook gepostet werden konnten. Fand im Vorfeld oder während der Führungen eine besondere Sensibilisierung der Teilnehmer statt, was und wie in diesem Rahmen in Sozialen Medien kommuniziert werden sollte?
Iris Groschek: „Auch wenn Tweetups in der Museumswelt schon fast wieder ‚out‘ sind, war ein solches Angebot für Gedenkstätten noch Neuland. Wir haben zwei ‚Versuchs-Tweetups‘ (das erste in der Gedenkstätte Bullenhuser Damm unter dem Hashtag #20Kinder) durchgeführt und dafür interessierte Kulturtwitterer gewinnen können. Die Reaktionen und anschließenden Gespräche mit den Teilnehmenden haben gezeigt, dass es für sie gar nicht so einfach war, auf angemessene Weise ihre Eindrücke zeitnah festzuhalten.
Da die Themen sie unterschiedlich persönlich berührten, haben sie sich von sich aus gefragt, was sie wie kommunizieren sollten bz. wollten. Die jüngeren Twitterer, die am zweiten Tweetup in Neuengamme teilnahmen, fühlten sich demgegenüber durch das Format viel mehr aufgefordert, zu partizipieren. Sie nutzten dies durch aktive Teilnahme, sowohl indem sie Anmerkungen während der Führung machten, als auch durch getwitterte Fotos, die größtenteils jedoch nur einen ‚Abbildungscharakter‘ hatten ohne weiterführende Hinweise zu den abgebildeten Orten.“
Welche Möglichkeiten wären denkbar, das Tweetup-Format in der Gedenkstätte noch interaktiver zu gestalten?
Iris Groschek: „Selbstkritisch muss ich sagen, dass wir die Möglichkeiten eines Tweetup noch nicht voll genutzt haben. In diesem Format steckt meiner Meinung nach noch viel Potential hinsichtlich eines möglichen Austauschs: Die aktive Einbeziehung der Teilnehmenden kann während eines Tweetup noch direkter eingefordert werden, indem z.B. an bestimmten Standorten aufgefordert wird, Objekte zu bestimmten Themen selbst zu entdecken und zu fotografieren oder persönliche Eindrücke zur Symbolik oder Gestaltung des Ortes festzuhalten und darüber sofort mit dem Guide ins Gespräch zu kommen. So könnte aus einer sendenden Führung ein Gespräch werden, das wiederum auch für diejenigen, die nicht an der Führung teilnehmen, interessant ist, da auch sie an Bilder und Statements anschließende Fragen stellen können.
Für den Guide ist es eine neue Herausforderung, da auf verschiedenen Ebenen und über verschiedene Medien Eindrücke aufgenommen und in die Führung eingearbeitet werden. Ich meine, dies ist eine interessante Form der Kommunikation, die einen starken Partizipationscharakter hat. Auch Stimmen können zu Wort kommen, die in klassischer Form vielleicht eher nicht gehört worden wären. Dies führt dazu, dass jede Führung stärker als bei klassischen Führungen in Verlauf und Inhalt unterschiedlich ist. Ich bin gespannt, was am 13. Februar 2016 das Tweetup #RundgangDachau in der KZ-Gedenkstätte Dachau ergibt – ich werde jedenfalls online dabei sein.“
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist auf verschiedenen Social Media Plattformen aktiv. Wie werden diese genutzt und welche Hashtags spielen hier eine Rolle?
Iris Groschek: „Hashtags sind ein gutes Stichwort. In unserem Blog werden wir demnächst auch inhaltliche Hashtags nutzen, die die verschiedenen Beiträge miteinander vernetzen werden. Grundsätzlich möchte ich darauf hinweisen, dass im Vergleich der einzelnen Social Media Plattformen Facebook für uns eher ein Medium ist, um auf Themen hinzuweisen, die die Gedenkstätte betreffen. Wir verweisen hier auf neue Einträge in unserem Blog, auf Artikel, die über uns erschienen sind, oder lassen Objekte von unseren Praktikantinnen und Praktikanten beschreiben, die sie in den Ausstellungen berührt haben („Mein Objekt aus der Ausstellung“). Zudem stellen wir Archivbesucher und ihre Forschungsthemen vor. Dies sind nur einige Möglichkeiten für Bilder, Texte und Links. Wir sind ein Facebook-Team aus Kolleginnen und Kollegen der Öffentlichkeitsarbeit und den pädagogischen Abteilungen, welches über Themen abstimmt.
Dem gegenüber ist Twitter schneller, aktueller und noch näher an anderen Twitterern. Ich habe den Eindruck, hier wird auch leichter und mehr miteinander als übereinander gesprochen. Über Twitter sind beispielsweise schon einige Kontakte entstanden, z.B. zu Angehörigen, deren Fragen das Archiv beantworten konnte, zu Experten, die wir zu unserem Livestream anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Neuengamme befragen konnten, oder zu Lehrkräften, die mir im Vorfeld zu einer WebApp zur Vorbereitung des Gedenkstättenbesuchs mit ihren Wünschen hilfreiche Tipps gaben. Bei Twitter gibt es verschiedene Hashtags, die wir je nach Thema bedienen, darunter #otd (onthisday) und natürlich #neuengamme.
Instagram dagegen spricht ein jüngeres Publikum an und ist sehr bildbetont. Auch wenn Texte sehr kurz gehalten werden und normalerweise hauptsächlich mit einer Aufeinanderreihung von Hashtags gearbeitet wird, halten wir es jedoch dennoch konsequent so, dass wir zu jedem Bild historisch-inhaltliche Texte schreiben, die auch länger sein können. Unser Instagram Account wird bewusst von unseren Studierenden sowie Praktikantinnen und Praktikanten bedient. Das führt dazu, dass Orte immer neue Blickwinkel erhalten. Hashtags werden passend zu den Orten bzw. historischen Themen gewählt.“
Kommuniziert Neuengramme gemeinsam mit anderen Gedenkstätten mit bestimmten Hashtags?
Iris Groschek: „Das wäre eine gute Idee. Bisher haben wir uns eher an Museen gerichtete Aktionen und Hashtags angeschlossen, uns z.B. auf Instagram am #MuseumSwapHamburg beteiligt und auf Twitter an der #MuseumWeek. Wir sind auch offen für weitere ähnliche Austausch-Formate und Outreach-Aktivitäten gemeinsam mit anderen Museen und Gedenkstätten, auch um die Gedenkstätte bekannter zu machen und vielleicht das Interesse an einem Besuch vor Ort zu wecken.“
Wie gestaltet sich die Nutzung von Social Media im Gedenkstättenbereich in Deutschland aktuell?
Iris Groschek: „Im Dezember 2015 habe ich an der Tagung ‚Digitale Wege gehen‘ in der Gedenkstätte Bergen-Belsen teilgenommen. Die Gedenkstätte hat durch ihren Tablet-Einsatz bei Projekttagen für Aufsehen gesorgt, da hier eine Form von Virtual/ Augmented Reality zur Erschließung des Ortes eingesetzt wird. An dieser Tagung kamen auch Social-Media-Interessierte zusammen. Dort wurde deutlich, dass viel in Bewegung ist, allerdings die Gedenkstätten allgemein noch sehr am Anfang der Entwicklung stehen. Insbesondere an Gedenkstätten, die an NS-Verbrechen erinnern, müssen auch kritische oder besorgte Stimmen ernst genommen werden, die eine für den Ort unangemessene Form von Beteiligung oder Kommentare bis hin zu HateSpeech auf ihren Social Media Kanälen befürchten.
Auch der Besuch der historisch-authentischen Orte durch Smartphonenutzer im Sinne einer Gamification wird sehr kritisch gesehen, etwa bei Ingress-Spielern. Hier muss den Gedenkstätten teilweise noch klarer werden, wie neben möglicherweise gesehenen Gefahren auch die Vorteile in Kommunikation, Storytelling und Bindung Interessierter an die Gedenkstätte durch Social Media überwiegen können.
Angemerkt werden muss jedoch auch, dass in Gedenkstätten – ähnlich wie bei Museen – häufig neben der klassischen Öffentlichkeitsarbeit wenig Zeit bleibt, dass noch Resourcen gesehen werden, um sinnvoll, planvoll und dauerhaft in den Sozialen Medien aktiv sein zu können. Social Media ist nichts, was „mal nebenbei“ erledigt werden kann. Hauptsächlich sind neben dem erst jetzt aufkommenden Facebook bei deutschen Gedenkstätten leider weitere Social Media Aktivitäten eher rar gesät – anders als bei Gedenkstätten in anderen Ländern, wie z.B. Auschwitz-Birkenau oder Yad Vashem. Wenige sind wie die KZ-Gedenkstätte Neuengamme (@GedenkstaetteNG) auf Twitter präsent und aktiv, beispielsweise die Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen (@gfi_gardelegen), der Euthanasie-Gedenkort T4 (@t4eu) oder das Max Mannheimer Studienzentrum Dachau (@MMSZ_Dachau). Das ist natürlich immer auch einer Frage der Prioritäten geschuldet in dem, was für die Öffentlichkeitsarbeit als sinnvoll und machbar angesehen wird.“
In Sozialen Medien werden auch Hashtags genutzt, die aus erinnerungskultureller Sicht alarmieren müssen, etwa #yolocaust oder #adolfhipster, z.B. bei Instagram oder Twitter. Auch Selfies auf dem Gelände von Gedenkstätten sind ein Thema. Sollten Gedenkstätten hierauf reagieren?
Iris Groschek: „Ich sehe unsere Aufgabe darin, solchen Accounts eben gerade durch aktive eigene Tweets oder Postings eine Gegen-Präsenz gegenüberzustellen. Es ist natürlich durch das große Bild- und Textangebot des Internets nicht einfach für Interessierte, die Informationen herauszufinden, die auf verlässlichen Hintergründen basieren. In diesem Zusammenhang sind Accounts von Gedenkstätten ein verlässlicher Informationspartner. Ich würde Selfies derzeit aber auch nicht mehr Aufmerksamkeit geben, indem ich diese kommentiere. Zudem ist die Anzahl von Selfies verglichen mit Bildern, die einen symbolisierten Blick auf einen Ort der Repräsentation werfen, eher marginal, z.B. sind nur 2,3% der Instagram Fotos zur KZ-Gedenkstätte Dachau ‚Selfies‘.
Ich verweise hier auf Steffen Josts Beitrag #darfmansowasposten im Rahmen des Workshops „Digitale Medien und Erinnerungskultur(en)“ bei der Tagung „Erinnern Kontrovers“ im Juli 2015 in Berlin. Constanze Jaiser hat in einem Interview im März 2015 außerdem befunden, dass sie die Entwicklungen und Postings zum Holocaust Mahnmal in Berlin nicht gut findet, sie diese aber als Ausdruck einer neuen Generation auch nicht verbieten möchte.
Als Pädagogin überlege ich, wie ich solche Postings – ob als unangemessen empfundenes Bild oder um Aufmerksamkeit heischende Hahstags – und die dahinter stehenden Geschichtsbilder, das Unwissen, die Gedankenlosigkeit oder Oberflächlichkeit für Gespräche mit jungen Leuten nutzen könnte. Das kann im Rahmen einer Projektwoche geschehen, in der dann auch Instagram Postings von Besucherinnen und Besucher in den Fokus genommen werden. So kann die Diskussion angeregt werden über das Bild der Gedenkstätte, das Besucherinnen und Besucher über Instagram verbreiten – und damit auch die Diskussion darüber, welches Bild von NS-Geschichtsorten heute konstruiert wird.
Mit der anschließenden Diskussion über die Frage, wie heute mit der NS-Geschichte umgegangen wird, kann so in die pädagogische Arbeit eine Meta-Ebene aufgenommen werden. Hier kann auch das Thema Selfie mit jungen Besucherinnen und Besuchern kontrovers diskutiert werden und eine Sensibilisierung erfolgen, was aus verschiedenen Perspektiven heraus als „angemessen“ gesehen wird. Stichworte sind hier z.B.: Inszenierung, Tourismusort, Subjektivierung, Ironisierung oder (fehlende?) Kontextualisierung.“
Vielen Dank für das Interview.
Fazit zur Nutzung von Social Media in der erinnerungskulturellen Vermittlung
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass Holocaust-Museen und Gedenkstätten im Ausland teilweise deutlich aktiver in Social Media sind und auch eine breitere Auswahl an Social Media Kanälen nutzen, etwa neben Facebook auch Twitter, YouTube und Instagram. Natürlich ist es aber immer auch eine Frage der personellen – und damit auch finanziellen – Ressourcen. Eine Institution wie das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau zeigt mit seiner Kommunikation in Social Media, wie der Dialog mit Nutzern aktiv gesucht werden kann, etwa wenn die Institution auf unangemessene Inhalte bei Twitter reagiert und durch Kommentare über Hintergründe informiert. Nur durch diese Mischung aus produktiver, aber auch reaktiver Kommunikation in Social Media können letztendlich auch Nutzer erreicht werden, die sonst vielleicht nur schwer über Hintergründe zum Nationalsozialismus und seiner Verbrechen informiert werden könnten.
Glücklicherweise wird die Nutzung von Social Media auch von deutschen Institutionen im Gedenkstättenbereich zunehmend geplant und auch angegangen. Besonders Neuengamme kann hier sicher als eine Institution mit Vorreiterfunktion gesehen werden, ebenso wie das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit (@dznsza) in Berlin, das ebenfalls bereits Erfahrungen mit dem Tweetup-Format (MuseUp) gesammelt hat und auch in mehreren Social Media Kanälen vertreten ist.
Header-Bild: Damián Morán Dauchez – Hamburg, 2015
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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