[Online-Tipp] Willkommen im World Wide Webb, der virtuellen Welt des britischen Künstlers Thomas Webb. Betreten kann man diese Welt, die von einer Künstlichen Intelligenz (KI) gesteuert wird und auf Basis von Echtzeitdaten funktioniert, über den Browser eines Smartphone. So gelangt man in ein Multiplayer 8-Bit-Game, das an die Nintendo- und Sega-Spiele der 1980er Jahre erinnert. Als Nutzer ist man dazu eingeladen, eine „Exercise in Hopeless Nostalgia“ zu absolvieren, verschiedene virtuelle Orte zu besuchen, mit Charakteren zu interagieren und dabei kleine Aufgaben zu lösen. Doch das World Wide Webb, das unter der URL webb.game zugänglich ist, ist mehr als ein buntes Spiel im Retro-Look. Es ist auch ein digitaler Ausstellungsort, ein Teil von König Digital der Berliner König Galerie. Wir haben uns die virtuelle Ausstellung von Thomas Webb angeschaut und einige Stunden das Game gespielt…
Nostalgie mit ’80s Charme
Thomas Webb (*1991) ist nicht nur Hacker und Programmierer, sondern auch Künstler. In seinen Arbeiten setzt er sich mit Sozialen Medien und Technologien wie KI und Algorithmen auseinander und hinterfragt so deren Einfluss auf das Individuum und die Gesellschaft. Seine Werke waren bereits bei der Scope Art Show in Miami, bei der Art Basel und in der Ausstellung „Link in Bio“ im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen. Nun lädt der Künstler im Rahmen der Ausstellungsreihe „The Artist is Online“ der König Galerie zu einem Besuch des World Wide Webb ein.
Die Videospiel-Ästhetik der 1980er Jahre lässt hier bei vielen ein Gefühl der Nostalgie aufkommen – daher auch der Titel „Exercise in Hopeless Nostalgia“. Als Avatar reist man im Spiel zwischen Berlin, Osaka und Kanagawa, man besucht die virtuelle König Galerie, Clubs und Shops oder eine Hochschule. Zwischendurch trifft man Charaktere des Spiels, lässt sich sogar umarmen, oder unterhält sich mit anderen Spielern, die man an ihrem Instagram-Namen erkennt. So stimmt nicht nur der 8-Bit-Stil dieser digitalen Welt nostalgisch, auch die Erlebnisse erinnern an eine Zeit vor der weltweiten COVID-19 Pandemie.
Nach Japan oder selbst nach Berlin zu reisen, war monatelang nicht denkbar. Galeriebesuche sind erst seit kurzem wieder möglich, der Hochschulbetrieb läuft digital und in Deutschland sind viele Discos und Clubs noch immer geschlossen. Sich auf der Straße einfach von einer fremden Person umarmen zu lassen, scheint undenkbar – und selbst das Eilen durch Geschäfte, Bars und Besuche bei Freunden sind heute nicht mehr so unbedarft möglich. So lässt das Spiel auch inhaltlich ein Gefühl der Nostalgie aufkommen.
Positive Daten-Utopie
Das Spiel „Exercise in Hopeless Nostalgia“ widmet sich nicht nur der Nostalgie. Es geht auch um Themen, die uns heute als Gesellschaft betreffen. Gesteuert wird das Spiel nämlich von einer KI, Informationen liefert die Auswertung von Echtzeitdaten. Als Nutzer von Sozialen Medien, von Google & Co. sind wir gewohnt, dass aus unseren Daten personalisierte Profile erstellt werden. Diese Daten werden häufig für Werbezwecke genutzt, aber sie können auch zur Beeinflussung politischer Prozesse dienen, wie der Skandal um Cambridge Analytica zeigte. Hier wurden anhand von Quiz-Spielen bei Facebook Persönlichkeitsprofile erstellt. Diese Daten wurden dann dazu genutzt, Wähler im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 zu beeinflussen. Daten können also nicht nur zu wirtschaftlichen Zwecken gebraucht, sondern auch für politische Einflussnahme missbraucht werden.
Wie Daten auch positiv genutzt werden können, damit beschäftigt sich Thomas Webb im Spiel „Exercise in Hopeless Nostalgia“. Wo üblicherweise Unternehmen mit Daten handeln, werden hier Daten als Allgemeingut geteilt. Wo sonst Daten im Interesse eines Unternehmens genutzt werden, soll hier der Nutzer von der Verwendung seiner Daten profitieren. Wie fühlt es sich an, wenn eine KI anhand von persönlichen Daten, Entscheidungen und Erlebnissen eine maßgeschneiderte Welt anbietet? Dies zeigt der Künstler in seinem World Wide Webb.
Thomas Webb nutzt für diese Arbeit den selben Persönlichkeits-Testsatz, der von Cambridge Analytica verwendet wurde. Nutzer werden hier nach bestimmten Aspekten kategorisiert: nach Offenheit, Gewissenhaftigkeit oder Freundlichkeit sowie nach extrovertierten oder neurotischen Verhaltensweisen. Nach Abschluss der Simulation gibt der Künstler einen Einblick in seinen Algorithmus und es stellt sich die Frage: Passen sich Nutzer an und verhalten sich anders, wenn ersichtlich wird, wie Handlungen und Entscheidungen das Geschehen beeinflusst haben?
Digitaler Ausstellungsraum
Das World Wide Webb lädt nicht nur zu einem spielerischen Erkunden einer Daten-basierten virtuellen Welt ein. Bereits zu Beginn des Spiels steht ein Besuch der König Galerie an, inklusive einem Treffen mit der Kuratorin Anika Meier und dem Galerieinhaber Johann König. Wer sich Zeit nimmt, nicht nur der Handlung des Spiels zu folgen, sondern sich in der Galerie näher umzusehen, kann hier 12 digitale Kunstwerke von Thomas Webb betrachten. Hier geht es u.a. um die Bündelung von Daten in den Händen großer Tech-Konzerne, wie etwa „Zeitgeist“ (2020) verdeutlicht. Die Arbeit ermöglicht eine unheimliche Begegnung mit einem 8-Bit Mark Zuckerberg. Er erzählt, er kontrolliere alles und wüsste, was Menschen jederzeit denken. Parallel werden Fakten über den Facebook-Konzern eingeblendet, welche die Macht des Konzerns verdeutlichen.
Daneben schafft der Künstler in der digitalen Ausstellung aber auch Räume, die zeigen, wie Technologie die Menschen miteinander verbinden kann. So ermöglicht „Rainfall“ (2017) durch einen Algorithmus Momente, die von mehreren Personen geteilt werden können. Und „Depressed Twitter“ (2018) thematisiert, welche Auswirkungen Soziale Medien auf die psychische Gesundheit haben.
Auch die Corona-Pandemie wird hier zum Thema, etwa in der Arbeit „Clap for Healthcare Workers“ (2020). Hintergrund ist, dass während der ersten Hochphase der COVID-19 Infektionen viele Menschen abends für Medizin- und Pflegepersonal applaudierten, um diesen zu danken. In „Clap for Healthcare Workers“ betritt man einen digitalen Krankenhausraum und kann mit Klicks applaudieren – wer am häufigsten klatscht, wird auf einer Bestenliste im Spiel geranked. Die Geste des Applaus ist dabei so bedeutungslos wie die Auflistung in der Bestenliste. So wie die reine Listung dem Nutzer im Spiel keine Vorteile bringt, so war auch der Applaus für das Medizin- und Pflegepersonal in der Realität der Corona-Krise nur ein leeres Symbol, das die Menschen weder in ihrer Arbeit entlastet noch besser entlohnt hat.
Während Thomas Webbs Arbeiten in der digitalen König Galerie auf Missstände unserer von Technologie-Konzernen dominierten Welt und in der Gesellschaft verweisen, zeigt das Spiel selbst, wie es sein könnte, wenn Daten nicht Profit-orientiert sondern zum Wohl des Nutzers Anwendung finden.
Thomas Webb: Exercise in Hopeless Nostalgia
World Wide Webb / König Digital
14.08.2020-14.08.2021
Better off Online
Ab 09.09.2020, 10 Uhr kann unter ars.webb.game anlässlich der Ars Electronica die internationale Gruppenausstellung „Better off Online“ besucht werden. Im Rahmen von König Digital sind in Thomas Webbs World Wide Webb verschiedene Werke von u.a. Aram Bartholl, Arvida Byström, Nicole Ruggiero, Manuel Rossner oder Sebastian Schmieg zu sehen.
Header-Bild: Thomas Webb: Exercise in Hopeless Nostalgia – Kanagawa Avatars, König Galerie
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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