Jenseits von Instagram: Kunst nach den Sozialen Medien

Soziale Medien sind nicht nur Plattformen der Kommunikation über Kunst, sie sind auch Gegenstand der Kunst selbst. Dies zeigt das Buch „Link in Bio. Kunst nach den Sozialen Medien“.

Soziale Medien sind nicht nur Plattformen der Kommunikation über Kunst, sie sind auch Gegenstand der Kunst selbst. Dies zeigt das Buch "Link in Bio. Kunst nach den Sozialen Medien".

[Rezension] Im Jahr 2039 wird Social Media weitestgehend tot sein, imaginiert Ilona Hartmann in ihrer „Geschichte über das Leben nach den sozialen Medien“ in der gerade erschienenen Publikation „Link in Bio“. Smartphones werden ins Museum gehören, der Mensch ist längst mit Implantaten ausgestattet, welche die Selbstoptimierung ebenso regeln wie die Umgebung des häuslichen Umfelds. Eine „Revolution der Vernunft“ hat dazu geführt, dass Social Media der Vergangenheit angehört. [1] Vielleicht sieht so einmal die Zukunft aus? Doch noch ist es nicht soweit. Noch gehören Instagram und YouTube, TikTok und Twitter zu unserem Alltag – für die einen mehr, für die anderen weniger. Social-Media-Plattformen sind Sammelbecken für Hass und Hetze, für Gemeinschaft und Solidarität. Es sind Kommunikationskanäle, auf denen Verschwörungsmythen ebenso schnell verbreitet werden wie wissenschaftliche Erkenntnisse. Ob Autokraten, Firmen oder Journalisten – wer die Öffentlichkeit sucht, kann sie mit Social Media erreichen. Und auch Kunstakteure nutzen entsprechende Plattformen, um sich bzw. die eigene Kunst einem breiten Publikum zu präsentieren. Dabei sind Soziale Medien nicht nur Mittel zur Kommunikation über Kunst, sie sind auch Gegenstand der Kunst selbst. Dies zeigt das vor kurzem erschienene Buch „Link in Bio. Kunst nach den sozialen Medien“.


Kunst in und nach Sozialen Medien

In gewisser Weise war die Ausstellung „Link in Bio. Kunst nach den sozialen Medien“ vor einigen Monaten eine Fortsetzung der Ausstellung „Virtual Normality – Netzkünstlerinnen 2.0“, die 2018 ebenfalls im MdbK – Museum der Bildenden Künste in Leipzig gezeigt wurde. Auch die begleitende Publikation, die jetzt erschienen ist, zeigt in ihrer Gestaltung, dass hier ein Konzept erneut aufgegriffen, aber auch weiterentwickelt wurde. Konzentrierte sich „Virtual Normality“ zunächst auf die künstlerische Verarbeitung feministischer Ideen mit und in Social Media, geht „Link in Bio“ nun einen Schritt weiter. Eröffnet werden weitere Aspekten, die von Kunstakteuren in Bezug auf das Netz diskutiert werden – von den Einflüssen Künstlicher Intelligenz (KI) auf unsere Gesellschaft, wie in den Arbeiten von Thomas Webb oder Sebastian Schmieg, bis hin zur Frage nach einer „Kunst nach den Sozialen Medien“, die formal wieder zur klassischen Malerei mit Öl auf Leinwand zurückkehrt, inhaltlich aber auf die Erscheinungen des Social Web Bezug nimmt, wie etwa bei Chris Drange oder Kristina Schuldt.

Ebenso wie in der vorangegangenen Publikation zu „Virtual Normality“, ist der Begleitband zu „Link in Bio“ mehr als ein klassischer Ausstellungskatalog. Natürlich werden hier die Ausstellungstexte zusammengefasst und die Kunstakteure mit ihren Werken dokumentiert. Darüber hinaus beinhaltet der Band Gespräche und Texte mit und von Kunstakteuren, ebenso wie Texte von Autoren, die sich wissenschaftlich oder von einem literarischen Standpunkt aus dem Thema der Ausstellung nähern. Zu nennen ist hier etwa das Gespräch der „Link in Bio“-Kuratorin Anika Meier mit der Autorin Natasha Stagg über den Influencer-Hype und Kunst im Social-Media-Zeitalter [2], der Beitrag der Künstlerin und Autorin Marisa Olson zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Post-Internet-Art [3] oder die Auseinandersetzung der Schriftstellerin Kathrin Weßling mit ihrer eigenen Social-Media-Nutzung. [4]


Social Media und die Corona-Pandemie

Wie hat sich die Produktion und Rezeption von Kunst unter dem Einfluss von Social Media verändert? Dazu und zum Einfluss der Digitalisierung auf Kunst und Gesellschaft gab es in den letzten Monaten verschiedene Ausstellungen, u.a.:

  • „Art in the Age of the Internet, 1989 to Today“ im Institute of Contemporary Art in Boston (07.02.-20.05.2018),
  • „Producing Futures. An Exhibition on Post-Cyber-Feminisms“ im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich (16.02.-12.05.2019),
  • „Hate Speech. Aggression und Intimität“ im Künstlerhaus – Halle für Kunst & Medien in Graz (02.02.-18.04.2019),
  • „Age of You“ im MOCA Toronto (05.09.2019-05.01.2020) oder

Zu den erwähnten Ausstellungen gibt es bei „Link in Bio“ teils Überschneidungen hinsichtlich der Themen und präsentierten Kunstakteure, wobei es hier konkret um den Bereich Social Media geht. Interessant ist zudem der Zeitpunkt, zu dem die künstlerischen Arbeiten der Ausstellung „Link in Bio. Kunst nach den sozialen Medien“ entstanden sind. Denn fast genau zum Ende des Ausstellungszeitraums wurde in Deutschland der erste Corona-Lockdown beschlossen und das MdbK musste, ebenso wie alle anderen Museen in Europa, vorübergehend schließen. Die Publikation zur Ausstellung markiert damit einen Punkt, ab dem eine weitreichende Veränderung im Hinblick auf Soziale Medien einsetzte.

Seitdem COVID-19 alle Bereiche der Gesellschaft beeinflusst hat, von der privaten bis hin zur öffentlichen Sphäre, von der Freizeitgestaltung bis hin zum Schul- oder Arbeitsleben, wird auch den Social-Media-Plattformen noch einmal eine andere und teilweise auch neue Bedeutung beigemessen. Auf diese Veränderungen haben bereits einige der Kunstakteure, die in der Ausstellung „Link in Bio“ präsent waren, in ihren jüngsten künstlerischen Arbeiten reagiert, etwa der britische Künstler Thomas Webb mit dem Multiplayer 8-Bit-Game „Exercise in Hopeless Nostalgia“ als Ort der virtuellen Begegnung oder der schweizerisch-französische Künstler Andy Picci mit der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“, die innerhalb von Instagram stattfand, statt in einem physischen Ausstellungsraum.

Der in „Link in Bio“ festgehaltene Blick auf eine „Kunst nach den sozialen Medien“ ist zugleich also auch ein Blick auf eine Kunst vor der Corona-Pandemie. Was seitdem in der Kunst und in Social Media ausgelöst wurde, erleben wir grade jetzt – und vielleicht können wir in einer zukünftigen Ausstellung irgendwann auch mit Abstand darauf zurückblicken.


Die von Anika Meier konzipierte Publikation „Link in Bio. Kunst nach den sozialen Medien“, herausgegeben von der Stadt Leipzig, dem MdbK – Museum der bildenden Künste Leipzig und Alfred Weidinger, ist 2020 im Kehrer Verlag erschienen (ISBN: 978-3-86828-984-8). Der Band in Englisch und Deutsch, der die gleichnamige Ausstellung vom 17.12.2019-15.03.2020 begleitet, enthält, neben zahlreichen Abbildungen und den Ausstellungstexten, Beiträge von u.a. Anika Meier, Tilman Baumgärtel, Constant Dullaart, Kathrin Weßling, Marisa Olson, Anna Ehrenstein, Ilona Hartmann, Bogomir Dorniger und Angelika Schoder.

Disclaimer: Die Autorin dieses Beitrags hat auch einen Text sowie ein Interview zur hier besprochenen Publikation beigetragen.


Header-Bild: Angelika Schoder – Ausstellung „Link in Bio. Kunst nach den Sozialen Medien“ im Museum der bildenden Künste Leipzig, 2019: Der spanische Künstler Filip Custic auf einer Installation von Aram Bartholl in der Ausstellung „Link in Bio“


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Ilona Hartmann: Logged Out. A Story about Life after Social Media, In: Link in Bio. Kunst nach den Sozialen Medien, Hg.v. Stadt Leipzig, Museum der bildenden Künste Leipzig und Alfred Weidinger, Heidelberg 2020. S. 62f.

[2] Anika Meier im Gespräch mit Natasha Stagg: „Art Now Reproduces Anxiety“, Ebd. S. 47ff.

[3] Marisa Olson: The Internet is Not Dead! (Yet…). On the Past, Present, and Future of Post-Internet Art, In: Ebd. S. 18-21.

[4] Kathrin Weßling: I Love You, Friggin’ Internet, In: Ebd. S. 27ff.


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