Instagram als Ausstellungsraum: iSOLATION. is it over yet?

In der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“ zeigt der Künstler Andy Picci seine Werke in einem Augmented Reality-Filter im sozialen Netzwerk Instagram.

In der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“ zeigt der italienisch-schweizerische Künstler Andy Picci seine Kunstwerke in einem Augmented Reality-Filter im sozialen Netzwerk Instagram.

[Online-Tipp] In der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“ beschäftigt sich der italienisch-schweizerische Künstler Andy Picci (*1989) mit der Isolation – einem Thema, das durch die Corona-Krise besondere Aktualität erhalten hat. Viele Menschen mussten sich im Frühjahr 2020 freiwillig oder gezwungenermaßen in Quarantäne begeben und sich von ihren Mitmenschen isolieren. In einigen Ländern wurde sogar von staatlicher Seite ein Lockdown verordnet, was die Bewegungsfreiheit extrem einschränkte und ein Treffen mit anderen Menschen außerhalb des eigenen Haushalts unmöglich machte. Beeinflusst von dieser Erfahrung schuf Andy Picci sechs digitale Kunstwerke, die er nun in einer Augmented Reality-Ausstellung präsentiert.


Der Ausstellungsraum, in dem "iSOLATION. is it over yet?" gezeigt wird, scheint im Weltraum zu schweben
Der Ausstellungsraum, in dem „iSOLATION. is it over yet?“ gezeigt wird, scheint im Weltraum zu schweben.

Der Schein der Nähe

Seit Kunstwerke online zugänglich sind, wird darüber diskutiert, welchen Einfluss das Digitale auf die Rezeption von Kunst hat. Häufig wird argumentiert, ein Kunstwerk hätte eine „Aura“ und diese sei nur in der Realität erlebbar. Zuletzt vertrat etwa Tristam Hunt, der Direktor des Londoner Victoria & Albert Museum, diese These. [1] Ein virtueller Ausstellungsbesuch könne das Kunsterlebnis vor Ort, im Angesicht eines physischen Kunstwerks, demnach nicht ersetzen.

Diese Debatte um die „Aura“ kommt auch in einem Interview zur Sprache, das die Baden-Württembergische Kunststaatssekretärin Petra Olschowski Ende April mit Peter Weibel vom ZKM Karlsruhe im Rahmen der Reihe #CooltourTalk führte. Grundsätzlich ging es hier um die Notwendigkeit, infolge der Corona-Krise Kunst- und Kultureinrichtungen neu zu denken. Weibel betont hier:

„Wenn wir heute von ‚Social Distancing‘ sprechen, dann sollten wir wissen, dass die Überwindung räumlicher und zeitlicher Distanz immer schon der Motor der Kultur war […]. Die technischen Künste sind die Praxis der Überwindung von Raum und Zeit. Die Künste sind Gedächtniskultur und mehr als diese, denn die Künste eröffnen zudem einen Raum des Möglichen.“

Peter Weibel

Weibel plädiert insbesondere in Anbetracht der Folgen der Corona-Krise dafür, die Rolle des Publikums und dessen materielle Mobilität neu zu überdenken. Schließlich sei die sagenumwobene „Aura“ eines Kunstwerks nur eine konstruierte Fabel:

„Massen bewegen sich um die halbe Welt, um im Louvre ein Bild zu bestaunen, von dem sie eigentlich nichts verstehen. Sie erliegen dem Reiz der Aura. Doch diese Aura ist eine nur seit hundert Jahren konstruierte Fabel, die Walter Benjamin schon in den 1920ern als Fata Morgana kritisierte. Die Aura ist nach Benjamin ‚die Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft.‘ Benjamin verwendet typischerweise hier das Wort ‚Ferne‘. Die Aura ist der Schein der Nähe dessen, was fern ist.“

Peter Weibel [2]

Tatsächlich markiert die „Aura“ also nicht eine magische Ausstrahlung, die nur aus wenigen Metern Entfernung in einem Ausstellungsraum vor Ort spürbar ist. Sie erweckt vielmehr den Schein einer Nähe. Und diese Nähe lässt sich ebenso über digitale Medien herstellen.


Die Skulpturen und Installationen von Andy Picci erinnern an Werke des Surrealismus. Das Strandtuch und der Bildschirm des Laptop verweisen auf René Magritte (1898-1967)
Die Skulpturen und Installationen von Andy Picci erinnern an Werke des Surrealismus. Das Strandtuch und der Bildschirm des Laptop verweisen etwa auf René Magritte (1898-1967).

Erweiterung der Realität

Nach digitalen Angeboten, die analog existierende Kunstwerke im virtuellen Raum zugänglich machen, wie etwa das Kremer Museum oder die Digitale Kunsthalle von ZDFkultur, entwickeln sich nun nach und nach auch Angebote zu rein digitaler Kunst – auch jenseits der NetArt-Szene. Ein Beispiel ist die virtuelle Ausstellung „Surprisingly This Rather Works“ von Manuel Rossner, die seit Mitte April 2020 in der App der König Galerie zu sehen ist. Die Planung für dieses Projekt startete lange vor der Corona-Pandemie, doch durch die Krise hat das digitale Angebot eine besondere thematische Brisanz bekommen, wie Galerist Johann König im Interview mit musermeku betonte.

Natürlich gibt es mittlerweile aber auch digitale Kunst, die direkt unter dem Einfluss der Corona-Krise entstand. Hierzu zählen sechs Werke, die der Künstler Andy Picci während einer 40-tägigen Selbstisolation im Frühjahr 2020 schuf. Die OÖ Landes-Kultur GmbH präsentiert nun diese Werke mit ihrem Instagram-Account @ooe.art in der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“. Es ist übrigens die erste Einzelausstellung eines Künstlers, die von einem Museum in einem AR-Filter auf Instagram gezeigt wird.

Wer die Ausstellung besuchen möchte, benötigt die Instagram-App auf seinem Smartphone und ein eigenes Instagram-Profil. Ein Klick auf den Link in der Instagram-Profilbeschreibung von @andypicci führt dann automatisch zum Augmented Reality-Filter des Künstlers. Sobald die Frontkamera des Smartphone aktiviert ist, kann man sich in der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“ umsehen.

Durch Augmented Reality (AR) wird der reale Raum um den Nutzer herum digital manipuliert. Das Smartphone erkennt die Position des Nutzers und so werden die heimischen vier Wände zum Ausstellungsraum, durch den man sich bewegen kann – ohne die eigene Wohnung verlassen zu müssen. Aus der Nähe kann man sich so die Skulpturen und Installationen von Andy Picci ansehen. Ein Blick nach oben zur Decke offenbart den Weltraum mitsamt Sternen, in dessen schwarzer Tiefe der Ausstellungsraum zu schweben scheint. Fast unheimlich wirkt die Geräuschkulisse, die wie in einer analogen Ausstellung Schritte und Stimmengewirr anderer Besucher aus verschiedenen Richtungen wahrnehmen lässt. Doch egal in welche Richtung man schaut: Man bleibt in der Ausstellung allein. Das Betreten des digitalen Raumes ist hier kein Weg aus der Isolation in der realen Welt.


Ein Klick auf den AR-Filter bei Instagram zeigen die Ausstellung in einem Nachtmodus. Auch die Frage "Is It Over Yet?" reagiert per Klick. Hier erscheint dann die Botschaft "Make Life Great Again"
Ein Klick auf den AR-Filter bei Instagram zeigen die Ausstellung in einem Nachtmodus. Auch die Frage „Is It Over Yet?“ reagiert per Klick. Hier erscheint dann die Botschaft „Make Life Great Again“.

Zum Umgang mit Isolation: Andy Picci im Interview

Andy Picci stammt aus Lausanne und studierte hier Fotografie an der ECAL, Visuelle Kommunikation an der ESAM in Paris und Kunst am Central Saint Martins College of Art and Design in London. Seine Werke waren u.a. 2019 in der Ausstellung „Link in Bio. Kunst nach den sozialen Medien“ im MdbK – Museum der bildenden Künste Leipzig zu sehen sowie in „Futures of Love“ in den Magasins Généraux in Paris oder beim Loading Festival in Miami. Wir sprachen mit dem Künstler, der in Paris und Lausanne zuhause ist und hier auch die Zeit der Corona-Krise verbrachte, über die Entstehung der Ausstellung „iSOLATION. is it over yet?“.

Andy, deine Ausstellung heißt „iSOLATION. is it over yet?“. Hilft es, sich Kunst im digitalen Raum anzusehen, um das Gefühl der Isolation weniger zu spüren?

Andy Picci: „Ich bin bisher davon ausgegangen, dass sich die Menschen in größeren Städten einsamer fühlen. Die Entscheidung aber liegt bei uns. Wir können uns mit anderen zusammentun oder uns zurückziehen, im Leben und im Internet. Das Internet kann uns miteinander verbinden und uns isolieren. Einige Dinge sollten IRL, also unmittelbar, und andere URL, also digital, erlebt werden. Liebe mache ich zum Beispiel lieber IRL [Anm.: in real life]; Kontakte pflege ich aber auch gern online. Ich bin froh, dass ich nicht jedes Mal um die halbe Welt reisen muss, um Freunde und Bekannte in anderen Ländern zu fragen, wie es ihnen geht.

In dieser seltsamen und herausfordernden Zeit verbringen viele Menschen ihr Leben gezwungenermaßen größtenteils online. Einige haben das Virtuelle als Möglichkeit gesehen, der Isolation zu entkommen. Deshalb habe ich eine virtuelle Ausstellung gemacht, die in einem unendlichen Raum schwebt und gleichzeitig von vier Wänden begrenzt wird. So bleiben die Menschen in einer ‚Isolationsstimmung‘. Das Publikum soll die Ausstellung erleben, anstatt sie einfach nur zu besuchen.“

In deiner virtuellen Ausstellung verwandelt sich der Schriftzug „Is it over yet?“ mit einem Klick in die Botschaft „Make Life Great Again“. Was bedeutet das für dich?

Andy Picci: „Unser Leben im digitalen Zeitalter wird durch Klicks orchestriert. Wir klicken, um einzuschalten, auszuschalten und umzuschalten. Wir klicken oder swipen, wenn uns etwas oder jemand gefällt. Das Klicken ist zur Hauptinteraktion geworden, die uns mit der Welt verbindet.

Die Dualität der Frage ‚Ist es schon vorbei?‘ und der Aussage ‚Mach das Leben wieder großartig‘ schwingt auch auf einer anderen Ebene mit. Langeweile und Tatendrang sind zwei Zustände, die uns aktuell mehr denn je beschäftigen. Es sind emotionale Momente, die zur aktuell präsentesten Frage führen, die als Textinstallation im Raum schwebt: Ist es schon vorbei? ‚Macht das Leben wieder großartig‘ lautet die Antwort in Form einer Aufforderung, mit der gar nicht erst auf die Frage geantwortet wird, weil es keine Antwort gibt.“

Einige der Motive in der Ausstellung erinnern an die Symbolik des Surrealismus. Hast du diese bewusst gewählt, weil viele die Corona-Krise und die damit verbundenen gesellschaftlichen Bedingungen als „surreal“ empfinden?

Andy Picci: „Die Situation ist nicht so surreal wie die Art und Weise, wie wir heutzutage leben. Diese Frage hat mich beschäftigt. Was ich am Surrealismus interessant finde, sind Auslotung und Ausdruck des Unbewussten. Das beinhaltete oft eine Verzerrung des Raumes und der Gefühle, die dem Erlebten angemessen schienen. Ich denke hier an das Gemälde ‚Die Liebenden‘ von René Magritte. Hier sind zwei Personen zu sehen, die sich küssen, während ihre Köpfe von Tüchern umhüllt sind. Sie lieben sich, ohne sich gegenseitig sehen zu können. Vielleicht müssen sie sich auch gar nicht sehen, denn sie kennen sich bereits. Zu Sehen ist für die Liebe hier nicht notwendig.

Unsere Vorstellungskraft und die Fähigkeit, unser Inneres zu erforschen, sind Möglichkeiten der Isolation zu entfliehen. ‚iSOLATION. is it over yet?‘ habe ich so aufgebaut, wie ich mir meinen mentalen Raum vorstellte.

‚Ist es schon vorbei?‘, mit dieser Frage vor Augen bewegt sich der digitale Besucher durch einen White Cube, der im All zu schweben scheint. Zwei Wege führen kurzfristig aus der Isolation: die Tür und der Laptop. Ein strahlend blauer Himmel verspricht die ersehnte Freiheit, die nur ein paar Schritte zur Tür und ein paar Klicks auf dem Laptop entfernt ist. Der Laptop liegt mitten im Raum auf einem Badehandtuch. In Zeiten von Corona, einer globalen Pandemie mit historischem Ausmaß, sind Alltag und Freizeit, Druck und Entspannung dicht beieinander. Eine Hand reicht dem Besucher wortwörtlich den Mond. Es ist eine Geste, mit der beteuert wird, man wolle das Unmögliche möglich machen. Es ist ein Zeichen der Güte und der Mitmenschlichkeit in dieser dunklen Zeit. Ein alles sehendes Auge schwebt hoch über dem White Cube in der schwarzen Nacht, Tränen fallen zu Boden und bilden eine Pfütze. In Zeiten von Corona sehen wir mehr als sonst, wie andere Menschen leben und was sie von sich teilen, wie sie mit der Krise umgehen und was sie beschäftigt.“


Wer die aktuelle Ausstellung von Andy Picci besuchen möchte, braucht ein Profil auf Instagram. Hier ist "iSOLATION. is it over yet?" noch bis 28. Juni 2020 über die AR-Filter Funktion zu sehen
Wer die aktuelle Ausstellung von Andy Picci besuchen möchte, braucht ein Profil auf Instagram. Hier ist „iSOLATION. is it over yet?“ noch bis 28. Juni 2020 über die AR-Filter Funktion zu sehen.

Die Ausstellung entstand innerhalb von 40 Tagen, in denen du dich in Selbstisolation zurückgezogen hast. Wie hast du die Zeit im Lockdown erlebt?

Andy Picci: „In den ersten Wochen des Lockdown drehte sich für mich alles darum, dass ich gewissermaßen eingesperrt war. Wie alle, war ich in meinem Alltag und in meinen Freiheiten eingeschränkt. Ich hatte Angst davor, was als Nächstes kommen würde, während ich allmählich den Kontakt zur Außenwelt verloren habe. Diese Gefühle legten sich bald, weil sie mich dazu brachten, durch meine Vorstellungskraft zu reisen und nicht weiter vor meinen Dämonen davon zu laufen.

Irgendwann konnte ich mich sogar entspannen – zum ersten Mal seit langer Zeit wieder. Die Umstände zwangen mich, auf die meisten Unterhaltungsmöglichkeiten und andere Hobbys zu verzichten und so konnte ich mich endlich wirklich entspannen. Als wären auf einmal alle unnötigen Dinge um mich herum entfernt worden und nur noch die Realität blieb übrig.“

Was fasziniert dich daran, eine Ausstellung komplett im virtuellen Raum umzusetzen?

Andy Picci: „Die Umsetzung ist der Situation angemessen. In den vergangenen Monaten haben, wie gesagt, viele Menschen online gelebt. Die meisten Institutionen haben in dieser Zeit versucht, den physischen Raum schnell in den virtuellen Raum zu übertragen. Ist es nicht interessanter, die Möglichkeiten des Virtuellen zu nutzen? Im Virtuellen muss man keine physikalischen Gesetze respektieren. Es geht nur um Kreativität und Reflexion. Das ist generell die Aufgabe von Kunst.

Das Virtuelle sollte das Kunsterlebnis vor Ort weder ersetzen noch imitieren. Stattdessen kann es Erlebnisse verstärken und Erfahrungen ermöglichen, die in der Realität nicht möglich wären. Digitale Angebote sollten eine Ergänzung zu den analogen Angeboten darstellen. Solange einige das Digitale nur als Kommunikationsmittel betrachten, werden sie nicht das volle Potenzial erkennen – und damit den ganzen Spaß verpassen.“

Vielen Dank für das Interview.


Andy Picci: iSOLATION. is it over yet?

OÖ Landes-Kultur GmbH
Instagram @ooe.art / @andypicci
20.05.-28.06.2020


Bilder: Andy Picci – iSOLATION. is it over yet? / OÖ Landes-Kultur GmbH, AR-Filter für Instagram


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] „Digital provision will be an important part of the future, but there remains something magical about the aura of the real, authentic object.“ – Tristam Hunt: The V&A in 10 objects: from Brexit vases to Beyoncé’s butterfly ring, In: The Guardian, 10.05.2020

[2] #CooltourTalk – Öffnung der Museen. 1. CooltourTalk im Netz von Kunststaatssekretärin Petra Olschowski an Peter Weibel (ZKM Karlsruhe), Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, 27.04.2020


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