Vom Virtuellen Museum bis zur Digitalen Kunsthalle

Die Digitale Kunsthalle soll Besuchern einen neuen Zugang zu Kunst ermöglichen. Doch andere Virtuelle Museen sind dem Angebot technisch überlegen.

Die Digitale Kunsthalle soll Besuchern einen neuen Zugang zu Kunst ermöglichen. Doch andere Virtuelle Museen sind dem Angebot technisch überlegen.

[Debatte] Immer mehr Museen und Galerien nutzen Virtuelle Realität, um neuartige Erlebnisse für das Kulturpublikum zu schaffen. Virtual Reality ist dabei nicht unbedintgt Neuland. Mehrere Jahre Erfahrung und Experimentierfreude zeigen, dass die Technik längst im Kulturbereich angekommen zu sein scheint. Institutionen wie das Skagens Museum in Dänemark, das Städel Museum in Frankfurt oder das British Museum in London haben Virtual Reality in der Vergangenheit bereits ihrem Publikum präsentiert. Die Kremer Collection oder die Galerie Roehrs & Boetsch schufen gleich komplett virtuelle Räume für ihre Ausstellungen. Und auch die Social-Media-Plattform Snapchat brachte bereits Erlebnisse für Kunstfans auf den Markt. Auch ZDFkultur will hier seit kurzem mitmischen und konzipierte einen digitalen Kulturraum. Die Digitale Kunsthalle soll Besuchern per Klick den Zugang zu Kunst ermöglichen. Mit anderen virtuelle Museen und Konzepten kann das deutsche Angebot jedoch nicht mithalten…


Virtuelle Kunsträume

Bereits seit einigen Jahren bietet Google Arts & Culture in Kooperation mit Kultureinrichtungen die Möglichkeit, Kultorte oder Museen virtuell zu erkunden. Es gibt 360-Grad-Videos, etwa aus dem Royal Museums of Fine Arts in Brüssel, in dem Nutzer virtuell in das Bild „The Fall of the Rebel Angels“ von Bruegel (1562) eintauchen können. Zudem besteht auch die Möglichkeit, Street View Touren durch das British Museum in London oder durch das MoMa in New York zu unternehmen, bei denen sich der virtuelle Besucher durch die digital abgebildeten Räume bewegen kann.


AR trifft auf Rembrandt

Eine Augmented Reality Anwendung via App stellt das Mauritshuis in Den Haag seit dem Frühjahr 2019 Kunstfans zur Verfügung, anlässlich des 350. Todesjahres von Rembrandt. Das Projekt „Rembrandt Reality“ bringt den Nutzer direkt in das Bild „Die Anatomiestunde des Dr. Nicolaes Tulp“ (1632), ganz nah an die Ärzte und natürlich auch nah an die Leiche, die im Bild seziert wird.

Die „Rembrandt Reality“ App ist für iOS und Android verfügbar und vermittelt dem Nutzer zahlreiche Details zum Gemälde, die man beim Betrachten des physischen Kunstwerks sonst nicht erkennen würde. Erstellt wurde die App mithilfe von Schauspielern, die in die Rollen der Figuren auf dem Gemälde schlüpften. Die Schauspieler wurden dann mit 3D Scan erfasst, ebenso wie der historische Sektionssaal. Ziel der AR App sei besondere „Authentizität“ herzustellen, wie David Robustelli gegenüber artnet.com betont.


Ein Virtuelles Museum der Alten Meister

Um Alte Meister geht es auch in der niederländischen Kremer Collection. Hier erschuf man statt eines physischen Museumsneubaus lieber gleich ein digitales Museumsgebäude, durch das sich der Besucher dank Virtual Reality bewegen kann. Mit einem Headset kann der Nutzer eine von Architekt Johan van Lierop entworfene VR-Galerie betreten, die 70 Gemälde von Alten Meistern beinhaltet. Um das zu ermöglichen, wurden die Kunstwerke zuvor durch das Verfahren der Photogrammetrie erfasst – eine Technik, bei der Tausende von Bildern jedes Gemäldes aufgenommen werden. Dies ermöglicht es, die Werke der Alten Meister hochauflösend und in besten Lichtverhältnissen virtuell zu erleben.

Besucher des Kremer Museum können die Gemälde in der virtuellen Realität ganz dicht betrachten, sogar Farbschichten und die Beschaffenheit der Leinwände sind erkennbar. Mit einem Klick kann der VR-Besucher auch hinter die Gemälde blicken und hier Notizen oder ähnliches auf der Bildrückseite entdecken – etwas, was in der Realität in einem Museum nie möglich wäre. Neben den Gemälden erscheint darüber hinaus der Sammlungsgründer George Kremer zusammen mit seiner Frau Ilone als Hologramm und erzählt (als Audioguide eingesprochen) Hintergründe zur Sammlung.


Die Entdeckung bekannter Orte im Digitalen Raum

Auch das Smithsonian American Art Museum begann bereits Anfang 2017 mit einem VR-Projekt. Gemeinsam mit Kooperationspartner Intel und unterstützt durch eine Reihe an VR-Studios, sollte ein ganzer Flügel des Museums in der virtuellen Realität nachgebildet werden. Mithilfe einer Kombination aus Laserscanning und Photogrammetrie, dem Erstellen von 3D-Modellen aus 2D-Fotografien, wurde ein Raum geschaffen, der von VR-Besuchern erkundet werden kann.

Das Besondere: Man kann sogar in Kunstwerke „eintauchen“. Über eine Art Portal, das mit je einem Objekt verbunden ist, gelangt man in eine neue Umgebung, die sich auf das Kunstwerk bezieht. Das Gemälde „Aurora Borealis“ von Frederic Edwin Church führt etwa zu einem 360-Grad-Video des Nordlichts in Island. Und eine Bronzeskulptur von Augustus Saint-Gaudens führt den virtuellen Besucher zu einer digitalen Rekonstruktion des Adams Memorial in Washington D.C., einem Ort inmitten von Bäumen und Vogelgezwitscher.


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3D-Tour durch Museen und Galerien

Um 3D-Touren durch Kunstausstellungen geht es bei Artland. Bisher wird bereits mit über 150 Gallerien kooperiert. Eigentlich ist Artland aus Dänemark eine App und Social Networking Plattform, doch die 3D-Ausstellungen, die seit Ende 2018 angeboten werden, sind auch einfach auf der Website von Artland zugänglich und lassen sich hier ganz bequem mit der Computermaus oder per Touch vom Smarthone aus navigieren. Räume von Gallerien, Museen oder Kunstmessen werden hierfür auf der ganzen Welt in 3D gescanned und dann interaktiv digital zugänglich gemacht. Die Idee dahinter ist es, Kunst den Zielgruppen näherzubringen, die bisher kein großes Interesse daran hatten. Natürlich sollen durch die digitalen 3D-Welten auch neue Käuferschichten für den Kunstmarkt erschlossen werden.

Als Konkurrenz zu einem physischen Museums- oder Galerie-Besuch sehen die Gründer von Artland ihr 3D-Angebot übrigens nicht. Im Interview mit artnet.com betonen die Brüder Mattis und Jeppe Curth: „[A] lot of studies show that if you give people a very good experience online, they are more likely to visit in person. We actually believe we can create more visitors with this tool.“


Ein Raum für VR Kunst

Schließlich spielt auch das Thema Virtual Reality Kunst eine zunehmende Rolle. 2018 zeigte das Zeppelin Museum Friedrichshafen etwa die Ausstellung „Schöne neue Welten“, die sich ganz auf VR-Kunst konzentrierte. Und im Januar 2019 eröffnete die Galerie Roehrs & Boetsch einen virtuellen Ausstellungsraum, in dem VR-Kunst auch angemessen ausgestellt werden kann.

Architekt des „CUBE“ von Roehrs & Boetsch ist Manuel Rossner, einer der bekanntesten Künstler der VR-Szene. Rossner entwarf hier eine Plattform, die eine virtuelle Galerie für virtuelle Kunst simuliert. Gemeinsam bilden Kunstwerke und Kunstraum eine konzeptionelle Einheit. Die Werke lassen sich so – wie in einem physischen Raum – nebeneinander betrachten. Die Erschaffung eines VR-Raumes ist hier nicht nur bloße Spielerei, sondern essenzielle Grundlage, um diese Kunst überhaupt zeigen zu können.


Digitale Museumsräume nach realem Vorbild

Eigentlich verwundert es, dass im Kulturbereich immer wieder beschlossen wird, das Real Life im virtuellen Raum nachzubilden. Auch ZDFkultur hat sich für diesen Virtual Reality Ansatz entschieden. „Per Klick“ soll man sich seit Februar 2019 durch eine Digitale Kunsthalle bewegen, die einem realen Museum nachempfunden sein soll – mit einem Foyer, von dem man mit einem Aufzug in verschiedene Museumsräume gelangt. Vielleicht ist das mit der Ankündigung „nahbar und nutzerfreundlich“ gemeint: Man soll sich in einem Raum wiederfinden, den man bereits so ähnlich schon aus der Realität kennt.

Ob man ein virtuell nachgebildetes Museumsgebäude als nahbar empfindet, wird letztendlich jeder Nutzer für sich selbst entscheiden müssen. Was jedoch auch objektiv überprüft werden kann, ist die Nutzerfreundlichkeit. So ein virtueller Museumsraum braucht zunächst erstmal ganz schön lange, um zu laden. Und da bekanntlich in Deutschland nicht jede Milchkanne G5 Netz hat – oder jeder Ort eine schnelle Internetverbindung – ist der Besuch der Digitalen Kunsthalle von ZDFkultur mit Wartezeit verbunden. Ist die Ladezeit beendet, wird man mit der einen oder anderen Ausstellung belohnt, etwa „Gerhard Richter. Auftragsbildnisse“ (13. Februar bis 30. April 2019), von den Staatlichen Sammlungen Dresden.


Virtuelles Laminat in der Digitalen Kunsthalle

Ist man über das „Foyer“ mittels eines virtuellen Aufzugs in einer Ausstellung der Kunsthalle angekommen, findet man sich in einem tristen beigen Raum mit deprimierendem Laminat wieder. Spätestens hier fragt man sich, warum in einer virtuellen Welt, in der der Fantasie keine Grenzen gesetzt sein müssten, jemand Laminat verlegt. Auch dem geübten Museumsgänger muss die Idee kommen, dass man die Digitale Kunsthalle schöner hätte gestalten können. Fliesen, Steinfußböden, Holz – die meisten Museen haben in der Realität recht ansehnliche Böden. Aber vielleicht soll hier in diesem Fall der Fußboden auch nicht ablenken von den Werken an den virtuellen Wänden.

Unter den Kunstwerken befindet sich je ein Punkt in ZDF-Orange. Per Klick öffnet sich ein Menü, über das der Besucher mehr über das ausgewählte Bild erfährt, über die Biografie der abgebildeten Person sowie über den Kontext des Werks. Wer genug gesehen hat, gelangt über einen kleinen, im Raum schwebenden Würfel zurück zum „Foyer“ – was wieder mit reichlich Ladezeit verbunden ist.


VR-Ansicht: "Cranach in Weimar" (ab 13. Februar 2019), Klassik Stiftung Weimar in der Digitalen Kunsthalle von ZDFkultur
Screenshot – VR-Ansicht: „Cranach in Weimar“ (ab 13. Februar 2019), Klassik Stiftung Weimar in der Digitalen Kunsthalle von ZDFkultur

Digitale Barrieren

Das ZDF wirbt auf seiner Website für die Digitale Kunsthalle mit dem Teaser „Ausstellungen besuchen, ohne dafür ins Museum zu müssen“, so als sei der physische Museumsbesuch ein Problem, das gelöst werden muss. Tatsächlich ist der Besuch eines Museums „vor Ort“ mit zahlreichen Barrieren verbunden und es ist unbestritten, dass Kulturgüter jedem barrierefrei zugänglich sein sollten. Warum man sich aber im Fall der Digitalen Kunsthalle von ZDFkultur dazu entschieden hat, eine virtuelle Darstellungsform zu wählen, die mit neuen Barrieren verbunden ist – angefangen von der fast unmöglichen Navigation am Smartphone bis hin zur umständlichen Ladezeit bei schwacher Internetverbindung – erschließt sich nicht.

Warum muss ein virtuelles Museum wie ein physisches Museum aussehen? Warum reicht es nicht, Kunstwerke Open Access ins Netz zu stellen, begleitet von ergänzenden Informationen, verbunden mit einem Suchsystem? Vielleicht ist es Zeit, sich von der Vorstellung zu lösen, ein Museum müsste ein physischer Ort sein – oder zumindest diesen nachbilden.


Screenshot: For Us, By Us: Art Through the Eyes of Black Millennials, Snapchat, 26.02.2019
Screenshot: For Us, By Us. Art Through the Eyes of Black Millennials, Snapchat, 26.02.2019

Per Snapchat in die VR-Kunstgalerie

Und wenn es nun aber doch aussehen soll, wie in einem Museum? Wie man einen virtuellen Kunstraum, der tatsächlich an einen realen Ort erinnert, auch ästhetisch und nutzerfreundlich gestalten kann, zeigte vor kurzem Snapchat. Zeitgleich zur Digitalen Kunsthalle von ZDFkultur ging hier die Ausstellung „For Us, By Us: Art Through the Eyes of Black Millennials“ online. Der virtuelle Kunstraum wurde eigens für den Black History Month geschaffen. Mit einer für 24 Stunden freischaltbaren World Lens konnten hier Werke von jungen Kunstschaffenden entdeckt werden. Der Snapchat-Filter für die hintere Kamera des Smartphone erlaubte es dabei, sich mit dem Handy in der Hand frei im Raum zu bewegen und die virtuelle Kunst aus der Nähe zu betrachten.

Snapchat selbst beschrieb das Projekt als „first-ever augmented reality museum dedicated to young black artists.“ Die Ausstellung „For Us, By Us“ war dabei eine Mischung aus Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR), d.h. die Kunstwerke erschienen zwar nicht an dem Ort, an dem man sich tatsächlich befand, aber Dimensionen des physischen Raumes wurden als Grenzen des digitalen Kunstraumes erkannt. Lief man also mit dem Smartphone auf die Wohnzimmer-Wand zu, erkannte man auf dem Display, dass man auch vor einem Kunstwerk an der virtuellen Wand steht. Zu sehen waren Werke von aufstrebenden Künstlern wie Gianni Lee, Bianca Pastel, Jessica Spence, Jameel Mohammed und Paracosm. Den passenden Soundtrack für das virtuelle Kunsterlebnis lieferte Ivy Sole.

Das Projekt zeigt, dass Virtual Reality auch Kunsterlebnisse ermöglicht, die dem Zeitgeist entsprechen und die, wenn sie richtig umgesetzt werden, auch junge Zielgruppen problemlos erreichen. Wie immer, kommt es aber auf das richtige Konzept und auf eine qualitativ hochwertige Umsetzung an. Denn Virtual Reality alleine ist noch keine Strategie.

Ausschnitte dieses Beitrags erschien ursprünglich in HALLE4, dem Online-Magazin der Deichtorhallen Hamburg.


Header-Bild: Detail aus: Judith mit dem Kopf von Holofernes, Lucas Cranach .d.Ä. (ca. 1530) – Metropolitan Museum of ArtsPublic Domain


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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