Klassismus in der Kultur: Wie kann der Zugang zu Kunst gestaltet werden?

Immer wieder erweisen sich Ausstellungen als große Publikumserfolge, die nicht in das traditionelle Schema von Kunst passen. Vom Kulturbereich werden diese Angebote jedoch skeptisch betrachtet – das hängt auch mit Klassismus zusammen.

Um vielfältige Besuchergruppen zu erreichen, müssen sich Museen selbstkritisch mit dem Klassismus im Kulturbereich auseinandersetzen.

[Debatte] Die Ausstellung „The Mystery of Banksy“, die aktuell parallel in Köln, Oslo und Wrocław zu sehen ist, wird nicht zu Unrecht als „Blockbuster-Ausstellung“ beworben. Seit 2021 war die Ausstellung bereits unter anderem in München, Berlin, Hamburg und Wien zu sehen; insgesamt zählt das Projekt bisher über 2 Millionen Besucher. In ganz Europa und den USA tingeln seit einigen Jahren ähnliche Ausstellungen durch die Städte, einige enthalten nicht eine einzige Original-Arbeit. Statt dessen werden dort Motive, die Banksy einst als Street Art oder als Installation umsetzte, nachgebaut und dem Publikum präsentiert. Das tut dem Erfolg dieser Angebote jedoch keinen Abbruch; die Besuchenden stören sich nicht daran, wenn die Ausstellungen keine Originale zeigen. In Köln wurden seit der Eröffnung im November 2023 für „The Mystery of Banksy“ bereits über 120.000 Tickets verkauft; in Hannover sahen die Ausstellung zuvor rund 100.000 Menschen. Das ist ein Erfolg, mit dem nicht viele Ausstellungen in klassischen Museen mithalten können. Doch trotz der großen Publikumsnachfrage, zur „Hochkultur“ werden diese Ausstellungen nicht gerechnet und auch die Besuchenden gelten nicht als klassisches Kulturpublikum. Diese Sichtweise hat auch mit Klassismus zu tun.


Kunst, ohne elitäre Aura

Die Ausstellungen zu Banksy erfüllen gleich zwei Kriterien, die für die klassische Kunstwelt eher nicht der Definition von Kunst entsprechen: Zum einen hat es Street Art noch immer relativ schwer, als legitime Kunstform anerkannt zu werden. In Museen ist sie eher selten zu sehen; zu einer der wenigen Ausnahmen zählte die Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ im Museum für Hamburgische Geschichte im Jahr 2023. Bisher befassen sich zudem nur sehr wenige Ausstellungsorte komplett mit Street Art, wie etwa das STRAAT Museum in Amsterdam. Zum anderen sind in vielen dieser Ausstellungen keine Originale zu sehen – und die „Aura des Originals“ gilt vielen noch immer als ein Definitionskriterium für Kunst.

Dieser Kritikpunkt trifft übrigens auch auf die Multimedia-Ausstellungen mit wandhoch projizierten Gemälden von Vincent Van Gogh, Frida Kahlo oder Gustav Klimt zu. Hier handelt es sich zwar um „richtige“ Künstler, aber deren Werke werden eben nicht im Original präsentiert, sondern dienen als Grundlage für eine Inszenierung. Ähnlich wie auch bei Banksy gelten viele dieser als „immersiv“ vermarkteten Kunsterlebnisse als große Publikumsmagneten. Doch auch hier gibt es vielfache Kritik aus dem klassischen Museums- und Kunstbereich – teils völlig berechtigt, teils aber durchaus auch Vorurteil-behaftet. Das Publikum, das diese Ausstellungen besucht und von dem Kunsterlebnis dort begeistert ist, wird mitunter belächelt. Wer Graffiti oder Street Art für Kunst hält, hat vielleicht keine Ahnung von echter Kunst. Und wer Werke von Gustav Klimt erleben will, soll doch bitte ins Belvedere Museum nach Wien gehen und sich nicht bewegte Projektionen der Gemälde anschauen, wie es etwa „KLIMT – The Immersive Experience“ bietet.


Der idealtypische Besucher

Vermutlich zählen viele Menschen, die sich die Banksy-Ausstellung oder eine der als immersiv bezeichneten Kunsterlebnisse angeschaut haben, nicht zum Stammpublikum der traditionellen Museen. Für Museen kann sich daraus eine zentrale Fragestellung ergeben: Was machen diese Angebote anders, dass sie Publikum anlocken, das den Museen sonst oft fern bleibt? Wichtig ist in diesem Zusammenhang zunächst aber auch die ehrliche und selbstkritische Beantwortung der Frage: Will man diese Art von Publikum überhaupt im Museum haben? Auch wenn einige Museen nämlich immer wieder betonen, man würde gerne ein „breites Publikum“ erreichen und „neue Zielgruppen“ erschließen, gibt es für manche doch den idealtypischen Besucher: gebildet, stellt keine Fragen, verhält sich leise in den Museumsräumen, vielleicht schick gekleidet für den angenehmen Raumeindruck und am besten finanzkräftig genug, um im Shop und im Café noch etliches zu konsumieren.

Was aber, wenn das Publikum diese Kriterien nicht erfüllt? Oft müssen sich Museen diese Frage nicht stellen, wie man mit nicht-idealtypischen Besuchenden umgehen würde, denn diese kommen ohnehin nicht. Weil die Menschen die Themen in den Museen nicht interessieren – aber auch weil sie ahnen, dass sie sich vielleicht nicht wohl fühlen würden, weil sie nicht zur eigentlichen Zielgruppe der Museen gehören. Jeder weiß, dass Museen Orte sind, an denen sich ein bestimmtes Publikum aufhält. Und jeder kann für sich auch beantworten, ob er sich zu diesem Publikum zählen kann oder nicht. Um dies zu verstehen, sollte man sich mit Klassismus beschäftigen.


Klassismus in der Kultur

Klassismus ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres vermuteten oder wirklichen sozialen Status. Gesellschaftliche Partizipation von bestimmten Gruppen wird dadurch behindert. Um dieses Thema geht es auch im Beitrag „Nach den Regeln der Kunst“ von Ilija Matusko, in dem er betont, dass die selbstverständliche Bewegung im Kulturbereich an Codes gebunden ist, die nach und nach beigebracht wurden, von der Familie, vom Umfeld, kurz: vom Milieu in dem man sich bewegt. Dazu muss man einräumen: Jede Klasse hat ihre Codes. Wer im Akademiker-Milieu aufwächst, wird mit anderen Codes konfrontiert als im Arbeiter-Milieu oder in einem Umfeld, das geprägt ist von Erwerbslosigkeit. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse ist entscheidend dafür, ob man mit den für die Bewegung im Kulturbereich notwendigen Codes vertraut gemacht wurde. Wer aus einem Akademiker-Milieu kommt, wird zum Beispiel in der Regel niemanden kennen, der noch nie in einem Museum war. Wer aber im Arbeiter-Milieu oder in einem erwerbslosen Umfeld aufwuchs, wird mit Sicherheit Menschen kennen, die noch nie in ihrem Leben ein Museum besucht haben – zumindest nicht außerhalb des Schulunterrichts, wenn dies dort angeboten wurde.

Wer noch nie ein Museum besucht hat, wird kaum auf die Idee kommen, in seiner Freizeit in ein Museum zu gehen. Und wenn, werden einige Fragen aufkommen: Was zieht man im Museum an? Gibt es im Museum besondere Verhaltensregeln? Muss ich ein bestimmtes Vorwissen mitbringen, um die Inhalte überhaupt zu verstehen? Wer aus einem Akademiker-Milieu kommt, wird diese Fragen als völlig abwegig empfinden. Einige Arbeiterkinder oder Menschen aus einem erwerbslosen Umfeld, die sich heute im Kulturbereich bewegen und daher als „fachkundig“ gelten, haben diese Frage aber garantiert schon einmal von jemandem aus ihrem Umfeld gestellt bekommen.

Matusko berichtet im taz-Artikel, dass ihm aufgrund seines familiären Hintergrundes das kulturelle Wissen, die Bildung, der Zugang zur sogenannten Hochkultur fehle: „Wenn ich heute vor einem Bild stehe, das viel wert ist, passiert meistens nichts. Ich könnte genauso gut eine Wand anstarren. Das wäre auf eine Art sogar angenehmer, weil Wände keine Scham erzeugen“, konkretisiert der Autor. Um zum klassischen Kulturpublikum dazu zu gehören, geht es übrigens nicht unbedingt um Finanzstärke – schon gar nicht, wenn man selbst im Kulturbereich beschäftigt ist. Menschen, die in diesem Umfeld arbeiten, gehören in der Regel nicht zu den Großverdienenden. Oft sind die Arbeitsbedingungen hier sogar relativ prekär. Matusko geht in seinem Text besonders auf Kunstschaffende ein, die die Regeln der Kunst beherrschen, Netzwerke pflegen, sich auf dem Feld der Kultur bewegen können. Er weist darauf hin, dass die Qualität der künstlerischen Arbeit allein nicht über den Erfolg entscheiden würde. Wer Erfolg haben will, muss beweisen, die Codes der Kunstwelt zu beherrschen.


Zugang zum Museumsbereich

Es gibt Parallelen von der Kunstwelt zum Museumsbereich. Auch hier sind die Beschäftigungsverhältnisse teils prekär. Aber das macht nichts, denn solange man mit den entsprechenden Codes der Museumswelt vertraut ist, von den Netzwerken seines Umfeldes profitieren kann, gehört man dazu. Wer ein Netzwerk nutzen kann, kommt an Praktika, Volontariate und Stellen. Wer dazu noch den nötigen finanziellen Hintergrund mitbringt, kann es sich leisten, dass die Praktika unbezahlt sind, dass das Volontariat zum Mindestlohn stattfindet und dass die Stelle danach nur in Teilzeit ist. Wenn Matusko im Bezug auf Kunst schreibt: „Immer noch sind es die Kinder aus den wohlsituierten Milieus, die früh zum Pinsel oder zum Stift greifen und darin bestärkt werden“, könnte man im Bezug zum Museumsbereich schreiben: Immer noch sind es die Kinder aus den gut situierten Milieus, die früh in Ausstellungen mitgenommen werden und die das Museum als selbstverständlichen Ort der Freizeitgestaltung kennenlernen – und auch als mögliche Branche für einen beruflichen Werdegang.

Seit einigen Jahren gelingt es zunehmend Menschen aus dem Arbeiter-Milieu oder aus einem familiären Umfeld, in dem Beschäftigungslosigkeit dazu gehört, im Museumsbereich Fuß zu fassen. Noch immer sind es aber sehr wenige – zu wenige. Den meisten fehlt das kulturelle Kapital, um nach dem Studium den Berufseinstieg in den Museumsbereich zu schaffen. Sie kehren der Branche dann, trotz einschlägigem Studium, den Rücken, um in einem anderen Bereich zu arbeiten, in dem weniger Konkurrenzkampf um eine Hand voll Stellen herrscht und in der Beziehungen und Netzwerke eine geringere Rolle spielen. Vielen fehlt aber auch schlicht das finanzielle Kapital, um sich unvergütete Praktika während des Studiums, gering bezahlte Volontariate oder später befristete Teilzeit-Stellen leisten zu können.

Dabei wäre es notwendig, dass deutlich mehr Menschen im Museumsbereich arbeiten, die selbst nachvollziehen können wie es ist, sich die Codes der Hochkultur selbst erst aneignen zu müssen, die die Berührungsängste mit Museen verstehen, weil sie sie selbst erlebt haben, und die aus dem persönlichen Umfeld Menschen kennen, die noch nie in ihrem Leben in einer Kulturinstitution waren. Erst dann können sich Museen wirklich für ein breiteres Publikum öffnen. Denn auch um Nicht-Besucher zu verstehen, muss man bestimmte Codes beherrschen. Und diese haben wiederum Menschen aus dem Akademiker-Milieu nie gelernt.


Header-Bild: Angelika Schoder – The Mystery of Banksy, Hannover 2024


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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