Graffiti in Hamburg: Eine Stadt wird bunt

Eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte beleuchtet, wie sich Graffiti in Hamburg in den 1980ern und 90ern entwickelt hat – von ersten Sprüchen an Wänden bis hin zu Urban Art, die im Museum gezeigt wird.

Eine Ausstellung beleuchtet jetzt, wie sich Graffiti in Hamburg in den 1980ern und 90ern entwickelt hat.

[Rezension] Sie hießen Master Pit, OZ oder Cisco und hinterließen teils vor rund 35 Jahren in Hamburg ihre Spuren an Mauern, S-Bahn-Waggons oder Häusern. In der Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ zeigt das Museum für Hamburgische Geschichte jetzt, wie die Hamburger Graffiti-Szene in den 1980er Jahren entstand, wer ihre Akteure waren und wie sie sich im ausgehenden 20. Jhd. in der Hansestadt entwickelte. Dabei wird ein Blick in die frühe Sprüher-Szene gewährt und gezeigt, dass es nicht einfach nur um Sachbeschädigung oder Vandalismus ging, sondern hier echte Graffiti-Pioniere am Werk waren, deren Einflüsse sich bis heute in der Urban Art zeigen.


Vom Sponti-Spruch zum Graffiti

Angeblich fing mit „Wild Style“ von Regisseur Charlie Ahearn alles an. Der Film von 1982 über den New Yorker Graffiti-Künstler Zoro aus der Bronx inspirierte auch in Hamburg Jugendliche dazu, Schriftzüge an Wände zu sprühen. Teils dienten die Artworks aus dem Film sogar als direkte Sprühvorlagen, indem sie bei VHS-Aufnahmen vom Fernsehbildschirm abgepaust wurden. Doch bereits in den 1970er Jahren fand man an Hamburger Häusern und Wänden in der Innenstadt politische Parolen. Linke Aktivisten platzierten hier ihren Protest gegen Kapitalismus, Nationalsozialismus oder Krieg. Das Museum für Hamburgische Geschichte zeigt diese Anfänge anhand von Bildern aus den 1980er Jahren von Olaf Pinske und Alf Trojan, die Sprüche, Comics und Symbole in ihrem urbanen Umfeld fotografisch dokumentierten.

Als weiterer Einfluss auf die Entstehung von Graffiti in Hamburg gilt die Debatte um Stadtentwicklung in den 1980er Jahren. Im Stadtteil Ottensen, im Schanzenviertel, in Barmbek oder auf St. Pauli kam es damals zu Bürgerprotesten, die sich gegen den Abriss und für die Erhaltung alter Bausubstanz einsetzten. Die Fotografin Marily Stroux, deren Fotos in der Ausstellung zu sehen sind, dokumentierte vor allem die Proteste in der Hafenstraße und die hier platzierten politische Parolen und Sprüche an Wänden, aus denen sich später Graffiti entwickelten.


Graffiti in Hamburg als Teil der lokalen Hip-Hop-Szene

Bald entstand eine echte Graffiti-Szene in der Hansestadt, die enge Kontakte zur sich entwickelnden Hip-Hop-Kultur pflegte. Die sogenannten Writer vernetzten sich, brachten sich gegenseitig das Sprühen bei und planten gemeinsame Projekte. Im Laufe der 1980er entwickelte sich in Hamburg eine echte Subkultur, die immer weiter an Aufmerksamkeit gewann. Schließlich griffen auch die Medien das Thema auf; die Ausstellung zeigt hier diverse Bücher und Zeitschriften aus den 80er Jahren, die über Graffiti in Hamburg berichteten, aber auch über den wachsenden Hip-Hop-Trend.

Der Hype entwickelte sich in der Hansestadt zunächst vor allem über Breakdance, unter anderem angeregt durch US-amerikanische Filme wie „Beat Street“ oder „Breakin’“ (1984). Von der Zeitschrift BRAVO bis hin zum SPIEGEL wurde über den neuen Tanzstil berichtet. In Hamburg stellte das Stadtmagazin SZENE mit Fotos von Ulrich Gehner unter anderem Tanz-Crews wie die Magnificent Pop Lockers vor. Im Zusammenhang mit der Breakdance-Welle wurde auch die Musik, geprägt von DJ-ing und Rap, bekannter – und damit auch das Thema Graffiti, denn diese wurden häufig als Cover-Motive für Platten und Kassetten genutzt. Auch Filmplakate, wie das zum Film „Wild Style“, oder Hip-Hop-Mode aus der Zeit nutzten Graffiti-Kunst, wie die Ausstellung zeigt.


Farbe an der Wand

In den 1980ern war Graffiti in Hamburg zunächst noch weit davon entfernt, als Urban Art zu gelten. Besonders die Bahn betrachtete die Sprüh-Aktionen eher als Störung im Betrieb. Entsprechend wurde 1988 eine eigene „Sonderkommission Graffiti“ bei der Bahnpolizei gegründet, um illegales Sprühen zu verhindern und begangene Aktionen zu verfolgen. Doch das Phänomen Graffiti wurde bereits damals auch schon wissenschaftlich untersucht: André Lützen, Student am Fachbereich Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK), widmete dem Thema seine Examensarbeit. Seine Fotoserie „Writer“, für die er 1988 einige Sprayer bei ihren illegalen Aktionen in Hamburg begleitete, ist jetzt in der Ausstellung zu sehen.

Als Alternative zu den illegalen Aktivitäten wurden in Hamburg in den Folgejahren zunehmend Flächen zur Gestaltung freigegeben, auf denen Sprayer legal aktiv werden konnten. Dazu gehörte auch eine stillgelegte Gewerbehalle in Bahrenfeld. Hier entstand ein etwa sechs mal sechs Meter großes Bild von Keats und Mr. Irie, das die Hamburger Hip-Hop-Band Absolute Beginner für das Cover ihrer EP „Ill Styles“ (1994) nutzte. Nicht ganz so legal entstand das Bild auf der Rückseite der EP: ein U-Bahn-Wholecar, also ein komplett besprühter U-Bahn-Waggon der Hamburger Hochbahn mit dem Schriftzug „Abees Mad“. Auch im ersten Musik-Video der Band tauchte Graffiti auf, diesmal eine S-Bahn, die von der BIA-Crew mit dem Schriftzug „Absolute Beginner“ bemalt war.


Graffiti als Kunstform

Ab dem Ende der 1980er-Jahre boten sich den Sprayern in Hamburg zunehmend Möglichkeiten, ihre Werke bei Graffiti-Aktionen, Ausstellungen und Wettbewerben zu zeigen. 1988 erschien im Auftrag der Hamburger Kulturbehörde das Gutachten „Wand frei – Plädoyer für die Legalisierung der Graffiti-Kunst“, basierend auf einer Studie von Gabriele Franke und Dieter Thiele. Zusammen mit der Geschichtswerkstatt Barmbek war von ihnen im Rahmen einer Untersuchung bereits 1987 die Graffiti-Aktion „Wand frei“ veranstaltet worden, bei der auch Wände am Museum der Arbeit besprüht wurden. 1988 wurde die Aktion wiederholt, mit wachsender Beteiligung der Sprayer-Szene.

Schließlich holten auch Museen und Galerien die Urban Art von der Straße und in den Ausstellungsraum. 1991 eröffnete Carsten Jacobs die Galerie Cosmix I.Q. im Hamburger Schanzenviertel. Hier wurde Graffiti nicht nur als Kunst gezeigt, sondern auch verkauft. Zudem gab es im gleichen Jahr eine Graffiti-Ausstellung im Altonaer Museum mit dem Titel „Narrenhände…? Graffiti. Fotografien von Fritz Peyer“, organisiert von Torkild Hinrichsen. Der damalige Leiter der Abteilung Kulturgeschichte des Museums lud im Rahmen der Ausstellung Sprayer wie ArtOne oder jbk (Barry Künzel) dazu ein, im Hof des Museums Leinwände zu besprühen. Diese Werke wurden dann wiederum Teil der Ausstellung – und sind nun auch bei „Eine Stadt wird bunt“ im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen.


Begleitend zur Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ ist 2022 ein Katalog erschienen, herausgegeben von Oliver Nebel, Frank Petering, Mirko Reisser und Andreas Timm für die Stiftung Historische Museen Hamburg bei Double-H Publishing (ISBN: 978-3-9824951-0-1) mit Fotos, Objekten und den Texten aus der Ausstellung. Vertiefte Einblicke ermöglicht eine weitere Publikation mit dem selben Titel, die bereits 2021 erschien (ISBN: 978-3-00-069133-1). Das 560 Seiten starke Werk, das als Buch des Jahres 2022 von HamburgLesen ausgezeichnet wurde, enthält über 1.300 Abbildungen, Originalzitate von damals aktiven Graffiti-Writern und Texte von Sylvia Necker, Carsten Heinze, Dennis Kraus, KP Flügel, Christian Luda, Kathleen Göttsche & Lars Klingenberg, Mathias Becker und Rik Reinking.


Eine Stadt wird bunt. Hamburg Graffiti History 1980-1999

Museum für Hamburgische Geschichte
02.11.2022 – 07.01.2024 (verlängert)

musermeku dankt dem Museum für Hamburgische Geschichte für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.


Bilder: Angelika Schoder – Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg 2022


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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