Die Kunsthalle Mannheim im Umbruch

Mit der Ausstellung „Umbruch“ bringt Kurator Johan Holten mehr Vielfalt in die Kunsthalle Mannheim. Im Fokus stehen diverse künstlerische Positionen.

Die Ausstellung "Umbruch" bringt mehr Vielfalt in die Kunsthalle Mannheim. Im Fokus stehen diverse künstlerische Positionen.

[Pressereise] Eigentlich hätten „Umbruch“ bereits am im Mai 2020 eröffnet werden sollen. Doch dann kam alles anders: Wie alle Museen, musste auch die Kunsthalle Mannheim in die Corona-bedingte Zwangspause gehen. Nun, mit zweimonatiger Verzögerung, konnte Johan Holten, der neue Direktor des Hauses, sein Projekt endlich der Öffentlichkeit präsentieren. In der Ausstellung setzen sich internationale Kunstakteure nicht nur mit verschiedenen Aspekten des Umbruchs auseinander. Die Schau markiert auch einen inhaltlichen Umbruch des Museums selbst, verdeutlicht durch ein Baugerüst, das sich durch die drei Schwerpunkte der Ausstellung zieht, von der Neuen Sachlichkeit über die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konventionen bis hin zu bildhauerischen Positionen.


Brüche in der Gestaltung

Die verschiedenen Ausstellungsbereiche in der Kunsthalle Mannheim verbindet eine auffällige Raumgestaltung: Baugerüste bilden Wände, Podeste und Rampen – als Ausdruck des Unfertigen, als etwas, das noch im Werden ist. So findet sich das Thema „Umbruch“ nicht nur in den Kunstwerken der Ausstellung wieder, sondern es wird auch durch das Gestaltungskonzept der Museumsräume aufgegriffen.

Die Baugerüste ermöglichen zudem die Ausfüllung der weitläufigen Museumsräume, immerhin besteht die Ausstellung eigentlich nur aus wenigen Werken von insgesamt neun Kunstschaffenden. Die Gerüste fungieren hier als Rahmen für die Kunstwerke, als Leitsystem für Besucher und grundsätzlich als Verbindung zwischen den drei unterschiedlichen Ausstellungsabschnitten, die sich erst auf den zweiten Blick konzeptionell zusammenfügen.


„Ich möchte mit meiner ersten Präsentation an der Kunsthalle Mannheim den inhaltlichen Umbruch erfahrbar machen, den ich auf den äußeren baulichen folgen lasse. […] Umbruch ist etwas, das ich nicht nur an der Kunsthalle selbst sehe, sondern vielleicht auch als Reaktion darauf, wie unsere ganze Gesellschaft – auch die Stadt außerhalb der Kunsthalle – sich eben im Umbruch befindet. Und nun geht es darum, auch im inneren, inhaltlichen Sinne in der Kunsthalle einen Umbruch in der Programmgestaltung herbeizuführen.“

Johan Holten, Kurator der Ausstellung

Rückblick auf die Neue Sachlichkeit

Die Ausstellung „Umbruch“ gliedert sich in der Kunsthalle Mannheim in drei Themenbereiche. Den Beginn bildet ein Rückblick auf die Neue Sachlichkeit – in Anlehnung an eine Ausstellung, die 1925 in der Kunsthalle stattfand. Damals waren keine Künstlerinnen in der Ausstellung vertreten. Als „Nachtrag“ gewissermaßen zeigt Kurator Johan Holten deshalb nun bewusst die Werke von drei wichtige Künstlerinnen dieser Stilrichtung. Die Heidelbergerin Hanna Nagel (1907–1975), die Berliner Künstlerin Jeanne Mammen (1890–1976) und die Hamburgerin Anita Rée (1885–1933) thematisieren mit ihren Werken noch heute aktuelle gesellschaftliche Themen aus weiblicher Perspektive. Sie stehen in der Ausstellung stellvertretend für lange übersehene, vergessene und unterschätzte Künstlerinnen der Moderne.


„Die drei Frauen stehen nicht nur beispielhaft für die marginalisierende, diskriminierende Behandlung von Künstlerinnen im Allgemeinen. Sie repräsentieren auch das Schicksal unterbrochener Lebensläufe. Innere und äußere Emigration, Stilwechsel, berufliche Neuorientierung sind die Folgen. […] Heute zählen alle drei Künstlerinnen zu den Vertreterinnen der Neuen Sachlichkeit. Bis zu ihrer verdienten Würdigung vergehen allerdings Jahrzehnte.“

Inge Herold, Kuratorin Malerei

Hinterfragen von Konventionen

Im zweiten Ausstellungsabschnitt geht es um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konventionen. Im Mittelpunkt stehen hier Film- und Tanz-Projekte von drei internationalen Kunstakteuren, und zwar vom französischen Künstler Clément Cogitore (*1983), vom dänisch-irakischen Filmemacher Masar Sohail (*1982) und von der rumänischen Performancekünstlerin Alexandra Pirici (*1982).

Clément Cogitore: Les Indes Galantes

Für „Les Indes Galantes“ (2017) arbeitete Clément Cogitore mit diversen Street-Dance-Akteuren zusammen. Zu den Klängen der Barock-Oper des Komponisten Jean-Philippe Rameau aus dem Jahr 1735 entwickelt sich auf der Bühne der Pariser Oper ein Tanz-Battle, basierend auf dem „Krumping“ (der Begriff steht für: Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise). Der Freestyle-Tanz entstand in den 1990ern als Reaktion auf Rassismus, Diskriminierung und soziale Ausgrenzung. Die Barock-Oper ist in Bezug dazu bewusst gewählt, denn hier geht es in verschiedenen Episoden um eine Auseinandersetzungen mit stereotypisierten außereuropäischen Figuren.

Masar Sohail: The Republic of T.M.

Ein Spiegel seiner eigenen Migrationsbiografie ist der Film „The Republic of T.M.“ (2017) von Masar Sohail. Im Mittelpunkt des Films steht Taha, ein junger Mann, der sich aufgrund von sozialer Ausgrenzung in den Wald zurückzieht. Hier sieht er sich mit seinen inneren Stimmen konfrontiert. Vorbild ist kein Geringerer als Tony Montana, die Hauptfigur aus dem Film „Scarface“ (1983, Regie: Brian De Palma). Um diese Figur entwickelt sich eine Gangster-Geschichte in der Fantasie des Jungen.

Alexandra Pirici: Re-Collection

Das Thema Umbruch visualisiert die Künstlerin Alexandra Pirici in ihrer Arbeit „Re-Collection“ mit 10 Performance-Akteuren, u.a. aus dem Tanzensemble des Nationaltheaters Mannheim. Die Tänzer tragen Corona-konform jeweils einen Mund-Nase-Schutz, was auch verdeutlicht, dass Gesellschaften immer wieder mit neuen Ebenen des Umbruchs rechnen müssen – wie aktuell im Fall der COVID-19 Pandemie.


Neue künstlerische Positionen für die Sammlung

Im dritten Teil der Ausstellung wird die Skulpturensammlung der Kunsthalle Mannheim mit neuen Posltionen von drei Bildhauerinnen erweitern. Auf Einladung von Johan Holten hin schufen die aus einem Vorort von Los Angeles stammende Kaari Upson (*1972), die deutsch-türkische Künstlerin Nevin Aladağ (*1972) und die in Peking lebende Künstlerin Hu Xiaoyuan (*1977) vielfältige skulpturale Installationen für die Ausstellung. Die Werke erscheinen als Ausblick auf die Zukunft der Sammlung der Kunsthalle Mannheim, denn das Museum beabsichtigt, die Werke der Künstlerinnen anzukaufen, um damit die Sammlung des Hauses zu erweitern.

Kaari Upson: Mother’s Legs

Die Künstlerin Kaari Upson zeigt in der Ausstellung „Umbruch“ eine Installation aus von der Decke hängenden Skulpturen, die Beinen ähneln. Konkret bezieht sich die Installation auf eine Erinnerung der Künstlerin an ihre Kindheit und daran, wie es ist, sich an den Beinen der Mutter festzuhalten. Für die Kunsthalle Mannheim schuf Upson gegossene, verformte und bemalte Baumstämme, die in der Ausstellung eine Art Wald bilden, durch den sich Besucher bewegen können. Die Skulpturen vereinen zum einen Abgüsse einer gefällten Kiefer aus dem Vorgarten von Upsons Eltern und Abdrücke der Knie von sich selbst und ihrer Freundin sowie von ihren Müttern.

„Zunächst nehme ich und mein Team den physischen Abguss der Knie aus Silikon. Das gleiche machen wir mit dem Stamm. Im weiteren Verlauf vergrößern wir diese realen Abgüsse, verformen sie. Es ist ein komplexer Prozess von Dopplung, Spiegelung, der Untersuchung von Oberflächen.“

Kaari Upson

Nevin Aladağ: Resonanzraum, Mannheim

Für die Ausstellung „Umbruch“ konzipierte Nevin Aladağ ein Musikzimmer, in Anlehnung an eine Arbeit, die sie 2017 für die documenta 14 in Athen schuf. In der Kunsthalle Mannheim wird ein ganzer Raum zum Resonanzkörper für die Musik von ortsansässigen Musikern. Aladağ setzt im „Resonanzraum, Mannheim“ bewusst auf Akteure aus der Quadratestadt und deren verschiedenen Migrationshintergründe, die hier zusammenkommen:

„Mannheim ist geprägt von vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen seiner Bürger. Ein chrakteristisches Beispiel ist die hiesige Musikszene, die sich genau durch diese Vielfalt und unterschiedliche Energien geformt hat und sie nach außen sichtbar und hörbar macht.“

Nevin Aladağ

Im „Resonanzraum“ sind eigens für die Ausstellung angefertigte Instrumente in die vier Ecken des Raumes integriert: ein abstrahiertes Cello, eine Harfe in Form einer Leier, eine Eck-Trommel und trichterförmig angeordnete Glocken. Der Boden des Raumes besteht aus einem Teppich, der farbenfrohe orientalische Motive und langweilige deutsche Auslegeware kombiniert – ein Aufeinandertreffen der Kulturen. Die Instrumente werden während der Laufzeit der Ausstellung von professionellen Musikern zum Klingen gebracht. Die Künstlerin lässt den Musikern dabei viele Freiheiten:

„Die Musiker sollen versuchen, so viele Instrumente wie möglich zu aktivieren. Sie können sich völlig frei im Raum bewegen und sind nicht an ein Instrument gebunden. Die Virtuosität der Musiker kommt so zum Ausdruck“.

Nevin Aladağ

Hu Xiaoyuan: Spheres of Doubt

„Spheres of Doubt“ ist eine Werkserie, die Hu Xiaoyuan für die Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim modifizierte. Grundlegende Elemente der Arbeit sind Stahl und Seide. Der Stahl stammt zum einen von illegalen Bauten von Wanderarbeitern, die von der Stadtverwaltung von Peking abgerissen wurden. Zum anderen sammelte Hu auch Stahl von einem abgebrannten Baumarkt, von dem vermutlich Materialien für die Behausungen der Wanderarbeiter stammten. Die Seide hatte Hu im Hof ihrer Eltern selbst den Elementen ausgesetzt: Neben Wind, Sonne, Regen und Schnee hatte sie auch Tiere angelockt, die ihre Spuren an der Seide hinterlassen sollten.

Hu Xiaoyuan erschafft aus den Materialien fragile Skulpturen, die an die Unterkünfte der Wanderarbeiter in Peking erinnern sollen. Als neue Werkgruppe zeigt sie in der Ausstellung „Umbruch“ verschiedene Gegenstände, die sie in Seide eingenäht hat und hierauf mit Tusche die Zeichen des Verfalls kennzeichnet.

„Diese Materialien sind somit von Zeit und Prozess gekennzeichnet, drücken Transformation, Spannung und Schnelligkeit aus. Ich versuche einen Denkrahmen zu schaffen, in dem sich Zeit und Raum überschneiden.“

Hu Xiaoyuan

Umbruch als Scrollytelling

Wer etwas auf sich hält, so scheint es, setzt als Kulturinstitution seit einiger Zeit auf sogenanntes Scrollytelling, also auf Online-Angebote, bei denen Nutzer von oben nach unten durch Inhalte scrollen können. Bekannte Beispiele sind die Digitorials vom Städel Museum, die mittlerweile auch von weiteren Museen genutzt werden. Es gibt zahlreiche ähnliche Formate, etwa von der Deutschen Digitalen Bibliothek oder von der Museumsplattform von Museum Digital.

Natürlich lassen sich solche Formate auch ohne Schnittstelle zu Sammlungsdatenbanken umsetzen, ganz einfach mit einer WordPress-Website oder mit einem Drittanbieter. Für letzteres hat sich die Kunsthalle Mannheim entschieden; die Institution setzt auf die Open Source Software und Publishing Plattform Pageflow, die in Kooperation mit dem WDR für digitalen Journalismus entwickelt wurde.

Das Scrollytelling-Angebot der Kunsthalle Mannheim bietet nicht nur Informationen zu den beteiligten Kunstakteuren und ihren Werken. Auffällig ist, dass hier auch Johan Holten sehr präsent ist. Er nutzt das Format ganz offensiv dazu, sich inhaltlich als Kurator zu positionieren und auch, um sich als Direktor dem Kunsthallen-Publikum noch einmal persönlich vorzustellen. Er lässt keinen Zweifel an seinen Plänen:

„Ich möchte mit der Ausstellung UMBRUCH ein neues Kapitel in der Geschichte der Kunsthalle Mannheim aufschlagen.“

Johan Holten

Umbruch

Kunsthalle Mannheim
17.07.-18.10.2020

musermeku dankt der Kunsthalle Mannheim für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Fotos: Angelika Schoder – Kaari Upson: Mother’s Legs – Kunsthalle Mannheim, 2020


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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