[Pressereise] In den vergangenen Jahren hat die Fondation Beyeler ihre großen Ausstellungen vor allem hochkarätigen (und nicht gerade unumstrittenen) Männern der Kunstwelt gewidmet: Gauguin im Jahr 2015, Baselitz und Balthus 2018 oder vor kurzem erst Picasso. Dabei waren es neben diesen Blockbustern besonders die Ausstellungen von Künstlerinnen, die in der jüngsten Vergangenheit als besonders bemerkenswert herausstachen, allen voran die Ausstellungen zu Marlene Dumas im Jahr 2015 und zu Roni Horn im Jahr darauf. Endlich stellt die Fondation Beyeler nun wieder Künstlerinnen in den Fokus, und zwar in einer abwechslungsreichen Gruppenausstellung. In „Resonating Spaces“ sind Arbeiten von Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz und Rachel Whiteread zu sehen, die in ihren Werken aus verschiedenen Perspektiven eine Idee von Raum und Raumempfinden verbindet.
Räume zwischen Erkennbarem und Flüchtigem
Kuratorin Theodora Vischer hat mit „Resonating Spaces“ eine spannungsgeladene und einfühlsame Ausstellung in der Fondation Beyeler konzipiert, die sich auf wichtige zeitgenössische Künstlerinnen konzentriert. Im Fokus stehen Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz und Rachel Whiteread. Klanginstallationen treffen in der Ausstellung auf Skulpturen, einer immersiven Raumgestaltung werden Zeichnungen gegenübergestellt. Erstmals sind die fünf Künstlerinnen in einer gemeinsamen Gruppenausstellung zu sehen, zu der jede exemplarische Werke ausgewählt oder neu konzipiert hat. Im Vordergrund steht dabei nicht der Raum als thematischer Zugang, sondern die Veranschaulichung von fünf ganz heterogenen künstlerischen Positionen und bestimmter Ideen, die sich mit der Empfindung von Raum auseinandersetzen.
Spuren: Toba Khedoori (*1964)
Die gebürtige Australierin, die heute in Los Angeles lebt, schafft seit Mitte der 1990er großformatige Zeichnungen mit Grafit und Ölfarbe. Im Zentrum ihrer Werke stehen nicht näher definierte Raumsituationen, die meist durch architektonische oder räumliche Fragmente angedeutet werden. Ihre jüngeren, farbige Arbeiten sind im Gegensatz dazu nicht nur kleinformatig, sondern zeigen auch einen veränderten Fokus: Bildobjekte werden hier so stark aus der Nähe betrachtet, dass die Motive vom figurativen fast ins abstrakte gleiten. Auch hier entsteht wieder ein undefinierter Raum, der weniger die Realität abbildet und eher auf seine eigene Art Assoziationen beim Betrachter hervorruft.
„Nicht nur die Zeichnung, auch die Bildmotive selbst sind konstituierender Teil der Kunst von Toba Khedoori. So unvermittelt sie erscheinen mögen, so gezielt ist ihre Auswahl. Das Gitter, das Netz, das Seilknäuel oder das Unterholz, alle sind in einer gewissen Weise durchlässig und offen für Störungen, Veränderungen – und für unsere Projektionen.“ [1]
Kuratorin Theodora Vischer über Toba Khedoori
Wandlungsfähigkeit: Leonor Antunes (*1972)
Im Zentrum der Arbeit der gebürtige Portugiesin, die heute in Berlin lebt, steht die Wandlungsfähigkeit von Skulptur im Raum. Ihre Formensprache bezieht sich dabei auf Persönlichkeiten aus Design, Architektur und Kunst des 20. und 21. Jhd., etwa Franca Helg (1920–1989) oder Franco Albini (1905–1977). Antunes verarbeitet in ihrer Auseinandersetzung mit den Persönlichkeiten dabei nicht nur deren soziale und historische Hintergründe, sondern konzentriert sich auch auf die Frage nach materiellen Eigenschaften und strukturellen Kompositionen. Aus verschiedenen Materialien entstehen so neuartige Formen, die Elemente von Möbeln oder auch architektonische Konzepte übernehmen und sich im Spannungsfeld zwischen linearen, geometrischen oder organischen Strukturen bewegen.
Extra für „Resonating Spaces“ schuf Antunes auf diese Weise eine Rauminstallation, die sich auf die Bauhaus-Künstlerin Anni Albers (1899-1994) bezieht. Es ist eine Installation, in der eine Bodenarbeit aus Linoleum auf hängende Skulpturen aus Röhren oder Netzen aus Metall, Holz oder Leder trifft, die sich zu einem immersiven Gesamteindruck verbinden.
„Minimal und reduziert in der Gesamtform, prononciert im Detail werden die einzelnen Skulpturen [… von Leonor Antunes] zu Akteuren im Raum, sobald man ihn betritt und durchwandert. Die Choreografie der Werke schafft eine labile Ordnung im Raum, die in Bewegung gerät, sobald man selbst den Raum betritt, seine Position verändert und damit ein nicht vorhersehbares Spiel an Möglichkeiten auslöst.“ [2]
Theodora Vischer über Leonor Antunes
Leerstellen: Silvia Bächli (*1956)
Die in Basel lebende Badenerin ist in einem Ausstellungsraum stets auf der Suche nach dem „Klang“ ihrer Zeichnungen im Raum. Die Raumdimension, die Struktur und die Lichtverhältnisse spielen bei ihren Überlegungen eine wichtige Rolle. Entsprechend verbindet sie ihre Werke zu Ensembles, die mit dem Raum in Bezug stehen. Der Fokus in Bächlis Arbeiten sind Linien, die sich zu Bündeln und Netzen verbinden oder im Raum zu schweben scheinen. Ihre Inspiration sind alltägliche Beobachtungen und Begegnungen, aber auch Erinnerungen, die beim Betrachter ganz eigene Assoziationen anregen.
„Der Gegenstand [in Silvia Bächlis Werken] tritt ganz zurück, Träger der Darstellung werden der Strich und die Linie, die – derart verselbständigt – zu neuen abstrakten Formulierungen finden […]. Es sind Markierungen und Notationen voller Bewegungen, ohne Anfang und Ende, deren prozesshafte Qualität in der Installation unmittelbar erlebbar wird.“ [3]
Theodora Vischer über Silvia Bächli
Klänge: Susan Philipsz (*1965)
Um das Wechselspiel von Klang und Architektur geht es in den Arbeiten der Schottin, die heute in Berlin lebt. Die Fondation Beyeler präsentiert in der Ausstellung „Resonating Spaces“ zwei Klangskulpturen von Philipsz. Im Foyer des Museums umfängt den Besucher das Werk „Filter“ (1998). Erstmals präsentiert wurde die Installation in einem Busbahnhof in Belfast. Sie besteht aus vier Popsongs, die Philipsz allein mit ihrer Stimme aufgenommen hat, ohne Begleitinstrumente oder technische Nachbearbeitung: „Who Loves the Sun“ von The Velvet Underground, „Airbag“ von Radiohead, „Jesus Dont’t Want Me For a Sunbeam“ von The Vaselines und „As Tears Go By“ von den Rolling Stones. Als würde sie nur für sich allein singen, wirkt die Klanginstallation auf den Ausstellungsbesucher persönlich und vertraut.
Neben dieser älteren Arbeit steht die neue Soundskulptur „The Wind Rose“, die inspiriert wurde durch die Darstellung von Wind in Architektur, Bildender Kunst und Literatur. Philipsz bezieht sich vor allem auf die Weltkarte „Typus universales“, die 1550 in Basel veröffentlicht wurde. Hier sind die Erdteile und Ozeane von zwölf Windköpfen umgeben, denen die Künstlerin je einen eigenen Ton zuordnet, zum Klingen gebracht durch Meeresschnecken aus verschiedenen Erdteilen. Im Ausstellungsraum ist jedem der 12 Töne ein eigener Lautsprecher zugewiesen, sodass beim Durchschreiten des Raumes ein ungewöhnlich dreidimensionales Klangerlebnis entsteht.
„Die Klanginstallationen von Susan Philipsz erlebt man […] in einem leeren Raum, in dem allenfalls die Lautsprecher sichtbar sind. Doch im Erleben des Werks füllt sich der Raum, der Rhythmus des Klangs und seine Verteilung im Raum formen eine Art immaterielle Skulptur und erzeugen Bilder, die nicht sichtbar, aber präsent sind.“ [4]
Theodora Vischer über Susan Philipsz
Erinnerungen: Rachel Whiteread (*1963)
In der Fondation Beyeler zeigt die in London lebende Britin eine Skulptur und sechs Reliefs aus Papiermaché. Positioniert sind die Arbeiten vor dem Gemälde „Passage du Commerce-Saint-André“ (1952–1954) von Balthus (1908–2001), das sich als Dauerleihgabe im Museum befindet. Das Bild dient der Künstlerin als Ausgangspunkt für ihre Skulpturen, die sie im Abgussverfahren herstellt. Sie konzentriert sich dabei auf Innen- und Zwischenräume oder die Umgebung, gewissermaßen auf die Leerräume des Alltags. Neben den Papiermaché-Arbeiten, die sich auf die Fenster der hinteren Fassade aus dem Balthus-Gemälde beziehen, ist die schwarze Gipsskulptur „Closet“ in der Ausstellung zu sehen. Sie verweist auf eine frühere Skulptur der Künstlerin, ein Schlüsselwerk ihres Schaffens.
„Die Skulpturen [von Rachel Whiteread] ahmen als eine Art Negativgüsse ihre vertraute Hülle nach und stehen gleichzeitig als merkwürdige Fremdkörper im Raum. Sie zeigen das Innere eines Modells nach aussen gekehrt und bleiben als Skulptur doch undurchdringlich, fremd, ein potenzielles Gefäss für Erinnerungen, Assoziationen und Spekulationen.“ [5]
Theodora Vischer über Rachel Whiteread
Der Begleitband zur Ausstellung “Resonating Spaces. Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz, Rachel Whiteread. 5 Annäherungen“, herausgegeben von Theodora Vischer für die Fondation Beyeler, ist 2019 im Hatje Cantz Verlag erschienen (ISBN: 978-3-7757-4646-5). Der Band enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und Biografien der Künstlerinnen, auch Gespräche mit der Kuratorin bzw. im Fall von Toba Khedoori Passagen aus Büchern, die ihr wichtig sind.
Resonating Spaces
Fondation Beyeler
06.10.2019 – 26.01.2020
musermeku dankt der Fondation Beyeler für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Angelika Schoder – Leonor Antunes, Raumansicht in der Fondation Beyeler, 2019
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Theodora Vischer: Resonating Spaces. Eine Einführung. In: Resonating Spaces. Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz, Rachel Whiteread. 5 Annäherungen, Hg.v. Theodora Vischer für die Fondation Beyeler, 2019. S. 7
[2] Ebd. S. 8
[3] Ebd. S. 8f
[4] Ebd. S. 6
[5] Ebd. S. 7
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