Vom Selbstportrait bis zum MuseumSelfie Day

Schon seit einigen Jahren wird im Januar der „International Museumselfie Day“ begangen. Kein Wunder, dass Museen diesen Social Media Trend aufgreifen…

Schon seit einigen Jahren wird im Januar der „International Museumselfie Day“ begangen. Kein Wunder, dass Museen diesen Social Media Trend aufgreifen...

[Debatte] Schon seit 2014 wird immer im Januar der „International Museumselfie Day“ begangen. In Sozialen Netzwerken finden sich unter dem Hashtag #MuseumSelfie (auch außerhalb des #MuseumSelfieDay) zahlreiche Fotos von Museumsbesuchern von und mit Kunstwerken. Ein Selfie ist kein Blick in den Spiegel, kein flüchtiger Moment, der allein einem selbst gehört. Das eigene Bildnis wird hier für die Öffentlichkeit dauerhaft festgehalten. Man zeigt sich dem Betrachter in einer inszenierten Pose und wird auch selbst zu seinem eigenen Publikum, denn Modell, Künstler und Betrachter sind hier eins. Diese Dynamik funktioniert auch im Zusammenspiel mit Kunst in Museen – und ist mittlerweile selbst Gegenstand von Ausstellungen geworden.


Vom Selfie zum MuseumSelfie

Das Wort selfie – übrigens Oxford Dictionaries Word of the Year 2013 – wird dort definiert als:

„[A] photograph that one has taken of oneself, typically one taken with a smartphone or webcam and uploaded to a social media website“.

Oxford Dictionaries: selfie

Gemäß des Oxford Dictionaries Blog trat das Wort erstmals 2002 in einem australischen Onlineforum in Erscheinung. Im Jahr 2013 entwickelte es sich schließlich von einem Social Media Buzzword zu einer weit verbreiteten Kurzform für ein fotografisches Selbstporträt.

Kulturkenner haben längst das #shelfie für sich entdeckt – ein Foto der Lieblingsliteratur im Bücherregal – oder eben das MuseumSelfie, ein Selbstporträt im Museum (mit allen möglichen Variationen und Inszenierungen). Für Museen sind diese Art von Selfies eine gute Möglichkeit, um in Social Media auf sich aufmerksam zu machen – entweder, indem man Besucher dazu ermutigt, ein MuseumSelfie anzufertigen und in Sozialen Netzwerken unter Erwähnung des Museums zu teilen, oder indem man direkt ein Selfie als Werbeträger einsetzt.


Selfies und Social Media im Museum

Auch die Kunsthalle Karlsruhe ermutigte Ende 2014 ausgewählte Besucher in der Ausstellung „Degas – Klassik und Experiment“ dazu, von ihrem Smartphone regen Gebrauch zu machen und das eine oder andere MuseumSelfie online zu teilen. Anlässe waren der „Twitter-Salon – Mit Degas in die Nacht“ am 14. November und die erste Kultur-Bloggerreise im deutschsprachigen Raum, die Bloggerreise #kbreise14, zu der die Kunsthalle Karlsruhe vom 28. bis 30. November 2014 gemeinsam mit Basel Tourismus / Art & Design Museums Basel geladen hatte. Das Team des Museums unterstützte die online-affinen Besucher sogar beim Fotografieren, da erklärt wurde, welche Werke in der Ausstellung fotografiert werden dürfen und wo dies aus rechtlichen Gründen, nach Vereinbarung mit den zumeist privaten Leihgebern, nicht möglich ist.

Die Möglichkeit, in der Degas-Ausstellung fotografieren zu können, war ein Angebot, das sicher auch andere Ausstellungsbesucher außerhalb der beiden genannten Events zu schätzen gewusst hätten. Doch üblicherweise waren Fotos in der Ausstellung nicht möglich. Keine optimalen Bedingungen also für MuseumSelfie-Begeisterte.


Fotografieren im Museum ermöglichen

Einige Museen sehen vielleicht den (für Social Media) fotografierenden Besucher „ganz im Homer’schen Sinne als ‚landumirrende[n] Räuber‘, der aus der Orientierungslosigkeit des Netzes eingefallen ist, um die Aura des Originals oder wenigstens die Bildrechte zu plündern“, wie es Cristian Gries in seinem Blogbeitrag „‚Niemand‘ besucht ein Museum“ polemisch schreibt.

Dabei wäre es von Vorteil, wenn Museen dem Fotografie-Bedürfnis ihrer Besucher entgegenkommen könnten. Es wäre z.B. sinnvoll, für Sonderausstellungen ein Hashtag anzubieten und zu Beginn der Ausstellung zu kommunizieren – als Einladung an die Besucher, ihren Ausstellungsbesuch mit Freunden und Bekannten in Sozialen Netzwerken zu teilen (also Förderung von User Generated Content). An dieser Stelle muss vom Museum natürlich kommuniziert werden, wenn Werke aus rechtlichen Gründen nicht fotografiert werden dürfen. Dies würde sicher bei Besuchern auf Verständnis stoßen, wenn man im Gegenzug die Werke kennzeichnet, die gerne fotografiert und in Sozialen Netzwerken geteilt werden dürfen. Ein Hinweis wie „Wir laden Sie dazu ein, Werke mit diesem Symbol … zu fotografieren und unter dem Hashtag #… zu teilen.“ würde sicher viele Besucher ansprechen und dem Museum so kontinuierlich mehr Reichweite in Social Media ermöglichen.

Ein Hashtag zu jeder Sonderausstellung würde darüber hinaus dem Museum ein Monitoring dazu ermöglichen, was über die Ausstellung veröffentlicht wird. Denn man muss davon ausgehen, dass Social Media Nutzer ohnehin kommunizieren, wo sie sind und was sie erleben – und wenn sie über eine Ausstellung kommunizieren, ist es für das Museum sicher von Interesse, davon zu erfahren. Auf die via Hashtag aufgespürte Kritik oder auf Lob kann dann vom Museum reagiert werden – eine Art der Interaktion, die Kundenbindung schafft.

Die Kennzeichnung von Werken, die fotografiert werden dürfen, sensibilisiert zudem dafür, dass manches aus rechtlichen Gründen nicht fotografiert werden darf. Im Notfall machen Besucher in Ausstellungen nämlich trotz Fotografieverbot heimlich Fotos und teilen diese im Netz – ohne dass das Museum davon Kenntnis erlangt. Eine Kennzeichnung von fotografierbaren Werken würde wahrscheinlich die Gefahr reduzieren, dass Fotos der Werke im Netz landen, die dort nicht sein dürfen. Statt dessen können Werke, die bereits gemeinfrei sind und für die es keine Auflagen seitens der Leihgeber gibt, für ein MuseumSelfie genutzt werden.


Das Selbstbildnis im Museum

Selfies werden nicht nur von Museumsbesuchern für Instagram, Facebook & Co. erstellt, sondern haben mittlerweile auch ihren Weg in Ausstellungen gefunden – als Kontrapunkt zum künstlerischen Selbstbildnis. Kann ein #MuseumSelfie also auch ein Selbstportrait eines Künstlers sein – ein Selfie, das in einem Museum ausgestellt wird? Diese Frage kam anlässlich der Ausstellung „Ich bin hier! Von Rembrandt zum Selfie“ auf, die vom 31. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016 in der Kunsthalle Karlsruhe gezeigt wurde. Die Ausstellung thematisierte das Phänomen Selbstbildnis im Laufe von sechs Jahrhunderten und in verschiedenen Medien.

Ergänzend zur Ausstellung, die im Rahmen des von der EU mit 200.000 Euro geförderten Projektes „Ich bin hier. Europäische Gesichter“ in Kooperation mit dem Musée des Beaux-Arts de Lyon und den National Galleries of Scotland in Edinburgh durchgeführt wurde, stellte auch das Begleitprogramm die „Abbildung des Ich“ in den Mittelpunkt. Hierzu zählte u.a. das Projekt „FLICK_EU“, das auf dem „Flick_KA“ des ZKM – Zentrum für Kunst und Medien aus dem Jahr 2007 basierte. Hier wurde eine „europäische Porträtgalerie“ von Menschen aus den drei Ausstellungsorten Karlsruhe, Lyon und Edinburgh kreiert.


Selfies und „Selfieness“

Das Selfie im Bezug zum Selbstportrait beschäftigte auch die Wissenschaft. Die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG) bot in Kooperation mit der Kunsthalle Karlsruhe daher begleitend zur Ausstellung „Ich bin hier!“ im Wintersemester 2015/16 ein Seminar mit dem Titel „Selfieness“ an. Durchgeführt wurde die Veranstaltung von Maria Männig, damals Lehrbeauftragte für Kunstwissenschaft an der HfG und Chefredakteurin und Mitherausgeberin der NEUEN kunstwissenschaftlichen Forschungen.

Das Seminar widmete sich, ausgehend vom Phänomen des Selfies, der digitalen Kultur und zwar auf drei Ebenen, wie Maria Männig erklärt: „Im Seminar befassen wir uns mit Grundlagentexten zur Netzwerkkultur. Die Theorie wird mit kunsthistorischen Fragestellungen rund um das Selbstporträt als Erfindung der Neuzeit und seiner medialen Erweiterung und Verfügbarkeit für alle in der Gegenwart kurzgeschlossen. Die dritte Ebene betrifft die digitale Praxis. Die Studierenden sollten in inhaltlicher Verknüpfung zum Seminar verschiedene Social-Media-Kanäle ausprobieren.“

In der Lehrveranstaltung sollten „klassisch kunsthistorische“ Fragestellungen mit aktuellen Debatten kombiniert werden. „Damit will ich zeigen, dass gegenwärtige Phänomene das Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses sind. Zugleich hilft ein historischer Vergleich, Einzelerscheinungen zu differenzieren“, so Männig. Der Praxisteil, also die Arbeit mit sozialen Medien, war Männig dabei besonders wichtig, um zu einer Auseinandersetzung und der kritischen Reflexion anzuregen. „Wir besuchen die Ausstellung selbstverständlich, und zwar ganz im Sinne des etwas angestaubten kunsthistorischen Lehrveranstaltungsformats der sogenannten ‚Übungen vor Originalen’“, betont Männig.

Eine etwas andere Herangehensweise an das Phänomen des #MuseumSelfie.


Header-Bild: Detail aus: Portrait of a Girl Dressed in Blue, Johannes Cornelisz. Verspronck (1641) – Rijksmuseum, SK-A-3064Public Domain – bearbeitet von Angelika Schoder, 2018


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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