[Debatte] In den letzten Monaten waren die Mitglieder der Letzten Generation nicht nur im öffentlichen Straßenraum immer wieder aktiv, um mit Protestaktionen auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Auch in einigen Museen fanden wiederholt Aktionen statt, bei denen Tomatensuppe, Kartoffelbrei oder Kleber zum Einsatz kamen, um reichweitenstarke Berichterstattung hervorzurufen. Nun kann man darüber diskutieren, ob insbesondere das Beschmieren oder das Ankleben an Kunstwerken die Botschaft für entschlossenen Klimaschutz richtig transportiert. Am Ende ging es in der öffentlichen Debatte (und in der Rechtssprechung) jedenfalls meist eher um die Frage nach der Gefährdung von Kunstwerken und nicht darum, worum es eigentlich gehen sollte: um eine zielführende Debatte über die Gefährdung des Lebens auf unserem Planeten. Zum Internationalen Museumstag 2023, der in Deutschland am 21. Mai begangen wurde, verfolgte die Letzte Generation im Hinblick auf Museen vielleicht deshalb nun einen neuen Ansatz: Statt auf umstrittene Stör- und Protestaktionen setzte man diesmal auf eine Kooperation zusammen mit den Museen.
„Aufgabe von Museen ist der Erhalt und die Pflege von Kulturgütern für die künftigen Generationen. Beides ist auf einem toten Planeten nicht vorstellbar. Es ist für uns darum ganz klar, am Internationalen Museumstag die Klimakatastrophe zu thematisieren und wir haben hierzu die Letzte Generation eingeladen. Wir wollen dabei nicht übereinander, sondern miteinander reden.“
Johannes Berger, ICOM Deutschland Young Professionals
Museen können nicht neutral sein
In Anbetracht von Protestaktionen durch Aktionsgruppen wie Just Stop Oil, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation, die in diversen Museen der westlichen Welt in den letzten Jahren durchgeführt wurden, musste man sich irgendwann schon fragen, warum die Kulturinstitutionen von Aktivisten offensichtlich als Verbündete problematischer Strukturen gesehen werden und nicht als Orte, an denen einvernehmlich eine mögliche Lösung zum Thema Klimaschutz diskutiert werden kann. Ein Grund dafür kann eine fehlende Positionierung zum Thema seitens der Museen sein. Diese ist aber notwendig, um als Institution zu einem glaubhaften Raum für einen sinnvollen Diskurs zu werden.
Die Debatte um eine gesellschaftliche und auch politische Positionierung von Museen ist dabei nicht neu. Bereits 2017 starteten die Kunsthistorikerin La Tanya Autry und der Museumsexperte Mike Murawski in den USA die Kampagne „Museums are not neutral“. Der Ansatz hinter der Aktion: Museen haben das Potenzial, relevante, sozial engagierte Orte in unserer Gesellschaft zu sein und einen positiven Wandel zu bewirken. Das kann jedoch nicht gelingen, solange sie sich jenseits von politischen und sozialen Themen verorten, die unser Leben beeinflussen. Denn auch eine fehlende Positionierung zu einem Thema ist am Ende eine politische Aussage. Insofern kann man sagen, dass Museum niemals neutral sein können. Wer sich nicht positioniert, dem wird eine Rolle zugewiesen. Und das könnte an Ende eine Rolle sein, die man als Institution nicht zugewiesen bekommen möchte.
Protest verhindern statt Dialog ermöglichen?
Wie Frank Kurzhals im Handelsblatt-Artikel „Museen im Krisenmodus“ bereits Ende 2022 betonte, wird es in Bezug auf die Wahrnehmung von Museen in der Debatte um Klimaschutz nicht ausreichen, nur darauf hinweisen, dass man als Institution ab jetzt fleißig Energie sparen, weniger heizen und Vitrinen wieder verwenden werde. Es braucht mehr als einen Leitfaden „Klimaschutz im Museum“ zu ökologische Mindeststandards, wenn Museen als relevante Akteure in dieser gesellschaftlichen Debatte wahrgenommen werden möchten. Zunächst bekam man aber den Eindruck, dass einige Museen keinesfalls beabsichtigten, sich am Diskurs zu beteiligen – oder einen Raum dafür zu schaffen. Statt dessen dachte man erstmal darüber nach, wie man sich gegen die Klimaproteste schützen könnte.
Das Museum Barberini schloss nach einem Protest-Vorfall im Oktober 2022 zunächst für einige Tage, um sich mit anderen Museen zum weiteren Vorgehen auszutauschen. Als Ergebnis gab die Institution bekannt, man werde zur Verhinderung weiterer Protestaktionen in Zukunft keine Jacken oder Taschen mehr in den Ausstellungsräumen zulassen. Besuchende werden dazu verpflichtet, alles an der Garderobe abzugeben oder in Schließfächern zu deponieren. (In den Institutionen der Staatlichen Museen zu Berlin ist diese Vorgabe für Besucher übrigens bis heute aktiv.)
Auch ICOM Schweiz und der Verband der Museen der Schweiz haben noch Ende 2022 eine Empfehlung erarbeitet, um Museen in der Überprüfung der internen Vorkehrungen zu unterstützen, um bei Protestaktionen gewappnet zu sein. Zum einen konzentrieren sich die Empfehlungen auf den Umgang mit Anfragen von außen, etwa von Medien oder Behörden. Zum anderen wird aber auch empfohlen, Medienschaffende dafür zu sensibilisieren, „politisch motivierten Vandalismus-Aktionen keine Plattform zu bieten, um Nachahmungen möglichst zu vermeiden“. Das ist natürlich ein eher unglücklicher Ansatz, der sicher weder bei den Medien großen Anklang finden wird, noch dazu beitragen kann, Kulturinstitutionen als Räume zu zeigen, in denen über gesellschaftliche Fragen diskutiert werden kann. Weil aber genau letzteres für immer mehr Museen ein wichtiges Anliegen ist, wird von einigen Häusern nun nach konstruktiven Lösungen gesucht, dies zu ermöglichen.
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„Kulturgutschutz und Klimaschutz gehören zusammen, daher setzt sich auch die Hamburger Kunsthalle als Museum für diese Themen ein. […] Wir möchten einen Raum für wichtige gesellschaftliche Debatten rund um den Klimaschutz zur Verfügung stellen.“
Dr. Anja Gebauer, Mitarbeiterin der Abteilung Bildung & Vermittlung der Hamburger Kunsthalle
Nachhaltigkeit als Thema
Tatsächlich hat das International Council of Museums (ICOM) das Thema Klimaschutz bereits seit einigen Jahren auf der Agenda. Laut der ICOM-Resolution „On sustainability and the implementation of Agenda 2030, Transforming our World“ von 2019 sollen alle Museen eine Rolle bei der Gestaltung und Schaffung einer nachhaltigen Zukunft spielen, etwa durch Bildungsprogramme, Ausstellungen, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung. Infolge dessen orientiert sich der Internationale Museumstag schon seit 2020 jedes Jahr an den 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen.
In diesem Jahr widmete sich der Internationale Museumstag dem Motto „Sustainability and Well-being“. Hier sollte konkret gezeigt werden, dass Museen einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden und zur nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft leisten können. Dabei ging es auch darum, Museen als „vertrauenswürdige Institutionen“ und zentrale Schnittstellen im sozialen Gefüge zu zeigen, von denen aus positive gesellschaftliche Veränderungen gefördert werden können.
„Wir möchten endlich ins Gespräch kommen. Schon viel zu lange sprechen die Museen immer über die Letzte Generation, nie mit ihnen.“
Dr. Annabelle Hornung, Direktorin des Museum für Kommunikation Nürnberg
Ins Gespräch kommen mit der Letzten Generation
Einige Museen griffen in Veranstaltungen und Vermittlungsprogrammen zum Internationalen Museumstag 2023 das diesjährige Motto aktiv auf; so hatte das Museum für Kommunikation Nürnberg bereits ein Führungs- und Workshop-Programm zum Thema Nachhaltigkeit vorbereitet. Als eines von insgesamt acht deutschen Museen nutzte man darüber hinaus aber auch die Gelegenheit, eine Kooperation mit Akteuren der Letzten Generation einzugehen. Gemeinsam mit ICOM Deutschland Young Professionals, Museums For Future Germany und der Performance-Künstlerin Katharina Haverich wurde ein Konzept für eine Lesung erstellt, die parallel in den beteiligten Museen stattfand: neben dem Museum für Kommunikation in Nürnberg auch in der Hamburger Kunsthalle, im Europäischen Hansemuseum Lübeck, im Museum Ludwig Köln, im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, im Deutschen Hygienemuseum Dresden, im Zeppelin Museum Friedrichshafen und in der Kunsthalle Rostock.
Unter dem Motto „Ohne Klimaschutz kein Kulturgüterschutz“ wurden hier Texte vorgetragen, die sich mit verschiedenen Formen des Protests beschäftigen, von der US-amerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks über die Proteste durch Pussy Riot in Russland bis hin zu den aktuellen Protesten gegen das Regime im Iran. Doch auch ein Essay von Friedemann Karig zum Protest der Letzten Generation wurden vorgelesen, ebenso wie Auszüge aus „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ von Toralf Staud und Nick Reimer.
Im Anschluss bot sich die Gelegenheit, mit den Beteiligten der Letzten Generation vor Ort ins Gespräch zu kommen. In einigen der beteiligten Museen gab es ergänzend Mitmach-Aktionen, so konnten im Museum für Kommunikation in Nürnberg zum Beispiel Wünsche für die Zukunft an einem „Wunschbaum“ hinterlassen werden. Zudem wurde in manchen Museen eine Videoinstallation gezeigt, die die mediale Resonanz auf die Aktionen der Letzten Generation zusammenfasste und zu Diskussionen anregen sollte: Unterstützt man diese Form der Proteste oder nicht? Was könnte man anders machen – oder muss sogar noch mehr protestiert werden?
In jedem Fall waren die Aktionen zum Internationalen Museumstag 2023 nicht nur eine Möglichkeit für das Museumspublikum, in den Austausch mit den Aktivisten zu treten. Auch für die Museen selbst bot sich die Gelegenheit zum Dialog: „Schon viel zu lange sprechen die Museen immer über die Letzte Generation, nie mit ihnen“, betont Dr. Annabelle Hornung, Direktorin des Museum für Kommunikation Nürnberg. „Wenn wir uns aber als Institution als Bildungs- und Kommunikationsort sehen, dann ist doch der Dialog der erste Schritt. Das Miteinander-, nicht übereinander-Reden.“ Sie räumt ein, dass dieser Dialog längst überfällig sei, denn die Fronten seien schon in der öffentlichen Wahrnehmung sehr verhärtet. „Die Letzte Generation spricht vom ‚Kipppunkt‘ bezüglich der Klimakrise – aber wir befinden uns auch an einem Kipppunkt bezüglich der Kommunikation und der Bereitschaft des Miteinander-ins-Gespräch-Kommens“, so Hornung. „Was in den nächsten Monaten im Austausch zwischen Aktivist*innen, Politik, Wissenschaft und eben auch Kultur passiert, ist entscheidend. Denn wir wissen ja, Klimakommunikation, das Sprechen über den Klimawandel und über gemeinsam Lösungen, ist einer der wichtigsten Schritte die Krise aufzuhalten – danach muss die Politik handeln“, so die Museumsdirektorin.
„Ich bin froh, dass alle Beteiligten den Mut und das Vertrauen gefunden haben, sich über Differenzen hinweg die Hände zu reichen und gemeinsam auf die Unignorierbarkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen. Denn das Feuer des Klimanotfalls macht vor Kunst und Kultur, macht vor Museen nicht halt.“
Irma Trommer, Letzte Generation
Gemeinsam Bewusstsein schaffen
Der Impuls für eine gemeinsame Aktion mit der Letzten Generation zum Internationalen Museumstag 2023 kam aus dem Netzwerk ICOM Young Professionals und von Museum For Future Germany. Die AG Klimaschutz und Nachhaltigkeit des Deutschen Museumsbunds agierte dann als Vermittler und lud Museen dazu ein, sich zu beteiligen. Die weiteren Absprachen zwischen allen Akteuren seien dann ganz unkompliziert verlaufen, berichtet Irma Trommer von der Letzten Generation. Mit sechs der insgesamt acht beteiligten Institutionen sei man für die Aktion zum ersten Mal in Kontakt gewesen; mit dem Deutschen Hygienemuseum Dresden und mit der Hamburger Kunsthalle bestand aber schon im Vorfeld Kontakt.
Wobei dieser Kontakt in der Vergangenheit nicht ganz so geplant verlief wie nun zum Museumstag. So wurde die Hamburger Kunsthalle im März 2023 zunächst unfreiwillig zum Schauplatz einer Aktion der Letzten Generation. Damals wurde von zwei Aktivistinnen im Caspar David Friedrich-Saal eine Plakatversion des Gemäldes „Wanderer über dem Nebelmeer“ auf den Boden gelegt und mit Asche bestreut. Ursprünglich war wohl geplant, das Originalbild mit dem Plakat zu überkleben, das den Wanderer vor einer brennenden Landschaft zeigte. Diese Pläne wurden aber vom Wachpersonal des Museums verhindert, woraufhin die Aktion spontan abgewandelt wurde.
Beim Internationalen Museumstag 2023 lief in den Museen hingegen alles wie besprochen. „Wäre es zu Straftaten gekommen, könnten wir leider nicht weiter kooperieren. Jetzt aber können wir uns zukünftige Kooperationen vorstellen“, so Dr. Annabelle Hornung, die Direktorin des Museum für Kommunikation Nürnberg. Auch die Letzte Generation ist an einem weiteren Austausch interessiert, betont Irma Trommer: „Wir freuen uns sehr auf weitere Zusammenarbeiten. Die Dringlichkeit der Lage wird von allen Beteiligten verstanden. Ich bin mir sicher dass es weitere Kooperationen geben wird und das gibt mir Mut.“
Natürlich verfolgen auch die Museen selbst weiterhin Maßnahmen zum Klimaschutz. In Hamburg wurde dazu bereits im August 2022 das Projekt „Elf zu Null – Hamburger Museen handeln“ ins Leben gerufen. Hier kooperieren elf Museen aus Hamburg, unter anderem auch die Hamburger Kunsthalle, mit dem bundesweiten Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, gefördert durch die Behörde für Kultur und Medien Hamburg. Ziel des Projekts ist es, die Nachhaltigkeitstransformation in den Hamburger Museen langfristig voranzubringen. Auch in Nürnberg ist der Klimaschutz ein zentrales Thema, wobei man hier Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet, entsprechend der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. So nimmt das Museum für Kommunikation auch Aspekte wie Frieden, Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeit in den Fokus seiner Nachhaltigkeitsstrategie.
Auch andere Institutionen im Museumsbereich gehen ähnliche Wege. Und wenn sich diese Wege in Zukunft wieder mit der Letzten Generation kreuzen sollten, muss es nun nicht mehr auf ein Krisenszenario hinaus laufen, sondern kann zu einem konstruktiven Dialog werden.
Bilder: Angelika Schoder – Hamburger Kunsthalle, 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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