[Pressereise] „Kannst du etwas erschaffen, das dir noch nach deinem Tod ordentlich Fame bringt?“, fragt der Trailer zur aktuellen Ausstellung des Städel Museum provokant. Dabei ist klar: Anerkennung, Ruhm, eine andauernde und Epochen-übergreifende Berühmtheit, das schaffen natürlich nur die wenigsten Künstler. Einer von ihnen ist Vincent van Gogh (1853-1890). Man spricht bei Ausstellungen seiner Werke gerne von einem „Blockbuster“, ein Ereignis mit garantiertem Publikumserfolg. Doch das Städel Museum will mehr, als nur den „Fame“ des niederländischen Künstlers in den Mittelpunkt stellen. Es geht in der aktuellen Ausstellung „Making Van Gogh“ vielmehr um die Frage, warum der Künstler ausgerechnet in Deutschland so bekannt wurde und welchen Einfluss sein Werk auf deutsche Künstler des 20. Jhd. hatte.
Eine deutsche Liebe
Das Städel Museum und van Gogh verbindet eine lange Geschichte. Bereits im Jahr 1908 wurden für den Aufbau einer modernen Kunstsammlung durch den Städelschen Museums-Verein zwei Werke des Künstlers erworben: das Gemälde „Bauernhaus in Nuenen“ (1885) und die Zeichnung „Kartoffelpflanzerin“ (1885). Drei Jahre später kam das „Bildnis des Doktor Gachet“ (1890) hinzu – ein Werk, das schließlich 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und verkauft wurde. Zahlreiche deutsch-jüdische Sammler van Goghs wurden im Holocaust ermordet oder konnten aus Deutschland fliehen. Ihre Sammlungen wurden zerschlagen und gewinnbringend ins Ausland veräußert, um die Kriegskasse des NS-Regimes zu füllen. Auch das ist ein Aspekt, der in der aktuellen Ausstellung „Making Van Gogh“ nicht unbeachtet bleibt. Das Städel Museum widmet hier dem Künstler eine so umfangreiche Präsentation, wie sie seit fast 20 Jahren nicht mehr in Deutschland zu sehen war. Insgesamt sind es mehr als 120 Gemälde und Arbeiten auf Papier; im Kern 50 zentrale Werke von Vincent van Gogh aus allen Schaffensphasen.
Die Ausstellung „Making Van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe“ geht über den Künstler selbst hinaus und macht auch seine Einflüsse auf andere Kunstschaffende deutlich. Denn die „deutsche Liebe“, die der Ausstellungstitel erwähnt, bezieht sich nicht nur auf das Publikum, das hierzulande seine Sonnenblumen und Selbstportraits liebt. Auch von vielen Künstler-Kollegen wurde van Gogh verehrt; seine Werke dienten als Inspiration etwa für Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Alexej von Jawlensky, Paula Modersohn-Becker oder Gabriele Münter. Um dies zu verdeutlichen, zeigt das Städel Museum in seiner Ausstellung auch 70 Werke von deutschen Künstlerinnen und Künstlern der nachfolgenden Generation.
In drei Abschnitten lässt sich in „Making Van Gogh“ so die Entstehung und Wirkung des „Mythos van Gogh“ in Deutschland nachvollziehen. Dabei geht es um die Fragen, warum van Gogh ausgerechnet in Deutschland so populär wurde, wer sich für sein Werk einsetzte und wie deutsche Künstler sich mit seinen Bildern auseinandersetzten. Das Städel Museum verortet van Gogh dabei als „Schlüsselfigur für die Kunst der deutschen Avantgarde“ und versucht mit der Ausstellung einen neuen Blick auf die Kunstentwicklung in Deutschland zu Beginn des 20. Jhd. zu ermöglichen.
Posthumer Erfolg
Bekanntlich wurde Vincent van Gogh als Künstler zu seinen Lebzeiten kaum wertgeschätzt. Doch nur wenige Jahre nach seinem Tod sollte sich dies ändern. Zu Beginn des 20. Jhd. entdeckten ihn deutsche Galeristen, Kunstsammler und Museumsdirektoren und sorgten dafür, dass seine Arbeiten Verbreitung fanden. Auch der Städelsche Museums-Verein war daran beteiligten, die Bilder van Goghs einem breiteren Publikum in Deutschland zugänglich zu machen. Kein Wunder, dass so auch deutsche Expressionisten den Künstler kennenlernten und seine leuchtenden Farben und ausdrucksstarken Pinselstriche für sich zum Vorbild nahmen.
Forciert wurde der posthume Erfolg van Goghs übrigens durch seine Schwägerin, Johanna van Gogh-Bonger. Sie war mit Vincents jüngerem Bruder Theo verheiratet und erhielt dessen Nachlass nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1891. Johanna begann, von ihrem Wohnort im niederländischen Bussum aus, Kontakte zu Kunstkritikern und Galeristen aufzubauen und platzierte van Goghs Werke auch in Ausstellungen. Ebenso wie ihr Mann Theo, glaubte auch sie an die große Bedeutung der Malerei von Vincent.
Unterstützung erhielt Johanna van Gogh-Bonger vom Berliner Galeristen Paul Cassirer, der bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges in ganz Deutschland insgesamt 15 Ausstellungen mit Werken van Goghs organisierte. Doch auch eine Reihe weiterer Galerien zeigten Arbeiten des Künstlers; so waren in Dresden van Goghs Bilder auch bei Ernst Arnold und Emil Richter zu sehen, oder in München bei Brakl und Thannhauser sowie bei Walter Zimmermann. Eine besondere Stellung nimmt aber die Ausstellung des Sonderbunds Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler ein, die 1912 in Köln stattfand. Sie gilt als die erste Überblicksschau zur modernen Kunst – und im Mittelpunkt stand Vincent van Gogh, dem die ersten fünf Säle der Ausstellung gewidmet waren. Die Schau prägte damit den Eindruck Vincent van Goghs als „Vater der Moderne“.
Van Gogh als Inspirationsquelle
Die Begeisterung für van Gogh war allerdings nicht überall in der deutschen Kunstlandschaft verbreitet. Als die Kunsthalle Bremen im Jahr 1910 sein Bild „Mohnfeld“ erwarb, entwickelte sich eine Diskussion zur „großen Invasion französischer Kunst“. Van Gogh galt für viele als einer der Künstler, dessen Werke den deutschen Kunstmarkt „überfremden“ würden. Die von 123 Künstlerinnen und Künstler unterzeichne Streitschrift „Ein Protest deutscher Künstler“ blieb aber nicht unwidersprochen. Ein halbes Jahr später, im Juni 1911, verteidigten 47 Künstler, 28 Galerieleiter, Schriftsteller und Kunsthändler in der Publikation „Im Kampf um die Kunst“ die internationale Ausrichtung der deutschen Kunstlandschaft. Zu den Unterzeichnern zählten u.a. der Städel-Direktor Georg Swarzenski, aber auch Künstler wie Max Beckmann oder Wassily Kandinsky. Viele betonen van Goghs großen Einfluss auf die jüngsten Künstlergenerationen in Deutschland.
So lieferte van Goghs Werk besonders für diejenigen entscheidende Impulse, die auf der Suche nach künstlerischen und gesellschaftlichen Innovationen waren. Es finden sich Ideen des Künstlers bei verschiedenen Gruppierungen wie der „Brücke“ oder bei den Malern um den „Blauen Reiter“. Einen Blick für diese Zusammenhänge ermöglich das Städel Museum mit „Making Van Gogh“. Die Ausstellung zeigt, dass van Gogh mehr ist, als ein international gefeierter Künstler-Mythos; er kann auch als Wegbereiter der deutschen Avantgarde zu Beginn des 20. Jhd. gesehen werden.
Making Van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe
23.10.2019 – 16.02.2020
Städel Museum
musermeku dankt dem Städel Museum für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Fotos: Angelika Schoder – Making Van Gogh, Städel Museum Frankfurt, 2019
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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