[Liste] In vielen Museen sind Führungen bis heute vor allem durch ein einseitiges Kommunikationsmodell geprägt: Der Guide, jemand aus der Museumspädagogik oder die Kuratorin bzw. der Kurator, vermittelt mehr oder weniger wissenschaftliche Inhalte an eine Gruppe, die meist passiv zuhört. Diese Form der Führung hat nach wie vor ihre Berechtigung, aber Museen sollten darüber nachdenken, ergänzend auch ungewöhnliche, interaktive und multisensorische Führungs-Formate anzubieten. Durch überraschende Angebote in der Kulturvermittlung können neue Zugänge zu den Inhalten geschaffen und verschiedene Lerntypen angesprochen werden. Wir stellen hier einige Führungskonzepte und innovative Ansätze vor, bei denen es sich lohnt sie auszuprobieren.
Performative Führungen: Kultur trifft Theater
Bei performativen Führungen kann das Museum zur Bühne werden, wenn Akteure in eine Rolle schlüpfen und durch die Ausstellung führen. Dabei können historische Kunstschaffende, fiktive Charaktere oder zeitgenössische Interpretationen auftreten. Was in einigen Freilichtmuseen schon erfolgreich umgesetzt wird, zum Beispiel wenn ein „echter Wikinger“ eine Führung macht, kann auch in anderen Museen funktionieren. So könnte zum Beispiel der Guide als ein bestimmter Künstler auftreten und aus seiner Perspektive über einzelne Werke sprechen. Dabei kann es nicht nur um Farben, Formen und Kompositionen gehen, sondern auch um seine Lebenswelt, sein soziales Umfeld und die gesellschaftlichen Einflüsse seiner Zeit.
Alternativ können auch ungewöhnliche Figuren durch das Museum führen, etwa eine Figur aus einem Gemälde oder eine zum Leben erweckte Skulptur. Im Historischen Museum Bielefeld führen bei „Klio und Konsorten“ zum Beispiel Schauspielerinnen und Schauspieler als Figuren aus anderen Zeiten in Theaterszenen durch das Museum. Auch das Staatliche Naturhistorische Museum in Braunschweig bietet Kostümführungen an, von Herzog Carl I. oder Charles Darwin persönlich.
Der direkte, theatralische Zugang aktiviert Empathie bei den Teilnehmenden und kann die Identifikation mit den behandelten Themen verstärken. Die Inhalte im Museum werden so nicht nur erklärt, sondern humorvoll und mitreißend erlebt. Die performative Vermittlung fördert ein immersives Erlebnis und verankert Inhalte durch Emotionen nachhaltiger im Gedächtnis.
Die Führung muss dabei übrigens nicht unbedingt von einem Menschen durchgeführt werden, wie der LVR-Archäologische Park Xanten zeigt. Hier führen unter anderem die Handpuppen Avilela und Rufus durch das Museum, die Kindern zeigen, wie die Römer geschrieben und gesprochen haben und was nach 2.000 Jahren vom Leben aus der Römerzeit noch übrig blieb.
Zeitreise-Führungen: Geschichte erleben
Bei einer Zeitreise-Führung schlüpft nicht nur der Guide in die Rolle einer historischen Figur, sondern alle Besuchenden werden in eine historische Epoche versetzt. Dies kann durch Kostüm, Requisiten, Sprache und interaktive Rollenspiele erfolgen. Diese Form der Führung schafft Immersion; Geschichte wird nicht mehr nur erzählt, sondern gefühlt und performativ erfahrbar. In Kombination mit Reenactments oder musealen Escape-Room-Formaten lassen sich diese Führungen weiterentwickeln. Auch Schulklassen können im Rahmen von Projektwochen eigene historische Szenarien erarbeiten.
Bisher bieten die meisten Museen entsprechende Angebote nur für Kinder an. So können sich im Oberfränkischen Textilmuseum Helmbrechts bei Kindergeburtstagen zum Beispiel die Teilnehmenden als „Weberfamilie“ verkleiden und im Rollenspiel „Ein Tag in der Familie der alten Handwerker“ zu einer Figur aus längst vergangenen Zeiten werden. Das LVR-RömerMuseum bietet hingegen im Workshop zu Römischer Kleidung sowohl Kindern als auch Erwachsenen an, sich fachgerecht in römische Gewänder einkleiden zu lassen und dabei alles Mögliche über die Kleidung der römischen Antike zu erfahren.
Peer-to-Peer-Führungen: Neue Perspektiven auf Museums-Inhalte
Bei diesem Konzept geht es darum, dass Menschen ohne museumsspezifischen beruflichen Hintergrund durch Ausstellungen führen und ihre subjektiven Interpretationen präsentieren. Diese Art der Führungen bieten neue Perspektiven auf die Inhalte im Museum und machen deutlich, dass Kulturvermittlung keine exklusive Aufgabe von Menschen mit akademischer Expertise ist. Das kann Identifikations-Angebote für ein diverses Publikum schaffen und kulturelle Teilhabe fördern. Der Diskurs über die Museums-Inhalte wird so lebendiger, vielstimmiger und inklusiver.
Ein Beispiel sind die Drag-Führungen durch die Hamburger Kunsthalle. Als Guides sind hier wechselnde Drag-Queens und -Kings unterwegs, die eine queere Perspektive auf die Sammlung bieten. Ein anderes Peer-to-Peer-Format der Hamburger Kunsthalle ist „Kunst meets Kommilitonen“, bei dem Studierende der Kunstgeschichte andere Studierende durch das Museum führen.
Diese Art von Führungen können Teil von längerfristigen Bildungsprojekten sein oder in speziellen „Community Days“ angeboten werden. Solche Formate lassen sich zudem auch gut mit Audio- oder Videopodcasts verknüpfen, so dass die Perspektiven dauerhaft im Museum abrufbar bleiben. Über Social-Media-Kanäle könnten Besuchende zudem dazu aufgerufen werden, ihre eigenen Deutungen einzureichen oder zu kommentieren.
Gamification: Spielerisch durchs Museum
Hier geht es darum, Elemente aus Spielen wie Aufgaben, Rätsel, Punkte oder Level in die Museumsführung zu integrieren. Die Gamification fördert dabei ein aktives, entdeckendes Lernen, wobei es nicht nur um die reine Wissensvermittlung geht, sondern auch darum ein emotionales Erlebnis zu schaffen. Das Spielerische fördert dabei vor allem Interpretationsfähigkeit, Kreativität und vielleicht auch Zusammenarbeit im Team.
Besuchende können zum Beispiel über eine App oder analog über Arbeitsblätter im Museum nach verborgenen Hinweisen suchen und Rätsel lösen. Die Veste Coburg bietet zum Beispiel Museums-Rallyes an, bei denen mit einem Klemmbrett und einem Lösungsblatt unter dem Motto „Als Detektiv durch die Kunstsammlungen“ 16 Aufgaben zu diversen Themen in der Sammlung gelöst werden müssen. Mit der Actionbound-App bietet die Veste Coburg außerdem den interaktiven Rundgang „Potzblitz und Pulverdampf“ an, der per Tablet oder App genutzt werden kann. Die App führt an diverse Orte, wo Aufgaben gelöst und Punkte gesammelt werden können.
Zu bestimmten Ausstellungsthemen kann auch ein eigenes Escape Game konzipiert werden. Im Zeppelin Museum in Friedrichshafen wird zum Beispiel das Escape-Room-Game „Die Jagd nach den Zeppelin-Plänen“ angeboten. Im Arbeitszimmer von Graf Zeppelin müssen Besuchende hier das Rätsel seiner geheimen Entwürfe für das legendäre Luftschiff lösen. Dabei müssen antike Möbel im authentisch gestalteten Herrenzimmer des 20. Jahrhunderts durchforstet werden, um Hinweise zu finden. Im Mühlenhof Freilichtmuseum Münster gibt gleich mehrere Escape-Room-Angebote, zum einen „Das Erbe des HanseMann“, bei dem man die Geschäfte des familiären Handelskontor im Münster des Jahres 1497 führen muss, und zum anderen „Die Schmuggler vom Aasee“, bei dem man den Piratenschatz der Seeräuberin Wilma Wickensack suchen muss.
Tast-Führungen: Kultur zum Anfassen
Viele Museen zeigen besondere Skulpturen oder haptisch interessante Objekte. Aber was wäre, wenn man diese Objekte mal auf eine andere Art wahrnimmt? Führungen im Dunklen oder mit verbundenen Augen setzen auf die Aktivierung anderer Sinne und eine Irritation der Wahrnehmung. Entsprechende Werke können in einem abgedunkelten Raum taktil erfahrbar gemacht werden, wenn spezielle Repliken dabei zum Einsatz kommen. Audiobeschreibungen oder Klangcollagen können den Weg durch die Ausstellung begleiten.
Alternativ kann das Publikum mit Augenbinden durch eine Ausstellung geführt werden, während die Guides die Werke beschreiben und Kontexte erzählen. Dabei entstehen innere Bilder, die später mit den realen Werken verglichen werden können. Aktuell bietet zum Beispiel die Hamburger Kunsthalle Dialogische Führungen für Menschen mit und ohne Sehbehinderung an. Die Führungen werden von einem Vermittlungsduo durchgeführt, beteiligt ist jeweils eine sehende Person und ein blinder oder sehbehinderter Guide.
Der Verzicht auf das Sehen kann so neue Blickwinkel auf die Kulturinhalte eröffnen und auch Bewusstsein für alternative Wahrnehmungsweisen fördern. Ergänzen kann man das Angebot durch das Ansprechen weiterer Sinne, zum Beispiel kann man bestimmten Objekten oder Themen Düfte oder Klänge und Musik zuordnen.
Header-Bild: Angelika Schoder – Tate Britain, London 2025
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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