[Ausstellung] Auf rund 4.000 Quadratmetern Fläche will die Ausstellung „Berlin Global“ im Humboldt Forum zeigen, wie die Menschen in der Stadt untereinander und auch mit der Welt verbunden sind. Ganz nach dem Motto „Gestern, heute, morgen: Vieles, was in Berlin passiert, verändert die Welt. Und vieles, was in der Welt passiert, wirkt auf Berlin.“ Verdeutlicht werden soll dies mit viel Interaktivität, Mehrsprachigkeit, einer Fülle an Einzelthemen und technischen Spielereien. Das Ergebnis ist mal mehr und mal weniger gelungen. Eine Ausstellungskritik als Dialog.
Im Zentrum der Kritik
Will man über das Berliner Humboldt Forum schreiben, wird es kompliziert. Auch wenn die Institution erst vor wenigen Wochen eröffnete, zieht sie doch schon seit Jahren Kritik auf sich, angefangen bei der Architektur bis hin zu den Arbeitsbedingungen für die Museumsaufsichten. Selbstverständlich wurde es auch nach der Eröffnung des Humboldt Forums mit der Kritik nicht besser, da ist von „einer einzigen gebäudegewordenen Verantwortungslosigkeit“ die Rede oder vom „preußischen Disneyland“, das eine „Reklametafel für ein neues altes Deutschland“ sei. Ein Berliner Förderverein engagiert sich sogar für den Abriss des Humboldt Forums, damit an seiner Stelle wieder der Palast der Republik errichtet werden kann.
Gefühlt gibt es nichts an Kritik zum Humboldt Forum, das nicht schon geschrieben oder gesagt wurde, weshalb es an dieser Stelle nicht viel Mehrwert bringt, auf das Gebäude oder das Konzept seiner inhaltlichen Gestaltung generell einzugehen. Statt dessen soll es hier um „Berlin Global“ gehen, eine Ausstellung, die vom Stadtmuseum Berlin und Kulturprojekte Berlin konzipiert wurde und die mit zu den Eröffnungsausstellungen des Humboldt Forums zählt.
Eine Ausstellungskritik als Dialog
Wir sind uns oft bei dem Besuch einer Ausstellung in vielen Punkten einig, sei es zur inhaltlichen Umsetzung von Themen oder zur Ausstellungsgestaltung. Was „Berlin Global“ angeht, waren wir aber nicht immer der gleichen Meinung. Daher haben wir uns dazu entschlossen, hier über unsere Eindrücke zu diskutieren.
Angelika: Wenn ich in eine Ausstellung gehe, möchte ich mich normalerweise erstmal auf das Thema einstimmen und irgendwie mit meinen Eindrücken ankommen. Das finde ich bei der Ausstellung „Berlin Global“ im ersten Raum eigentlich sehr gelungen. Die Wände wurden vom Künstlerduo How and Nosm gestaltet, ihr Wandbild mit dem Titel „Weltdenken“ soll die Verbindungen von Berlin mit dem historischen Weltgeschegen verdeutlichen.
Bis man zu diesem ersten Raum gelangt, um sich wirklich auf das Thema einzustimmen, muss man aber erstmal an einem Begrüßungs-Counter vorbei, an dem man eine technische Einweisung in die interaktiven Armbänder bekommt, mit denen man sich dann durch die Ausstellung bewegen kann. Ich habe mich dafür entschieden, ganz analog durch die Ausstellung zu gehen – du hast allerdings das interaktive Armband genutzt. Hatte für dich diese interaktive Komponente einen Mehrwert?
Damián: Der erste Raum an sich ist auf jeden Fall beeindruckend gestaltet. Es hätten mir allerdings nähere Informationen zu vielen Elementen des Wandbilds gefehlt, wenn wir keine Führung gehabt hätten. Das Interaktive mit den Armbändern fand ich ziemlich gut. Es ist zwar nicht unbedingt notwendig, um die Ausstellung zu verstehen, aber es bringt ein spielerisches Element mit ein. Der Zugang zu allen Räumen der Ausstellung hat immer zwei Türen, die jeweils mit einer Aussage überschrieben sind; man muss sich entscheiden durch welche Tür man geht. Diese Entscheidung wird auf dem Armband gespeichert. Hinzu kommen zahlreiche Installationen mit weiteren Fragen, die man beantworten kann. Auch das wird jedes mal gespeichert. Am Ende der Ausstellung bekommt man seine persönlichen Ergebnisse ausgedruckt. Es ist einen Art Test der sozialen Persönlichkeit. Dieses interaktive Element hält einen auch wach während des Ausstellungsbesuchs, wie ich finde.
Der einzige Kritikpunkt für mich hat zu tun mit der Mehrsprachigkeit des Systems. Man bekommt 12 Sprachen zur Auswahl, wenn man das Armband im ersten Raum aktiviert. Die Installationen funktionieren aber nicht immer in allen Sprachen und die Fragen über den Türen sind nur English und Deutsch. Obwohl man seine Ergebnisse am Ende auf der Sprache bekommt, die man ausgewählt hat, kann die zunächst angebotene Sprachvielfalt später zu Enttäuschungen führen, wenn man merkt, dass in der Ausstellung nicht alle Sprachen durchgängig verfügbar sind.
Angelika: Es werden noch Leihgeräte mit einer App angeboten, auf der zentrale Inhalte mehrsprachig und auch in deutscher Gebärdensprache verfügbar sind. Das deckt aber nicht alle Ausstellungsinhalte ab. Ich weiß nicht, ob man das Thema Mehrsprachigkeit in der Ausstellung besser hätte umsetzen können…
Damián: Die Geräte haben wir nicht ausprobiert. Ich finde, man muss loben, dass das Thema Mehrsprachigkeit ernst genommen wurde. Und ich weiß sehr gut wie kompliziert und teuer es ist, so etwas umzusetzen. Es wäre natürlich wünschenswert, dass die Sprachen, die am Anfang angeboten werden, überall in der Ausstellung vorkommen. Vielleicht wird das noch implementiert. Oder man hätte weniger Sprachen, aber flächendeckend anbieten können – und es später nach und nach erweitern.
Aber ich meckere hier auf sehr hohem Niveau. Die Auswahl der Sprachen ist eigentlich unüblich groß und die Übersetzungen (zumindest auf Spanisch, was ich getestet habe) sind richtig gut. Sprachen sind für Museen mit komplexen Inhalten eine Barriere, die man nie vollständig abschaffen kann.
Angelika: Lass uns über die Technik reden. Bei „Berlin Global“ fällt auf, dass es einige technische Spielereien in der Ausstellungsgestaltung gibt. Ein Beispiel sind sich bewegende Wände, die thematische Nischen voneinander abtrennen. Das soll verdeutlichen, dass Berlin ein dynamischer Raum ist. Auch wenn ich das ausstellungsgestalterisch für eine sehr originelle Idee halte, war mein erster Gedanke sofort: Wie lange wird das technisch laufen? Je mehr Technik man in Ausstellungen findet, umso wartungsanfälliger sind diese Elemente ja. Man kennt es schon von einfachen Monitoren und Touch-Displays, die immer mal wieder ausfallen können.
Obwohl wir knapp zwei Wochen nach Ausstellungseröffnung „Berlin Global“ besucht haben, gab es schon Elemente, die nicht (mehr) funktioniert haben, etwa ein Grammophon mit dem man Musik des letzten Jahrhunderts hätte hören können. Auch wenn Technik in Ausstellungen immer besonders zeitgemäß wirken soll, als Besucher finde ich es dann immer eher ernüchternd, wenn etwas defekt ist und nicht läuft.
Damián: „Blue screens in museums“ – das Problem ist alt und betrifft Museen überall. Je komplexer die technischen Installationen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie regelmäßig kaputt gehen. Die Wahrscheinlichkeit ist um so höher, wenn die Besucher sie bedienen sollen. Da entstehen manchmal Variablen, die während der Programmierung nicht vorgesehen waren. Es ist auch möglich, dass Besucher bestimmte technische Anwendungen nicht fachgerecht bedienen und sie damit beschädigen. Es ist darum wichtig, solche Installationen hausintern reparieren zu können oder die Gestalter verträglich zu verpflichten, die Installationen für die Dauer der Ausstellung zu pflegen. Sonst sprengt sowas das Budget recht schnell.
Im Fall der beweglichen Wände im Abschnitt „Freiraum“ sehe ich nicht so das Problem: Es ist rein mechanisch und die Besucher interagieren nicht wirklich damit. Mein Problem mit dieser Installation ist ein anderes: Ich finde die sich verschiebenden Wände unspektakulär, unnötig und sie können für manche Menschen vielleicht zur Barriere werden.
Angelika: Wenn wir über die Inhalte sprechen, fällt mir erstmal die thematische Vielfalt von „Berlin Global“ auf. Es gibt sieben große Themen: Revolution, Freiraum, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Mode und Verflechtung. Die Ausstellung versucht quasi alle Bereiche abzudecken, die für Berlin – und teils auch für die Weltgeschichte – prägend sein könnten, von der politischen über die gesellschaftliche bis hin zur sozialen Dimension. Für mich war es schwer, ein durchgängiges Storytelling auszumachen. Allgemeine historische Themen wechseln sich mit ganz konkreten Fragen oder symbolkräftigen Installationen ab. Hier geht es um das Thema Überwachung im Öffentlichen Raum, da um Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft, dort steht die Tür des Techno-Clubs Tresor und schließlich hängen da noch Lampen aus dem Palast der Republik, der früher an der Stelle des heutigen Humboldt Forum stand.
Erst im Nachhinein habe ich gelesen, dass das Thema Kolonialismus alle Themenräume inhaltlich verbinden soll – immerhin ist die Ausstellung „Berlin Global“ ja Teil des Humboldt Forum. Ehrlich gesagt war mir dieser Ansatz in der Ausstellung nicht klar. Besonders irritiert hat mich zum Schluss, dass an einer Wand die Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Holocaust thematisiert werden und direkt darunter ist ein zeitgenössisches Kunstwerk zu sehen, wo es um die fehlende Auseinandersetzung mit Kolonialismus geht. [Philip Kojo Metz: SORRYFORNOTHING, 2020] Das ist nur ein Beispiel, wo ich das Gefühl hatte, in der Ausstellung passt einiges thematisch einfach nicht zusammen, man wollte es aber noch unterbringen.
Damián: Das stimmt. Die Räume sind unabhängig voneinander entstanden, das wird ganz klar. Es entsteht ein gewisses Chaos, das aber auch irgendwie zum Thema der Ausstellung passt. Was mich etwas irritiert hat ist, dass Themen, die mir wichtig gewesen wären, nicht so gut repräsentiert waren. Ich denke vor allem an den Raum „Verflechtungen“, wo es um persönliche Geschichten von Menschen geht, die in Berlin leben – das hätte mehr Vertiefung verdient. Hier sehe ich leider einen der Schwachpunkte der Ausstellung. Dass das Thema Kolonialismus sich durch „Berlin Global“ ziehen soll, habe ich auch nicht bemerkt.
Angelika: Mir hat an der Ausstellung gefallen, dass die Perspektive des Museums-Teams auch immer wieder durch Perspektiven von außen ergänzt wurden. Zu den meisten Themen sind externe Impulse zu finden, man sieht sich also als Besucher nicht nur mit dem Standpunkt der Wissenschaft konfrontiert sondern auch mit Zeitzeugen, Menschen mit vielfältiger fachlicher Expertise und mit den Impulsen von Kunstakteuren.
Auch verschiedenen lokalen Vereinen, Initiativen und Gemeinschaften soll in „Berlin Global“ ein Ort geboten werden, um ihre Themen vorzustellen. Dies erfolgt in drei sogenannten „Freiflächen“, die sich farblich in Blau vom Rest der Ausstellung abheben. Zunächst gibt es einen Bereich im Raum „Verflechtungen“ zum Thema „Un certain regard – Jede*r gehört dazu“ mit Kunstwerken, die in der Kunstwerkstatt Kreuzberg der Lebenshilfe Berlin entstanden sind. Dieser partizipative Ansatz gefällt mir, weil man so auch Gruppen eine Plattform zur Verfügung stellen kann, die sonst nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommem. Für die Bespielung einer „Freifläche“ kann man sich bewerben, jede der drei Flächen wird je 12 Monate lang bespielt und alle 18 Monate neu ausgeschrieben. Eine Jury wählt aus den Bewerbungen aus und stellt für die Umsetzung der Ausstellungsabschnitte auch Ressourcen zur Verfügung, um die Realisierung zu unterstützen.
Damián: Das ist auf jeden Fall ein positiver Aspekt der Ausstellung – es trägt zur Vielfalt bei und verbindet. Es macht auch einfach Sinn, dass „Berlin Global“ verschiedene Communitys der Stadt mit einbezieht und ihnen eine Bühne bietet. Damit erfüllt die Ausstellung wichtige Aufgaben. Nur schade, dass zur Eröffnung der Ausstellung nicht alle drei dieser „Freiflächen“ schon bespielt sind. Es gibt erst eine aktive, die zwei weiteren folgen nach und nach, wobei auch erst das Thema der zweiten feststeht. Hier wird im Raum „Bilder-Bilder“ eine Ausstellung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma eröffnen. Die dritte „Freifläche“ ist noch gar nicht verplant, wie ich es verstanden habe. Das ist aus meiner Sicht eine verschenkte Gelegenheit. Man hätte überall direkt etwas zeigen können.
Gut finde ich, dass insgesamt offensichtlich sehr viel Arbeit darin investiert wurde, „Berlin Global“ für ein breiteres Publikum zu gestalten. Jeder Mensch sollte zumindest einen Aspekt für sich finden können, der spannend erscheint. Und die Ausstellung wirft auch wichtige politische Fragen in den Raum. Das ist zwar auch der Grund, warum alles ein bisschen chaotisch wirken kann – aber das passt zu Berlin.
Berlin Global
Dauerausstellung, voraussichtlich bis 2026
Humboldt Forum, Berlin
Bilder: Angelika Schoder – Berlin Global, Humboldt Forum, 2021
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Bei musermeku schreibt Damián Morán Dauchez über Geschichtsthemen, Ausstellungs- und Museumsdesign sowie über Erinnerungskultur.
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