Art Nouveau um 1900: Jugendstil aus Frankreich und Belgien

In der Ausstellung „Belles Choses“ feiert das Berliner Bröhan-Museum die Kunst und das Design des Art Nouveau aus Frankreich und Belgien.

In der Ausstellung "Belles Choses" feiert das Berliner Bröhan-Museum die Kunst und das Design des Art Nouveau aus Frankreich und Belgien.

[Rezension] Ob Vasen mit schillernd-bunten Fledermäusen, aufwändig gestaltete Plakate, die Alltagsprodukte bewerben, als wären es Kunstwerke, oder Holzschränke und Stühle, die wirken, als wären sie aus rankenden Pflanzen zusammengefügt worden: Das Design des Jugendstil, und insbesondere das seiner französischen Ausprägung des Art Nouveau, fasziniert bis heute. Deshalb widmet das Berliner Bröhan-Museum nun anlässlich seines 50-jährigen Bestehens dem französischen und belgischen Art Nouveau die große Jubiläumsausstellung „Belles Choses. Art Nouveau um 1900“. Auch die begleitende Publikation zeigt, wie vielfältig die Kunst und das Design dieser Epoche sind und warum die detailreichen und filigranen Objekte auch im 21. Jahrhundert noch immer so viele Menschen begeistern.


Werbeplakat für Zigaretten der Marke JOB, gestaltet von Alfons Mucha (1898)
Werbeplakat für Zigaretten der Marke JOB, gestaltet von Alfons Mucha (1898) – MK&G HamburgPublic Domain – bearbeitet

Natur-Vorbilder und die politische Dimension des Art Nouveau

Um 1900 war alles in Bewegung; gesellschaftliche, politische und technische Entwicklungen stellten Altbewährtes infrage und ließen Neues entstehen. Die Industrialisierung und Urbanisierung führten zu einer Blütezeit der europäischen Metropolen; durch die Emanzipationsbewegung erkämpften sich Frauen mehr Bildungs- und Berufsperspektiven, und der internationale Handel prägte die Wirtschaft, wobei auch Kolonialismus und Imperialismus hier eine Rolle spielten. In Europa entwickelte sich in dieser Zeit eine künstlerische Avantgardebewegung, die sich als „Art Nouveau“, als Neue Kunst bezeichnete. Die Idee der Kunstschaffenden war es, Althergebrachtes zu überwinden und die Neuerungen in allen Alltagsbereichen auch durch eine neue Formensprache zum Ausdruck zu bringen, meist inspiriert vom Formenreichtum der Natur.

Ob Pflanzen und Blüten, diverse farbenfrohe Insekten oder heimische Tierarten wie Vögel, Eidechsen oder Fledermäuse: Je stärker die Natur in der Großstädten zurückgedrängt wurde, um so größer schien das Bedürfnis einiger Kunstschaffender, diese zumindest in Form von Vasen und Lampen, als Tapeten und Möbel, oder als architektonische Elemente im urbanen Umfeld zu erhalten. Die Darstellungen von Flora und Fauna waren dabei durchaus nicht nur dekorativ, sondern basierten häufig auf einem intensiven Studium der Natur, wie etwa für die Mappe „L’Animal dans la Décoration“ von Maurice Pillard Verneuil, die in der Ausstellung zu sehen ist.

Das Bröhan-Museum wirft hier vor allem einen Blick auf die École de Nancy, die 1901 von einer Gruppe von Kunstschaffenden um Émile Gallé gegründet wurde. Die Ausstellung zeigt einige von Gallés floral gestalteten Möbelentwürfen und Glasobjekten, die Sonnenblumen, Lotusblüten, Disteln oder Lilien aus dem privaten Garten des Gestalters als Motive aufgreifen. Auch Louis Majorelle nutzte seinen Garten als Inspiration und entwarf ganze Raumdesigns, die er einer bestimmten Pflanze widmete. Das Museum zeigt hier seine Gestaltungen rund um die Formen einer Doldenblüte oder zu Weinreben, die Majorelle zusätzlich mit Tierdarstellungen ergänzte, etwa mit Eichhörnchen, Elstern, Schnecken oder Gänsen. Daneben sind diverse Keramik-Objekte von Art-Nouveau-Gestaltern wie Edmond Lachenal oder Philippe Wolfers zu sehen, ebenso wie Gemälde des Symbolismus, in denen mythologische Figuren und diverse Naturwesen dargestellt wurden, etwa in den Werken von Lucien Lévy-Dhurmers oder Edgar Maxence. [1]

Bei Émile Gallé zeigt sich übrigens auch die politischen Dimension des Art Nouveau, denn er nutzte seine Arbeit auch als Aktivist. Der Kritiker Roger Marx schreib über den Gestalter: „Nichts lag ihm ferner, als zaghaft in der sicheren Abgeschiedenheit eines Elfenbeinturmes zu leben. Er wollte den Lärm der Außenwelt hören und sich in die Ereignisse seiner Zeit einmischen.“ [2] Dies tat Gallé mit „ästhetischem Protest“, zum Beispiel mit der Kommode „Le Champ du Sang“ (dt. Das Feld des Blutes) von 1899/1900, mit der er den Völkermord an den Armeniern zwischen 1894 und 1896 thematisierte, oder mit der sogenannte Dreyfus-Lampe von 1898-1900 mit der Inschrift „La vérité s’allumera comme une lampe“ (dt. Die Wahrheit wird sich aufhellen wie eine Lampe), die auf den Justizskandal um den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus 1894 verwies. Auch diese beiden ungewöhnlichen Objekte zeigt das Bröhan-Museum in der Ausstellung. [3]


Henri de Toulouse-Lautrec: Frau und Mann im Publikum bei einer Gesangsaufführung (1893)
Henri de Toulouse-Lautrec: Frau und Mann im Publikum bei einer Gesangsaufführung (1893) – RijksmuseumPublic Domain – bearbeitet

Die Idee des Gesamtkunstwerks und ikonische Darstellungen

Bereits in der deutschen Romantik entstand die Idee des Gesamtkunstwerks, das mehrere Künste in sich vereinte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewann die Idee in Europa an Popularität, insbesondere in der Architektur, etwa mit den Bauwerken von Antoni Gaudí. In Großbritannien übernahm die Arts-and-Crafts-Bewegung nicht nur das Konzept, sondern sogar den deutschen Begriff des „Gesamtkunstwerks“. Zu den stilprägenden Akteuren gehört hier William Morris, in dessen Red House (1859/60) Architektur, Möbel, Textilien, Fenster- und Wandgestaltungen sowie Kunst- und Gebrauchsgegenstände sich zu einer gestalterischen Einheit zusammenfügten. In Deutschland sind Heinrich Vogelers Barkenhoff in Worpswede, die Künstlerhäuser auf der Darmstädter Mathildenhöhe oder die von Henry van de Velde entworfenen Häuser gelungene Beispiele solcher Gesamtkunstwerke.

Im französischen und belgischen Art Nouveau wurde diese Idee auf eine ganz eigene Art umgesetzt, etwa durch den Architekten Victor Horta. Sein 1892/93 in Brüssel erbautes Hôtel Tassel war geprägt von einer neuartigen großflächigen Ornamentik aus bewegten, ineinander verschlungenen Linien, den sogenannten „Peitschenschlag-Linien“ (ligne coup de fouet). Der Stil beeinflusste viele weitere Zeitgenossen, etwa Hector Guimard, der im „Style Guimard“ eine eigene Einheit aus Architektur und Raumkunst kreierte. Dies zeigt sich zum Beispiel im Castel Henriette in Sèvres (1900-03), aus dessen Speisezimmer sich ein Seerosen-Buffet heute in der Sammlung des Bröhan-Museums befindet, oder an den von ihm entworfenen Pariser Métro-Eingängen mit Gittern und Überdachungen aus Gusseisen. [4]

Doch nicht nur der Architektur und der Innenraumgestaltung galt das Interesse der Designer und Künstler im Art Nouveau. Auch die weiblichen Stars der Belle Époque zogen diverse Akteure in ihren Bann, etwa Jane Avril, Cléo de Mérode, Loïe Fuller oder Sarah Bernhardt. Das Bröhan-Museum zeigt hier Plakate von Jules Chéret und Manuel Orazi, Plastiken der Bildhauer Raoul Larche und François-Rupert Carabin oder ein von Marie Félix Hippolyte-Lucas geschaffenes lebensgroßes Porträt von Loïe Fuller. Mit zu den Highlights zählen zudem auch die Plakate, die Alfons Mucha von der Schauspielerin Sarah Bernhardt schuf. [5]


Eugène Grasset: Salon des Cent - Exposition d'une partie de l'œuvre de E. Grasset (1894)
Eugène Grasset: Salon des Cent – Exposition d’une partie de l’œuvre de E. Grasset (1894) – MK&G HamburgPublic Domain – bearbeitet

Art Nouveau als Teil des künstlerischen Aufbruchs

Vom Arts and Crafts Movement in England und dem Jugendstil in Deutschland über den Stil der Secession in Österreich und Modernisme in Spanien bis hin zum Art Nouveau in Belgien und Frankreich – gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschte eine künstlerische Aufbruchsstimmung in Europa. Obwohl sich die diversen Strömungen stilistisch und konzeptionell voneinander unterscheiden, standen alle Bewegungen miteinander in Dialog, sei es über internationale Ausstellungen, über Publikationen oder über Galerien. Als Zentren des Austauschs dienten insbesondere die Weltausstellungen, die seit 1851 als Leistungsschauen aktueller technischer und künstlerischer Entwicklungen aus der ganzen Welt stattfanden. Die neuen stilistischen Strömungen zeigten sich hier erstmals 1889; bei der Pariser „Exposition Universelle“ 1900 waren Art Nouveau, Jugendstil und Co. in den Länderpavillons dann schon allgegenwärtig.

Besondere Aufmerksamkeit erregte der Pavillon der Galerie Maison de l’Art Nouveau. Hier konnten ganze Zimmereinrichtungen bekannter Designer besichtigt werden. Der Einfluss der 1895 von Siegfried Samuel Bing gegründeten Pariser Galerie war so groß, dass schließlich die ganze Stilrichtung nach ihr benannt wurde. Neben Einrichtungsgegenständen war die Galerie auch auf zeitgenössische bildende Kunst sowie Asiatika spezialisiert – eine Verbindung, die sich auch in den Art-Noveau-Designs widerspiegelt, die häufig vom Japonismus geprägt waren. [6] Regelmäßig kooperierte die Galerie mit Designern wie Edward Colonna, Eugène Gaillard und Georges de Feure, der besonders für seine Illustrationen von Frauen als Femme Fatale bekannt wurde. Für die Galerie entwarfen die Designer vor allem Möbel und Einrichtungsgegenstände, aber auch Porzellan. Einige dieser Objekte sind im Bröhan-Museum zu sehen, etwa eine Vase mit einem fliegenden Schwan oder ein Kerzenleuchter im Blüten-Design.

Neben Objekten der Galerie Maison de l’Art Nouveau zeigt die Ausstellung auch Exponate, die im Auftrag der Galerie Maison Moderne entstanden. Gegründet wurde sie 1899 vom deutschen Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, der 1897 die in München erscheinenden Zeitschrift „Dekorative Kunst“ mitbegründet hatte und ab 1898 in Paris auch die französische Version „L’Art Décoratif“ herausbrachte. Die Galerie arbeitete mit Designern wie Maurice Dufrène, Alexandre Charpentier oder Henry van de Velde zusammen, aber auch mit Künstlern wie dem Bildhauer George Minne sowie mit Bernhard Hoetger und Félix Vallotton. Auch hier sind einige exemplarische Objekte in der Ausstellung zu sehen, etwa ein elegant gestaltetes Kaffee- und Teeservice von Dufrène.

Als schließlich 1903 zunächst die Galerie Maison Moderne schloss und nur ein Jahr später auch die Galerie Maison de l’Art Nouveau ihr Geschäft einstellte, ging auch die Hochzeit des Art Nouveau in Paris zu Ende. [7]


Anlässlich der Ausstellung „Belles choses“ erschien die Publikation „Art Nouveau um 1900. Jugendstil aus Frankreich und Belgien“, herausgegeben von Tobias Hoffmann und Anna Grosskopf für das Bröhan-Museum, 2023 im Hirmer Verlag (ISBN: 978-3-7774-4336-2). Der Ausstellungskatalog beinhaltet zahlreiche farbige Werkabbildungen sowie Begleittexte zur Ausstellung.


Belles choses. Art Nouveau um 1900

07.12.2023-14.04.2024
Bröhan-Museum, Berlin


Header-Bild: Eugène Grasset: Encre L. Marquet (1892) – RijksmuseumPublic Domain – bearbeitet


Wir brauchen deine Unterstützung

Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.


Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

Bei LinkedIn vernetzen


Fußnoten

[1] Dazu: Anna Grosskopf: Natur als Inspiration, In: Art Nouveau um 1900, Hg.v. Tobias Hoffmann und Anna Grosskopf, S. 68f.

[2] Zitiert nach: Bertrand Tillier: Die schwarzen Männer (1899–1900), Eine Vase von Émile Gallé für die Sache von Dreyfus, In: Themenportal Europäische Geschichte, 2014.

[3] Dazu: Anna Grosskopf: Politischer Art Nouveau, In: Art Nouveau um 1900, S. 110f.

[4] Siehe: Anna Grosskopf: Gesamtkunstwerk, In: Ebd., S. 20f.

[5] Dazu: Anna Grosskopf: Ikonen und Idole, In: Ebd., S. 146f.

[6] Dazu: Tobias Hoffmann: Japonismus, In: Ebd., S. 115.

[7] Dazu: Anna Grosskopf: Plattformen und Netzwerke, In: Ebd, S. 34f.


Linktipps


Der Newsletter zu Kunst & Kultur

In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.


|

, |