Wer hat Angst vor der Femme fatale?

Die Publikation „Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“ untersucht das Bild der Femme fatale als Mythos und Projektionsfläche in der Kunst, von der erotischen Verführerin bis zum blutrünstigen Monster.

Die Publikation "Femme Fatale. Blick – Macht – Gender" untersucht das Bild der Femme fatale als Mythos und Projektionsfläche in der Kunst.

[Rezension] Ob biblischer Racheengel, Sirene oder Vampirin: Die Femme fatale ist ein fest codiertes weibliches Stereotyp, das in der Literatur und in der Kunst vermehrt seit dem 19. Jahrhundert auftauchte. Es ist die sinnlich-erotische und begehrenswerte Frau, die zugleich ein dämonisches Wesen darstellt und Männer in den moralischen Verfall, in den gesellschaftlichen und finanziellen Ruin oder sogar bis in den Tod treibt. Lange wurde dieses Bild einer bedrohlichen Weiblichkeit vom männlichen und binär geprägten Blick bestimmt, bis im späten 20. Jahrhundert vor allem Künstlerinnen begannen, sich das Konzept der Femme fatale anzueignen und durch eine feministische Perspektive zu betrachten. Die Publikation „Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“, die jetzt im Nachgang zur gleichnamigen Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle im erschien, beleuchtet die künstlerischen Erscheinungsformen des Themas seit dem frühen 19. Jahrhundert und zeigt die historische Transformation des Mythos der Femme fatale bis heute.


Gustave Courbet: Jo, the Beautiful Irish Girl (1866)
Detail aus: Gustave Courbet: Jo, the Beautiful Irish Girl (1866) – Nationalmuseum, StockholmPublic Domain

Einem Mythos auf der Spur

In der Ausstellung „Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“ widmete sich die Hamburger Kunsthalle dem Mythos der Femme fatale, von seinen Ursprüngen im frühen 19. Jahrhundert bis zu seiner Entwicklung heute. Diskutiert wurde dabei, welche historischen Transformationen und Aneignungsprozesse das Konzept der Femme fatale im Laufe der Zeit durchlief, welche Rolle sie auch im 21. Jahrhundert noch spielt und wie zeitgenössische Kunstschaffende den Blick auf Macht- und Gender-Konstellationen beeinflussen und verändern. Den Kern der Ausstellung bildeten rund 200 Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten, angefangen bei Werken präraffaelitischer Kunstschaffender über Gemälde des Symbolismus und des Impressionismus bis hin zum Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Auch Positionen der frühen feministischen Avantgarde sowie aktuelle Arbeiten mit intersektionalen und (queer-)feministischen Ansätzen wurden gezeigt.

Der im Nachgang zur Ausstellung im Kerber Verlag erschienene Katalog ermöglicht nun noch einmal einen Überblick über die in der Hamburger Kunsthalle gezeigten Werke. In diversen Essays wird zudem das Konzept der Femme fatale umfangreich analysiert, angefangen beim „klassischen“ Bild dieser Figur, das sich in erster Linie an den biblischen und mythologischen Frauenfiguren wie Judith, Salome, Medusa oder den Sirenen orientierte, die in der Kunst und Literatur zwischen 1860 und 1920 dargestellt wurden. Häufig wurde die Figur der Femme fatale hier genutzt, um die weibliche Sexualität zu diskreditieren und ihr dämonische Züge zuzuschreiben. Um 1900 wurden dann häufig reale Personen zur Femme fatale erklärt, etwa bekannte Künstlerinnen, Tänzerinnen oder Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt oder Anita Berber. Parallel setzten in Europa diverse emanzipatorische Strömungen ein; als eine Art Gegenentwurf zum traditionellen Rollenbild entstand in den 1920er Jahren zudem die Idee der Neuen Frau. Ab den 1960er Jahren waren es dann feministische Künstlerinnen, die den Mythos der Femme fatale endgültig dekonstruierten und gegen die männlich geprägte Sicht auf den weiblichen Körper rebellierten. Aktuelle Kunstschaffende nutzen zudem das Konzept der Femme fatale als explizite Gegenerzählungen zu Rollenklischees und diskutieren in ihren Werken Fragen zu Genderidentität, weiblicher Körperlichkeit und Sexualität im Hinblick auf den male gaze, die männliche Perspektive, die unsere Gesellschaft noch immer dominiert.


Gustave Moreau: Oedipus and the Sphinx (1864)
Detail aus: Gustave Moreau: Oedipus and the Sphinx (1864) – Metropolitan Museum of ArtPublic Domain

Loreley, Lilith und die Sphinx

In der Kunst der Romantik wurde zunächst die Figur der Loreley als Verkörperung der Femme fatale imaginiert. Angestoßen wurde diese Faszination durch Clemens Brentanos Ballade „Lore Lay“ (1800), in der erstmals eine weibliche Gestalt mit dem für sein Echo berühmten Schieferfelsen am Rhein in Verbindung gebracht wurde. Auch Heinrich Heine hielt diese Figur in seinem Gedicht „Die Lore-Ley“ (1824) fest. In Gemälden wurde die Gestalt dann zur sirenenhaften und dämonischen Frau abgewandelt, etwa bei Carl Joseph Begas oder Wilhelm Kray. Andere Verkörperungen der Femme fatale hielten vor allem die präraffaelitischen Künstler wie Dante Gabriel Rossetti und Edward Burne-Jones in ihren Gemälden fest. Auch sie bedienten sich in ihren Darstellungen vor allem bei mythologischen Figuren, etwa Lilith, Medea, Circe oder Helena. Sie stellten ein bestimmtes weibliches Schönheitsideal dar, das aber, verbunden mit einer zunehmenden Erotisierung, auch immer auf das Abgründige und Gefährliche der Frau verweist, etwa in der Darstellung von „Circe“ von John William Waterhouse oder im Gemälde der „Lilith“ von John Collier.

In den Bildern des Symbolismus wurde die Femme fatale ab den 1880er Jahren dann nicht weniger abgründig, aber um so rätselhafter dargestellt, insbesondere verkörpert durch die Figur der Sphinx. Die Vorstellung des bedrohlichen Mischwesens aus Frau und Raubtier wurde dabei maßgeblich durch Gustave Moreaus Gemälde „Ödipus und die Sphinx“ geprägt. Als mysteriöse, mehrdeutige Figur tritt die Femme fatale auch in traumartigen Szenarien bei Odilon Redon oder Fernand Khnopff in Erscheinung.

In der Münchner Schule wurden Frauenkörper hingegen explizit zur Schau gestellt. So zeigt Carl Strathmann die Figur der „Salammbô“ aus Gustave Flauberts historisch-fiktivem Roman als erotische „Schlangenbraut“ in einem ornamentalen Jugendstil-Setting. Ähnlich explizit stellte auch der französische Bildhauer Auguste Rodin Salammbô dar, wobei hier nicht einmal mehr das Gesicht der Frau zu sehen ist und die Figur allein auf ihren Körper reduziert wird. Die konkrete Körperlichkeit stand auch bei den Darstellungen der Femme fatale bei Franz von Stuck und Franz von Lenbach im Mittelpunkt. Die Sphinx wird hier vom Mischwesen zur nackten Frau, die lediglich in ihrer Haltung noch an das mythologische Vorbild erinnert. Mit der zunehmenden Sexualisierung zeigt sich in diesen Bildern auch ein Othering der Frauenfiguren, die durch orientalisierende Elemente und antisemitische Zuschreibungen als begehrenswert inszeniert, aber auch als „anders“ abgewertet wurden.


Carl Strathmann: Medusenhaupt (um 1897)
Detail aus: Carl Strathmann: Medusenhaupt (um 1897) – Münchner StadtmuseumCC BY-SA 4.0

Verführerin, Monster und Star

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Bild der verführerischen Femme fatale schließlich ins Groteske und Bizarre verlagert. So wirkt Arnold Böcklins Gemälde „Sirenen“ (1875) absurd komisch, während Gustave-Adolphe Mossas „Die gesättigte Sirene“ (1905) vor allem als blutrünstiges Vogelwesen erscheint. Auch Carl Strathmanns „Medusenhaupt“ hat nichts Verführerisches mehr an sich. Ebenso wie bei Aubrey Beardsleys Illustrationen nach Oscar Wildes Drama „Salome“ (1893) erscheinen die teils makabren Motive vor allem durch eine ornamentale Ästhetik eher dekorativ, wirken zugleich aber auch dämonisierend. Um 1900 griff auch Edvard Munch das Bild der Femme fatale auf, um vor allem das Dämonische der Frau zu betonen. So bleibt bei seinem Gemälde „Vampir“ (1893) unklar, ob die weibliche Gestalt als Liebende oder als Blutsaugerin auftritt. Auch Munch bediente sich in seinen Werken also eines frauenfeindlichen Projektionsbildes. Deutlich körperbetonter wurde es bei einigen Künstlern des Impressionismus, so zeigt Lovis Corinth eine dramatisch geschminkte und entblößte „Salome“ (1900), die sich über das Haupt von Johannes dem Täufer beugt. Ihre Macht wird hier vor allem mit der Sexualisierung ihres Körpers in Verbindung gebracht. Auch Max Liebermann griff mit „Simson und Delila“ (1902) ein biblisches Thema auf und zeigt die Frauenfigur als selbstbewusst-dominierende Akteurin.

Um 1900 wurde das Konzept der Femme fatale auch auf reale Personen projiziert. In Metropolen wie Paris, Wien oder Berlin entstand in dieser Zeit ein Kult um Künstlerinnen, Tänzerinnen und Schauspielerinnen. Die „fatale Frau“ war plötzlich im Theater, im Kino oder im Varieté anzutreffen, verewigt etwa durch Alfons Muchas Plakate des Bühnen-Stars Sarah Bernhardt. Auch Madame d‘Oras Fotografien von Anita Berber in der Skandal-Show „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“ (1922) trugen zum Mythos der modernen Femme fatale bei. Eine weitere Modernisierung erfuhr das Frauenbild in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg durch den Typus der emanzipierten und selbstbestimmten Neuen Frau, wie ihn die Künstlerin Jeanne Mammen darstellte. Dass auch nicht-binäre Geschlechtsidentitäten eine wichtige Rolle dabei spielen, traditionelle Genderrollen und Stereotype zu hinterfragen, zeigte außerdem Gerda Wegener mit ihren Porträts von Lili Elbe.

Spätestens mit der feministischen Kunst ab den 1960er-Jahren wurde dem oft misogynen Bild der Femme fatale der Kampf angesagt. Künstlerinnen der feministischen Avantgarde schufen nun neue Erzählungen von Weiblichkeit und Sexualität, jenseits des männlichen Blicks. Ketty La Rocca oder Birgit Jürgenssen eigneten sich die Figur der Femme fatale an und deuteten diese nach eigenen Vorstellungen um. Künstlerinnen wie Francesca Woodman, Mary Beth Edelson oder Sylvia Sleigh setzten sich zudem mit den mythologischen Vorbildern auseinander und Maria Lassnig oder Dorothy Iannone ermächtigten sich der machtvollen Darstellung weiblicher Körperlichkeit. Auch in der zeitgenössischen Kunst setzen sich vor allem Künstlerinnen mit dem (männlichen) Blick auf die Femme fatale kritisch auseinander, so überträgt die Künstlerin Gloria Zein in ihrer Videoarbeit „Das Schöne muss sterben“ den Mythos der Loreley in die Gegenwart und hinterfragt die Wirkung von Schönheit. Sonia Boyce greift in ihrer Videoinstallation „Six Acts“, die 2018 aus einer Intervention in der Manchester Art Gallery entstand, das viktorianische Ideal von weiblicher Schönheit und dessen musealer Repräsentation auf. Und Nan Goldin zeigt in einer Fotoserie, wie sich Akteure der Drag-Kultur in Ikonen wie Marilyn Monroe oder Madonna verwandeln, die lange als Femme fatale der Popkultur stilisiert wurden.


Anlässlich der Ausstellung „Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“ in der Hamburger Kunsthalle (09.12.2022-10.04.2023) erschien eine gleichnamige Publikation, herausgegeben von Markus Bertsch, 2023 im Kerber Verlag (ISBN: 978-3-7356-0879-6). Der Ausstellungskatalog mit zahlreichen farbigen Werkabbildungen beinhaltet auch Essays von u.a. Wolfgang Bunzel, Barbara Vinken, Judith Jammers, Nico Kirchberger, Bernadette Reinhold, Florian Illies, Catherine McCormack, Jörg Schöning und Maik Brüggemeyer.


Header-Bild: Detail aus: Dante Gabriel Rossetti, Henry Treffry Dunn: Lady Lilith (1867) – Metropolitan Museum of ArtPublic Domain – beschnitten


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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