Die Debatte um das Kulturelle Erbe und seine (online-) Nutzung

Sind Museen „Hüter der Kultur“ oder gehört kulturelles Erbe der Allgemeinheit? Zur Diskussion der REM mit Wikimedia bei „Zugang gestalten!“

Sind Museen "Hüter der Kultur" oder gehört kulturelles Erbe der Allgemeinheit? Zur Diskussion der REM mit Wikimedia bei "Zugang gestalten!"

[Debatte] Wem gehört kulturelles Erbe und wer entscheidet über dessen Nutzung? Sind Museen und Kulturinstitutionen die „Hüter der Kultur“, die allein entscheiden dürfen, wer die Inhalte ihrer Sammlung nutzen darf – insbesondere kommerziell? Ist es ihre Pflicht sicherzustellen, dass mit den digitalisierten Bildern von Kunstwerken, Dokumenten oder Objekten kein Missbrauch betrieben wird? Oder gehören gemeinfreie Werke nicht doch eher der Allgemeinheit? Sollte nicht jeder freien Zugang zu historischen Schriften, Bildern und Gegenständen haben, sie in einer digitalisierten Form frei nutzen können – egal für was? Diese Fragen tauchten immer wieder im Bezug auf den Rechtsstreit der Reiss-Engelhorn-Museen mit Wikipedia-Nutzern auf und sie wurden auch im Rahmen der Konferenz „Zugang gestalten!“ am 18. November 2016 in Berlin diskutiert.


Wenn Bilder missbraucht werden

„Digitise your content, they said. It will help people understand, they said.“, das twitterte Melissa TerrasDirector, UCL Centre for Digital Humanities, am 22. November 2016 mit Verweis auf eine Zeichnung von Sklaven aus dem 18. Jahrhundert. Die online verfügbare Zeichnung stammt von der Seite slaveryimages.org, ein Projekt von der Virginia Foundation for the Humanities und dem Digital Media Lab at theUniversity of Virginia Library. Die historischen Quellen wurden im besten Forschungsinteresse frei zugänglich gemacht. Einleitend heißt es zu den Dokumenten:

„This collection is envisioned as a tool and a resource that can be used by teachers, researchers, students, and the general public – in brief, anyone interested in the experiences of Africans who were enslaved and transported to the Americas and the lives of their descendants in the slave societies of the New World.“

slaveryimages.org

Leider können die Quellen aber nicht nur von Lehrern, Schülern oder Studierenden genutzt werden. Wie Melissa Terras in ihrem Tweet zeigt, bieten einige Online-Shops auch die Möglichkeit an, beliebige Bilder auf Tassen, T-Shirts & Co. drucken zu lassen – ähnlich wie auch im Fall der Bilder, die bei VanGoYourself eingereicht werden. Nur dass so eben nicht nur mehr oder weniger lustige Kunst-Selfies auf Gebrauchsgegenständen landen, sondern hier Bilder von Sklaven. Gefesselte Afrikaner auf einer Handy-Hülle – direkt aus dem Online-Shop als Nazi-Weihnachtsgeschenk. Ein Beispiel für open access verfügbares historisches Bildmaterial, das Missbrauch erfährt.


Missbrauch durch Kontrolle verhindern?

Eben diesen potentiellen Missbrauch von Bildern möchte Alfried Wieczorek, der Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen, verhindern, wie er im Rahmen einer Podiumsdiskussion am 18. November 2016 im Rahmen der Konferenz „Kulturelles Erbe: Zugang gestalten!“ betonte. Im Rechtsstreit mit Wikimedia Deutschland verwies das Museum immer wieder auf den Anspruch auf eine „Entscheidungsbefugnis über die Frage des Ob und vor allem des Wie der öffentlichen Zugänglichmachung unserer Bestände“. Dies betrifft die Kontrolle über eine weitere kommerzielle Nutzung von Werken, aber eben auch insbesondere eine Kontrolle über die Nutzung an sich, um Missbrauch zu verhindern. Wieczorek hierzu bei der Podiumsdiskussion:

„In der Regel sind es staatliche Institutionen, aber auch vermehrt in den letzten Jahren entstandene private Institutionen oder Stiftungen, die sich dieser Aufgabe stellen, kulturelles Erbe zu bewahren, dafür Sorge zu tragen, dass es erhalten bleiben kann – und jetzt will ich einen weiteren Aspekt hinein bringen – auch dafür Sorge tragen, dass damit nicht Schindluder getrieben wird oder es in falschen Zusammenhängen zu einer Veröffentlichung oder Erwähnung kommt. Was ist ein falscher Zusammenhang? Ein falscher Zusammenhang ist, wenn ein Kunstwerk, nehmen wir mal an von einer Nazi-Gruppe verwendet wird, um damit Werbung zu machen für ihre eigenen Zwecke. Das würde ich zum Beispiel versuchen zu verhindern und das wäre ein Weg, der meines Erachtens denen, die über diese Exponate zu verfügen haben, zusteht, darauf zu achten, dass solche Missbräuche nicht geschehen.“

Alfried Wieczorek, der Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen

Im Zuge des Wunsches, den missbräuchlichen Umgang mit Bildern zu verhindern, versuchten die Reiss-Engelhorn-Museen übrigens auch eine neue Dimension von Urheberschaft zu etablieren, indem man auch 1:1 Reproduktionen von gemeinfreien Werken erneut als urheberrechtlich schützenswert definieren wollte und Nutzer abmahnte, die neuere Fotografien der gemeinfreien Werke nutzten – wohl gemerkt u.a. Betreiber von Bildungsangeboten.


Kulturelles Erbe als Eigentum der Allgemeinheit

Letztendlich geht es bei der Zugänglichkeit von kulturellem Erbe eben nicht nur um Gefahren von Missbrauch, sondern auch um die positive Nutzung in Bildung und Forschung. Hubertus Kohle vom Institut für Kunstgeschichte an der LMU München argumentierte im Rahmen der Podiumsdiskussion in Berlin entsprechend gegen die Position von Wieczorek:

„Die eigentlich wichtige Frage für Museen und Kulturinstitutionen ist, Sie [Herr Wieczorek / die Reiss-Engelhorn-Museen] wollen nämlich kontrollieren. Sie wollen kontrollieren, was über ihre Gegenstände gesagt wird. Und da würde ich mal ganz verkürzt sagen: Sobald wir uns ins Internet begeben, sollten wir diesen Gedanken lieber aufgeben. […] Das Leben ist kein Ponyhof! Und wer es wagt mit diesen neuen Medien zu agieren, der muss bestimmte Konsequenzen auch ertragen.“

Hubertus Kohle vom Institut für Kunstgeschichte an der LMU München 

So verständlich die Position von Wieczorek und den Reiss-Engelhorn-Museen zum Thema Missbrauch ist – und das von Melissa Terras gefundene Beispiel zur möglichen missbräuchlichen Nutzung eines Bildes führt dies vor Augen – die Rolle von Museen und Kulturinstitutionen muss primär im Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln liegen. Zum Vermitteln sollte es hier aber eben auch gehören, gemeinfreie Inhalte auch frei zugänglich zu machen – generell, nicht zweckgebunden und nicht unter vorheriger Zensur, wer was für welche Zwecke nutzen darf und wer nicht. Diese Position vertritt auch Tim Moritz Hector, Vorsitzender des Präsidiums von Wikimedia Deutschland. Im Rahmen der Podiumsdiskussion betonte er:

„Das kulturelle Erbe gehört uns allen, als Gesellschaft. Und es kann, auch wenn Sie [Herr Wieczorek / die Reiss-Engelhorn-Museen] damit beauftragt sind als stattliche Institution diese Dinge physisch zu bewahren und womöglich auch einen Bildungsauftrag haben, kann aber darüber hinaus nicht ein Eigentum im Sinne von „Ich bin der Einzige, der daraus kommerziellen Nutzen schlagen kann“ postuliert werden. Sondern das steht eben allen Menschen zu. Und es ist Ihr Auftrag das, aus meiner Sicht, mit einzuräumen und mit zu ermöglichen.“

Tim Moritz Hector, Vorsitzender des Präsidiums von Wikimedia Deutschland

Header-Bild: Sitzende Frau beim Betrachten von Prints in einem Druckstand, Armand Rassenfosse (1897) – Rijksmuseum, RP-P-2015-26-769Public Domain


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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