Geraubt, gehandelt, restituiert: Die Benin-Bronzen in Hamburg

In der Ausstellung „Benin. Geraubte Geschichte“ widmet sich das MARKK in Hamburg den Kunstwerken des westafrikanischen Königreichs.

In der Ausstellung "Benin. Geraubte Geschichte" widmet sich das MARKK in Hamburg den Kunstwerken des westafrikanischen Königreichs.

[Ausstellung] Die Ausstellung „Benin. Geraubte Geschichte“ im Hamburger Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt, kurz MARKK, zeigt rund 170 historische Kunstwerke aus Bronze, Elfenbein und Holz aus dem westafrikanischen Königreich Benin. Zum ersten mal seit über 100 Jahren ist im Museum die gesamte Benin-Sammlung zu sehen – und gleichzeitig wird sie so auch zum letzten Mal in Hamburg zu sehen sein. Denn die Objekte sollen nun restituiert werden. Die Ausstellung begleitet so auch den laufenden Prozess der Rückgabe der Artefakte nach Nigeria.


In der aktuellen Ausstellung zeigt das MARKK rund 170 historische Kunstwerke aus Bronze, Elfenbein und Holz aus dem westafrikanischen Benin.
In der aktuellen Ausstellung zeigt das MARKK rund 170 historische Kunstwerke aus Bronze, Elfenbein und Holz aus dem westafrikanischen Benin.

Die Hamburger Benin-Sammlung

Nachdem britische Truppen im Jahr 1897 eine gewaltsame Invasion des westafrikanischen Königreichs Benin (heute Edo State, Nigeria) starteten, wurden 3.000 bis 5.000 Objekte aus dem königlichen Palast geraubt und in die ganze Welt verkauft. Rund 170 dieser Artefakte befinden sich heute in Hamburg. Es sind Kunstwerke aus Bronze, Elfenbein und Holz; bekannt sind sie auch unter dem zusammenfassenden Begriff „Benin-Bronzen“. Aktuell findet ein Austausch auf politischer und wissenschaftlicher Ebene mit Nigeria statt, um die Sammlungsobjekte des MARKK zusammen mit den Beständen anderer deutscher Museen nach Benin City zu restituieren.

Um diesen Restitutionsprozess und die dahinter stehende Debatte geht es unter anderem in „Benin. Geraubte Geschichte“. Die Ausstellung wirft auch einen Blick auf die historischen Hintergründe des britischen Kolonialkrieges. Vor allem werden aber verschiedene Perspektiven auf die ursprüngliche Bedeutung der Kunstobjekte aufgezeigt und ihr Stellenwert in der afrikanischen Kunst- und Kulturgeschichte wird herausgestellt. Auch die Provenienz der Sammlung des Museums und die Verflechtungsgeschichte mit den Hamburger Handelsnetzwerken wird in der Ausstellung kritisch hinterfragt und umfangreich dargelegt.

Die Benin-Sammlung des MARKK wird nun erstmals seit über 100 Jahren wieder vollständig präsentiert, inklusive Fragmenten und Kleinobjekten, ergänzt durch historische Fotografien, zeitgenössische Kunstwerke und gegenwärtige Stimmen aus Benin City.


Das MARKK zeigt in seiner Ausstellung unter anderem kunstvolle Relieffplatten aus Bronze, die im 16. und 17. Jhd. angefertigt wurden.
Das MARKK zeigt in seiner Ausstellung unter anderem kunstvolle Relieffplatten aus Bronze, die im 16. und 17. Jhd. angefertigt wurden.

Königliche Schätze und moderne Kunst

Die sogenannten „Benin-Bronzen“ werden zu den Höhepunkten der afrikanischen Kunst gezählt. Im Kontext europäischer Sammlungen sind die Kunstwerke aber auch zum Sinnbild für die koloniale Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch Europa geworden. Benin City, das im heutigen Nigeria liegt, wurde seines wichtigsten Kulturellen Erbes beraubt. Diese kunsthistorische identitätsstiftende Bedeutung der historischen Objekte wird in der Ausstellung im MARKK aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. So werden neben den Jahrhunderte alten Kunstwerken auch die Arbeiten zeitgenössischer Kunstschaffender gezeigt, etwa die Installation „Ich bin Ogiso, der König vom Himmel“ (2017) von Victor Ehighale Ehikhamenor. Zu seinem Kunstwerk aus Rosenkranzperlen schreibt er:

„Meine Wahl von Rosenkränzen als Medium, das auf meine Tradition verweist, ist ein System der Re-Totemisierung dessen, was uns der Kolonialismus als heiligste Symbole des Gedenkens vermittelt hat. Es ist eine direkte Antwort auf die Auseinandersetzung mit Werken, die versuchen, die Kluft zwischen Dämonisierung und Heiligsprechung zu überbrücken. ‚Ich bin Ogiso, der König vom Himmel‘ ist das erste Werk, mit dem ich die Rosenkranzserie begonnen habe, die sich auf Könige und Königshäuser aus dem Königreich Benin, meinem Heimatland, bezieht. Die Ogiso-Dynastie herrschte von 40 v. Chr. bis 1100 n. Chr. in dem später als Benin-Reich bezeichneten Land. Auf sie folgten später die Obas (Könige), die bis heute regieren.“

Victor Ehighale Ehikhamenor

In der Ausstellung zu sehen ist auch die Arbeit „Igún, Prototyp IV“ (2021) der in New York lebenden Künstlerin Minne Atairu. Sie setzt sich mit dem wichtigsten Material in der historischen Benin-Kunst auseinander, der Bronze:

„Mit Hilfe von Igun, einem durch Künstliche Intelligenz gesteuerten Bronzegießer, habe ich die 17-jährige künstlerische Abwesenheit im Königreich Benin während des Interregnums (1897-1914) nach dem Massaker von Benin 1897 untersucht. Meine Forschung wird von der folgenden Frage geleitet: Wenn die vorkoloniale Kunstproduktion von der Erlaubnis des Oba (König) abhing, der als ‚alleiniger Auftraggeber der Künste‘ galt, haben die Bronzegießer dann weitergearbeitet, ohne sich an die künstlerischen Vorgaben der Gilde zu halten oder die Erlaubnis des Oba zu haben? Wenn ja, welche Formen nahmen die unzulässigen Objekte an? Um diese Fragen zu beantworten, habe ich Igun, ein Generatives Adversarielles Netzwerk (GAN), darauf trainiert, Prototypen von Bronzeköpfen zu generieren, indem ich einen Datensatz von geraubten Benin-Bronzen aus westlichen Kunstmuseen verwendet habe.“

Minne Atairu

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie die historische Kunst aus Benin bis heute Kunstschaffende beeinflusst und warum es so wichtig ist, wieder den direkten Zugang zu diesen Objekten herzustellen.


Mit zu den ikonischen Werken der sogenannten "Benin-Bronzen" zählen sogenannte Gedenkköpfe.
Mit zu den ikonischen Werken der sogenannten „Benin-Bronzen“ zählen sogenannte Gedenkköpfe. Nur dem König und der Königinmutter war es gestattet, ihre Ahnenaltäre mit diesen Skulpturen auszustatten.

Digital Benin

Um die weltweit verstreuten Kunstwerke digital zusammenzuführen, wurde vom MARKK im Jahr 2021 das Wissensforum „Digital Benin“ ins Leben gerufen. Hier werden Objektdaten und Dokumentationsmaterial aus Sammlungen weltweit gebündelt, um einen Überblick zu den im 19. Jhd. geraubten Kunstwerken zu ermöglichen. Durch die erstmalige Erfassung sämtlicher Benin-Bestände, ergänzt mit historischen Fotografien, Archivalien, Zeitzeugenberichten, Publikationen und Audiomaterialien mündlicher Überlieferungen, entsteht so ein nachhaltiger Bestandskatalog über Geschichte, kulturelle Bedeutung und Provenienz der Werke, unter Beteiligung von Akteuren aus Nigeria, Europa und den USA.

In „Digital Benin“ wird lokales Wissen mit historischen und aktuellen Forschungserkenntnissen verknüpft. Auch Interpretationen aus der gegenwärtigen rituellen Praxis und künstlerische Perspektiven werden hier mit einbezogen. Die Online-Plattform stellt zudem Daten aus diversen nationalen und internationalen Museumsdatenbanken zusammen, die aktuell über Benin-Werke in ihren Sammlungen verfügen. So können Inhalte und Materialien barrierearm zugänglich gemacht werden, die bisher nur über die Archive verschiedener europäischer und amerikanischer Museen eingesehen werden konnten. Zielgruppe sind internationale Forschende, welche die Plattform für wissenschaftliche Recherchen nutzen können, aber auch die allgemeinen Öffentlichkeit, um sich näher über die Kunstwerke zu informieren.

Das Projekt entsteht in Zusammenarbeit mit der Benin-Dialog-Gruppe. Beteiligt sind hier der Königshof Benin, das Edo State Government und die National Commission for Museums and Monuments Nigeria sowie zahlreiche europäische Museen mit Benin-Sammlungen. In Zukunft soll das Royal Museum in Benin City, das gerade in seiner Gründungsphase ist, der Hauptträger von „Digital Benin“ werden.


Benin. Geraubte Geschichte

MARKK | Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt
17.12.2021 – verlängert bis März 2025


Fotos: Angelika Schoder – Benin. Geraubte Geschichte, MARKK 2022


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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