[Rezension] Die Revolution in Hamburg 1918/19 zählt zu den wichtigsten Ereignissen in der Hamburger Geschichte. Anlässlich des 100. Jubiläums widmen sich nun verschiedene Ausstellungen und Veranstaltungsangebote in der Hansestadt der Revolution mit dem Themenjahr „Aufbruch in die Demokratie“. Begleitend ist die umfangreiche Publikation „Revolution! Revolution?“ erschienen, welche nicht nur politische, sondern auch soziale und kulturelle Aspekte dieser ereignisreichen Monate in Hamburg und Norddeutschland beleuchtet. Besonders interessant ist hier der Blick auf die Hamburger Kunst- und Kulturszene. Es zeigt sich, dass die Novemberrevolution in der Hansestadt etwas anders verlief, als im Rest von Deutschland…
Oper und Kino statt Revolution
Die Revolution in Hamburg war nicht unbedingt geprägt von antibürgerlicher Kulturfeindlichkeit. Bereits am ersten Tag der Revolution, dem 6. November 1918, wurde zwar die Bühne des Hamburger Stadttheaters von bewaffneten Mitgliedern des Arbeiter- und Soldatenrates gestürmt. Die gerade stattfindende „Tannhäuser“-Aufführung sollte jedoch nur abgebrochen werden, da auf den Straßen mit Schießereien gerechnet wurde. Die in Hamburg verhängte Ausgangssperre ab 18 Uhr war mit einem abendlichen Opernbesuch einfach nicht vereinbar. Auch andere Spielstätten blieben deshalb für einige Tage vorübergehend geschlossen.
Im Januar 1919 kam es während der Unruhen in Hamburg zu einer erneuten Spielpause. Das seit dem Krieg geltende Verbot, lebende ausländische Komponisten zu spielen, war gerade aufgehoben worden. Musikkritiker witterten jedoch sofort eine „Kriegserklärung gegen die deutsche Musik“. Sobald das Veranstaltungsprogramm 1919 wieder aufgenommen wurde, war in sogenannten Volkskonzerten in Hamburg deshalb zunächst weiterhin fast ausnahmslos „deutsche“ Musik zu hören. Trotz der Revolution in Hamburg waren die Volkskonzerte fortgeführt worden – auf Kultur wollte man, so scheint es, keinesfalls verzichten. Vor allem private Theater und Konzertveranstalter hatten selbst im November 1918 kaum Termine verlegt. Varietés und Kinos zeigten sich gänzlich unbeeindruckt. [1]
Die Revolution als Karriere-Sprungbrett für Künstler
Demonstrierende Arbeiter und Soldaten auf den Straßen und ein grundlegender Umsturz der politischen Verhältnisse – das schien auch die Kunst- und Schriftsteller-Szene in Hamburg nicht groß zu beeinflussen. Während sich in anderen deutschen Städten Schriftsteller und bildende Künstler früh politisch engagierten oder enge Verbindungen zu USPD oder KPD pflegten, hielt sich die Hamburger Szene stark zurück. Wenige verarbeiteten die Hamburger Ereignisse in ihren Werken, etwa Arnold Fiedler (1900-1985), Schüler der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld. Er bildete in seinen Radierungen „Revolution“ (1918), „Anarchie“ und „Sorgen“ (1919) kämpfende Soldaten, Zerstörung und Tote, aber auch das Leid der Zivilbevölkerung ab.
Auch Hans Leip (1893-1983), damals gelegentlicher Kunstkritiker für die Neue Hamburger Zeitung, nutzte die Revolution für seine Kunst. Er mischte sich bereits im November 1918 unter die Aufständischen, um Skizzen von Plünderungen, Revolutionszügen oder Patrouillen anzufertigen. Leips Werke gehören mit zu den wenigen Zeugnissen künstlerischer Darstellung der Revolution in Hamburg und ebneten ihm den Weg in den Hamburger Kunstbetrieb. Seine Zeichnungen und Holzschnitte von Revolutionsszenen, die bereits im Dezember 1918 in einer Ausstellung gezeigt wurden, stießen beim bürgerlichen Publikum auf großes Interesse. Gustav Pauli, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, der bereits Fiedlers Revolutions-Werke angekauft hatte, kaufte auch Bilder von Hans Leip für seine Sammlung. Bereits im März 1919 gehörte Leip dann schon zu den Organisatoren des ersten Hamburger Künstlerfestes mit dem Titel „Dämmerung der Zeitlosen“. Später erschienen Leips Werke in völkisch-nationalen und antisemitischen Publikationen. [2]
Kurze Debatten in der Kulturszene
In der wichtigsten Hamburger Theaterzeitschrift „Der Freihafen“, herausgegeben von den Hamburger Kammerspielen, wurde die Revolution nur im Januarheft 1919 erwähnt, und zwar mit dem Gedicht „Mein Gefängnis“ von Erich Mühsam (1878-1934). In der Zeitschrift der Literarischen Gesellschaft schlug die Novemberrevolution hingegen größere Wellen. Der Kulturpolitische Verein mit Mitgliedern aus bildungsbürgerlichen Kreisen versuchte sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und diese für sich zu nutzen.
Im Dezember 1918 wurde in der Zeitschrift der „Werkbund geistiger Arbeiter“ und dessen Ziele vorgestellt, der überwiegend aus Mitgliedern der Literarischen Gesellschaft bestand. Der bis 1920 bestehende Werkbund wollte Einfluss nehmen „auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens und die Entwicklung der geistigen Kultur“. Für kurze Zeit traten in diesem Interessentenkreis tatsächlich Kulturthemen in den Hintergrund und Politik spielte eine vordergründige Rolle. Diese Entwicklung hielt jedoch nur wenige Monate. Schon im April 1919 war die Politisierung des bürgerlich-kulturellen Lebens durch die Revolution in Hamburg vorbei. [3]
Mehr zur Revolution in Hamburg 1918/19 beleuchtet die Ausstellung „Revolution! Revolution?“ im Museum für Hamburgische Geschichte.
Der Begleitband zur Ausstellung „Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19“, herausgegeben von Hans-Jörg Czech, Olaf Matthes und Ortwin Pelc unter Mitwirkung des Vereins für Hamburgische Geschichte, ist 2018 im Wachholtz Verlag erschienen (ISBN: 978-3-529-05220-0). Der Band auf Deutsch enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und Fotografien, ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie Texte u.a. über Eliten in der Revolution, Frauen in der Revolutionszeit und Revolutionsereignisse im Hamburger Umland und Norddeutschland.
Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19
Museum für Hamburgische Geschichte
25.04.2018 – 25.02.2019
musermeku dankt dem Museum für Hamburgische Geschichte für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Mönckebergstraße mit Brunnen in Hamburg (um 1920), Heinrich von Seggern (1860–1948) – via MKG Hamburg – Public Domain
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Dirk Hempel: Das kulturelle Leben während der Revolution in Hamburg, In: Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19, Hg.v. Hans-Jörg Czech, Olaf Matthes und Ortwin Pelc unter Mitwirkung des Vereins für Hamburgische Geschichte, Wachholtz Verlag 2018, S. 173-185, hier S. 173
[2] Ebd. S. 173-177
[3] Ebd. S. 178-183
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