Jukebox. Jewkbox! Jüdische Musik vom Broadway bis zu den Ramones

Die Publikation „Jukebox. Jewkbox!“ gibt einen Überblick über ein Jahrhundert, das von jüdischen Komponisten, Produzenten, Bands und Musik-Stars geprägt war.

Jukebox. Jewkbox! gibt einen Überblick über ein Jahrhundert, das von jüdischen Komponisten, Produzenten, Bands und Musik-Stars geprägt war.

[Rezension] Als der deutsch-jüdische Emigrant Emil Berliner 1887 in den USA das Grammophon und die Schallplatte erfand, revolutionierte er die Musikwelt. Diese Revolution begann in Synagogen und auf dem Broadway und setzte sich fort beim Punk der Band The Ramones bis hin zur Soul-Musik von Amy Winehouse. Die Publikation „Jukebox. Jewkbox!“ gibt einen Überblick über ein Jahrhundert, das von jüdischen Komponisten, Songwritern, Produzenten, Bands und Musik-Stars geprägt war.


Die Anfänge der Plattenindustrie

Um Musik genießen zu können, ohne selbst zum Instrument greifen zu müssen, hatte man bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Man musste eine Veranstaltung besuchen oder man lud Musiker zu sich nach Hause ein. Dies änderte sich, als 1877 Thomas Edison den Phonographen erfand und walzenförmige Tonträger Musikaufnahmen ermöglichten. Zunächst teuer in der Herstellung, waren diese aber kaum verbreitet. Zehn Jahre später, mit der Erfindung des Grammophons und der Schallplatte durch Emil Berliner, wurde Musik schließlich zum günstig produzierbaren Massenmedium.

Die Publikation „Jukebox. Jewkbox!“ beleuchtet nicht nur die Entwicklung der Schallplatte, sondern schildert auch, wie in den Folgejahren weltweit Plattenlabels entstanden, allen voran die 1893 in Washington von Erfinder Emil Berliner gegründete United States Gramophone Company. Berliners Bruder Joseph gründete 1898 in Hannover und Berlin die Deutsche Grammophon Gesellschaft. Auch hinter zahlreichen weiteren Plattengesellschaften standen jüdische Initiatoren und Produzenten. Labels wie Gramophone, RCA-Victor, Pathé oder Orion verlegten synagogale, aber auch weltliche jüdische Musik. Zudem gab es Plattenfirmen, die sich besonders auf jüdische Künstler spezialisiert hatten, z.B. Syrena Records in Polen, das Label Semer, das im Berlin der 1930er Jahre jüdische Musik verlegte, Elesdisc in Frankreich oder Melodisc in England.


Jüdische Künstler am Broadway

Einer der ersten jüdischen Broadway-Stars war Irving Berlin. Der 1888 in Weißrussland als Israel Balin geborene Kantorensohn begann nach seiner Emigration in die USA als singing waiter in einem Café zu arbeiten. Dort brachte er sich auch das Klavierspielen selbst bei. Nach ersten Kompositionserfolgen, die noch in jüdischer Tradition standen, schaffte er mit „Alexander’s Ragtime Band“ 1911 seinen Durchbruch. Den weltweiten Erfolg hatte Berlin seinem Fast-Namensvetter Emil Berliner zu verdanken, denn Schallplatten machen die Kompositionen einem breiten Publikum zugänglich.

Der Broadway prägte auch die Karriere von Barbara Streisand, der ultimativen jüdischen Diva. Die 1942 in Brooklyn geborene Sängerin und Schauspielerin, die österreichisch-jüdische Wurzeln hat, gab ihr Broadway-Debüt 1961. Schon vor dem Erfolgsmusical „Funny Girl“ (1964) hatte sie sich längst in die Herzen der Amerikaner gesungen. Im Jahr 1969 wurde sie für ihre Kino-Rolle der Fanny Brice mit dem Oscar als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Übertroffen wird ihr Erfolg als Schauspielerin, zu dem auch ihr Film „Yentl“ aus dem Jahr 1983 erheblich beitrug, nur von ihrem Erfolg als Sängerin. Streisand veröffentlichte insgesamt 60 Schallplatten-Alben, die mit 50 Goldenen, 30 Platin- und 18 Multi-Platin-Platten ausgezeichnet wurden. Sie lässt damit die Beatles und die Rolling Stones hinter sich, einzig Elvis Presley war erfolgreicher als sie. Bis heute sind ihre Alben natürlich auch auf Vinyl erhältlich.


Lou Reed und die Ramones als „Jewish Radicals“

Hilly Kristal, ein Sohn russisch-jüdischer Einwanderer war es, der das New Yorker CBGB’s gründete, den Kult-Club der als Geburtsort vieler Punk und New Wave Bands gilt. Hier traten etwa The Ramones, Blondie, Patti Smith oder die Talking Heads auf. Auch Lou Reed ging im Club ein und aus, nachdem er The Velvet Underground verlassen hatte und als Solo-Künstler unterwegs war. Zuvor hatte der als Lewis Allan Rabinowitz geborene Sohn einer jüdischen Familie aus Brooklyn mit der deutschen Sängerin Nico zusammengearbeitet.

Nicht nur bei The Velvet Underground fanden jüdische und nicht-jüdische Musiker zusammen, um gegen ihr Erbe als erste Post-Holocaust Generation zu rebellieren. Auch bei den Ramones zeigt sich diese Rebellion, z.B. in ihrem Song „Today Your Love, Tomorrow The World“ mit dem Text:

„One, two, three, four
Well, I’m a shock trooper in a stupor, yes I am

I’m a Nazi schatzi, y’know, I fight for fatherland
[…]
Little German boy being pushed around
Little German boy in a German town
[…]

Eins-zwei-drei-vier
Today your love, tomorrow the world“

Ramones, 1976

Ebenso gilt ihr Song „Blitzkrieg Bop“ als Provokation, wobei bis heute nicht geklärt ist, ob Joey Ramone (Jeffrey Hyman) und Tommy Ramone (Tamas Erdelyi) damit gegen ihre jüdischen Eltern rebellieren wollten, oder ob doch eher Johnny und Dee Dee Ramone damit ihre jüdischen Bandkollegen provozieren wollten.


Plattenkult und Kultplatten

Das 20. Jahrhundert zeigt den Aufstieg und fast auch den Fall des Mediums Schallplatte. Die 1980er Jahre kündigten beinahe den Tod von Vinyl an: CDs präsentierten sich als günstigere und vermeintlich praktischere Nachfolger und schließlich machten MP3-Dateien und später Musik-Streaming im 21. Jahrhundert jede Form von physischen Tonträgern eigentlich überflüssig.

Doch auch heute noch hält sich die Schallplatte hartnäckig unter Musikliebhabern. Viele Bands veröffentlichen zwischenzeitlich wieder aufwändig gestaltete Singles, EPs und LPs auf Vinyl – meist zusammen mit einem Download-Code für die Digitalversion der Musik. „Jukebox. Jewkbox!“ zeigt diese Entwicklung des Plattenkult im Laufe des letzten Jahrhunderts und beleuchtet einige Kultplatten – und die jüdischen Künstler dahinter.


Das Buch „Jukebox. Jewkbox! Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl“, herausgegeben von Hanno Loewy, erschien 2014 im Bucher Verlag. (ISBN: 978-3-99018-296-3)

musermeku dankt dem Jüdischen Museum München für die kostenfreie Überlassung des Buchs.


Header-Bild: Francis Barraud: His Master’s Voice (1898/99) Public Domain – bearbeitet


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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