„Gehorsam“ von Saskia Boddeke und Peter Greenaway

Im Künstlerbuch „Gehorsam“ setzen sich der Filmemacher Peter Greenaway und die Künstlerin Saskia Boddeke mit dem Mythos Abrahams auseinander. Dabei diskutieren sie die Rolle des Opfers, des Täters und des Zuschauers im Angesicht von Grausamkeit und Krieg.

Im Künstlerbuch "Gehorsam" setzen sich der Filmemacher Peter Greenaway und die Künstlerin Saskia Boddeke mit dem Mythos Abrahams auseinander.

[Rezension] Judentum, Christentum und Islam, alle drei großen monotheistischen Weltreligionen kennen den Mythos Abrahams, der auf Gottes Befehl hin dazu bereit ist, seinen eigenen Sohn zu opfern. Mit diesem Mythos befassten sich der Filmemacher Peter Greenaway und die Künstlerin Saskia Boddeke in der Ausstellung „Gehorsam“, die vom 22. Mai bis 15. November 2015 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen war. Empfehlenswert ist das dazu erschienene Künstlerbuch, das die in der Ausstellung gezeigten Gemälde, Skulpturen und rituelle Objekte sowie die verschiedenen dafür entstandenen Film-Installationen dokumentiert und dabei vor allem diverse Fragen rund um die Identifikation mit der Rolle des Opfers, des Täters und des Zuschauers im Angesicht von Grausamkeit und Krieg diskutiert.


Detail aus: Das Opfer von Abraham, Rembrandt van Rijn (1655) – Rijksmuseum – RP-P-1962-14Public Domain

Symbole für Kriegs- und Gewalterfahrungen

Kinder und Jugendliche waren im Vorfeld der Ausstellung dazu aufgerufen, sich zu filmen und mit ihrem Videomaterial selbst Teil der Installation in der Ausstellung und im Künstlerbuch zu werden. Die Teilnehmenden mussten sich entscheiden: Mit welchem der beiden Söhne von Abraham wollten sie sich identifizieren – mit Isaak oder mit Ismael? Saskia Boddeke betonte hierzu im Interview mit Mirjam Wenzel im Blog des Jüdischen Museums Berlin: „Für mich sind Isaak und Ismael die wichtigsten Figuren der gesamten Erzählung. Sie symbolisieren die Kinder, die das Recht haben, beschützt zu werden und in einer Welt ohne Krieg zu leben.“

Boddeke war es wichtig zu betonen, dass sich Kinder und Jugendliche aus der ganzen Welt mit dieser Perspektive auf die biblische Erzählung identifizieren können. Isaak und Ismael werden für die Künstlerin gewissermaßen zum Symbol für alle Kinder, die unter Krieg und Gewalt leiden. Ihre Installation entfernt sich damit inhaltlich von der biblischen Erzählung, denn das Religiöse rückt in den Hintergrund. Vordergründig geht es der Künstlerin um junge Menschen und um die Bedrohung ihres Lebens und ihrer Sicherheit durch Krieg: „Anstelle des Gehorsams, der Gott und seinem Willen gezollt werden soll, fragen wir danach, inwieweit wir der Logik unserer Gesellschaft bzw. dem gesellschaftlichen Druck gehorchen, die uns anhält zu erhalten, was wir haben“.

Ein Ansatz der Auseinandersetzung mit dem Thema ist dabei auch das Verschieben des Blickwinkels. Während es zunächst noch um eine Identifikation mit Isaak oder Ismael geht, also mit den beiden Kindern, kommt später die Frage nach der Identifikation mit Abraham auf, also mit dem Vater, der bereit war, sein Kind zu opfern. Schließlich soll auch hinterfragt werden: Wie würde man sich selbst verhalten, wenn ein anderes Kind geopfert wird? Saskia Boddeke erläuterte ihre Intention damit, dass nach der Auseinandersetzung mit all diesen Fragen der Schmerz derjenigen, deren Kinder geopfert werden, zu „unser aller Schmerz“ werden sollte. [1]


Das Opfer von Abraham, Schelte Adamsz. Bolswert, nach Theodoor Rombouts (1596-1659) – Rijksmuseum – RP-P-OB-33.313Public Domain

Der Mythos des Opfers

Das im Kerber Verlag erschienene Künstlerbuch besteht aus zwei Bänden: zum einen ein Bildband und zum anderen ein Begleitband mit Quellen und Theorietexten. Die Klappen des Bildbandes sowie einzelne Seiten zeigen Filmstills aus Saskia Boddekes Installation „I’m Isaac“. Diesen zeitgenössischen Porträtfotos von Kindern und Jugendlichen aus aller Welt werden Ausschnitte historischer Bilder und Fotografien gegenübergestellt, die sich mit dem Isaak-Motiv oder einer Mutter-Sohn- bzw. Vater-Sohn-Beziehung beschäftigen. Das Bildmaterial stammt aus verschieden Kulturkreisen und aus unterschiedlichen Jahrhunderten, etwa Denis Dailleux‘ „Mütter und Söhne“ (Ägypten, 2012-14), Marc Chagalls „Die Opferung Isaaks“ (1960-66), Tizians „Abraham opfert Isaak“ (1542-44), Francisco de Zubaráns „Agnus Dei“ (1635-40) oder DCs „Picture Stories from the Bible“ (1943).

Der Begleitband stellt zunächst die Texte zum biblischen Mythos einander gegenüber: das vom Judentum und Christentum rezipierte I. Buch Mose (22: 1-19) sowie den Text des Koran (Sure 37: 99-109). Letzterer schildert die Erzählung in leicht abgeänderter Form, wie Angelika Neuwirth in ihrem Beitrag „Koranische Neulektüre der Akeda“ in der Publikation darlegt. [2] In ihrem Vorwort gehen Margret Kampmeyer und Cilly Kugelmann auf die verschiedenen Interpretationen des Mythos in den drei Religionen ein, wobei sie sich u.a. mit der Begrifflichkeit auseinandersetzen. Angesprochen wird im Buch die Differenz zwischen der „Bindung Isaaks“ (hebräisch Akedat Jitzchak) und der Betonung des verhinderten Opfers und der christlichen Bezeichnung als „Opferung Isaaks“, also des vollzogenen Opfers im Hinblick auf den Tod Christi. In diesem Zusammenhang wird auch auf das islamische Opferfest verwiesen, das an den Mythos anknüpft. [3] Weiterhin werden Bezüge zu religiösen Festen dargelegt sowie die Bedeutung der mit dem mythologischen Ereignis verbundenen Orte. [4] Nicht zuletzt wird auch die Vielschichtigkeit des Begriffs bzw. des Konzepts von „Gehorsam“ diskutiert.[5]

Kampmeyer und Kugelmann betonen schließlich, dass der Mythos um Isaak und Abraham heute – abgesehen von seiner religiösen und philosophischen Bedeutung – in erster Linie für menschliche Grenzerfahrung stehe. Bilder hätten hieran einen entscheidenden Anteil, wie es weiter heißt, wobei bis ins späte 19. Jahrhundert der christliche Blick dominieren würde, da es in der jüdischen und muslimischen Tradition nur wenige Darstellungen biblischer Szenen gäbe. Die Vorstellung des Mythos als „psychologisches Drama über Tod und Gewalt“ sei, so die beiden Autorinnen, v.a. durch zwei künstlerische Darstellungen geprägt: zum einen „Die Opferung Isaaks“ von Caravaggio aus dem Jahr 1603 und zum anderen das gleichnamige Gemälde von Rembrandt van Rijn aus dem Jahr 1635. Die Bilder stünden dabei für zwei unterschiedliche Zugänge zum Thema: die aggressive Seite von Befehl und Gehorsam und dem gegenüber das seelische Konfliktpotenzial des Glaubensbeweises. [6]

Der Bildband, der begleitend zur Ausstellung „Gehorsam“ erschienen ist, zeigt entsprechend Werke, die diese unterschiedlichen Zugänge repräsentieren. Die folgenden Beiträge des Begleitbandes von Ed Noort, Jon D. Levenson, Angela Neuwirth, Helmut Hoping und Omri Boehm befassen sich schließlich detailliert mit der Bedeutung des Mythos für Judentum, Christentum und Islam hinsichtlich verschiedener Aspekte und Deutungsebenen.


Das Künstlerbuch zur Ausstellung „Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke und Peter Greenaway“, herausgegeben von Peter Greenaway, Margret Kampmeyer und Cilly Kugelmann im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin, ist im Mai 2015 im Kerber Verlag erschienen (ISBN: 978-3-7356-0067-7).

musermeku dankt dem Kerber Verlag für die kostenfreie Überlassung des Rezensions-Exemplars.


Header-Bild: Detail aus: Das Opfer von Abraham, Pieter Lastman (ca. 1612) – Rijksmuseum – SK-A-1359Public Domain


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Saskia Boddeke: „Ihr Schmerz wird unser aller Schmerz sein“. Interview mit Mirjam Wenzel, In: Blogerim – Blog des Jüdischen Museums Berlin, 20.03.2015

[2] Angelika Neuwirth: „Koranische Neulektüre der Akeda“, In: Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke und Peter Greenaway“, Hg.v. Peter Greenaway, Margret Kampmeyer und Cilly Kugelmann im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin, Kerber Verlag 2015, S. 36-45.

[3] Margret Kampmeyer und Cilly Kugelmann: „Bindung, Opferung, Schlachtung – oder das Ereignis, das nicht stattgefunden hat“, In: Ebd., S. 11

[4] Ebd., S. 12

[5] Ebd., S. 13

[6] Ebd., S. 13f


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