Das immersive Museum: Zwischen Erlebniswelt und Kulturvermittlung

Ist das Museum der Zukunft eine immersive Erlebniswelt? Diverse Kulturinstitutionen experimentieren mit aufwändigen audiovisuellen Installationen, doch manches bietet eher oberflächliche Attraktion statt inhaltlichen Mehrwert.

Vom Eintauchen in audiovisuelle, interaktive Welten: Wird das Museum der Zukunft zu einer immersiven Erlebniswelt?

[Debatte] Komplett in Farben und Formen eintauchen, in Geräusche und Klänge, in Bewegungen und Lichteffekte – das versprechen immersive Ausstellungen. Ähnlich wie bei Virtual Reality (VR), bei der die Wahrnehmung des Nutzers mit diversen Eindrücken konfrontiert wird, um die virtuelle Umgebung idealerweise als real erscheinen zu lassen, experimentieren seit einigen Jahren auch immer wieder Kulturinstitutionen mit immersiven Angeboten. Statt nur auf das passive Erleben zu setzen, werden dabei auch interaktive Elemente integriert, so dass etwa Besucher durch Bewegungen ihr Umfeld beeinflussen können und digitale Projektionen auf die Menschen in ihnen reagieren. In Hamburg entsteht gerade ein neues Digital Art Museum, das komplett als Institution für immersive Kunst geplant wird. Doch auch etablierte Museen experimentieren mit den Möglichkeiten, die immersive Ausstellungen und Installationen bieten können.


teamLab und das Digital Art Museum

Mit zu den Pionieren der immersiven Angebote zählt teamLab, ein Team aus internationalen Kunstschaffenden, Design- und Technik-Akteuren, die vermehrt seit den 2010er Jahren weltweit Installationen, Ausstellungen und sogar ganze immersive Institutionen gestalten. Die Werke von teamLab sind unter anderem in der Sammlung des Museum of Contemporary Art in Los Angeles zu finden, ebenso wie in der Borusan Contemporary Art Collection in Istanbul und im Amos Rex in Helsinki. Es fanden zudem bereits teamLab-Ausstellungen auf der ganzen Welt statt, unter anderem in New York, London, Paris und Singapur. Darüber hinaus betreibt das Kollektiv groß angelegten Dauerausstellungen und immersive Institutionen, etwa in Tokio, Shanghai und Macao. Auch in Hamburg ist nun eine solche Institution geplant, mitten in der HafenCity in der Nähe der Elbbrücken. Am ersten festen europäischen Standort wird ein „visuelles Spektakel“ versprochen, als eine Art Schnittstelle zwischen Kunst und Unterhaltung.

Bei teamLab Borderless in Hamburg sollen sich ab Sommer 2025 Besucher in digital projizierte Welten aus Wasser, Bäumen und Blüten hineinbegeben, mit den Projektionen interagieren, um etwa Farb- und Bewegungsveränderungen oder Klänge zu steuern, und dies natürlich auch in Social Media teilen – denn im immersiven Raum ist Instagrammability selbstverständlich. Die Idee hinter dem geplanten Digital Art Museum ist es, eine Gruppe von immersiven Kunstwerken zu präsentieren, die eine kontinuierliche, grenzenlose Welt bilden. Die Kunstwerke sollen sich dabei frei aus den Räumen heraus bewegen und so Verbindungen und Beziehungen zu den Besuchenden herstellen, während sie auch mit anderen Werken in der Ausstellung kommunizieren, diese beeinflussen und sich vermischen sollen. Die Menschen sollen so zum Teil des Erlebnisses werden und dieses durch ihre Interaktion zusammen gestalten.


Immersives Museum oder Erlebnisraum?

Mitte Juli 2023 gaben die deutschsprachigen Nationalkomitees des internationalen Museumsverbandes, ICOM Belgien, ICOM Deutschland, ICOM Österreich und ICOM Schweiz, die offizielle deutsche Übersetzung der neuen Museumsdefinition bekannt, die man im August 2022 bei einer Konferenz in Prag verabschiedet hatte. Die Definition ist insofern interessant, als das sie einerseits den Begriff des Museums erweitert, andererseits aber auch relativ hohe Anforderungen daran formuliert, was ein Museum ist – oder was es sein sollte:

„Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.“

Offizielle Übersetzung der neuen ICOM Definition für Museen

Schaut man sich diese Museumsdefinition an, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die meisten immersiven Angebote, die aktuell weltweit zu sehen sind, diesen Anforderungen eher nicht gerecht werden. Abgesehen von der Frage nach der Erforschung und langfristigen Bewahrung der hier gezeigten Kunstwerke, erwecken viele nicht den Eindruck, dass Inhalte hier interpretiert oder vermittelt werden. Auch das in Hamburg geplante Digital Art Museum wirbt vor allem erst einmal damit, digitale Kunst zu zeigen „die Besucher berührt und von ihnen berührt werden soll“. Angekündigt wird eine „multidimensionale und multisensuale, immersive Kunsterfahrung“, die „ohne die übliche Distanz zwischen Kunst und Betrachter“ funktionieren soll.

Wo aber in klassischen Kunstmuseen oft ein Angebot in Museumspädagogik und Kunstvermittlung dazu da ist, eine mögliche intellektuelle Distanz zur Kunst zu überwinden, muss bei immersiven Ausstellungen und Installationen gefragt werden, ob es überhaupt über ein physisches Eintauchen in die Kunst, also über die Immersion, hinaus geht. Schließlich könnte man auch annehmen, dass eine Distanz nicht überwunden werden muss, wenn es sie inhaltlich von vornherein gar nicht gibt.


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Eintauchen in die Naturgeschichte

Immersive Erlebnisse eignen sich nicht nur für die Visualisierung von Kunst, das zeigt aktuell „Invisible Worlds“ im American Museum of Natural History in New York. Wie in den meisten Naturhistorischen Museen sind in der Dauerausstellung des AMNH eigentlich Edelsteine und Mineralien zu sehen oder Informationen zu Dinosauriern und zur Evolution der Lebewesen auf unserem Planeten. In Dioramen warten Nachbildungen von Landschaften, daneben sind präparierte Tiere und Skelette ausgestellt. So weit, so bekannt. Mit „Invisible Worlds“ begibt sich das Museum nun aber auf einen neuen Weg der Wissensvermittlung: In dem immersiven Angebot sollen Netzwerke des Lebens in allen Maßstäben dargestellt werden, bis hin zu winzigen Prozessen, die für das menschliche Auge sonst unsichtbar sind. Auch hier können Besucher mit der Installation interagieren und die Projektionen in der Ausstellung durch ihre Bewegungen beeinflussen.

Die Inhalte in „Invisible Worlds“ basieren dabei auf wissenschaftlichen Daten; eingebettet ist das immersive Erlebnis zudem in den Kontext der Dauerausstellung, um auf die Sammlungsinhalte verweisen zu können. So werden die Inhalte des Museums durch eine andere Präsentationsart weitererzählt, von einer neuen Perspektive auf das komplex vernetzte Ökosystem im Brasilianischen Regenwald über das Netzwerk von Satelliten in der Erdumlaufbahn bis hin zu den Vernetzungen im menschlichen Gehirn. Das vom Berliner Studio Tamschick Media+Space gestaltete Angebot, das zwischen den Ausstellungsräumen als 12-minütiger Loop zu sehen ist, wird dabei vom Museum übrigens explizit als „immersive experience“ betitelt – also nicht als Ausstellung.


Kunst als immersive Show

Tatsächlich kann „Invisible Worlds“ als Versuch gesehen werden, neue Zielgruppen zu erreichen – ein Ziel, was im Prinzip die meisten Museen anstreben. Mit dem Ansatz, nicht nur Inhalte weiterzuentwickeln, sondern auch deren Präsentationsform zu überdenken, ist das AMNH nicht allein. Viele Kulturinstitutionen folgen der Auffassung, dass eine breitere Zielgruppe, und insbesondere ein jüngeres Publikum, vor allem mit neuen technologischen Angeboten erreicht werden kann. Je mehr sich diese von den klassisch analog gestalteten Ausstellungen unterscheiden, um so besser – so zumindest die Annahme einiger Institutionen. Waren früher Games und Museums-Apps ein großer Trend, und später VR-Angebote, sind vielleicht immersive Installationen der nächste Hype im Museumsbereich.

Der Publikumserfolg von Ausstellungen mit Werken von Yayoi Kusama scheint dies vorauszuahnen. Die japanische Künstlerin schuf bereits im Jahr 1965 mit „Infinity Mirror Room – Phalli’s Field“ ihre erste begehbare Installation mit Spiegeln. Doch als sei der Erfolg ihrer immersiven Werke mit der steigenden Popularität von Social Media verknüpft, sind ihre Arbeiten erst seit den 2010er Jahren auch einem weltweit breiten Publikum bekannt, also auch bei Menschen, die sich sonst eher nicht für Kunst interessieren. Immersive Kunst bedeutet eben auch meist instagrammable zu sein und für Aufmerksamkeit in Sozialen Netzwerken zu sorgen. Welche Themen und Motive Kusama für ihre Arbeiten bewegten, spielt dabei für die meisten Menschen jedoch kaum eine Rolle und wird eher nicht hinterfragt. Bewundert wird in erster Linie die Schönheit ihrer vermeintlich fröhlichen Polka Dots und lustigen Kürbisse in bunten Farben.

Parallel begann der Siegeszug von immersiven Angeboten zu anderen Kunstschaffenden, von van Gogh über Klimt bis hin zu Monet, bei denen man in 360 Grad ihre Werke als Bildprojektionen erleben kann. Aktuell bietet „Viva Frida Kahlo“ in Hamburg die Möglichkeit, sich durch bis zu 10 Meter hoch projezierte Darstellungen von Werken der mexikanischen Künstlerin zu bewegen. Besuchende sollen dabei eigenständig in die Welt der Künstlerin eintauchen, wobei raumgreifende Projektionen von Kahlos Gemälden ergänzt werden durch einen Film, der durch das Leben der Künstlerin führt. Auch hier wird natürlich dazu aufgerufen, seine Eindrücke zu filmen und zu fotografieren, um sie in Social Media zu posten. Denn soweit geht die Immersion bei vielen Besuchern dann doch nicht: Man vergisst beim Eintauchen in die Kunst vielleicht seine Umwelt, denkt ab dennoch daran, alles für die Sozialen Netzwerke zu dokumentieren.


Ist das Museum der Zukunft immersiv?

Ob ein immersives Erlebnis einen ästhetischen, inhaltlichen und vermittelnden Mehrwert für Besucher bringt, hängt immer von der Umsetzung ab. Es reicht nicht, einfach etwas an eine Wand zu projizieren, sonst könnte jede Kinovorstellung und jede Beamer-Leinwand als immersives Erlebnis betitelt werden. Vielmehr müssen Kontext, Inhalte und Raum in einer passenden Szenografie in Einklang gebracht werden.

Für Museen können sich immersive Installationen dann anbieten, wenn es darum geht Inhalte zu visualisieren und zu vermitteln, die auf andere Art nicht dargestellt werden können, etwa wie im Fall von „Invisible Worlds“ im AMNH in New York. Die Institution befolgt hierbei eine wichtige Grundregel: Wenn sich Museen von immersiven Erlebnisräumen unterscheiden wollen, sollten wissenschaftlich fundierte Inhalte vermittelt werden. In Bezug auf die ICOM Museumsdefinition geht es dabei nicht nur um das reine Präsentieren, auch das Element der Interpretation spielt dabei eine wichtige Rolle.

Hinzu kommt das eigentliche Element der Immersion, das erst durch eine Interaktion von Besuchern mit der Umgebung erreicht wird. Insofern müssen in das Angebot auch interaktive Elemente integriert werden, die den multimedialen Inhalt unterstützen und idealerweise ein funktionales Prinzip verdeutlichen. Ein gemeinschaftlicher Aspekt kann die Immersion verstärken, wenn etwa mehrere Besucher für ein bestimmtes Ziel koordiniert handeln müssen. So können immersive Angebote als Orte der Begegnung und des gemeinsamen Austauschs fungieren, an dem Menschen zusammenkommen und miteinander in Dialog treten.

Welchen inhaltlichen Mehrwert die Besucher am Ende aus einem immersiven Angebot mitnehmen, wird vielleicht aber die Frage beantworten, was eine Erlebniswelt von einem Museum unterscheidet. Wurde wirklich Wissen vermittelt – oder bleiben nach dem Besuch doch nur schöne Bilder für Social Media?


Header-Bild: Angelika Schoder – Book of Kells Experience, Trinity College, Dublin 2024


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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