Zusammen ins Museum: Ein Projekt in der Schweiz strebt Kultur für alle an

Beim Projekt „Zusammen ins Museum“ (ZiM) steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Durch den Aufbau einer Community will die Schweizerin Aslıhan Aslan Berührungsängste mit Kulturangeboten abbauen, denn gemeinsam fällt es vielen Menschen leichter, Museen zu besuchen.

Bei "Zusammen ins Museum" (ZiM) steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Das Projekt soll Berührungsängste mit Kulturangeboten abbauen.

[Interview] Kultur sollte für alle zugänglich sein, unabhängig von Bildungsstand, Vorkenntnissen, sozialer Schicht, Herkunft, Alter und körperlichen Fähigkeiten. Studien zeigen allerdings immer wieder, dass dem klassischen Kulturpublikum eine deutlich größere Gruppe von sogenannten Nicht-Besuchenden gegenübersteht. Viele Museen setzen sich daher intensiv mit der Frage auseinander, wie sie auch die Menschen für ihre Inhalte begeistern können, die bisher nicht zum Kulturpublikum zählen. Aber vielleicht sollten sich nicht nur Museen zu dem Thema Gedanken machen. Ergänzend braucht es auch Initiativen aus dem (potenziellen) Publikum.

In einigen Städten gibt es Projekte, die sich mit dem Thema „Kultur für alle“ beschäftigen, zum Beispiel der Kulturlotse Hamburg e.V., der einen Veranstaltungskalender für kostenlose und barrierefreie Kulturangebote in der Hansestadt bietet, oder das Schweizer Freiwilligen-Projekt „TiM – Tandem im Museum“, das Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Kulturkreisen miteinander in Kontakt bringt, um zu zweit gratis ein Museum zu besuchen. Während es bei vielen ähnlichen „Kultur für Alle“-Initiativen um mobile, finanzielle oder soziale Zugänglichkeit geht, verfolgt das Schweizer Projekt „Zusammen ins Museum“ (ZiM) einen etwas anderen Ansatz. Hier steht das Gemeinschaftliche bzw. die Community im Mittelpunkt. Im Interview berichtet „Zusammen ins Museum“ Gründerin Aslıhan Aslan von den Hintergründen ihres Projekts.


Die Community im Mittelpunkt: Zusammen ins Museum

Aslıhan Aslan im Interview

Ausgangspunkt für „Zusammen ins Museum“ (ZiM) ist die Idee, dass Museumsbesuche oft individuelle Erlebnisse sind, doch nicht jede Person traut sich allein ins Museum. Genau hier möchtest du mit ZiM als Community-basierter Initiative ansetzen. Wie entstand die Idee für dein Projekt?

Aslıhan: „Alles begann, als ich im September 2022 remote von Spanien aus arbeitete. Am Feierabend besuchte ich viele Museen. An meinem 29. Geburtstag besuchte ich das Institut Valencià d’Art Modern und fragte am Empfang, warum der Eintritt sehr günstig ist oder zum Teil kostenlos. Sie meinten, dass das Kulturministerium Spaniens die Museen unterstütze und diese deshalb gratis seien. Dies beeindruckte mich sehr. Meine vielen Museumsbesuche weckten die Aufmerksamkeit meiner Freunde und eine Bekannte schrieb mir über Instagram: ‚Wir sollten zusammen ins Museum gehen.‘

Zwei Wochen später besuchte ich Madrid und war überwältigt vom Museo del Prado. Vor dem berühmten Gemälde ‚Die nackte Maja‘ kam mir die Idee, dass ich nicht alleine, sondern zusammen mit anderen Menschen ins Museum gehen möchte. Das war die Geburtsstunde von ZiM, im neunten Stock über den Dächern der spanischen Hauptstadt. So habe ich die Initiative ‚Zusammen ins Museum‘ gegründet, mit dem Ziel, Hemmschwellen für neue Museumsbesuche abzubauen.“


Wie verändert sich das Erlebnis deiner Meinung nach, wenn man gemeinsam im Museum unterwegs ist statt alleine?

Aslıhan: „Als kulturinteressierte Privatperson habe ich die Erfahrung gemacht, wie bereichernd Museumsbesuche in Gesellschaft sind. Daher habe ich ZiM als flexibles, niedrigschwelliges Angebot entwickelt. Über einen Telegram-Chat können sich Interessierte vernetzen und sich für monatliche Museumsbesuche samt Führungen anmelden. Neben der gemeinsamen Kunstbetrachtung steht auch der informelle Austausch im Vordergrund, etwa bei einem anschliessenden Café-Besuch.

Denn Studien zeigen, dass viele Menschen kulturelle Einrichtungen meiden, weil sie Unsicherheiten empfinden – sei es aufgrund fehlender Vorkenntnisse, sozialer Hemmschwellen oder einer mangelnden persönlichen Verbindung zur Kunst.* Mit ZiM möchte ich genau diese Herausforderungen adressieren: Die Gruppenkonstellation ermöglicht ein Gefühl der Geborgenheit und Halt. Vereinte Museumsbesuche werden durch gemeinsames Erleben und Diskussionen zugänglicher. Die Dynamik der Gruppe schafft eine interaktive Erfahrung, die über den klassischen Besuch hinausgeht.“

* Eine bevölkerungsrepräsentative Studie des Deutschen Museumsbundes aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 25% der Befragten Museen als nicht einladend empfinden, was auf bestehende Unsicherheiten hindeutet.


Du folgst mit ZIM dem Leitsatz „Kunst ist für alle da“. Wie setzt sich die ZIM-Community bisher zusammen? Erreichst du damit auch Menschen, die vorher zu diesen Nicht-Besuchenden zählten?

Aslıhan: „Museen werden von einigen Menschen nicht besucht, weil sie elitär und als nicht für alle zugänglich wirken können. Fehlendes Interesse, Zeitmangel und finanzielle Hürden sind weitere Gründe, warum Besuchende fernbleiben. Museen müssen offener und alltagsnaher werden, um diversere Zielgruppen anzusprechen. ZiM kann zumindest bei der ersten Herausforderung helfen, da der gemeinsame Museumsbesuch Berührungsängste abbaut.

Ich kann mich noch gut an meinen ersten Museumsbesuch mit der ZiM-Community erinnern – es war eine ganz besondere Erfahrung. Statt alleine durch die Ausstellungen zu schlendern, war ich Teil einer Gruppe, die sich gegenseitig inspirierte. Jede Person hatte eine eigene Sicht auf die Kunst, und genau diese unterschiedlichen Perspektiven machten das Gespräch danach so spannend und bereichernd. Was mir besonders gefallen hat, ist, wie entspannt und einladend die Gruppenkonstellation und die Gespräche waren.

Egal, ob man sich schon gut mit Kunst auskennt oder einfach nur neugierig ist – bei ZiM ist jede Person willkommen. Über unseren Telegram-Chat kann man sich außerdem einfach für die nächsten Besuche anmelden und gleich neue Leute kennenlernen. Unsere Community wächst ständig, es kommen immer wieder neue Gesichter dazu, aber es gibt auch eine tolle Gruppe von ‚alten Hasen‘, die sich schon seit über zwei Jahren kennen. Die Mischung macht es so lebendig – hier findet wirklich jede Person ihren Platz.“


Bei ZIM bietest du nicht nur die Möglichkeit, in einer Gruppe an einer Museumsführung teilzunehmen. Der Austausch in der Community geht nach dem Museum noch weiter…

Aslıhan: „Genau. Nach den Museumsbesuchen setzen wir uns oft noch gemütlich ins Café und tauschen uns weiter aus. Manche Gespräche vertiefen sich so sehr, dass aus einem einfachen Museumsbesuch neue Freundschaften oder Bekanntschaften entstehen. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, Teil dieser Gruppe zu sein, die nicht nur Kultur liebt, sondern auch miteinander wächst.

Dabei ist der gemeinsame Café-Besuch nach jeder Ausstellung also ein ganz zentrales Element von ZiM. Es fördert nicht nur den sozialen Austausch, sondern ermöglicht es auch, die Eindrücke zu reflektieren und vertiefende Gespräche über die Exponate zu führen. Diese informellen Diskussionen tragen dazu bei, dass Museumsbesuche nicht als isolierte Erlebnisse wahrgenommen werden, sondern als soziale und kulturelle Ereignisse mit nachhaltiger Wirkung. Zudem bietet dieser Austausch eine wertvolle Möglichkeit für wiederkehrende Besuchende, Kontakte zu knüpfen und eine langfristige Beziehung zur Museums-Community aufzubauen.“


Zur Organisation der ZIM-Community nutzt du einen Telegram-Chat. Wieso hast du dich für diese Plattform entschieden und wie gestaltest du den Chat?

Aslıhan: „Ich habe mich für Telegram entschieden, weil die Plattform eine einfache Handhabung für grössere Gruppen ermöglicht, ohne auf eine klassische Social-Media-Umgebung angewiesen zu sein. Der ZiM-Chat dient sowohl der internen Kommunikation als auch der Verbreitung von Informationen zu geplanten Veranstaltungen. Neben dem direkten Austausch unter den Mitgliedern werden regelmässig Inhalte zu Museumsangeboten, Ausstellungs-Tipps und organisatorischen Updates bereitgestellt.

In der Telegram-Community sieht ein Mitglied so eine geplante Museumsveranstaltung und kann mit einer direkten Nachricht seine Teilnahme bestätigen. Durch die fortlaufenden Gespräche und gegenseitige Motivation in der Gruppe steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Mitglied tatsächlich teilnimmt. Denn wer sich einmal zur Gruppe zählt, fühlt sich oft stärker motiviert, an weiteren Museumsbesuchen teilzunehmen.

Von den derzeit rund 160 Mitgliedern der ZiM Telegram-Community nimmt ein signifikanter Teil konstant an Veranstaltungen teil. Die Grupenngrösse variiert jeweils zwischen ca. 10 bis maximal 25 Teilnehmenden.“


Für alle die nun Interesse haben, auch Mitglied der ZiM-Community zu werden: Was macht eure gemeinsamen Museumsbesuche aus?

Aslıhan: „Besonders die Erlebnisse mit der Community machen unsere Treffen so wertvoll. Ein Moment, der mir stark in Erinnerung geblieben ist, war, als ich im Februar 2023 eine Führung im Stapferhaus zur Ausstellung ‚Natur. Und Wir?‘ leitete. Meine Eltern waren während des Erdbebens in Antakya und kamen am Tag zuvor vom Krisengebiet zurück. Ich war hin- und hergerissen, ob ich die Führung absagen sollte. Doch es hatten sich 20 Personen angemeldet, also stand ich vor der Gruppe und erklärte meine Situation. Die Ausstellung selbst stellte viele Fragen zu unserer Beziehung zur Natur und ihrer Unberechenbarkeit – es war ein Moment, der mir noch lange nachging und sich durch die Umstände besonders tief prägte.

Auch schön ist es, wenn ich höre, dass sich Mitglieder der Community zufällig in anderen Ausstellungen wiedersehen und austauschen, weil sie sich von unseren Museumstreffen kennen. Besonders oft begegneten sich Menschen in der Ausstellung ‚Stranger in the Village‘ im Aargauer Kunsthaus – eine Empfehlung von mir. Es freut mich zu wissen, dass diese Treffen nachhaltig wirken und ein Gefühl der Verbindung entsteht.

Eine weitere herzerwärmende Erfahrung sind die Museumsbesuche am Muttertag. Manche Teilnehmenden bringen ihre Mütter mit, um diesen Tag gemeinsam im Museum zu verbringen. Im Januar 2025 nahm eine Teilnehmerin sogar ihre Schwiegermutter mit. Besonders lustig war, dass sie als Einzige mutig genug war, durch eine Performance mit nackten Kunstschaffenden zu laufen – während sich alle anderen eher zurückhielten und schämten. Es war ein Moment des Lachens und der Unbefangenheit, den wir alle so schnell nicht vergessen werden. Diese Erlebnisse zeigen mir immer wieder, wie wertvoll das Vertrauen und die Offenheit in unserer Community sind.“


Nach welchen Kriterien wählst du die Museen bzw. Ausstellungen für die monatlichen ZIM Besuche aus? Und wie gestaltet sich hier die Zusammenarbeit mit den Museen?

Aslıhan: „Die Auswahl der Museen und Ausstellungen für ZiM-Besuche erfolgt nach mehreren Kriterien: Neben inhaltlicher Relevanz und Zugänglichkeit spielen auch Faktoren wie Eintrittspreise und interaktive Vermittlungsansätze eine Rolle.

Die Zusammenarbeit mit Museen gestaltet sich bislang flexibel – einige Institutionen zeigen Interesse an Kooperationen, während andere den direkten Kontakt mit der ZiM-Community bisher eher beobachtend begleiten. Zukünftig könnte eine engere Zusammenarbeit mit Museen dazu beitragen, noch gezieltere Angebote für bisher unerschlossene Zielgruppen zu schaffen.“


Was planst du für die Zukunft von ‚Zusammen ins Museum‘? Wie geht es idealerweise in den nächsten Monaten und Jahren mit deinem Projekt weiter?

Aslıhan: „Für die Zukunft von ZiM plane ich, das Projekt weiter auszubauen und noch mehr Menschen zu erreichen. In den kommenden Monaten möchte ich die Community weiter wachsen lassen und sicherstellen, dass sich immer mehr Interessierte miteinander vernetzen können. Ein wichtiger Schritt wird dabei die intensivere Zusammenarbeit mit Museen und anderen kulturellen Einrichtungen sein, um massgeschneiderte Angebote für bisher unerschlossene Zielgruppen zu schaffen – vor allem für Menschen, die sonst nie ins Museum gehen würden. Besonders möchte ich Menschen mit geringem Einkommen, Familien ohne kulturelle Vorerfahrung, junge Erwachsene sowie Menschen mit Migrationsvorsprung ansprechen, die bisher kaum Zugang zu Museen hatten.

Langfristig strebe ich an, Partnerschaften mit Museen und Organisationen aufzubauen, um noch mehr kulturelle Erlebnisse und soziale Events anbieten zu können. Besonders wichtig ist mir dabei, Museen aktiv zu beraten und sie dabei zu unterstützen, ihre Angebote inklusiver und zugänglicher zu gestalten – so dass auch Menschen, die sich bisher unsicher fühlten oder keine Vorkenntnisse haben, sich willkommen und wohl fühlen. Diese Partnerschaften sollen auch dazu beitragen, die Finanzierung des Projekts langfristig sicherzustellen, damit ZiM weiterhin wachsen und den Menschen zugänglich bleiben kann. Innerhalb der Schweiz möchte ich mich noch stärker vernetzen und mit Institutionen, Museen und lokalen Kulturzentren zusammenarbeiten. Zudem plane ich Kooperationen mit sozialen Einrichtungen, die mit benachteiligten Gruppen arbeiten, um gezielte Museumsbesuche für sie zu organisieren.

Neben Förderungen und Sponsoring werde ich auch kreative Finanzierungswege in Betracht ziehen, um ZiM zu einem festen Bestandteil der Kulturlandschaft zu machen. Ich möchte, dass ZiM nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Städten und Ländern eine Plattform für alle wird, die Kunst und Kultur in Gemeinschaft erleben möchten. Das langfristige Ziel ist es, eine engagierte, immer grösser werdende Community zu schaffen, die sich nicht nur durch Kunst, sondern auch durch echte Freundschaften verbindet.“

Vielen Dank für diese spannenden Einblicke zum Projekt „Zusammen ins Museum“ und viel Erfolg für die Zukunft!

Alle, die nun Lust bekommen haben, ein Teil der ZiM-Community zu werden, ebenso wie Kulturinstitutionen, die mit Aslıhan und ZiM zusammenarbeiten möchten, findet hier alle Infos: zusammeninsmuseum.ch


Header-Bild: Aslıhan Aslan, die Gründerin von „Zusammen ins Museum“ (ZiM) bei einem Besuch des Museu de Belles Arts de València (MuBAV) – Foto: Aslıhan Aslan


Wir brauchen deine Unterstützung

Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.


Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

Bei LinkedIn vernetzen


Linktipps


Der Newsletter zu Kunst & Kultur

In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.


|

, |