Zerrissene Moderne: Wie „entartete“ Kunst nach Basel gelangte

In der Ausstellung „Zerrissene Moderne“ beleuchtet das Kunstmuseum Basel den Ankauf von im Nationalsozialismus diffamierter Kunst. Ein kritischer Blick auf die Basis der heutigen Sammlung zur Moderne.

In der Ausstellung Zerrissene Moderne beleuchtet das Kunstmuseum Basel den Ankauf von als entartet bezeichneter Kunst.

[Pressereise] Das Gemälde „Zwei Katzen, blau und gelb“ gehört mit zu den bekanntesten Werken von Franz Marc. Zunächst ein Geschenk an seinen Künstlerfreund Alexej von Jawlensky, war es ab 1927 im Kunstverein Wuppertal-Barmen zu sehen. Am 5. Juli 1937 wurde es von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, gemeinsam mit den Werken zahlreicher weiterer bedeutender Künstler der Moderne wie Max Beckmann, Marc Chagall oder Otto Dix. Heute gehört Franz Marcs Gemälde der „Zwei Katzen“ zur Sammlung des Kunstmuseum Basel. Wie dieses Bild, zusammen mit einigen weiteren vom NS-Regime als „entartet“ eingestuften Kunstwerken, in den Besitz des Schweizer Museums gelangte, beleuchtet nun die umfangreiche und vor allem selbstkritische Ausstellung „Zerrissene Moderne“.


„dass eine ganze Kunstrichtung aus sämtlichen Museen eines Landes ausgeschieden worden ist, [hat] uns […] die Möglichkeit gegeben, diese Kunst in einer Vollständigkeit und in einer Grossartigkeit zu erwerben, wie wir [uns] das in normalen Zeiten nie hätten erträumen dürfen“.

Georg Schmidt, Ansprache zur Ausstellungseröffnung am 19. November 1939

Die Erweiterung der Sammlung

Als das Kunstmuseum Basel im Jahr 1936 seine neuen Räumlichkeiten im heutigen Hauptbau eröffnete, gab es in der Sammlung zu diesem Zeitpunkt kaum Kunst der Moderne. Der „Saal der Gegenwart“ zeigte lediglich sechs Werke, u.a. Gemälde von Paul Klee, Max Ernst und Emil Nolde. Dies sollte sich bald ändern: Als man in Deutschland 1937 damit begann, rund 21.000 Skulpturen, Gemälde und Arbeiten auf Papier, die nicht den Vorstellungen des NS-Regimes entsprachen, aus Museen zu entfernen und zu beschlagnahmen, sah der Basler Museumsdirektor Otto Fischer eine Gelegenheit. Bereits 1937 erkundigte er sich, ob die als „entartet“ diffamierten Werke, häufig von jüdischen Kunstschaffenden oder zu jüdischen und politischen Themen, zum Verkauf standen.

Schon wenige Monate nach Fischers Anfrage konnte die Basler Sammlung Neuzugänge verzeichnen. Im Jahr 1939 reiste Georg Schmidt, Fischers Nachfolger als Direktor des Kunstmuseum Basel, dafür extra nach Berlin. Hier wählte er infrage kommende Werke aus. Für den Ankauf beantragte die Kunstkommission, das höchste Entscheidungsgremium des Museums, beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt einen Sonderkredit. Mit den letztendlich bewilligten 50.000 Franken konnten insgesamt 21 Werke der europäischen Moderne für die Basler Sammlung erworben werden. Acht Kunstwerke ersteigerte das Museum auf einer Auktion in Luzern, die das Berliner Propagandaministerium organisiert hatte – darunter auch das Gemälde der „Zwei Katzen“ von Franz Marc. Weitere 13 Werke wurden direkt bei von der NS-Regierung beauftragten Kunsthändlern erworben. Die Ankäufe, letztendlich ein Geschäft mit dem diktatorischen NS-Regime, wurden zum Fundament der Sammlung zur Moderne des Kunstmuseum Basel.


„Man wird uns sagen, auch wenn der Ertrag dieser Verkäufe für den Ankauf deutscher Kunst im Ausland reserviert ist, so entlaste das doch indirekt die Aufrüstung. Von anderer Seite kann uns gesagt werden, es handele sich da um eine politische Aktion gegen die heutige deutsche Regierung. Dem wäre zu antworten: Selbst wenn unsere guten Schweizer Devisen für Kanonen verwendet werden, so stehen immer noch den rasch veralteten Kanonen dauerhafte Kulturwerte gegenüber.“

Museumsdirektor Georg Schmidt an den Basler Regierungsrat Fritz Hauser am 17. Juni 1939

Eine Zäsur für die Kunst der Moderne

Das Kunstmuseum Basel beschränkt sich in seiner Ausstellung „Zerrissene Moderne“ nicht nur auf die Betrachtung der Hintergründe der eigenen Sammlung. Das Museum nutzt die Gelegenheit, sich umfangreich mit dem Thema der „entarteten“ Kunst auseinanderzusetzen. Dabei werden die 21 durch das Museum erworbenen Werke eingebettet in einen weiten Kontext rund um die Konfiszierung, Enteignung, Vernichtung und den Handel von Kunst im Nationalsozialismus. Insbesondere für die Schweiz ist dies ein noch neuer Ansatz, den die beiden Kuratorinnen Eva Reifert und Tessa Rosebrock hier verfolgen.

Zu Beginn von „Zerrissene Moderne“ steht ein Blick auf die Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 dazu gedacht war, im Nationalsozialismus geächtete Werke der Moderne zu präsentieren. Vertreten sind hier Kunstschaffende, deren Arbeiten sich bereits in der Sammlung des Kunstmuseum Basel befanden, etwa von Paul Klee oder Wilhelm Lehmbruck. Weitere bekannte Namen, deren Kunst hier gezeigt wird, sind u.a. George Grosz, Wassily Kandisky oder Max Beckmann. Diese waren zum Zeitpunkt ihrer Einstufung als „entartete“ Künstler bereits international etabliert und bekannt.

Letztendlich ist dies auch der Grund, warum die meisten ihrer Werke heute noch erhalten sind. Sie wurden von den Nationalsozialisten als „international verwertbar“ eingestuft und im Rahmen von Auktionen oder über Kunsthändler im Ausland zum Kauf angeboten. Hierzu zählt auch das Gemälde „Die Prise [Rabbiner]“ (1923-1926) von Marc Chagall. Das Porträt eines jüdischen Schriftgelehrten mit Schnupftabak befand sich ursprünglich in der Sammlung der Städtischen Kunsthalle Mannheim. Als Werk eines jüdischen Künstlers und mit der Darstellung eines jüdischen Themas war das Bild bereits unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 der Diffamierung ausgesetzt. 1937 wurde das Gemälde schließlich beschlagnahmt und in der NS-Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Als der Basler Museumsdirektor Georg Schmidt das Bild 1939 bei einer Auktion in Luzern für das Kunstmuseum erwarb, rechnete er übrigens auch in Basel mit Widerständen gegen den Ankauf. Glücklicherweise konnte er sich durchsetzen, denn Chagalls Gemälde zählt heute international zu den bekanntesten Werken der Klassischen Moderne.

Nicht alle Werke, die 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt wurden, sind heute noch erhalten. Ebenso sind auch nicht alle Kunstschaffenden, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert wurden, heute noch bekannt. Hieraus leitet sich auch der Ausstellungstitel „Zerrissene Moderne“ ab. Das Kunstmuseum Basel erinnert auch an die Künstlerinnen und Künstler, deren Werke vom NS-Regime als „unverwertbar“ zerstört wurden. Gerade diejenigen, die in den 1930er Jahren noch am Anfang ihrer künstlerischen Karriere standen und sich international noch keinen Namen machen konnten, gerieten dadurch in Vergessenheit. In Vertretung hunderter vernichteter Kunstwerke zeigt „Zerrissene Moderne“ noch erhaltene Arbeiten von Josef Vinecky, Anita Rée, Jeanne Mammen und Otto Nagel.


„Wir glauben aber, als wahre Freunde der deutschen Kunst und der deutschen Kultur habe man die europäische Pflicht den verbannten Kunstwerken eine Heimat zu schaffen, und wir glauben, dass Basel hierzu geradezu berufen ist. Die Oeffentliche Kunstsammlung Basel darf sich weder von antifaschistischen noch von profaschistischen Motiven leiten lassen, sondern einzig von ihren eigenen Interessen! Unsere eigenen Interessen aber befehlen uns, gebieterisch zuzugreifen.“

Museumsdirektor Georg Schmidt an den Basler Regierungsrat Fritz Hauser am 17. Juni 1939

Der Handel mit „entarteter“ Kunst

Um an Geld in ausländischen Währungen zu gelangen, beschloss das NS-Regime als „verwertbar“ eingeschätzte Kunst ins Ausland zu verkaufen. Insgesamt 780 Gemälde und Skulpturen sowie 3.500 Arbeiten auf Papier sollten in einer vom Reichspropagandaministerium organisierten Kunstauktion in Luzern sowie über vier beauftragte Kunsthändler neue Besitzer finden. Vor diesem Hintergrund zeigt die Ausstellung „Zerrissene Moderne“ anhand zahlreicher Originaldokumente, Briefwechsel und Aufzeichnungen, wie das Kunstmuseum Basel letztendlich seine Sammlung mit „entarteter“ Kunst aufbauen konnte.

Zur Vorbereitung des Ankaufs reiste Georg Schmidt, der Direktor des Kunstmuseum Basel, bereits 1938 nach Berlin-Schönhausen, um sich im Depot des Reichspropagandaministeriums einen Überblick über die zum Verkauf stehenden Werke zu verschaffen. Hier entdeckte er wichtige Arbeiten der deutschen und französischen Moderne, u.a. von Alexej von Jawlensky, Karl Schmidt-Rottluff, Lyonel Feininger oder Paul Gauguin. Um in Basel die bisher nur sehr kleine Sammlung zur Moderne auszubauen, versuchte er die Kunstkommission, die alle Ankäufe bewilligen musste, davon zu überzeugen, zentrale Werke aus ehemaligem deutschem Museumsbesitz zu erwerben. Nach einer kontroversen Diskussion beantragte die Kunstkommission beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt einen sofortigen Ankaufskredit. Der Antrag war in den politischen Gremien umstritten, wurde aber letztendlich in Höhe von 50.000 Franken bewilligt, die Hälfte der eigentlich beantragten Summe.

Bei der Auktion „Moderne Meister aus deutschen Museen“, die am 30. Juni 1939 in Luzern stattfand, wurden von 125 angebotenen Arbeiten letztendlich 86 in private und öffentliche Sammlungen verkauft. Hierzu zählten Werke von Henri Matisse, Pablo Picasso oder James Ensor. Die Delegation des Kunstmuseum Basel konnte hier letztendlich insgesamt acht Werke erwerben, darunter Franz Marcs bedeutendes Gemälde „Tierschicksale“ (1913), das ursprünglich aus dem Städtischen Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle stammte, oder „Selbstbildnis als Halbakt mit Bernsteinkette II“ (1906) von Paula Modersohn-Becker, das sich vor der Konfiszierung in der Sammlung des Kestner-Museum in Hannover befand.

Nach der Auktion bestellte Georg Schmidt noch 20 weitere Kunstwerke aus Berlin zur Ansicht nach Basel. Nun musste die Kunstkommission eine Auswahl treffen, denn das verbliebene Budget aus dem Sonderkredit reichte nicht für alle Werke. Erstmals versammelt nun die Ausstellung „Zerrissene Moderne“ die damals bestellten Arbeiten wieder. Das Kunstmuseum Basel konnte hieraus letztendlich 13 Werke ankaufen, u.a. von Oskar Schlemmer, Georg Schrimpf, Oskar Kokoschka und Emil Nolde. Auf Verlangen des Reichspropagandaministeriums musste das Museum die nicht erworbenen Werke 1941 wieder zurück nach Berlin senden. Zwei davon gelten heute als verschollen; „Der Schützengraben“ von Otto Dix ist wohl zerstört worden. In der Ausstellung „Zerrissene Moderne“ sind auch diese Werke präsent, und zwar in Form von Lichtprojektionen in Schwarz/Weiß.


Geschichten von Verlust

Zu den Stärken von „Zerrissene Moderne“ zählt, dass sich die Ausstellung nicht nur auf die 21 Werke „entarteter“ Kunst konzentriert, die heute die Basis der Sammlung zur Moderne im Museum bilden. Immer wieder wird auch der Verlust der Kunst thematisiert, den das NS-Regime zu verantworten hatte. Insbesondere im letzten Ausstellungsraum wird dies noch einmal deutlich, etwa am Werk „Mutter mit zwei Kindern“ von Käthe Kollwitz, von dem heute nur noch eine Gipsskulptur erhalten ist. 1939 war dem Kunstmuseum Basel der Steinguss der Skulptur angeboten worden, konnte aber nicht angekauft werden. Bei der Bombardierung Berlins 1944 wurde das Werk schließlich zerstört. Auf Zerstörung im Zweiten Weltkrieg verweist auch Ernst Barlachs „Kopf des Güstrower Ehrenmals“ (1927), den das Museum mit dem Kredit von 1939 erwarb. Der Abguss gehört zu einer horizontal schwebenden Gestalt, die Barlach für den Güstrower Dom als Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs geschaffen hatte. Das Original wurde 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und 1940, im Rahmen der „Metallspende des deutschen Volkes an den Führer“, zur Waffenherstellung eingeschmolzen.

Dieser Aspekt der „Rettung“ von Werken ist natürlich wesentlicher Bestandteil der Erzählung von „Zerrissene Moderne“. Doch die Ausstellung setzt sich auch selbstkritisch mit dem Grundstein seiner Sammlung zur Kunst der Gegenwart auseinander. Dazu gehört auch eine umfangreiche Publikation, die teils neue Forschung zu den historischen Ereignissen enthält und in „Interventionen“ auch elf deutsche Museen zu Wort kommen lässt, u.a. die Hamburger Kunsthalle oder die Nationalgalerie Berlin, aus denen die vom Kunstmuseum Basel erworbenen Kunstwerke beschlagnahmt worden waren. Ergänzt durch eine Chronologie, die auch einen Blick in die Basler Kulturpolitik dieser Zeit ermöglicht, und ein Verzeichnis, das die Provenienz jedes Kunstwerks ausweist, bietet die Publikation einen umfangreichen Einblick in die kulturpolitischen Auswirkungen der NS-Diktatur.


Begleitend zur Ausstellung im Kunstmuseum Basel erscheint die Publikation „Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe ‚entarteter‘ Kunst“, herausgegeben von Eva Reifert und Tessa Rosebrock, 2022 im Hatje Cantz Verlag (ISBN: 978-3-7757-5221-3). Das Buch beinhaltet, neben zahlreichen farbigen Werkabbildungen und historischen Fotografien, auch Beiträge von u.a. Christoph Zuschlag, Uwe Flecken, Meike Hoffmann, Sandra Sykora, Grégory Desauvage, Ines Rotermund-Reynard und Georg Kreis.


Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe „entarteter“ Kunst

Kunstmuseum Basel, Neubau
22.10.2022-19.02.2023

musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Header-Bild: Franz Marc: „Zwei Katzen, blau und gelb“ (1912) – Kunstmuseum Basel – gemeinfrei (beschnitten),
Bilder: Angelika Schoder – Kunstmuseum Basel, 2022


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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