[Debatte] Jeder von uns hat vermutlich eine ganze Menge Stoffbeutel zu Hause – ob als Giveaway von Konferenzen, als Gratisbeigabe von Läden oder als Mitbringsel von Institutionen, die wir besucht haben. Einige dieser Taschen nutzen wir vielleicht besonders häufig, weil sie eine gute Größe aufweisen, weil sie ein schönes Design haben oder weil man vielleicht damit auch ein inhaltliches Statement setzen möchte, da sie das Logo einer bestimmten Institution zeigen. Zur letztgenannten Kategorie gehört auch die Museumstasche. Welcher Museumsfan hat nicht schon die eine oder andere Tasche nach einem Ausstellungsbesuch als Andenken mit nach Hause genommen. Und wer weiß: Vielleicht hat die Museumstasche ja sogar das Potenzial, zur neuen IT-Bag zu werden?
Der Stoffbeutel als Kult-Objekt
Im Jahr 2019 schaffte es die Hugendubel-Stofftasche in die New York Times. Im Artikel „Unpacking Berlin’s Mysterious, Ubiquitous Tote Bag“ ging Mikaella Clements dem Phänomen nach, warum die helle Tragetasche mit der schwarzen gotischen Schrift und einer Art rotem Stempel-Symbol überall in der deutschen Hauptstadt zu sehen ist. Hipster tragen in der Tasche ihre Einkäufe, Business-Leute befördern darin ihren Laptop und Obdachlose sammeln darin Pfandflaschen. Ihre Recherche führte die Autorin zur Buchladenkette Hugendubel, wo es die Tragetasche für 1,50 Euro zu kaufen gibt oder gratis ab einem Einkaufswert von über 50,- Euro. Laut Hugendubel wurden bis 2019, also vor der Pandemie, jährlich 60 bis 120 Tausend dieser Stofftaschen ausgegeben – was für ein enormer Werbeeffekt für den Anbieter! Für Hugendubel sei die Tasche daher „heilig“, wie es im Artikel der New York Times hieß – das Design werde daher nie geändert.
Auch andere Länder haben ihre Kult-Taschen. Der helle Baumwollbeutel mit dem schwarzen Schriftzug der Zeitung The New Yorker prägt das Stadtbild der Metropole New York ebenso wie die Hugendubel-Tasche in Berlin allgegenwärtig ist. Auch in Deutschland hat die Tragetasche von The New Yorker ihre Fans, so soll es schon vorgekommen sein, dass Deutsche extra ein Abo der Zeitung abschließen, nur um als Werbegeschenk die New Yorker-Tasche zugeschickt zu bekommen. Die Zeitung weiß das auch und macht offensiv in Social Media mit ihrem Stoffbeutel Werbung. In Deutschland kann man sich dann mit der Stofftasche als Leser der amerikanischen Zeitung outen und aus der Masse der Beutelträger hervorstechen. Denn anders als die Hugendubel-Tasche, die sich jeder für kleines Geld im nächsten Laden der Kette kaufen kann, ist die Tasche von The New Yorker nur für Abonnenten der Zeitung erhältlich.
Wie wichtig dieses Statussymbol für einige ist, merkt man an wütenden Kommentaren unter der Facebook-Werbung der Zeitung: Man hätte das Abo schon vor Wochen oder Monaten abgeschlossen, heißt es hier vielfach, aber bisher hätte man nur Zugriff auf die Online-Artikel – und die Tasche wäre noch immer nicht geliefert worden! Hier scheint die Tasche von The New Yorker wichtiger zu sein, als das eigentliche „Produkt“ der Zeitung – nämlich deren Artikel.
„Die Tragetasche ist für das 21. Jahrhundert das, was das Knopfabzeichen am Revers für das 20. Jahrhundert war. Sie ist ein Wertebekenntnis für ein Zeitalter, in dem Prinzipien mit Waren verbunden sind. […] Das kulturelle Kapital einer Tragetasche kann einfach sein […], aber es kann auch eine verblüffende Nische sein.“
Jess Cartner-Morley, The Guardian
Die Tragetasche als neue It-Bag
In der britischen Zeitung The Guardian erklärte Autorin Jess Cartner-Morley in ihrem Artikel „In the bag: why this season is all about a branded tote“ die bedruckte Stofftasche schließlich zu It-Bag der Winter-Saison: Der Stoffbeutel sei DIE Trendtasche schlechthin. Für sie sind die Taschen nicht nur ein Fashion-Statement, sondern auch eine öffentliche Erklärung persönlicher Werte.
So ruft die Hugendubel-Tasche vielleicht: Seht her, ich habe etwas in einem Buchladen gekauft und bin deshalb sehr belesen – auch wenn ich vielleicht dort nur Geschenkpapier und einen Kalender erstanden habe. Und die Tasche von The New Yorker vermittelt die Botschaft: Hey, ich bin intellektuell, denn ich bin Abonnent einer englischsprachigen Zeitung – auch wenn ich das Abo in Wirklichkeit nur für den Stoffbeutel abgeschlossen habe.
Ein weiterer interessanter Aspekt, den Cartner-Morley anspricht, ist nicht nur die indirekte Botschaft der Tasche, sondern auch die ganz direkte Aussage, nämlich die sichtbare Marke. Während man sonst vielleicht nicht unbedingt mit Kleidung herumläuft, auf der groß ein Markenname oder ein Logo abgebildet ist (Rapper und Influencer mal ausgenommen), trägt man auf einem Stoffbeutel hingegen gerne die eine oder andere Marke zur Schau und zeigt so jedem, wo man einkauft oder wo man bereits war.
„Mein persönlicher Favorit unter den Nischentaschen ist der Mann, den ich im Bus 73 mit einer Tasche mit der Aufschrift ‚National Portrait Gallery Member‘ gesehen habe. Wobei das letzte Wort in Rot geschrieben war, um sicherzustellen, dass niemand sein Engagement für die Kunst mit dem von Nicht-Kartenbesitzern verwechselt.“
Jess Cartner-Morley, The Guardian
Die Museumstasche als Begleitung im Alltag
Im Prinzip sind Baumwolltaschen nachhaltig, zumindest dann, wenn sie den Gebrauch einer Plastiktasche ersetzen. Eine Studie des Dänischen Ministeriums für Ernährung und Umwelt aus dem Jahr 2018 zeigt jedoch, dass Baumwolltaschen gar nicht so umweltfreundlich sind. Um eine Tasche zu produzieren, wird so viel Wasser verbraucht, dass man einen Stoffbeutel 20 Tausend mal benutzen müsste, damit die Nutzung wirklich ressourcenneutral wird. So lange hält natürlich keine Stofftasche durch. Trotzdem ist es wohl verzeihlich, dass jeder von uns vermutlich mehrere Stofftaschen zu Hause hat.
Ob vom Musée d’Orsay aus Paris, vom V&A Museum aus London oder von der Semperoper aus Dresden: Wer eine Tasche einer Kulturinstitution trägt, weist sich als Kenner aus – umso mehr, wenn die Tasche nicht online zu erwerben ist, sondern nur vor Ort im Museums-Shop gekauft werden kann. Noch exklusiver wird es, wenn die Tasche vielleicht sogar nur an Mitglieder (etwa im Förderverein) oder an Inhaber einer Jahreskarte vergeben wird.
Eine gut designte und geräumige Tasche mit dem Logo des Museums kann so zum Must-Have werden. Wenn die Museumstasche dann zum Shoppen ausgeführt wird, auf dem Weg ins Büro oder zum Sport, dient sie so zum einen als Statement für den Träger und ist gleichzeitig die beste Werbefläche für das Museum im Alltag.
Aber nicht, dass am Ende nur jemand ins Museum kommt, weil es hier so tolle Stoffbeutel gibt!
Header-Bild: Musée d’Orsay – Angelika Schoder, Paris 2022
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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