When We See Us: Das Zeitz MOCAA zu Gast im Kunstmuseum Basel

Die Ausstellung „When We See Us“ des Zeitz MOCAA bietet im Kunstmuseum Basel die Möglichkeit, die künstlerischen Sichtweisen von rund 120 Kunstschaffenden des afrikanischen Kontinents und seiner Diaspora kennenzulernen.

Mit der Ausstellung "When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei" ist das Zeitz MOCAA zu Gast im Kunstmuseum Basel.

[Rezension] Wie werden Schwarze Menschen wahrgenommen? Damit befasst sich die Netflix-Serie „When They See Us“ (2019) von Ava DuVernay. Im Ausstellungsprojekt von Koyo Kouoh und Tandazani Dhlakama wird der Titel der Serie aufgegriffen, die Perspektive wird jedoch gewechselt: Das „They“, also die Perspektive der „Anderen“, wandelt sich zum „We“, also zum eigenen Blick. Koyo Kouoh, die Direktorin und leitende Kuratorin des Zeitz MOCAA – Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt, bietet mit der Ausstellung „When We See Us“ nun die Möglichkeit, diese eigene Sichtweise von über 120 Kunstschaffenden des afrikanischen Kontinents und seiner Diaspora kennenzulernen. Im Mittelpunkt der Ausstellung im Kunstmuseum Basel steht dabei afrikanische figurative Malerei der Moderne mit Werken von unter anderem Njideka Akunyili Crosby, Sungi Mlengeya, Amy Sherald oder Lynette Yiadom-Boakye. Ergänzt wird die Ausstellung durch einen umfangreichen Katalog, der auf Englisch, sowie mit einem Begleitheft auf Französisch und Deutsch, einen breiten Überblick über wichtige Kunstschaffende aus Afrika und der Diaspora seit 1920 bietet.


„Whether at a friend’s place or in a crowd on the streets, we know how to have a good time; see how we kwasa kwasa, jaiva and step to the musical beats of taarab, highlife, bikutsi, sungura, amapiano, coupé-décalé and dancehall. You no dey vex us when we groove.“ [1]

Koyo Kouoh


Alltägliche Schönheit und stolze Persönlichkeiten

Die Ausstellung gliedert sich in verschiedene Themenbereiche, von Darstellungen des gewöhnlichen Alltags über Ruhe und Sinnlichkeit bis hin zu Spiritualität und Emanzipation. Die Schönheit des alltäglichen Lebens in öffentlichen Situationen oder im familiären Umfeld zeigen etwa die Gemälde „Boy with a Toy Plane“ von Aaron Douglas (1938), William H. Johnsons „The Reader“ (1939) oder „Gisting in the Kitchen“ von Joy Labinjo (2018). Ob beim Wasserholen, Lesen, Laufen, Stricken, Feiern oder Haareflechten – die Werke von Petson Lombe, Luis Meque oder Moké veranschaulichen, wie die dargestellten Menschen ihrer Freude Ausdruck verleihen und ihren Alltag genießen. Um Spaß und Ausgelassenheit, insbesondere um die Momenten des Feierns, geht es in den Werken von unter anderem Chéri Samba, Matundu Tanda und Katlego Tlabela. Denn für ein Lied oder einen Tanz bleibt in vielen afrikanischen Kulturen immer Zeit, wie in der Ausstellung betont wird. Zentrale Werke sind hier etwa Esiri Erheriene-Essis „The Birthday Party“ (2021), Philomé Obins „Un mardi de Carnaval“ (1960) oder „Jazz Rhapsody“ von Romare Bearden (1982).

Dass es neben ausgelassenen Feiern auch zahlreiche Momente der Ruhe gibt, veranschaulichen Werke von unter anderem Firelei Báez, Amoako Boafo oder Beauford Delaney. Die Gemälde in diesem Themenbereich zeigen Menschen, die sich beim Schach konzentrieren, etwa in „Estratagema“ von No Martins (2020), die übers Land spazieren, wie in Toyin Ojih Odutolas „Surveying the Family Seat“ (2017), oder die einfach die Ruhe im Garten genießen, wie in Kudzanai-Violecherit Hwamis „An evening in Mazowe“ (2019). In ruhigen Momenten ist auch Zeit, über Spiritualität nachzudenken. Diese nimmt im Schwarzen Alltag einen wichtigen Platz ein, wie in der Ausstellung Gemälde von Pamela Phatsimo Sunstrum oder Nirit Takele zeigen. Der Ausstellungsabschnitt zum Thema Spiritualität steht für das „dreifache Erbe“, das der kenianisch-amerikanische Schriftsteller Ali Mazrui (1933–2014) in seinem Buch „The Africans: A Triple Heritage“ beschrieben hat, nämlich Black Life mit seiner Durchlässigkeit für afrikanisch-einheimische, islamische sowie christliche Traditionen und Rituale. Gemälde wie „Genesis Creation“ von Jacob Lawrence (1989) oder Michael Armitages „The Dumb Oracle“ (2019) zeigen gelebte Spiritualität.

Statt um Über-Sinnliches geht es in den Werken von Geoffrey Mukasa, Chris Ofili oder Kambui Olujimi um das Sinnliche. In diesem Ausstellungsabschnitt werden Schwarze Körper auf eine intime und selbstbewusste Weise gezeigt – ein ganz anderer Blick als im westliche Bilderkanon gewohnt. Roméo Mivekannin nimmt mit seinem Gemälde „Le modèle noir, d’après Félix Vallotton“ (2019) direkt Bezug auf diesen Kanon, ebenso wie Sahara Longe mit ihrem Werk „Reclining Nude with Lemon“ (2021). Die hier präsentierten Werke zeigen die vielseitigen Spektren von Sinnlichkeit, Liebe und intimer Zuneigung, stets mit selbstbestimmten Akteuren im Mittelpunkt. Um Emanzipation geht es schließlich in den Werken von Ben Enwonwu, Gherdai Hassell oder Wifredo Lam. In diesem Ausstellungsabschnitt sind Gemälde zu sehen, die den Stolz auf die eigene Geschichte und auf das Erreichte in den Mittelpunkt stellen, das im Angesicht widrigster Umstände und jahrhundertelanger Unterdrückung mit Kampfgeist errungen werden musste. Hier werden Chéri Chérins „Obama Revolution“ (2009) oder Ibrahim El-Salahis „Portrait of a Sudanese Gentleman“ (1951) gezeigt, ebenso wie viele weitere Porträts von Menschen, die Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung repräsentieren.


„We are the world’s greatest and the world’s bravest. This is reflected in our collective history, which only illustrates that despite the past, we are resilient. […] Our love runs deep and reminds us that future generations depend on our ascendancy. It is undeniable that together, we are an unstoppable force of nature. We revel in this moment in which we are all memorialized.“ [2]

Koyo Kouoh


Perspektiven zu Blackness

Die Ausstellung „When We See Us“ sowie die begleitende Publikation verstehen sich als Beitrag zum kritischen Diskurs über Repräsentation, mit dem Ziel zu verdeutlichen, wie Schwarze Subjektivität sichtbar werden kann, anhand der Werke von Kunstschaffenden des afrikanischen Kontinents und seiner Diaspora. Dabei geht es jedoch nicht nur um die künstlerischen Akteure selbst, die die Vielfalt Schwarzer Lebensweisen zeigen, sondern auch um diejenigen, deren Erfahrungen durch die vielfältige Darstellung Schwarzer Kreativität, Handlungskraft und Selbstbestimmung in die Kunst einfließen. Das „Wir“ im Titel umfasst für die Ausstellungsmacherinnen daher sowohl ein historisches als auch ein gegenwärtiges Kollektivsubjekt, die in der Kunst in Dialog mit einer imaginierten Zukunft treten. [3]

Neben einer Übersicht der Werke aus der Ausstellung bietet der Katalog begleitende Texte von vier bekannten Autorinnen, die extra für „When We See Us“ geschrieben wurden. Sie alle beschäftigen sich mit Blackness, mit der Schwarzen Erfahrung und Selbstdarstellung. In ihrer Kurzgeschichte „But You Amaze Me“ erforscht die äthiopisch-amerikanische Autorin Maaza Mengiste die weibliche Identität. Sie verbindet Elemente der griechischen Mythologie mit dem Berlin der 1920er Jahre und vermischt die Rollen der Seherin und der Gesehenen in einer Geschichte über Selbstbehauptung. Die senegalesische Schriftstellerin Ken Bugul erzählt in „Dispossession and Possession“ von den Geistern der Vorfahren, der Auslöschung individueller und sozialer Identität durch Kolonialisierung und einem Weg der Rettung durch die bewusste Annahme vieler Identitäten.

Von der kongolesischen Künstlerin und Autorin Bill Kouélany enthält der Ausstellungskatalog zwei Erzählungen, eine Fabel und eine Geschichte über den Selbstverlust eines Mädchens, das zwischen einer afrikanischen und einer europäischen Erziehung hin- und hergerissen ist. Schließlich finden sich in der Publikation auch mehrere Gedichte der afroamerikanischen Künstlerin und Autorin Robin Coste Lewis, die in ihren Texten das Selbst und dessen Beziehung zur Geschichte untersucht. Sie zeigt hier, wie Weltereignisse und alltägliche persönliche Erlebnisse untrennbar miteinander verbunden sind.


Das Begleitheft zur Ausstellung „When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei“, herausgegeben von Koyo Kouoh und dem Kunstmuseum Basel, ist 2024 erschienen (ISBN: 978-3-7204-0256-9). Die Publikation auf Deutsch und Französisch enthält Übersetzungen aller Texte des Originalkatalogs mit Beiträgen von Ken Bugul, Tandazani Dhlakama, Bill Kouélany, Robin Coste Lewis und Maaza Mengiste. Der englischsprachige Katalog „When We See Us. A Century of Black Figuration in Painting“, herausgegeben von Koyo Kouoh für das Zeitz MOCAA, enthält neben farbigen Werkabbildungen auch Biografien der Kunstschaffenden und Autorinnen. Er erschien 2022 bei Thames & Hudson (ISBN: 978-0-500-02588-8).


When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei

25.05.–27.10.2024
Kunstmuseum Basel, Gegenwart

Die Ausstellung war vom 19. November 2022 bis 3. September 2023 im Zeitz MOCAA in Kapstadt zu sehen.


Header-Bild: Bildausschnitt aus dem Begleitheft zur Ausstellung „When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Koyo Kouoh: Joy and Revelry. In: When We See Us. A Century of Black Figuration in Painting, Hg.v. Dies., 2022, S. 85.

[2] Koyo Kouoh: Triumph and Emancipation. In: Ebd., S. 249.

[3] Dazu: Koyo Kouoh: Einführung. In: When We See Us. Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei, Hg.v. Dies., S. 2024, S. 8.


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