Zwischen Okkultismus und Kunst: Die Bilderwelten des Tarot

Das Londoner Warburg Institute blickt in der Ausstellung „Tarot – Origins & Afterlives“ auf die historischen Hintergründe des Tarot, von Spielkarten über okkultistische Zuschreibungen bis hin zu modernen künstlerischen Interpretationen.

Das Warburg Institute blickt in einer Ausstellung auf die Geschichte des Tarot, vom alten Ägypten bis zu modernen Interpretationen.

[Ausstellung] Ob im Italien der Renaissance, im revolutionären Frankreich oder in okkulten Zirkeln des 20. Jahrhunderts: Tarot-Karten wurden in diversen Kulturen und Subkulturen für künstlerische Innovationen, persönliche Meditation oder magische Beschwörungen verwendet. Sie entstanden im 15. Jahrhundert als Freizeitspiel und entwickelten sich im 18. Jahrhundert zu einem Instrument der Wahrsagerei; heute regt das Tarot zahlreiche Kunstschaffende zu kreativen Neuinterpretationen an. Die von Jonathan Allen, Martina Mazzotta und Bill Sherman kuratierte Ausstellung „Tarot – Origins & Afterlives“ im Warburg Institute in London bietet nun einen Überblick über die wechselvolle Geschichte des Tarot mit zahlreichen außergewöhnlichen Exponaten. Immerhin verfügt das Institut über eine umfangreiche Forschungssammlung zur Geschichte des Tarot; sein Gründer, der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg, war sogar einer der ersten modernen Wissenschaftler, der sich mit der Entwicklung der Tarot-Karten befasste. Ergänzt werden die historischen Exponate in der Ausstellung mit aktuellen Tarot-Versionen und den Werken der zeitgenössischen Künstlerin Suzanne Treister.


Im ersten Teil der Ausstellung sind die Tafeln 50-51 von Aby Warburgs Bildatlas Mnemosyne zu sehen.
Im ersten Teil der Ausstellung sind die Tafeln 50-51 von Aby Warburgs Bildatlas „Mnemosyne“ zu sehen. Hier zeigte Warburg die komplexen Beziehungen der Tarot-Karten zur Astrologie und zur Kunst.

Die Tarot-Forschung von Aby Warburg

In den 1890er-Jahren begann der deutsche Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Aby Warburg mit seinen Studien über den Einfluss der Antike auf die italienische Renaissance-Malerei. Ab 1909 beschäftigte er sich auch mit dem Tarot und kaufte vier Kartendecks. Außerdem erweiterte er seine Bibliothek zur Geschichte der Magie um mehr als ein Dutzend Bücher über die Kultur der Karten. Als Warburg 1929 starb, hatte er dem Tarot eine ganze Tafel in seinem Bildatlas „Mnemosyne“ gewidmet. Die Tafel umfasste u.a. die Tarocchi di Mantegna, eine Serie von Kupferstichen aus dem 15. Jahrhundert, und 11 farbige Holzschnitte eines Tarot de Marseille, das 1840 von François Gassmann in Genf veröffentlicht wurde.

Warburgs Überblick zum Tarot blieb jedoch unvollständig. Er zeigte keine Beispiele für den Wandel des Tarot vom höfischen Kartenspiel hin zum Werkzeug für Wahrsagerei. Trotzdem war seine Arbeit bahnbrechend: Er stellte erstmals die Verbindung zwischen Tarot-Karten, Astrologie und Kunst her. In der Ausstellung „Tarot – Origins & Afterlives“ im Warburg Institute sind die Tafeln 50-51 seines Bildatlas „Mnemosyne“ zu sehen.


Oswald Wirths Arcanes du Tarot Kabbalistique

Neben Warburgs Tarot-Tafeln zeigt die Ausstellung hier auch das Buch „The Tarot of the Bohemians“ des französischen Hypnotiseurs und Okkultisten Gérard Encausse (1865–1916), der unter dem Namen Papus bekannt war. Sein Buch verbreitete spekulative Theorien über den antiken Ursprung des Tarot; Papus bezeichnete es als den „absoluten Schlüssel zur okkulten Wissenschaft“. Einige Kapitel sind mit Karten aus dem Tarot-Deck von Oswald Wirth illustriert. Warburg kommentierte drei Abbildungen in diesem Buch und brachte Wirths Karten mit bestimmten Planeten und Sternbildern in Verbindung.

Der Künstler Oswald Wirth (1860–1943) war 1887 vom französischen Dichter Stanislas de Guaita damit beauftragt worden ein Tarot-Deck zu gestalten, das sich an den Lehren des französischen Okkultisten Éliphas Lévi orientierte. Das Deck mit dem Titel „Les 22 Arcanes du Tarot Kabbalistique“ erschien 1889 in einer Auflage von 350 Exemplaren. Wirths Stil beeinflusste später viele okkulte Tarotkarten, darunter das Tarot von Austin Osman Spare und das bekannte Waite-Smith-Deck. Sechs Karten aus Wirths Deck, auf die Warburg in seinen Notizen zu „The Tarot of the Bohemians“ Bezug nahm, sind in der Ausstellung zu sehen.


Etteilla und das Buch des Thoth

Wirths Tarot war das erste öffentlich zugängliche Deck, das nicht in der Tradition von Jean-François Alliette, bekannt als Etteilla, stand. Etteilla hatte im 18. Jahrhundert als Erster ein System zur Deutung der Tarotkarten entwickelt und trug wesentlich zu ihrer esoterischen Bedeutung bei. Seiner Theorie nach wurde das Tarot oder „Buch des Thoth“ bereits 2170 v. Chr. von einem Kreis aus 17 Weisen unter der Leitung von Hermes Trismegistos geschaffen. Die ursprünglichen 78 Tarotbilder sollen auf Goldplatten geschrieben und in einem Feuertempel im agyptischen Memphis aufbewahrt worden sein. In seinem 1787 erschienenen Buch „Science: Leçons théoriques et pratiques du livre de Thot“ veröffentlichte Etteilla eine Zeichnung des angeblichen Grundrisses dieses Tempels.


J.B. Alliette (Etteilla): Das Tarot in Form von Blättern des Buches von Thoth im Feuertempel von Memphis, Ägypten
J.B. Alliette (Etteilla): Das Tarot in Form von Blättern des Buches von Thoth im Feuertempel von Memphis, Ägypten – Wellcome CollectionPublic Domain

Tarot-Versionen im Lauf der Geschichte

Während heute Tarot-Karten eher im Bereich der Wahrsagerei oder des Okkultismus verortet werden, geht ihre Geschichte eigentlich auf Spielkarten zurück. Das Warburg Institute zeigt in seiner Ausstellung eine ganze Reihe solcher historischen Karten-Decks, u.a. ein Tarot de Marseille von Nicolas Conver aus den 1860er-Jahren. Das älteste bekannte Deck dieser Art stammt aus dem Jahr 1639. Bis zum 18. Jahrhundert wurden Tarot de Marseille-Decks in großen Mengen produziert und waren weit verbreitet.


Das Tarocco Bolognese

Ebenfalls ausgestellt ist ein kunstvoll gestaltetes Spiel aus der Barockzeit, das Tarocco Bolognese von Giuseppe Maria Mitelli (1634–1718) aus den Jahren 1660/69 mit 62 Karten. Mitelli interpretierte die Tarot-Tradition auf seine eigene Weise und bezog sich auf seine Lieblingsbeschäftigungen: Malerei, Bildhauerei, Musik, Tanz, Jagd und Fechten. Die Trümpfe des Kartenspiels zeigen seine künstlerische Handschrift, so wird der Magier als tanzender Straßenkünstler dargestellt, die Liebe als Amor, der Mond als Diana, die Sonne als Apollo mit einer Zither und die Welt als Atlas, der die Erde hält.


Giuseppe Maria Mitelli: Zehn Karten von einem Tarot-Deck (1660-1718)
Giuseppe Maria Mitelli: Zehn Karten von einem Tarot-Deck (1660-1718) – RijksmuseumPublic Domain

Das Visconti-Sforza-Tarot

Die Verbindung des Tarot mit der Geschichte der Spielkarten zeigt sich auch in einer besonderen Karten-Sammlung, die Anfang des 20. Jahrhunderts im Sforza-Schloss in Mailand entdeckt wurde. In der Ausstellung sind 58 fragmentarische Spielkarten aus verschiedenen Decks zu sehen, die vom späten 15. bis zum 18. Jahrhundert reichen. Eine davon ist die Karte „Zwei der Münzen“, die 1499 vom Mailänder Drucker Paolino di Castelletto hergestellt wurde. Weitere Karten gehören zu einem italienischen Deck aus dem späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert sowie zu einem französischen Deck aus dem 18. Jahrhundert, das wohl durch Napoleons Soldaten nach Mailand gelangte.

Einige der Exemplare im Visconti-Sforza-Tarot gehören vermutlich zu den ältesten erhaltenen Tarot-Karten. Eine besondere Neuerung dieser Decks waren die sogenannten Trionfi oder „Triumphe“, die später zu den Trümpfen wurden. Diese 21 illustrierten Karten ergänzten die herkömmlichen Farbkarten. Außerdem enthielt das Deck eine zusätzliche Karte: den „Narr“, der als „Entschuldigungskarte“ diente. Die früheste bekannte Erwähnung der Trionfi stammt aus dem Jahr 1440, aber vermutlich existierten sie bereits früher. Solche Decks wurden zu Statussymbolen des Adels und der wohlhabenden Oberschicht, die sie in Auftrag gaben. Die allegorischen Trionfi spiegeln den kulturellen und künstlerischen Zeitgeist der Spätgotik wider und zeigen religiöse, philosophische und humanistische Motive sowie die Mode des Hoflebens.


Das Sola-Busca-Tarot

Die Ausstellung zeigt zudem die 78 Karten des berühmten Sola-Busca-Tarot aus der Pinacoteca di Brera in Mailand in digitaler Form. Es wurde um 1490 gefertigt und ist das älteste vollständig erhaltene Tarot-Deck der Welt. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Ikonographie, der aufwendig gestalteten Figuren und der hohen künstlerischen Qualität fasziniert das Deck Forschende und Kunstschaffende seit dem frühen 19. Jahrhundert. Die 78 Radierungen wurden in Venedig gedruckt und anschließend mit Temperafarben und Gold von Hand koloriert. Die Bedeutung der Symbole auf den Karten und wer sie entworfen hat bleibt bis heute rätselhaft. Ihr Ursprung wird mit christlichen Allegorien, alchemistischen Theorien und hermetischen Ritualen in Verbindung gebracht. Anders als bei klassischen Trionfi-Decks werden hier die Trumpf-Karten von römischen Kriegern, griechischen Gottheiten und biblischen Figuren dargestellt.


Die Mantegna Tarocchi

Schließlich zeigt die Ausstellung auch Abbildungen des sogenannten Mantegna Tarocchi, mit denen sich Aby Warburg in seiner Forschung beschäftigte. Die Kupferstiche stammen jedoch, anders als der Name es nahelegt, weder von Andrea Mantegna (1431–1506), noch handelt es sich dabei um Tarot-Karten im eigentlichen Sinne. Die Serie wurde vermutlich in einem humanistischen Umfeld zu Bildungszwecken geschaffen, es wird aber auch angenommen, dass die Buchstaben und Nummerierungen auf den Karten auf ihre Nutzung als Spielkarten hinweisen.

Das Deck besteht aus fünf Karten-Gruppen mit je zehn Motiven, die verschiedene Themen abbilden: die gesellschaftlichen Stände, Apollo und die neun Musen, die Künste und Wissenschaften, die sieben Tugenden sowie Sonne, Zeit und Welt, ergänzt durch Darstellungen der Planeten und Sphären. Die in der Ausstellung gezeigten Karten gehören zur letztgenannten Gruppe. Bereits um 1908 erkannte Aby Warburg, dass diese Darstellungen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Planetensymbolik zwischen Nordeuropa und Italien spielten. Da er in seinem Bildatlas „Mnemosyne“ neben Reproduktionen des Mantegna Tarocchi auch Werke von Andrea Mantegna aufnahm, deutet dies darauf hin, dass Warburg beide mit demselben norditalienischen Künstlerkreis in Verbindung brachte.


Karten des "Tarot de Marseille" von Nicolas Conver aus den 1860er-Jahren.
Karten des Tarot de Marseille von Nicolas Conver aus den 1860er-Jahren. Die Motive reichen bis ins frühe 17. Jahrhundert zurück und waren bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet.

Tarot und Okkultismus

Ausgehend von diesen historischen Spielkarten veränderte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Bedeutung des Tarots. 1781 schrieb der französische Geistliche und Freimaurer Antoine Court de Gébelin in einem einflussreichen Essay, dass das Tarot nicht nur ein Kartenspiel sei, sondern eine Quelle geheimer Weisheit. Er behauptete, dass das sogenannte „Buch Thoth“ seinen Ursprung im Alten Ägypten habe, in Anlehnung an die Theorie von Jean-Baptiste Alliette, bekannt als Etteilla. Nachdem er bereits ein Buch über Wahrsagen mit normalen Spielkarten veröffentlicht hatte, wandte er sich dem Tarot zu. 1783 erschien das erste von mehreren Werken, in denen er seine Methode der ägyptischen Cartonomancie beschrieb. Etteilla etablierte sich als Experte für das „Buch Thoth“ und gründete eine Gesellschaft, die sich mit seiner Erforschung beschäftigte. Er entwarf auch sein eigenes Tarot-Deck – das erste, das speziell für die Wahrsagerei bestimmt war.

In Großbritannien begann man in den 1880er Jahren, sich für diese esoterische Sichtweise des Tarots zu begeistern. Besonders wichtig wurde dies für den Hermetic Order of the Golden Dawn, eine geheime okkultistische Gesellschaft. Nach der Auflösung des Ordens im Jahr 1903 gründeten einige ehemalige Mitglieder eigene Gruppen und entwickelten neue Tarot-Decks – darunter Arthur Edward Waite und später Aleister Crowley.


Das Waite-Smith Tarot-Deck

1909 beauftragte Arthur Edward Waite die britische Künstlerin Pamela Colman Smith (1878–1951), ein neues Tarotdeck für seinen Orden zu entwerfen. Inspiriert vom Sola-Busca-Tarot aus dem 15. Jahrhundert gestaltete Smith die Karten mit detailreichen, erzählerischen Szenen. Besonders die Kleinen Arkana, erhielten lebendige Darstellungen mit symbolischer Bedeutung. Es wird vermutet, dass Smith außerdem auf einigen Karten Freunde porträtierte, darunter die Schauspielerin Ellen Terry („Neun der Stäbe“ und „Königin der Stäbe“) und die Theaterregisseurin Edith Craig („Der Magier“).

In der Ausstellung sind ausgewählte Karten des Waite-Smith Tarot sowie vorausgehende Entwürfe zu sehen. Zwar sind die Originalzeichnungen von Pamela Colman Smith nicht mehr erhalten, doch Reproduktionen von dreizehn Zeichnungen wurden 1909 in einem Artikel von Arthur Edward Waite in The Occult Review veröffentlicht. Einige der Entwürfe von Smith enthalten Details, die in der gedruckten Version der Karten fehlen, zum Beispiel das breite Grinsen des Hundes auf der Karte „Der Narr“.


Ausgewählte Karten aus dem "Waite-Smith" Tarot-Deck.
Ausgewählte Karten aus dem Waite-Smith Tarot-Deck in der Ausstellung „Tarot – Origins & Afterlives“. Dieses Deck gehörte einst dem Irischen Medium Geraldine Cummins (1890-1969).

Das Tarot von Austin Osman Spare

Ein weiteres Tarotdeck wurde um 1906 vom englischen Künstler und Mystiker Austin Osman Spare (1886–1956) entworfen. Obwohl er sich stark am Tarot de Marseille und am Deck von Oswald Wirth orientierte, zeichnet sich sein Tarot durch symbolistische Motive aus. Besonders auffällig sind die handgeschriebenen Texte und Muster, die sich über die Kartenränder erstrecken.

Spare behauptete, er habe das Kartenlegen von einer älteren Frau namens „Mrs. Paterson“ gelernt. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass er seine Deutungen aus Büchern wie „The Tarot“ von Samuel Liddell MacGregor und „How to Tell Fortunes by the Cards“ von Rapozas übernommen hatte. 1909 versuchte Spare, sich Aleister Crowleys okkultistischer Organisation Argenteum Astrum anzuschließen, bestand jedoch die Aufnahmeprüfung nicht und wurde nie ein offizielles Mitglied. Seine Tarot-Karten gerieten zunächst in Vergessenheit und wurden erst 2013 wiederentdeckt. Bis dahin befanden sie sich in der Sammlung des Magic Circle, einem Londoner Club für Zauberkünstler.


In der Ausstellung des Warburg Institute werden sowohl ein Exemplar des "Book of Thoth" als auch eine Auswahl der von Harris gestalteten Karten gezeigt.
In der Ausstellung des Warburg Institute werden sowohl ein Exemplar des „Book of Thoth“ von Aleister Crowley als auch eine Auswahl der von Frieda Harris gestalteten Tarot-Karten gezeigt.

Das Thoth Tarot und Aleister Crowley

Eine weitere wichtige Zusammenarbeit zum okkulten Tarot begann 1937, als die Malerin Frieda Harris (1877-1962) den britischen Okkultisten Aleister Crowley (1875-1947) kennenlernte. Crowley hatte bereits seit 1902 einige Tarot-Karten neu interpretiert, doch erst mit Harris entwickelte er das berühmte Thoth Tarot.

Harris verband in ihren Illustrationen Geometrie mit spirituellen und wissenschaftlichen Ideen und ermutigte Crowley, eine moderne Bildsprache für das Tarot zu schaffen. Zwischen 1938 und 1943 arbeiteten sie gemeinsam an den Karten, die auch die unruhige Zeit des Zweiten Weltkriegs widerspiegeln. Als der Krieg ausbrach, konnten Crowley und Harris sich nicht mehr persönlich treffen und mussten ihre Entwürfe in Briefen besprechen. Während Crowley 1944 das „Buch Thoth“ veröffentlichte und Harris ihre Gemälde in britischen Galerien ausstellte, wurden die Karten selbst erst lange nach ihrem Tod im Jahr 1971 als vollständiges Deck veröffentlicht.

In seinem „Buch Thoth“ untersuchte Crowley die tiefere Bedeutung der Tarot-Karten und nahm acht farbige Reproduktionen auf: sieben Karten und das Rückseiten-Design, die alle von Harris gemalt wurden. Er war überzeugt, dass sein Werk mindestens 1.000 Jahre überdauern würde und bezeichnete das Thoth Tarot als eine Art „magischen Atlas des Universums“ für ein neues Zeitalter.


Tarot-Entwürfe von Suzanne Treister "HEXEN 2.0" (2009-2011) und "HEXEN 5.0" (2025) im Warburg Institute.
Tarot-Entwürfe von Suzanne Treister „HEXEN 2.0“ (2009-2011) und „HEXEN 5.0“ (2025) im Warburg Institute.

Moderne Zugänge zum Tarot

Tarotkarten sind mehr als nur ein Werkzeug zur Wahrsagerei; sie eignen sich auch, um Geschichten zu erzählen. Sie können Vergangenes und Zukünftiges darstellen oder tiefere Einblicke in die Gesellschaft und das eigene Leben geben. Viele Akteure aus Kunst und Literatur haben das Tarot deshalb auf kreative Weise genutzt.


Das Schloss, darin sich Schicksale kreuzen

Ein bekanntes Beispiel für eine literarische Auseinandersetzung mit dem Tarot ist der italienische Autor Italo Calvino (1923-1985), der 1973 den Roman „Das Schloss, darin sich Schicksale kreuzen“ schrieb. In seiner Geschichte geht es um Reisende, die auf mysteriöse Weise ihre Sprache verlieren und sich nur noch mit Tarot-Karten verständigen können. Diese Karten, die auch im Buch abgebildet sind, beeinflussen den Verlauf der Handlung. Calvino ließ sich dabei vom Visconti-Sforza-Tarot inspirieren.

Besonders die Karte des „Gauklers“ (frz. Bateleur) faszinierte ihn – ein Magier, der Gegenstände anordnet, um bestimmte Effekte zu erzielen. Diese Figur spiegelte auch seine eigene Art zu schreiben wider. In Anlehnung an die experimentelle Schriftstellergruppe Oulipo, der er angehörte, nannte Calvino das Tarot eine „Erzählmaschine“, mit der sich immer neue Geschichten kombinieren lassen.


Suzanne Treisters HEXEN

Auch die britische Künstlerin Suzanne Treister (*1958) setzt sich künstlerisch mit Tarot-Karten auseinander. Die Ausstellung im Warburg Institute zeigt, wie sie das Tarot nutzt, um alternative Zukunftsvisionen für unsere hoch technisierte Welt zu entwerfen. Ihr „HEXEN 2.0“-Deck (2009–2011) verbindet die esoterische Symbolik der Renaissance mit den großen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts – darunter Themen wie Kybernetik und das Web 2.0. Ihr Projekt „HEXEN 5.0“ (2025) führt diese Idee weiter. In ihren modernen Tarot-Karten greift sie aktuelle Fragen auf, etwa die Entwicklung des Web 3.0 oder die Klimakrise.


Tarot-Interpretationen

Ergänzt wird der letzte Ausstellungsabschnitt mit einem Verweis auf die erste moderne Tarot-Historikerin, Gertrude Charlotte Moakley (1905-1998). Die Bibliothekarin an der New York Public Library veröffentlichte mehrere wichtige Artikel und die bedeutende Studie „The Tarot Cards Painted by Bonifacio Bembo for the Visconti-Sforza Family“ (1966).

Den Abschluss der Ausstellung bildet eine „Tarokkammer“. Sie versammelt eine Sammlung von Tarot-Decks zeitgenössischer Kunstschaffender und Kollektive in einem kleinen Raum, der an eine enzyklopädische Wunderkammer der Spätrenaissance und des Barocks erinnern soll. Einige der hier gezeigten Kartendecks sind als Improvisations-Werkzeuge gedacht, andere als Hilfsmittel, um soziale oder kulturelle Normen zu hinterfragen. Eines haben jedoch alle Tarot-Decks hier gemeinsam: Sie wandeln die Jahrhunderte alte Struktur und Ikonografie des Tarot in moderne Interpretationen um. Damit entfernt sich das Tarot im 21. Jahrhundert auch wieder von okkulten Versionen und wird wieder zum unterhaltsamen Spiel, das auch zur Vermittlung komplexer Themen oder als kreative Inspirationsquelle genutzt werden kann.


Tarot – Origins & Afterlives

31.01.-30.04.2025
Warburg Institute, London


Header-Bild: Karten des „Tarocchino Mitelli“ (Bologna, 1660/69) von Giuseppe Maria Mitelli, Pietro Alligo Collection – Tarot – Origins & Afterlives, Warburg Institute, London 2025


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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