[Pressereise] Der in Berlin lebende isländisch-dänische Künstler Olafur Eliasson (*1967) hat mit seiner Installation „Life“ das Museumsgebäude der Fondation Beyeler aufgebrochen und mit der umgebenen Landschaft verschmolzen. „Life hat keine klaren Grenzen, es ist ineinander verwoben – in das Museum, das Museum wiederum in den Park, über den Park in die Stadt, von der Stadt in die weitere Umgebung und letztendlich in die Welt. Diese Verflechtung verdeutlicht eine Art des Daseins,“ wie der Künstler betont. [1] Mit „Life“ lädt Eliasson zu einem Perspektivwechsel ein – der auch online verfolgt werden kann.
Kultur und Natur als verwobene Landschaft
Das Besondere an Olafur Eliassons Installation „Life“ ist, dass sie rund um die Uhr besucht werden kann; Tag und Nacht ist sie zugänglich. Die Fensterfront der Fondation Beyeler wurde für die Installation entfernt; die vorderen Ausstellungsräume wurden mit Wasser geflutet und verbinden sich so mit dem Teich, der sich vor dem Museum in den Berower Park erstreckt. Auf Stegen aus dunklem Holz können Besucher durch die Museumsräume gehen – und darüber hinaus in die freie Fläche sehen. Überall ergeben sich neue Blickachsen ins Gebäude und in die Parklandschaft.
Als verbindendes Element wirkt hier das Neon-Grün eingefärbte Wasser. Bei Tag schimmert es im Licht; in der Nacht entwickelt sich die Installation zu einer fluoreszierenden Landschaft. Möglich macht dies ultraviolettes Licht und die Einfärbung des Wassers mit dem ungiftigen Uranin, eine Form des Farbstoffs Fluorescein. In der Wissenschaft wird der Farbstoff normalerweise genutzt, um Wasserströmung nachzuverfolgen. Eliasson nutzte das Uranin bereits für sein Projekt „Green river“, bei dem er zwischen 1998 und 2001 in verschiedenen Städten insgesamt sechs Flüsse Grün einfärbte. In der Fondation Beyeler dient das leuchtende Wasser, in dem Pflanzen wie Schwimmfarne, Zwergseerosen, Muschelblumen oder Wassernuss angesiedelt sind, nun als Verbindung zwischen Kulturraum und Natur.
„Ich war schon immer der Meinung, dass Kunst Wirksamkeit hat, ebenso wie die Besuchenden Wirksamkeit haben, wenn sie dem Kunstwerk begegnen. Beide sind natürlich eingebunden in einen Ort, in eine Welt – die Wirksamkeit des Werks und die der Betrachtenden sind Teil grösserer Netzwerke. Die Frage ist dann, was bei diesem Zusammentreffen von Werk, Besuchenden und Welt passiert. Bewegt das Kunstwerk den Betrachtenden? Bewegen die Betrachtenden das Kunstwerk in ihr ‚Hier und Jetzt‘ – in den Moment und die Welt, in der sich die Begegnung ereignet? Ich glaube, alle sind potenzielle Bewegende, und alle können ihrerseits bewegt werden.“
Olafur Eliasson [2]
Das Aufeinandertreffen von Perspektiven
„Life fragt, was es bedeutet ein Mensch zu sein und berücksichtigt dabei verschiedene Aspekte die uns umgeben,“ wie Olafur Eliasson betont. „Manchmal werden Natur und Kultur als Gegenspieler einander gegenübergestellt, tatsächlich sind beide aber eine Einheit und untrennbar miteinander verbunden. Wir Menschen halten uns immer für außergewöhnlich. Doch wir müssen auch bereit sein zur Seite zu treten und Raum für etwas anderes zu lassen, das nicht-menschlich ist,“ so der Künstler.
Mit „Life“ will Eliasson verschiedene Perspektiven auf unsere Umgebung aufzeigen – und auch zu einem Perspektivwechsel anregen: „Life lädt dich dazu ein, alle deine Sinne zu nutzen, nicht nur dein Sehvermögen. Es versucht zu einer Art Panorama-Wahrnehmung anzuregen in 360 Grad. Es geht nicht nur um Fortschritt. Es geht darum, präsent zu sein. Denke darüber nach, was vielleicht eine Pflanze im Wasser wahrnimmt. Was ist ihre Perspektive?“
Olafur Eliasson regt die Besucher von „Life“ dazu an, die eigenen Sinne zu „vegetalisieren“, um das Potenzial der Beziehungen zwischen Pflanze und Mensch zu erschließen. Inspiriert wurde der Künstler zu diesem Gedanken durch die Anthropologin Natasha Myers. Sie schlägt als Alternative zum Anthropozän, der gegenwärtigen geologischen Epoche, die durch den Menschen definiert ist, den Begriff des „Planthropozän“ vor, da Pflanzen es überhaupt erst möglich gemacht haben, dass dieser Planet durch Menschen bewohnbar ist. [3]
Zukünftige Formen der Koexistenz
Der Perspektivwechsel in Olafur Eliassons Installation „Life“ kann von Besuchern nicht nur vor Ort in der Fondation Beyeler erlebt werden, sondern auch online. Über einen Livestream kann die Installation betrachtet werden – und die Besucher in ihr. Auch dies ist für den Künstler ein wichtiger Aspekt seines Werks: „So wie ein Museum arbeitet, wie es seine Besucher erreicht, dies beeinflusst meiner Meinung nach auch ein Kunstwerk. Es beeinflusst, wie wir Kunst wahrnehmen. Life wiederholt sich nicht. Es wird lebendig durch das Temporäre – die Koexistenz derer, die sich darin bewegen. Life befindet sich in kontinuierlicher Transformation.“
Doch nicht nur durch die Besucher in der Installation verändert sich ständig die Landschaft innerhalb und außerhalb des Museums. Auch die Kameraperspektiven des Livestreams wechseln ständig und ermöglichen damit andere Blickwinkel. Die Kameras nehmen dabei die Perspektiven nicht-menschlicher Lebewesen ein, etwa direkt über der Wasseroberfläche oder in einem Baum. Verfremdet werden die Kameraperspektiven durch verschiedene Filter, die die Wahrnehmungsapparate anderer Spezies nachahmen. Die Bilder des Livestream erscheinen dabei mal wie ein Negativbild mit umgekehrten Farben, mal wie eine Infrarot-Aufnahme und mal werden sie durch Prismen gebrochen. Die Prisma-Filter erinnern dabei an Olafur Eliassons Skulpturen „Gesellschaftsspiegel“, die seit Oktober 2020 am Alten Wall in Hamburg zu sehen sind.
Eliasson schrieb hierzu: „Wenn man in das kaleidoskopische Innenre des ‚Gesellschaftsspiegels‘ blickt, nimmt man eine zusammengesetzte Perspektive unserer vielfältigen Gesellschaft wahr. Die Skulptur ist, wie der Titel schon besagt, ein Spiegel der Gesellschaft. Dieser bietet unendliche Perspektiven, eine pluralistische Sicht auf eine Gesellschaft, die nicht als hierarchisch und singulär, sondern als vielgestaltig zu verstehen ist.“ [4] Anders als in Hamburg, wo das Prisma der Skulpturen das urbane Leben und die Menschen der Stadt einfängt, sind die Prismen des Livestreams in der Fondation Beyeler auf den Park vor dem Museumsgebäude und auf das Wasser gerichtet.
Life als Ökosystem
Wo sich in Hamburg der Kulturraum spiegelt, ist es bei „Life“ eine Spiegelung der Landschaft in der Natur. Hierzu zählen die menschlichen Besucher, doch auch andere Lebewesen werden zum Teil der Installation. Durch die offene Gestaltung zwischen Museumsgebäude und Park können Insekten und Vögel sich an der Wasseroberfläche und auf den Pflanzen niederlassen. In Beziehung zum Raum bilden diese unterschiedlichen Gäste ein Ökosystem, in dem menschliche und nicht-menschliche Interaktionen mit der Zeit ihre Spuren hinterlassen.
Für Olafur Eliasson verdeutlicht „Life“ damit das Modell einer zukünftigen Landschaft, in der Menschen und nicht-menschliche Lebewesen sowie die unbelebte Umgebung zusammen existieren können. In Anbetracht des fortschreitenden Klimawandels und der Zerstörung der Natur durch den Menschen fragt die Installation damit auch, wie viel Platz sich die anthropozentrische Kultur in Zukunft noch nehmen kann und ob es nicht längst an der Zeit ist, sich stärker gegenüber dem Naturraum und den Lebewesen darin zurückzunehmen.
Life – Olafur Eliasson
Fondation Beyeler
April bis Juli 2021
musermeku dankt der Fondation Beyeler für die Einladung zu einem Besuch der Installation und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Fotos: Angelika Schoder – Installation „Life“ von Olafur Eliasson in der Fondation Beyeler
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Alle Zitate von Olafur Eliasson stammen aus dem Einführungsvideo zur Ausstellung „Life“, 2021 in der Fondation Beyeler via YouTube – übersetzt von der Verfasserin dieses Beitrags.
[2] Olafur Eliasson, zitiert nach: life.fondationbeyeler.ch
[3] Dazu: Natasha Myers: From the Anthropocene to the Planthroposcene: Designing Gardens for Plant/People Involution., In: History and Anthropology, 28, 30, 2017, S. 297–301. Und: Dies.: How to Grow Livable Worlds: Ten Not-so-easy steps, In: Kerry Oliver Smith (Hrsg.): The World to Come. Art in the Age of the Anthropocene, Gainesville, Florida, 2018, S. 53–63.
[4] Olafur Eliasson bei Instagram – übersetzt von der Verfasserin dieses Beitrags.
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