[Debatte] Soziale und kulturelle Vielfalt muss in Museen dringend erhöht werden, denn vor allem in Deutschland ist die Besucherstruktur noch viel zu homogen, wie Studien immer wieder zeigen. Doch wenn sich Institutionen im Kulturbereich – und insbesondere Museen – neuen Zielgruppen öffnen wollen, ist es notwendig, dass auch die Mitarbeiterstruktur die angestrebte Publikumsstruktur wiederspiegelt. Es gilt, mehr Diversität in Kulturinstitutionen zu etablieren, um auf die Erwartungen der vielfältigen Zielgruppen besser eingehen zu können – sei es in der Konzeption von Ausstellungen, im Zuge der Erarbeitung von Vermittlungskonzepten oder hinsichtlich der Umsetzung von Kommunikationsmaßnahmen. Bei der Erhöhung von sozialer und kultureller Diversität sind Museen hier jedoch immer wieder auf die Unterstützung von Stiftungen angewiesen, die den Zugang zu Kultur ermöglichen. Stiftungen haben dabei nicht nur Besucher im Blick, sondern unterstützen auch Nachwuchswissenschaftler – und zwar in Form eines Museumstipendiums für Praktika oder ein Volontariat.
Zugang zu Kultur-Berufen ermöglichen
Wenn es um freien Eintritt in Museen geht, ist das Modell bereits bekannt: Stiftungen übernehmen für eine bestimmte Zeit laufende Kosten, damit die Institutionen auf den Verkauf von Tickets verzichten können. Eine Barriere soll damit abgebaut werden, der Zugang zu Kultur soll damit keine Frage des Geldes mehr sein. Als bekanntestes Beispiel gilt hier das Museum Folkwang, bei dem die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung die Finanzierung der Eintrittsgelder für fünf Jahre übernimmt. Es sind zwar nicht nur finanzielle Hindernisse, die Menschen von Museumsbesuchen abhalten, denn auch andere Faktoren wie Inhalte, Sprache, lokale und zeitliche Zugänglichkeit etc. spielen eine Rolle. Das Finanzielle ist aber zumindest ein wichtiger Aspekt. Die Hoffnung ist, dass sich so bei den Besuchern eine größere Vielfalt erzielen lässt – sowohl was die soziale, als auch was die kulturelle Herkunft angeht.
Doch nicht nur auf Besucherseite überwiegt in Museen zu häufig eine Homogenität. Auch was die Mitarbeiterstruktur angeht, haben die Kulturinstitutionen oft noch deutlichen Nachholbedarf. Auch hier greifen private Stiftungen ein, etwa mit dem Museumsstipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“, getragen von der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft sowie zunächst noch von der Robert Bosch Stiftung.
Im Herbst 2013 wurden die Stipendien erstmals an 12 Hochschulabsolventen „mit besonderer Sachkenntnis und persönlicher Erfahrung im Bereich Migration“ für zwei Jahre vergeben, und zwar in Kooperation mit bestimmten Museen, wie z.B. dem Museum der Arbeit in Hamburg, dem Ruhr Museum in Essen, dem Frankfurter Goethe-Museum oder der Staatsgalerie Stuttgart. Nach dem Rückzug der Robert Bosch Stiftung schrieben die übrigen drei Stiftungen die Stipendien im Frühjahr 2016 erneut aus, diesmal wurden insgesamt acht Stipendien vergeben (in Kooperation mit insgesamt 8 Museen).
Stipendiaten als Unterstützung für Museen
Die Kunsthistorikerin Petronela Soltész war Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung und konnte so ein Volontariat im Kunstmuseum Stuttgart absolvieren. Für sie steht es außer Frage, dass durch Drittmittel vergütete Mitarbeiter eine enorme finanzielle Unterstützung für staatliche Museen und Institutionen im Kulturbereich darstellen. Wichtig ist in ihren Augen auch, dass das Museumsstipendium zudem vorschreibt, dass teilnehmende Institutionen keine regulären Volontärsstellen kürzen oder streichen dürfen. „Das Ziel ist, durch das Museumsstipendium, zusätzliche Mitarbeiter für den kuratorisch-vermittlerischen Bereich zu gewinnen“, so Soltész.
In ihrem Fall war ihr Museumsstipendium auch strukturell als wissenschaftliches Volontariat ausgerichtet. „Das heißt, meine Sozialleistungen wurden vom Kunstmuseum Stuttgart übernommen und die monatliche Vergütung richtete sich nach TVöD 13 (50 %) – wie üblich für eine Ausbildungsstelle im Museumsbereich in Baden-Württemberg.“ Eigentlich ist das Stipendium mit insgesamt 30.000 Euro dotiert, doch durch diese Strukturierung konnte ein monatliches Gehalt gezahlt werden. „Eine, wie ich finde, optimale Lösung, denn man möchte als Stipendiat nicht den hohen Geldbetrag auf einen Schlag erhalten, der schließlich über die gesamten zwei Jahre und obendrauf für die Deckung der Sozialleistungen ausreichen muss“, betont Soltész. Andere Stipendiaten, bei denen eine solche Strukturierung nicht getroffen wurde, seien in der Zeit ihres Stipendiums jedoch noch an der Uni eingeschrieben gewesen oder hätten einen zusätzlichen Wochenend-Job aufgenommen, um die Sozialleistungen so senken zu können, berichtet Soltész.
Förderung ohne inhaltliche Vorgaben
Das Museumsstipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“ ist seitens der Stiftungen mit keinerlei Vorgaben verbunden, was den Inhalt der Ausbildung angeht. Die teilnehmenden Institutionen werden beispielsweise nicht verpflichtet, ein Projekt in Form einer Ausstellung, Vortragsreihe, Tagung oder ähnlichem zum Thema „Kulturelle Vielfalt“ oder „Migration“ zu organisieren. Soltész betont dazu: „Natürlich kann man darüber debattieren, ob es überhaupt vertretbar wäre, wenn eine private Stiftung in das Hausprogramm einer von Steuergeldern finanzierten Institution eingreifen würde. Ebenso könnte man auch darüber diskutieren, ob diese öffentlichen Institutionen verpflichtet sein müssten, politisch Stellung einzunehmen und diese in ihrem Programm zu thematisieren.“ Ihrer Meinung nach ist es wichtig, dass es den Museen auch freigestellt wird, ob und wie sie das Stipendium überhaupt kommunizieren. „Die freie Gestaltbarkeit reicht so weit, dass die Institutionen selbst entscheiden können, ob sie die zweijährige Aufnahme der Stipendiaten publik machen möchten – sei es auf der eigenen Homepage, als Blogbeitrag oder in der Erwähnung des Stipendiums hinter dem jeweiligen Mitarbeiternamen“, so Soltész.
Sie selbst hat sich übrigens dagegen entschieden, dass das Museum das Stipendium gezielt kommuniziert: „Die Absicht ist nicht, vorbildhaft ‚Quotenmigranten’ nachzuweisen. In meinem Fall hatte sich das Kunstmuseum Stuttgart rücksichtsvoll und diplomatisch verhalten. Ich wurde zuerst gefragt, ob hinter meinem Namen auf der Museumswebsite das Stipendium erwähnt werden sollte, vielleicht auch mit einer kurzen Beschreibung dazu. Ich habe dies verneint, weil ich mich in keiner Weise von den anderen Volontären und Mitarbeitern abheben wollte“, betont die Kunsthistorikerin.
Vielfalt im Kulturbereich dank Museumsstipendium
Geisteswissenschaftler mit Migrationshintergrund erhalten durch die Stipendien die Möglichkeit, die Struktur eines Museums kennenzulernen, eigene Projekte durchzuführen und vielleicht im Museumsbereich Fuß zu fassen. Der Migrationshintergrund ist dabei zwar ein zentrales Kriterium, Soltész ist es aber wichtig zu betonen, dass es bei der Auswahl der Stipendiaten in erster Linie um fachliche Qualifikation geht. „Ich habe weder in der Zusammenarbeit mit den Museumskollegen noch mit den Stiftungsmitarbeitern den Eindruck vermittelt bekommen, dass ich das Stipendium allein aufgrund meines Migrationshintergrunds erhalten habe. Natürlich spielte dieser eine zentrale Rolle, aber ebenfalls mein Studienschwerpunkt“, so die Kunsthistorikerin.
Bereits in ihrer Masterarbeit an der Universität Heidelberg hatte Soltész sich mit politisch geladenen Illustrationen und Buchpropaganda nach 1945 in Südosteuropa beschäftigt. Im Kunstmuseum Stuttgart konnte sie sich dann mit der Herausforderung einer adäquaten Museumspräsentation des hybriden Kunstmediums „Buch“ auseinandersetzen. Aus einer Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Sammlerehepaar Wulf D. und Akka v. Lucius entstand so schließlich die Sonderausstellung „Buch-Kunst-Objekt. Sammlung Lucius“, die im Kunstmuseum Stuttgart vom 28. Februar bis 30. August 2015 zu sehen war.
Für Soltész persönlich war das Stipendium enorm wichtig, wie sie betont: „Ich gebe zu, als eine der Stipendiaten Anerkennung für meine Leistungen gefühlt zu haben. Erstmals wurde wahrgenommen, dass ich als Migrantin aus dem Europäischen Ausland eine andere persönliche Ausgangssituation in Deutschland hatte.“ Ohne das Museumsstipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“ wäre es für sie viel schwieriger gewesen, ein Volontariat in einem Kunstmuseum absolvieren zu können – davon ist sie überzeugt. „Die Konkurrenz ist nach wie vor sehr groß. Es wäre nicht unmöglich gewesen, allerdings hätte ich niemals damit gerechnet, so schnell nach meinem Studienabschluss eine Volontariatsstelle zu bekommen, dazu noch in einem Museum mit einer international hochrangigen Sammlung und einem vielbeachteten Sonderausstellungsprogramm“, so die Kunsthistorikerin.
Auch für ihren späteren Berufsweg sei die Zeit als Stipendiatin wichtig und prägend gewesen, angefangen bei den Kollegen, die sie bis heute unterstützen, bis hin zu den Kuratoren, Vermittlern und Wissenschaftlern aus dem deutschen Kulturbereich, mit denen sie sich im Rahmen von Weiterbildungen vernetzen konnte. „Meine Entscheidung, in die Freiberuflichkeit zu gehen, habe ich getroffen, weil ich Menschen um mich herum habe, die stets an meine Stärken, Kompetenzen und schließlich mein Wissen geglaubt haben. Die meisten davon habe ich in diesen sehr produktiven zwei Jahren des Stipendiums kennengelernt“, so Soltész.
Notwendige Unterstützung durch Stiftungen
Für die Zukunft würde sich Soltész wünschen, dass sich weitere Stiftungen an dem Museumsstipendien-Programm beteiligen würden, um so weitere Geisteswissenschaftler mit Migrationshintergrund wie auch mehr Museumsinstitutionen unterstützen zu können. Sie betont: „Meines Erachtens nach ist eine finanzielle Unterstützung durch private Stiftungen speziell im Kultur- und Museumsbereich extrem wichtig und notwendig. Schließlich sind diese Institutionen für die Erwachsenenbildung (und darüber hinaus) gesellschaftlich signifikante Grundpfeiler. Und dennoch drohen ihnen permanent staatliche Kürzungen, die zu fatalen Folgen führen können, wie die Schließung und/oder der Verkauf von staatlichem Kunst- und Kulturgut zu Überlebenszwecken.“
Private Stiftungen würden bereits (postdoktorale) Fellowships finanzieren, die dem Fellow die wissenschaftliche Arbeit in einer öffentlichen Museumssammlung ermöglichen, so die Kunsthistorikerin weiter. Auch Dissertationen und Habilitationen werden gefördert, ebenso wie Vorbereitungen von Sonderausstellungen. Das Museumsstipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“ nimmt hier für Soltész eine weitere wichtige Position ein, denn es ermöglicht auch den kleineren Museen die (befristete) Einstellung weiterer wissenschaftlicher Mitarbeiter. „Es ist nichts Neues, dass die meisten staatlich finanzierten deutschen Museen unterbesetzt sind und dass es sowohl für die Erforschung des eigenen Sammlungsbestandes, als auch in der Präsentation von Sonderausstellungen, an Personal fehlt“, so Soltész.
Doch das Museumsstipendium „Kulturelle Vielfalt und Migration“ geht natürlich über die reine Ermöglichung einer weiteren personellen Unterstützung hinaus. „Die Stiftungen helfen durch das Museumsstipendium zusätzlich den Institutionen, ihre Wissenschaftsabteilungen kulturell zu pluralisieren und sich somit interkulturell zu öffnen. Interkulturelle Öffnung versteht sich schließlich nicht nur als gruppenzielgerichtete Ausstellungspräsentation, sondern auch als die Einstellung von Wissenschaftlern und Forschern mit Migrationshintergrund“, betont die Kunsthistorikerin.
Staatliche Verantwortung
Ist dank der Förderung sozialer und kultureller Vielfalt im Kulturbereich durch Stiftungen also alles gut? Ulrich Schlee, Promotionsstipendiat der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, sieht das anders. Ihm ermöglichte sein Stipendium u.a. ein dreimonatiges wissenschaftliches Vollzeit-Praktikum im Wiener Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Vergütet wurde das Praktikum, dank Stiftung, mit dem deutschen Mindestlohn plus Auslandspauschale. Schlee weiß um die Problematik, dass Praktika im Kultur- und Bildungsbereich in der Regel nicht vergütet werden und um seine besondere Situation als Stipendiat. Denn der gesetzliche Mindestlohn existiert seit seiner Einführung im Jahr 2015 im Kulturbereich nur theoretisch. In der Praxis arbeiten Praktikanten in Museen und Kulturinstitutionen überwiegend unbezahlt. Ein Praktikum im Kulturbereich muss man sich also erst einmal leisten können – was dazu führt, dass auch hier die soziale Diversität teilweise auf der Strecke bliebe, würden Stiftungen nicht durch Stipendien eingreifen.
So positiv dies ist, die Verantwortung für die Ermöglichung eines Zugangs zum Kulturbereich darf nicht an Stiftungen ausgelagert werden. Schlee betont hierzu: „Problematisch wird es, wenn der Staat sich – gestützt auf und legitimiert durch private Initiativen wie es Stiftungen oft sind – aus seiner Verantwortung für Aufrechterhaltung von Wissenschaft und Kultur als öffentlichen Gütern herauszieht. Dazu zählt auch die Ausbildung des wissenschaftlichen und kulturellen Nachwuchses. Der Staat darf diese Rolle nicht Dritten, die oft mittelbar mit den Verwertungsinteressen von Wirtschaftsakteuren verknüpft sind, überantworten.“
Es ist wichtig, dass Ausbildungen im Kulturbereich auch stärker von staatlicher Seite gefördert werden. Dies würde letztendlich auch zur Entwicklung einer sozial und kulturell vielfältigeren Mitarbeiterstruktur in dieser Branche beitragen. Eine gerechte Vergütung ist hier ausschlaggebend – und damit ist der Mindestlohn gemeint, der endlich für Praktika ohne Ausnahme ab dem 1. Tag gelten muss, ebenso wie für Volontariate.
Header-Bild: Angelika Schoder, 2018
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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