The Kiss: Warum kauft man ein Museums-NFT?

Seit einigen Monaten mischen NFTs den Kunstmarkt auf. Auch Kulturinstitutionen steigen ins Business ein. Doch wer kauft ein Museums-NFT? Und lohnt sich das Geschäftsmodell für Museen überhaupt?

Seit einigen Monaten mischen NFTs den Kunstmarkt auf. Auch Kulturinstitutionen steigen ins Business ein. Doch wer kauft ein Museums-NFT?

[Debatte] Pünktlich zum Valentinstag 2022 bot das Belvedere Museum 10.000 NFTs an, jedes gekoppelt an einen virtuellen Teil des Gemäldes „Der Kuss“ von Gustav Klimt. Das Original aus dem Jahr 1908 hängt im Oberen Belvedere in Wien. Einen kleinen Teil davon bzw. ein zugewiesenes Non Fungible Token sollten sich nun Tausende von Käufern sichern. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass das Interesse an der Aktion seitens der potenziellen Käufer nicht ganz so groß war, wie vom Museum vielleicht erhofft. Nur knapp ein Viertel der NFTs von The Kiss wurden verkauft. Wir haben eine der Käuferinnen ausfindig gemacht und sie gefragt: Warum kauft man ein Museums-NFT?


„Bei dieser NFT-Aktion geht es nicht nur darum, die Chance zu nutzen, einen Teil des digitalisierten Bildes von The Kiss zu besitzen. Es geht darum, eine persönliche Verbindung zu diesem Meisterwerk herzustellen. Teil einer Gemeinschaft zu werden, die in die Kunstgeschichte eingehen und als Pionier des Metaversums gelten wird.“

Belvedere: The Kiss NFT Drop – thekiss.art

Ein Pionier des Metaversums

Das Projekt „The Kiss NFT Drop“ des Belvedere Museum in Wien war gut vorbereitet. Mit Tutorial-Videos und einem FAQ zu Non Fungible Tokens (kurz NFTs) für Einsteiger wollte das Museum sicherstellen, dass sich nicht nur ausgewiesene Crypto-Kenner und Blockchain-Enthusiasten für das Projekt interessieren: Insgesamt 10.000 Nachweise für den Besitz eines virtuellen Teils von Gustav Klimts Gemälde „Der Kuss“ sollten je zum Preis von 0,65 Ethereum (zu dem Zeitpunkt etwa 1.850,- Euro) veräußert werden. Voranmeldungen für die Aktion waren ab 25. Januar 2022 möglich; am 9. Februar startete dann die Freigabe für den Kauf; am 14. Februar wurden die gekauften NFTs offiziell veröffentlicht bzw. an die Käufer zugestellt.

Für alle, die das NFT verschenken wollen, hat das Museum mittlerweile auch bedacht, den Käufern etwas Handfestes mitzugeben: Neben dem virtuellen Zertifikat erhält man nun auch eine Jahreskarte für das Belvedere – natürlich „Plus Eins“, damit man als Paar das Museum besuchen kann. Der Code für die Jahreskarte wandert als Token gleich mit ins NFT-Wallet der Käufer; wer den Gutschein im Onlineshop des Museums einlöst, erhält die Jahreskarte per Post – ganz analog.

Das Belvedere hat zu The Kiss zudem ein sogenanntes „Ambassador Programm“ ins Leben gerufen, das NFT-Besitzer dazu anhalten soll, im Freundes- und Bekanntenkreis für das Projekt zu werben. Es winken diverse Anreize, etwa ein personalisiertes NFT-Produkt für 3 angeworbene Neukunden oder ein weiteres NFT von The Kiss, wenn man 6 neue Käufer gewinnt. Öffentlich bekannt wurde bisher nicht, wie erfolgreich diese Art der Freundschaftswerbung verläuft. Das Museum selbst kann sich jedenfalls nicht vorwerfen lassen, nicht ausreichend für das Projekt geworben zu haben. Ob Online-Werbung, Influencer-Kooperationen, Bildschirmwerbung im Museum, Postkarten, die an Museumsbesucher verteilt wurden, Werbung auf den Social-Media-Kanälen des Museums und im Newsletter, dazu umfangreiche Pressearbeit sowie die Beteiligung an NFT-Konferenzen und Messen – jeder erdenkliche Kanal wurde abgedeckt, sicher auch verbunden mit erheblichen Kosten für das Museum.

Der Erfolg der Aktion blieb wohl dennoch hinter den Erwartungen des Belvedere zurück. Laut Futurezone wurden bis Mai 2022 mit dem Verkauf von 2.415 NFTs rund 4,4 Millionen Euro generiert. Das klingt zunächst nach sehr guten Einnahmen, doch bleibt eben auch die Tatsache, dass 3/4 der angebotenen NFTs nicht verkauft werden konnten – und es sieht auch nicht so aus, als würde sich das in absehbarer Zeit ändern. Der Standard berichtete im Juni sogar von etwa 30 Anträgen auf Rückabwicklung des NFT-Kaufs, denen das Museum wohl vereinzelt auch entsprochen habe, wie es im Artikel heißt.


Auf der Plattform OpenSea werden die NFTs zu The Kiss gehandelt.
Auf der Plattform OpenSea werden die NFTs zu The Kiss gehandelt. Auch auf der Projektseite des Belvedere Museum kann man noch NFTs erwerben. (OpenSea-Screenshot vom 25.07.2022)

Warum kauft man ein Museums-NFT?

Als eine der Ersten bei einem außergewöhnlichen Projekt mit dabei sein und zu einer Gemeinschaft dazu gehören „die in die Kunstgeschichte eingehen und als Pionier des Metaversums gelten wird“, wie es auf der Projektseite des Belvedere Museums heißt – das klang für Chris attraktiv. Ihren vollen Namen möchte sie allerdings nicht zum Thema online lesen. Vielleicht weil man als NFT-Inhaber von The Kiss doch keinem so exklusiven Club angehört, wie sich mittlerweile herausgestellt hat. Tatsächlich sind nämlich noch immer jede Menge NFTs der Aktion direkt beim Museum zum vollen Startpreis von 1.850,- Euro verfügbar. Wer sich auf dem NFT-Marktplatz OpenSea umschaut und bereit ist in der Crypto-Währung Ethereum zu bezahlen, kommt mittlerweile auch deutlich günstiger an ein Museums-NFT. Chris ist von dieser Entwicklung nicht begeistert. Ein Investment in weitere NFTs plant sie auch deshalb nicht.

Du bist Besitzerin von einem Museums-NFT. Damit gehörst du weltweit zu einer bisher noch sehr kleinen Gruppe. Wie bist du mit dem Thema in Kontakt gekommen?

Chris: „Ich hatte mich im Vorfeld schon zu Blockchain und Crypro eingelesen. Mit dem Thema NFTs hatte ich mich bis zu dem Zeitpunkt aber noch nicht beschäftigt. Erstmals von der Aktion des Belvedere Museum erfahren habe ich im Februar. Der von mir sehr geschätzte Rainer Hank berichtete in der FAS im Artikel ‚Ein Kuss zum Valentinstag‘ von The Kiss. Der Autor selbst schrieb zwar, er würde sich keines der NFTs kaufen. Aber mein Interesse war geweckt. Ich habe mich dann auf der Projektseite des Museums weiter informiert und mich zum Kauf entschlossen.“

Was hat dich an The Kiss angesprochen?

Chris: „Mir gefällt die Idee, einen Anteil an diesem Meisterwerk zu haben, auch wenn es nur virtuell ist. Ich fand es faszinierend, dass die einzelnen 10.000 Teile richtig hübsch aussehen. Und es war aufregend, welches Teil ich bekommen würde – ich habe übrigens ein Stück vom Po bekommen. Mich hat außerdem angesprochen, dass es von diesem Kunstwerk nur eine solche Aktion geben wird und mein NFT des Bildes immer mir gehören wird. Außerdem unterstütze ich durch den Kauf das Museum und ich fand auch interessant, dass man ein Kunst-Investment hat, das keinen Platz wegnimmt. Als Investment habe ich es nämlich schon betrachtet, denn es könnte sein, das mein Museums-NFT auch mal mehr wert sein wird in der Zukunft. Zumindest habe ich das damals noch gedacht.“

Mittlerweile hat sich aber gezeigt, dass es mit der Wertsteigerung wohl eher schlecht aussieht. Nur knapp ein Viertel der NFTs von The Kiss wurden verkauft. Noch immer kann man Tausende beim Museum direkt erwerben. Wenn man sich auf der Plattform OpenSea umschaut, kann man sogar im Vergleich zum Originalpreis richtig Geld sparen…

Chris: „Ehrlich gesagt hatte ich im Februar beim Start der Aktion gedacht, dass schnell alle NFTs vom Belvedere verkauft werden, da es ja viel Werbung seitens des Museums und auch viel Presseberichterstattung gab. Dann wäre mein Museums-NFT direkt etwas wert gewesen. Aber dadurch, dass man noch immer direkt beim Museum kaufen kann, sind die NFTs nicht knapp. Und was nicht knapp ist, bekommt man natürlich auch nicht teuer verkauft. Wenn ich gewusst hätte, wie sich die Aktion zu The Kiss entwickelt, hätte ich mich wohl nicht zum Kauf entschieden.“

Bereust du den NFT-Kauf?

Chris: „Nein, nicht direkt. Mir gefällt das Konzept ja immer noch. Ich meine, ich habe ein NFT der ersten großen Museumsaktion in diesem Bereich. Die Vorstellung gefällt mir.“

Du meintest am Anfang, du hattest dich vorher noch nie mit dem Thema beschäftigt. War der Kauf des NFT daher kompliziert für dich?

Chris: „Auf der Projektseite war alles genau beschrieben, wie man als Käufer vorgehen muss. Dem Museum war vermutlich klar, dass sich The Kiss auch an Neulinge richtet und hier mehr Erklärungsbedarf besteht. Wichtig war für mich, dass ich das NFT in Euro beim Museum bezahlen konnte. [Möglich ist die Zahlung per Kreditkarte, SEPA oder PayPal.] Ich besitze nämlich kein Ether oder andere Crypto-Währungen und nur für The Kiss hätte ich damit auch nicht angefangen. Die Zahlungsmöglichkeit mit Euro beseitigt schon eine wichtige Hemmschwelle, wenn man neu im Thema ist. Für technisch ungeübte, vielleicht ältere Menschen bliebt die Hürde aber wohl trotzdem noch zu hoch. Eventuell hätten sonst mehr Menschen ein Museums-NFT gekauft.“


Das Museums-NFT von Chris bezieht sich auf das Quadrat x058 y052.
Ein kleines weißes Kästchen markiert, welches der 100 x 100 Quadrate an Chris zugewiesen und als NFT generiert wurde. Das NFT von Chris bezieht sich auf das Quadrat x058 y052 im Bild von Gustav Klimt – es befindet sich im Bereich des Hinterns der Frau auf dem Gemälde.

NFTs unter die Leute bringen

Wer ein Museums-NFT besitzen möchte, hat im Moment noch keine sehr große Auswahl. Erst wenige Institutionen boten diese bisher an, etwa bereits im Mai 2021 die Uffizien in Florenz, das British Museum in London oder die Eremitage in Sankt Petersburg. Nach dem Belvedere Museum im Februar 2022 zog nun im Mai auch das Leopold Museum in Wien nach mit „Timeless Reflections. The Original Egon Schiele NFT Collection“. Auch das Belvedere Museum plant die Veröffentlichung weiterer NFT Angebote, wie Futurezone im Mai berichtete. Um den Zugang zu The Kiss weiter anzukurbeln, plant das Belvedere mittlerweile den Verkauf von NFT-Geschenkboxen in den Shops des Museums und bei Partner-Organisationen sowie personalisierte „Premium NFT-Produkte“, wie es auf der Projektseite des Museums heißt.

Ist der Verkauf von NFTs also ein zukunftsfähiges Monatarisierungsmodell für Museen? Das müssen die Institutionen unter Abwägung aller Faktoren letztendlich für sich entscheiden. Zum einen treffen entsprechende Aktionen noch immer auf größeres mediales Interesse und es lockt die Aussicht, zusätzliche Einnahmen zu generieren. Zum anderen werden aber auch kritische Stimmen zum NFT-Verkauf durch Kulturinstitutionen immer lauter. Da ist zunächst das Thema des Energieverbrauchs von NFTs: In einer Zeit, in der der Klimawandel immer schneller fortschreitet, eine Energiekrise droht und Museen sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, wo sie CO2 und Energie einsparen können, scheint ein energiefressendes System nicht recht ins Konzept zu passen. Selbst wenn mit „grünen“ Technologien oder dem ausgleichenden Pflanzen von Bäumen geworben wird, bleibt die Problematik, dass dennoch sehr viel Energie überhaupt verbraucht wird.

Dann spielen auch technische Herausforderungen eine Rolle, und zwar nicht nur seitens der Museen mit entsprechenden Partnern zusammenzuarbeiten, um die notwendige Infrastruktur für die Generierung und den Verkauf von NFTs einzurichten. Auch was die Zielgruppe für mögliche Käufer angeht, sind technische Hürden ein entscheidender Faktor. Das klassische Museumspublikum ist kaum mit den Themen Blockchain, Crypto-Währungen oder NFTs vertraut. Diejenigen, die sich damit auseinandersetzen, werden zudem verunsichert durch zahlreiche mediale Berichterstattungen über hochproblematische Aspekte des Crypro-Umfelds, etwa durch das millionenfach geklickte Video „Linie Goes Up – The Problem With NFTs“ von Dan Olson oder durch diverse Beiträge von Web3-Kritikern wie Jürgen Geuter. Und selbst bei der Zielgruppe, die bereits im NFT-Markt aktiv ist, zeigte sich laut Quartalsbericht Q1/22 von NonFungible in den letzten Monaten ein starker Rückgang was aktive Käufer angeht. Museen, die NFTs verkaufen wollen, müssen also damit rechnen, nur eine sehr kleine Zielgruppe erreichen zu können, die als Käufer überhaupt infrage kommt.

Insbesondere wenn Museen gemeinfreie Werke aus ihrer Sammlung als NFTs anbieten, müssen sie sich zudem mit den Kritikern auseinandersetzen, die sich für den freien Zugang zu kulturellem Erbe engagieren. Hier wird gefordert, dass eine Monetarisierung gemeinfreier Werke keinesfalls dazu führen darf, dass die digitale Verfügbarkeit dieser Werke eingeschränkt wird. Dies würde sonst der Aufgabe insbesondere von staatlichen Museen entgegenstehen, wie es aus der #openGLAM-Community heißt. Denn für Museen sollte es darum gehen, kulturelles Erbe der gesamten Gesellschaft zugänglich zu machen und nicht eine künstliche Exklusivität zu erzeugen, um vielleicht damit den Wert eines NFTs zu steigern. Auch diesen Aspekt sollten Museen bei geplanten Projekten berücksichtigen.

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Header-Bild: Detail aus: Gustav Klimt: Der Kuss (Liebespaar), 1908/09 – Oberes Belvedere, Wien


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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