[Konferenz] Die MAI-Tagung 2016, die am 30. und 31. Mai im Internationalen Maritimen Museum Hamburg stattfand, zeigte wieder einmal, wie weit die Schere bei europäischen Museen auseinander driftet, wenn es um die Nutzung digitaler Möglichkeiten geht. Während in Deutschland erste Barrieren überwunden werden, um Inhalte für ein möglichst großes Publikum zugänglich zu machen, gibt es in Skandinavien bereits zahlreiche Kulturangebote, bei denen Barrierefreiheit integraler Bestandteil der digitalen Entwicklung ist.
Das Louisiana Museum of Modern Art (Dänemark)
Barrierefreie Verfügbarkeit von Inhalten
Peder Wuth vom dänischen Louisiana Museum of Modern Art zeigte, wie ein zukunftsweisendes Medienformat eines Museums aussehen muss, um international zu überzeugen. Speziell auf die Ansprüche der Nutzer unterschiedlicher Digitalplattformen zugeschnitten, entwickelte das Museum den Louisiana Channel – eine Art digitalen Broadcasting-Kanal, der hochwertigen Content aus dem Kunst- und Kulturbereich zur Verfügung stellt, und zwar mit umfangreichen Sharing-Funktionen in eine Vielfalt an Netzwerke und Apps. Konsequenterweise sind die professionell und aufwändig produzierten Videos hier nicht auf das Museum und dessen Ausstellungsbetrieb zugeschnitten, sondern funktionieren konzeptionell losgelöst und für sich stehend. Ziel sei es, so Peder Wuth, den „Kulturaustausch“ im Netz anzuregen.
Dies gelingt deshalb, weil die Videos inhaltlich und qualitativ jedem etablierten TV-Kulturprogramm Konkurrenz machen können. Im Gegensatz zu klassischem Fernsehen stehen sie aber zeitlich voll flexibel und kostenfrei zur Verfügung und sind durch die Embedding-Möglichkeit auch plattformübergreifend verfügbar. Dies sind bereits wichtige Kriterien digitaler Barrierefreiheit, wobei eine durchgängige Nutzung von Untertiteln dringend ergänzt werden sollte. (Momentan verfügen nur nicht-englischsprachige Videos über Untertitel.)
Der Louisiana Channel nach dem „Sauna-Prinzip“
Das Museum kooperiert für den Louisiana Channel immer wieder mit hochkarätigen Protagonisten und „Stars“ der Kunst- und Kulturszene und produziert mit ihnen Inhalte, die teilweise so exklusiv sind, dass sie von etablierten Medien übernommen werden und so weitere Verbreitung finden. Ein Beispiel ist ein Interview, das Literaturnobelpreisträger Günter Grass im September 2013 dem Magazin Cicero gab und das exklusiv im Louisiana Channel zu sehen war. Seine Aussage, dass Facebook „Scheißdreck“ sei, wurde von zahlreichen weiteren Medien aufgegriffen, etwa vom Tagesspiegel oder von Focus.de, wodurch auch das Video des Museums enorme Reichweite erlangte. Von einer solchen Reichweite profitieren dann auch Videos zu weniger bekannten Künstlern oder Themen des kulturellen Lebens. In seinem Vortrag bezeichnete Peder Wuth dieses System als „Sauna-Prinzip“: Hierbei wechseln sich „kalte“ und „warme“ Inhalte ab, d.h. das Museum achtet auf eine Ausgewogenheit aus attraktiveren Themen und solchen Inhalten, die weniger Interessenten ansprechen.
Wöchentlich werden auf dem Louisiana Channel, der eben kein Museumskanal im herkömmlichen Sinne ist, sondern journalistisch Inhalte produziert, stets zwei Videos hochgeladen. Eine weltweite Verbreitung dieser Inhalte erfolgt dabei über Influencer, da die Videos von bis zu 2.000 Seiten eingebunden werden – von Blogs bis hin zu „klassischen Medien“, wie im Fall des Interviews mit Günter Grass. Sogar Hollywood-Star Emma Watson machte bereits auf den Louisiana Channel aufmerksam, als sie ihre Begeisterung über ein Patti Smith Interview mit ihren fast 22 Mio. Twitter-Followern teilte. Die Seitenzugriffe, so berichtete Peder Wuth bei der MAI-Tagung 2016, sprengten jede Statistik und letztendlich gelang es so, das Video einer Vielzahl an Menschen weltweit zugänglich zu machen.
Das Nationalmuseum Stockholm (Schweden)
Barrierefreier Zugang zu Sammlungen
Karin Glasemann vom Nationalmuseum Stockholm gab bei der MAI-Tagung 2016 einen Einblick in die Zusammenarbeit des Museums mit Europeana, Wikimedia und Linked Open Data-Initiativen. Diese Kooperationen entwickelten sich aus der Notwendigkeit heraus, eine abteilungsübergreifende digitale Strategie für das Museum zu konzipieren – auch im Hinblick auf den Umgang mit den Sammlungsobjekten – einhergehend mit der räumlichen Neukonzeption des Hauses im Rahmen einer umfangreichen Renovierung.
Im Januar 2015 entschloss sich das Museum, die Online-Datenbank mit einer Creative-Commons-Lizenz zu versehen und aktuell wird auch über die Öffnung eines Zugangs zu hochauflösendem Bildmaterial nachgedacht. Von diesem weiteren Schritt in Richtung eines Abbaus digitaler Barrieren würden auch die Nutzer von Wikipedia profitieren. Wikimedia Commons greift nämlich auf die über Europeana fei verfügbaren Daten zu, um sie ihrerseits zu kontextualisieren und für Nutzer weiter zugänglich zu machen. Hieraus entwickelte sich für das Museum eine strategische Zusammenarbeit mit Wikimedia Schweden, wie Karin Glasemann bei der MAI-Tagung 2016 berichtete.
Kulturinhalte jederzeit zugänglich
Das Museum ist nun mitten im Prozess, seine mehr als 700.000 Objekte nach und nach digital zu erfassen und zugänglich zu machen. Aktuell umfasst die Datenbank etwa 146.000 Objekte, darunter Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Drucke, Kunsthandwerk, Möbel sowie Designobjekte. Für jedes erfasste Objekt in der Datenbank stellt das Museum u.a. Werktitel, Künstler, Entstehungsdaten und Material zur Verfügung, mitunter sind sogar kurze Beschreibungen vorhanden. Grundlage sind die internen Inventarverzeichnisse des Museums, was teilweise aber noch zu fehlerhaften Zuordnungen führt, die nach und nach noch geprüft werden müssen. So kann es etwa noch vorkommen, dass nicht nur der Werktitel eines Gemäldes auf den König von Frankreich verweist, sondern fälschlicherweise der König selbst auch als Maler des Gemäldes eingetragen ist.
Nach und nach werden die Informationen vom Museum aber überprüft und berichtigt und ebenso schreitet die Erfassung von Objekten weiter voran. Letztendlich ermöglicht das Museum durch die freie Verfügbarkeit von Informationen nicht nur die weitere kreative Auseinandersetzung mit Inhalten, sondern auch einen ortsunabhängigen Zugang zu den Sammlungsinhalten für virtuelle Museumsbesucher. Zur besseren Orientierung bietet das Nationalmuseum Stockholm sogar eine thematische Strukturierung der online verfügbaren Sammlungsinhalte an, versehen mit Einleitungstexten und abgestimmten Objekttexten, etwa „Selfies – Now and Then“.
Das Finna-Portal und die Entwicklung inklusiver Kulturangebote (Finnland)
Barrierefreiheit für Menschen mit physischen oder kognitiven Einschränkungen
Finnland ist wahrscheinlich das fortschrittlichste europäische Land wenn es darum geht, Inklusion im Online-Kulturbereich umfangreich umzusetzen. Bei der MAI-Tagung 2016 berichteten hierzu Tapani Sainio von Finland’s National Board of Antiquities und die freiberufliche Inklusionsberaterin Eeva Rantamo. In Finnland arbeiten Archive, Bibliotheken und Museen an der Entwicklung übergreifender Serviceangebote und an der Verknüpfung von Sammlungsbeständen. Eines der zentralen Projekte ist das Finna-Portal, welches Teil der Nationalen Digitalen Bibliothek ist und seine Metadaten wiederum der Europeana zuliefert. Finna umfasst 11.068.152 Einträge, u.a. Journals, Bilder, Objekte, Audiofiles, Videos, Bücher, Forschungsarbeiten, Kunstwerke, Karten, Partituren oder Dokumente.
Die Inhalte können dabei nicht nur online durchsucht werden, sondern auch reserviert und entliehen werden – institutionsübergreifend und von jedem Ort aus. Im Hintergrund werden von den beteiligten Institutionen in Finnland nicht nur technische Aspekte berücksichtigt, etwa wie gewährleistet werden kann, dass Digitalisate und deren Daten in Verwaltungssysteme integriert werden können und über Portale den Nutzern frei zur Verfügung gestellt werden können. Auch der soziale Aspekt von Barrierefreiheit erfährt starke Berücksichtigung, denn es wird an Maßnahmen gearbeitet, die dabei helfen, Nutzer mit verschiedenen Anforderungen und Bedürfnissen in die Aktivitäten der Kultureinrichtungen mit einzubinden und darüber die Angebote zu verbessern und leichter zugänglich zu machen.
musermeku dankt den Organisatoren der MAI-Tagung vom LVR-Fachbereich Regionale Kulturarbeit / Museumsberatung für den freien Zutritt zur Veranstaltung.
Header-Bild: Angelika Schoder – Internationales Maritimes Museum Hamburg, 2018
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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