Zwischen Kunst und Quarantäne

Der aktuelle Hype in Social Media ist es, berühmte Kunstwerke selbst zuhause nachzustellen. Doch wer hat’s erfunden? Die Idee ist tatsächlich schon älter…

Zwischen Kunst und Quarantäne

[Online-Tipp] Laut einem Artikel von Der Spiegel kam das amerikanische J. Paul Getty Museum auf eine sehr originelle Idee: Am 25. März 2020 forderte es seine Follower bei Twitter dazu auf, sich ein Kunstwerk auszusuchen und dies mit 3 Gegenstände aus dem Haushalt nachzustellen. Geteilt werden sollte das do-it-yourself Kunstwerk dann mit einer Erwähnung des Museums. Eine schöne Idee, um Kunst-Fans in den heimischen vier Wänden zu beschäftigen – zumal das Museum aufgrund der Coronavirus-Pandemie seit Wochen geschlossen ist. Aber Moment! Hat das J. Paul Getty Museum diese interaktive Kunst-Aktion wirklich erfunden? Nicht ganz…


Kunst-Selfies bei Instagram

Auch wenn das J. Paul Getty Museum bei Twitter den Eindruck macht, Erfinder der Kunst-Challenge zu sein, weist das Museum immerhin bei Instagram auf den Ursprung der Idee hin, Kunstwerke zu Hause nachzumachen: Das amerikanische Museum hatte die Challenge beim Rijksmuseum entdeckt, und zwar in einem Posting vom 19. März 2020. Hier hatte das niederländische Museum ein Bild des Accounts @tussenkunstenquarantine geteilt, auf dem eine Frau die „Dienstmagd mit Milchkrug“ von Jan Vermeer (1658/60) in ihrer Küche neu inszeniert.

Auf Deutsch bedeutet #tussenkunstenquarantine übrigens „Zwischen Kunst und Quarantäne“. Der Instagram-Account, der die lustigen Kunst-Selfies und ihre historischen Originale sammelt, steuert auf 100k Follower zu. Das erste Bild wurde am 14. März 2020 gepostet und zu sehen ist hier der Screenshot eines Chats zwischen Anneloes @majoortje und ihrer Freundin, die sie zur Kunst-Challenge aufforderte, als interaktiver Spaß, um sich von den ganzen Meldungen zu COVID-19 abzulenken. Hat also @tussenkunstenquarantine die Aktion erfunden? Leider auch nicht…


Es begann mit Van Gogh

Tatsächlich ist das Nachstellen von Kunstwerken in den Sozialen Medien keine neue Idee, wie ein Blick auf das Hashtag #vangoyourself verrät. VanGoYourself war Teil von Europeana Creative, einem Projekt, das von der Europäischen Kommission mitfinanziert wurde und das es sich zum Ziel gesetzt hatte, die kreative Auseinandersetzung mit kulturellem Erbe zu fördern.

Das Projekt, das an die Idee des Tableau Vivant angelehnt war, ist seit Juli 2015 beendet, doch VanGoYourself wurde auch danach fortgesetzt. Inspiration, welche Kunstwerke man alleine oder mit Freunden nachstellen könnte, liefert die Website vangoyourself.com. Hier sind über 100 Bildern von 35 Institutionen aus 14 Ländern vertreten, u.a. vom Rijksmuseum in Amsterdam, aus der Wellcome Collection in London oder aus dem Städel Museum in Frankfurt am Main.

Hinter VanGoYourself steht Culture24, eine britische Organisation, die vom Arts Council England finanziert wird und die sich u.a. mit Kulturmanagement und Wissensvermittlung befasst. Bereits im Jahr 2014 startete Culture24 die nach Vincent Van Gogh benannte interaktive Spielerei, und zwar im Rahmen des von ihnen organisierten „Museums at Night“-Festival.


Kunst-Event zu Hause

Kunstwerke selbst zu Hause nachzustellen ist nicht nur interaktiv sondern hat auch sozialen Event-Charakter. Im Gegensatz zum #artselfie oder zum #museumselfie können die meisten Kunstwerke nämlich nicht im Selfie-Alleingang mit Leben gefüllt werden. Viele Kunstwerke zeigen immerhin mehrere Figuren – und selbst wenn nur eine Person im Bild zu sehen ist, benötigt man für ein gelungenes Foto mindestens eine weiteren Person, die die Pose kontrolliert und fotografiert.

Vielleicht spiegelt das Nachstellen von Kunstwerken den „generellen Anspruch auf Kreativität“ wieder, den der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Vortrag „Das Kunstmuseum der Zukunft – eine Kreativitätsagentur?“ vom 27. November 2015 erwähnt. Ist das Bedürfnis, Kunstwerke selbst nachzuahmen, als Charakteristikum einer Gesellschaft zu verstehen, in der, nach Ullrich, „Kreativität zu einem Konsumartikel“ geworden ist und in der von Museen „entsprechende Stimulanzien und Atmosphären“ für Kreativitätssuchende geschaffen werden müssen?

In Zeiten von Corona bietet die eigene Interpretation bekannter Kunstwerke immerhin etwas Abwechslung. Und wenn ein Mülleimer zum Hut wird, ein Handtuch zum Heiligenschein oder sich Ladekabel in die Schlangen der Medusa verwandeln, sind auch die Likes in Social Media garantiert.


Header-Bild: Detail aus: Selbstportrait, Vincent van Gogh (1887) – Rijksmuseum, SK-A-3262Public Domain – bearbeitet


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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