Kreaturen nach Maß: Gezüchtet, manipuliert und aufgegessen

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier beleuchtet das Marta Herford in seiner aktuellen Ausstellung „Kreaturen nach Maß. Tiere und Gegenwartsdesign“.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier beleuchtet das Marta Herford in seiner Ausstellung "Kreaturen nach Maß. Tiere und Gegenwartsdesign".

[Rezension] Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist ambivalent, wie das Marta Herford in seiner aktuellen Ausstellung zeigt. Tiere werden gezüchtet und geradezu designt, sie gelten als Ressource, als bester Freund oder als Nahrung. In der Ausstellung „Kreaturen nach Maß. Tiere und Gegenwartsdesign“ kommen Kunstwerke wie Installationen und Videos, aber auch Forschungsprojekte zusammen, die verdeutlichen, dass Tiere in unserer Gesellschaft viele Bedeutungen einnehmen.


Tiere als Design-Wesen

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier kann im weitesten Sinne als Design verstanden werden, denn Tiere werden häufig den menschlichen Bedürfnissen untergeordnet und daran angepasst. Vom Haustier, das den Zweck des treuen Begleiters bis hin zum Zeitvertreib erfüllen muss, bis zum effizient gezüchteten Nahrungsmittel oder Rohstoff für Bekleidung – Tiere werden häufig nur als Mittel zum Zweck „benutzt“. Gleichzeitig wird aber auch diskutiert, was es über die Gesellschaft aussagt, wenn sie Lebewesen ausbeutet, oder welche Rückschlüsse auf Menschen gezogen werden können, wenn sie bestimmte Vorstellungen in Tiere hinein projizieren.

Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit von Thalia de Jong. Ihr Video über das preisgekrönte Meerschweinchen „Golden Boy“ (2015), zeigt, wie das Tier auf einem „Präsentierteller“ sitzt und frisiert wird. Von einem mit rosa Haarklammern bestückten Fellknäuel bis hin zu seiner langhaarigen Pracht liegen mehrere Arbeitsschritte, in dem das Tier geföhnt und gekämmt wird. Dass es sich um ein Lebewesen handelt, das sich eigentlich natürlich anders verhalten würde, tritt in den Hintergrund. Statt dessen wird das Tier zur Projektionsfläche für menschliche Ideale von Schönheit. Doch auch in der Liebe spielen Tiere eine Rolle. So sind Menschen, die für einander bestimmt sind, in der Ostasiatischen Mythologie über einen Roten Faden des Schicksals miteinander verbunden. Die Künstlerin Sputniko! hinterfragt diese Legende, indem sie von Wissenschaftlern Seidenraupen genetisch so verändern lässt, dass sie einen roten Seidenfaden produzieren, der mit dem Bindungshormon Oxytocin angereichert ist. Kann die Manipulation von Tieren in der Wissenschaft so sogar das Schicksal verändern?


Ressource und Ersatzstoff

Jenseits von emotionaler Bindung oder Projektionsfläche, spielen Tiere auch als Ressource für die Menschen eine Rolle. Felle, Leder, Seide und Wolle werden zu Bekleidung oder zu Möbeln. Aus Knochen, Tierzähnen und Hörnern wird eine ganze Vielfalt an Produkten hergestellt – von der Zahnpasta bis zu LCD-Bildschirmen. Von der Kosmetikindustrie bis hin zur Pharmaindustrie werden Tiere zudem als Test- und Versuchslebewesen eingesetzt. Tiere sind meist ein unverzichtbares Material für viele Produkte, auch außerhalb der Nahrungsmittelindustrie. Gleichzeitig kommt der Frage nach einem ethischen Bewusstsein und einer moralischen Verantwortung gegenüber anderen Lebewesen eine immer größere Bedeutung zu. Schwindende natürliche Rohstoffe, die Bedrohung von Lebensräumen von Tieren und das immer fortschreitende Sterben oder sogar das Aussterben zahlreicher Arten durch den Klimawandel, Naturverschmutzung und Jagd bzw. Fischfang, zwingt den Menschen zu Alternativen. Zunehmend müssen Tierersatzstoffe entwickelt und genutzt werden – sei es Fleischersatz oder künstliche Felle und lederähnliche Materialien.

In der Ausstellung „Kreaturen nach Maß“ sind hier etwa „Chairwear“ Stühle von Bless aus Metall, Holz und Fell zu sehen. Die „bekleideten“ Stühle sind mit Fell umschlossen und bieten eine weiche, warme Sitzgelegenheit. Die Möbel wirken mit ihren verschiedenen Fellen fast noch lebendig und hinterfragen den Einsatz von Fellen und Pelzen in der Industrie, da die Tiere hierfür häufig unter moralisch und ethisch zu verurteilenden Bedingungen gezüchtet werden. Die Frage nach einer tierischen Alternative stellt auch Dietrich Luft mit seiner flauschigen, schnurrenden Weste „Purrrr“ (2015). Das leicht vibrierende Objekt ist eine Art Katzenersatz – allergiefrei und ohne Notwendigkeit für Tierarztbesuche, Futter, oder Katzenklo-Problematik. Was bleibt, ist das Schnurren, das sich positiv auf die menschliche Psyche und den Körper auswirkt. Wissenschaftlich nachgewiesen, senkt Katzenschnurren den Blutdruck, entspannt Muskeln und führt bei Menschen zur Ausschüttung von Endorphinen. Aber kann eine Katze wirklich durch eine Maschine ersetzt werden?


Kunst-Fleisch

Viele Menschen sehen in Tieren in erster Linie Lieferanten von Nahrungsmitteln. Ein Großteil der Weltbevölkerung isst Fleisch, Eier und Milchprodukte. The Center for Genomic Gastronomy stellt in der Arbeit „De-Extinction Deli“ (seit 2013) die Frage, ob man die Nahrung der Zukunft aus Tieren der Vergangenheit herstellen kann. Sollen Wissenschaftler z.B. ein Mammut klonen, damit man es essen kann? Oder sollte man doch lieber „Fake Meat“ (2008) essen, wie es Marije Vogelzang vorschlägt? Die Künstlerin entwirft Fleisch, dessen Lieferanten unter so wundervollen Bedingungen lebten, dass der Geschmack bestmöglich ist. Das Raucharoma des Fleisches vom Fabelwesen „Ponti“ kommt etwa daher, das es sich in Vulkankratern von Asche ernährt. In Wirklichkeit besteht das Fake-Fleisch allerdings aus Soja – aber Marketing ist alles.

Vielleicht findet die Zukunft des Fleischkonsums aber auch im „Bistro In Vitro“ (2014) von Next Nature Network statt. Im Marta Herford präsentiert das Künstlerkollektiv ein Kochbuch, das den Nutzer zur Herstellung von In-Vitro-Fleisch anleitet. Fünf Gerichte geben einen Eindruck, ob man so etwas wirklich essen würde. In der Ausstellung wird auch direkt auf die Website des Bistros verwiesen, das erste Restaurant für laborgezüchtetes Fleisch. Wer sich ein Menü zusammenstellen möchte, kann hier ab dem Jahr 2028 einen Tisch reservieren. Guten Appetit!


Kreaturen nach Maß. Tiere und Gegenwartsdesign

16.09.2018 – 06.01.2019
Marta Herford

musermeku dankt dem Marta Herford für die Einladung ins Museum und für das Begleitheft als Rezensionsexemplar.


Header-Bild: Barbara Niggl Radloff: Pudelschau (vor 1962) – Münchner Stadtmuseum, Sammlung FotografieCC BY-SA 4.0 (beschnitten)


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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