Musik für das Zeitalter der Maschinen: Koyaanisqatsi von Philip Glass

Wie sieht das moderne Leben in unserer technisierten Gesellschaft aus? Eine künstlerische Antwort auf diese Frage liefert der Film „Koyaanisqatsi“ mit einem Soundtrack von Philip Glass.

Wie sieht das moderne Leben aus? Eine Antwort auf diese Frage liefert der Film "Koyaanisqatsi" mit Musik von Philip Glass.

[Film-Tipp] Der experimentelle Dokumentarfilm „Koyaanisqatsi“ von Godfrey Reggio aus dem Jahr 1982 gilt als Kultfilm, nicht zuletzt wegen der Musik des Minimal Music Pioniers Philip Glass. Im Rahmen des Internationalen Musikfest Hamburg 2025 war der Film nun in der Elbphilharmonie zu sehen, begleitet vom Philip Glass Ensemble. Der Name des Films leitet sich aus der Sprache der amerikanischen Hopituh Shinumu ab, einer Gruppe von Indigenen Nordamerikanern, die im Südwesten der Vereinigten Staaten leben. In ihrer Sprache Hopi bzw. Hopilàvayi bedeutet das Wort Koyaanisqatsi „Leben aus dem Gleichgewicht“. Godfrey Reggio übernahm den Begriff für seinen Film als Kritik am oftmals hektischen Leben der modernen Gesellschaft. Sein Film zeigt immer schneller laufende Maschinen, Fließbänder und gestresste Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Die Musik von Philipp Glass greift diese Stimmung auf und bewegt sich zwischen hypnotischen Klängen und einem immer nervöser werdenden Sound.


Die Musik der Zukunft

Seit 1. Mai und noch bis 5. Juni 2025 findet in Hamburg das Internationale Musikfest statt. Mehr als fünf Wochen lang steht dabei alles unter dem Motto „Zukunft“, wobei der Frage nachgegangen wird, wo Klassische Musik heute steht und wohin sie sich entwickelt.

Neben Konzerten des Chicago Symphony Orchestra, des London Symphony Orchestra und des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Sir Simon Rattle, stehen auch Auftritte von u.a. Lisa Batiashvili, Janine Jansen, Christian Tetzlaff, Joshua Bell, Sol Gabetta, Igor Levit, Daniil Trifonov, Mitsuko Uchida und Leif Ove Andsnes an. Ein besonderer Fokus liegt in diesem Jahr auf dem Komponisten Pierre Boulez, der 2025 100 Jahre alt geworden wäre. Er wollte die Musik gezielt in die Zukunft führen. Verschiedene Akteure und Ensembles widmen sich seinem Werk, etwa Sir Antonio Pappano mit dem London Symphony Orchestra oder das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Kent Nagano.


Das Philip Glass Ensemble

Mit der live-Begleitung einer Filmvorführung zu „Koyaanisqatsi“ im Großen Saal der Elbphilharmonie ist auch das Philip Glass Ensemble beim Internationalen Musikfest Hamburg vertreten. Durch die Gründung des Ensembles im Jahr 1968 in New York wollte der Komponist Philip Glass eine Gruppe schaffen, die seine außergewöhnliche und eigenwillige Musik gekonnt zur Aufführung bringen kann. Das Ensemble wurde seit dem zu einer wichtigen Plattform für Glass; seine Mitglieder gelten bis heute als die besten Interpreten seiner Werke. Das erste Konzert gab das Ensemble im Jahr 1969 im Whitney Museum of American Art. In den Anfangsjahren spielten die Musikerinnen und Musiker vor allem in Galerien und Museen der damals aufstrebenden Künstlergemeinde im New Yorker Stadtteil SoHo. Heute tritt das Ensemble regelmäßig bei großen Musikfestivals auf und spielt in den wichtigsten Konzerthäusern weltweit.

Viele der berühmtesten Werke von Philip Glass wurden eigens für das Ensemble komponiert. Dazu zählen die zentralen Konzertstücke „Music in Twelve Parts“, „Music in Similar Motion“ und „Music with Changing Parts“, Opern- und Musiktheater-Projekte wie „Einstein on the Beach“ oder „Hydrogen Jukebox“ und die Tanzstücke „Dance“ und „A Descent Into the Maelström“. Das Philip Glass Ensemble ist außerdem für seine Soundtracks zu Godfrey Reggios sogenannter „Qatsi-Trilogie“ bekannt, bestehend aus den Filmen „Koyaanisqatsi“, „Powaqqatsi“ (1988) und „Naqoyqatsi“ (2002). Das Ensemble hat das exklusive Recht, diese Werke aufzuführen.


„Im Film unterstützt die Musik in der Regel das, was der Wahnsinn der Handlung ist. Normalerweise spielt sie bestenfalls die zweite Geige. In ‚Koyaanisqatsi‘ ist sie kein Erklärer, sondern ein Partner.“ [1]

Godfrey Reggio über „Koyaanisqatsi“


Koyaanisqatsi und die Musik von Philip Glass

Die Idee für den Film entstand schon in den frühen 1970er Jahren, als sich Godfrey Reggio, damals ein junger Priester in Santa Fé, für Straßenkinder engagierte. Dabei fragte er sich, was eigentlich die Ursachen für ihre Probleme waren. Er untersuchte die Folgen von Technologisierung und Umweltzerstörung und machte diese Themen durch Kampagnen bekannt. Später reiste er sieben Jahre lang mit dem Kameramann Ron Fricke durch die USA, um zu dokumentieren, was Menschen der Erde und sich selbst antun. Als Reggio seinen Film fertigstellte, suchte der Regisseur nach passender Musik. Er begegnete Philip Glass, dessen klare, fast mathematische Minimal Music perfekt zum nüchternen Blick des Dokumentarfilms passte. Als „Koyaanisqatsi“ dann 1983 in die Kinos kam, zeigte er eine neue Art, Musik zu verwenden. Der Soundtrack dient hier nicht nur dazu, Gefühle zu verstärken oder Szenen zu kommentieren, sondern die Musik verschmilzt nahezu mit den Bildern auf der Leinwand.

Die Verbindung von Zukunftsvisionen und Kritik an der Zivilisation in Kunst und Musik ist dabei nicht neu. Schon in den 1920er und 1930er Jahren tauchte dieses Thema auf, etwa in Fritz Langs Film „Metropolis“ (1927). Hier nutzte Gottfried Huppertz noch traditionelle Orchestermusik; mit Paukenschlägen und schnellen Streichern vertonte er die Maschinenwelt. Charlie Chaplin wählte für die Fabrikszene in „Modern Times“ (1936) eine eher humorvolle Musik mit spielerischen Trommeln. Beide Werke kritisieren vor allem schlechte Arbeitsbedingungen. Ein weiterer wichtiger Vorläufer von „Koyaanisqatsi“ ist der Kurz-Dokumentarfilm „The City“ (1939). Die Musik von Aaron Copland weist bereits erste Elemente von Minimal Music auf. Der Komponist wiederholt einfache Muster, um den eintönigen Alltag in der Stadt darzustellen, als Kontrast zu den Szenen des Landlebens. Der ökologisch-apokalyptische Aspekt der modernen Gesellschaft steht nun bei Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi“ im Mittelpunkt, beeinflusst durch die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ (1972), die vor dem Raubbau an der Natur warnte.

Philip Glass schuf für „Koyaanisqatsi“ eine eigenwillige Musik, die mit den Bildern verschmilzt. Auch wenn der Film in Kapitel unterteilt ist, entsteht ein zusammenhängender Klangbogen, der lange im Gedächtnis bleibt. Zu Beginn hört man tiefe, ruhige Töne und einzelne Bläser. Diese begleiten Bilder von unberührter Natur mit Wolken, Wasserfällen und felsigen Landschaften. Der Mensch taucht anfangs noch nicht auf, doch sobald er erscheint, als Erbauer, Ausbeuter, Zerstörer und Kriegstreiber, wird auch die Musik schneller und drängender. Philip Glass nutzt dafür sich wiederholende, schnelle Tonfolgen; diese Muster wirken wie ein endloser Kreislauf, der keine Entwicklung kennt und sich ständig wiederholt. Besonders deutlich wird das im Abschnitt „The Grid“, der das hektische urbane Leben zeigt. Die Stadt erscheint wie ein lebendiger Organismus, Straßen und Verkehrsflüsse wirken wie Adern, Menschen sind nur noch kleine Figuren im System. Im Zeitraffer sind Bild und Musik synchron. Als Gegensatz zeigt der Film in Zeitlupe Gesichter, begleitet von dunklen Synthesizer-Klängen, in denen Erschöpfung und Traurigkeit sichtbar werden.

Der Film beginnt und endet mit Höhlenmalereien der Hopi, dazu erklingt eine Bassstimme, die den Titel „Koyaanisqatsi“ über einem Orgelmotiv wiederholt. Der Schluss des Films zeigt Weltraumschrott, begleitet von Orgelmusik, die an Johann Sebastian Bach erinnert. Ein eindrucksvolles Ende, das noch lange nachklingt.


Koyaanisqatsi

Regie: Godfrey Reggio
Produktion: Godfrey Reggio, Francis Ford Coppola
USA, 1982 – 86 Minuten


Header-Bild: Angelika Schoder – Elbphilharmonie, Hamburg 2025


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnote

[1] Zitiert nach: Philip Glass „Koyaanisqatsi“ 12.5.2025, Programmheft, Hg.v. HamburgMusik gGmbH, Hamburg 2025, S. 7.


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