[Rezension] Die Perspektiven auf Karl Marx sind vielfältig. Er gilt als wichtiger Impulsgeber für unterschiedliche Emanzipationsbewegungen; seine Schriften entfalteten in der Geschichte häufig eine mobilisierende Wirkung. Zugleich wurden aber auch zahlreiche Verbrechen unter Berufung auf Marx’ Ideen und Theorien begangen. Seine Werke wurden gebraucht und missbraucht, sie dienten als positive Inspirationsquellen oder wurden ideologisch verdreht. Einen Einblick in die Ideenwelt von Karl Marx und deren Wirkung bis heute bietet die Publikation „Von Trier in die Welt“, die begleitend zur Dauerausstellung des Museum Karl-Marx-Haus in Trier erschien.
„Man wird Marx am besten gerecht, wenn man ihn im Positiven wie im Negativen vom Podest der Unberührbarkeit holt. Sein Name wird den Heiligenschein verlieren, aber auch aus der Zone allgemeiner Diffamierung herausgerückt werden müssen, damit rational über die historische Leistung gesprochen und gestritten werden kann. Und das ist die beste Ehrung des Andenkens eines Mannes, dessen wissenschaftliches Hauptprinzip die schonungslose Kritik gewesen ist.“ [1]
Willy Brandt zum 30. Jahrestag der Eröffnung des Karl-Marx-Hauses, Mai 1977
Das Museum Karl-Marx-Haus
Anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx (1818-1883) wurde die Dauerausstellung im Museum Karl-Marx-Haus komplett überarbeitet. Der Begleitband zu Ausstellung „Von Trier in die Welt: Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute“ von der Friedrich-Ebert-Stiftung befasst sich mit der Biografie des wohl berühmtesten Gesellschafts- und Kapitalismuskritikers des 19. Jhd., mit seinen zentralen Werken und mit seiner internationalen Wirkung, die bis heute anhält.
Ausgangspunkt ist dabei die Stadt Trier. Das Museum Karl-Marx-Haus ist hier in Marx’ Geburtshaus in der heutigen Brückenstraße 10 ansässig. In dem barocken bürgerlichen Wohnhaus aus dem 18. Jhd. wurde Karl Marx am 5. Mai 1818 geboren. Im Jahr 1928 erwarb die SPD das Haus, doch noch bevor hier ein Erinnerungsort eingerichtet werden konnte, wurde das Gebäude 1933 von den Nationalsozialisten besetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte das Haus durch einen internationalen Unterstützungsfonds wieder hergestellt und der SPD übergeben werden. Bereits 1947 wurde hier ein Museum zu Karl Marx eröffnet; seit 1968 betreibt die Friedrich-Ebert-Stiftung das Museum.
„Solange der Kapitalismus, in welcher Gestalt auch immer, existiert, werden die marxschen Schriften hervorgeholt und wird die Frage diskutiert werden, was von seinem Theorieangebot für das Verständnis der jeweiligen Gegenwart und insbesondere der Krisen sowie für den Entwurf von Perspektiven brauchbar und anschlussfähig ist.“
Anja Kruke und Ann-Katrin Thomm [2]
Von Trier in die Welt
Zu Beginn der Publikation steht Marx als Person mit seiner Familie im Mittelpunkt. Thematisiert werden seine Herkunft aus Trier und sein Leben als „Staatenloser“ im Exil. Seine Biografie wird anhand der Orte erzählt, an denen er und seine Angehörigen zwischen 1818 und 1883 gelebt haben: Trier, Bonn, Berlin, Köln, Paris, Brüssel und schließlich London. Auch seine vielschichtige Arbeitsfelder werden in den Blick genommen: Philosophie, Ökonomie, Gesellschaftswissenschaft und Journalismus. Dabei geht es auch um Marx’ radikale Analysen der kapitalistischen Gesellschaft und seine zugespitzten Thesen, mit denen er im 19. Jhd. provozierte. Ausgehend davon wird die Wirkungsgeschichte der Marx’schen Ideen im Laufe der Geschichte bis in die Gegenwart untersucht. Die Publikation stellt dabei immer wieder auch ausgewählte Objekte aus der Ausstellung des Karl-Marx-Haus vor. Zu den Highlights zählt etwa der Lesesessel aus Marx‘ Londoner Wohnung, von dem vermutet wird, dass er in diesem sitzend im Jahr 1883 verstarb.
Schließlich geht es darum, wie die entstehende Arbeiterbewegung im 19. Jhd. wichtige Impulse durch das Werk von Karl Marx erhielt. Thematisiert wird auch, wie es im 20. Jhd. zur Spaltung der Arbeiterbewegung kam: Die Theorien von Marx wurden nun zum einen dazu genutzt, um Diktatur und Gewalt zu rechtfertigen, zum anderen brachten sie aber auch eine parlamentarisch-demokratische Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft auf den Weg. Abschließend wird die Wirkung von Marx’ Schriften ab 1939 betrachtet. Nachvollzogen wird hier, wie die Ideen von Marx nach 1945 globalisiert wurden, sowohl in der Sowjetunion und in China als auch in der westlichen Welt in intellektuellen Kreisen. Bis heute bleiben die Ideen von Karl Marx zum Kapitalismus aktuell. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/08 haben seine Theorien sogar eine Renaissance erfahren, wie die Ausstellung in Trier und die begleitende Publikation zeigen.
Über die Ausstellung hinaus
Wer das Karl-Marx-Haus in Trier nicht vor Ort besuchen kann, dem ermöglicht die Publikation „Von Trier in die Welt“ einen guten Einblick in die Dauerausstellung des Museums. Doch der Begleitband geht mit einer Reihe an Essays, u.a. von Jan Claas Behrends, Peter Brandt, Gerald Hubmann, Thomas Kroll, Christina Morina oder Susan Zimmermann, auch über die Inhalte der Ausstellung hinaus und vertieft viele Themen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der weltweiten Verbreitung und Verarbeitung von Marx’ Thesen und Ideen im 20. Jhd.
Erklärtes Ziel ist es dabei, Marx nicht zu „überstrapazieren“. Vielmehr geht es darum, seine Fragen nach Strukturen und Mechanismen des Kapitalismus sowie nach den hieraus resultierenden gesellschaftlichen Folgen als weiterhin aktuelle Themen zur Debatte zu stellen. Insbesondere durch die Auseinandersetzung mit der Wirkung seines Werks bis ins 21. Jhd. hinein soll es ermöglicht werden, sich ein eigenes Urteil zur Person Karl Marx und zum Einfluss seines Werks zu bilden.
Die Publikation „Von Trier in die Welt. Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute“, herausgegeben von Anja Kruke und Ann-Katrin Thomm für die Friedrich-Ebert-Stiftung, ist 2021 als Begleitbuch zur Dauerausstellung im Museum Karl-Marx-Haus erschienen (ISBN: 978-3-96250-657-5).
musermeku dankt dem Museum Karl-Marx-Haus für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Angelika Schoder – Karl-Marx-Denkmal auf dem Highgate Friedhof, London 2023
Wir brauchen deine Unterstützung
Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.
Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Zitiert nach: Anja Kruke und Ann-Katrin Thomm: Von Trier in die Welt: Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute, S. 6-15, hier S. 8.
[2] Ebd., S. 8f.
Linktipps
Der Newsletter zu Kunst & Kultur
In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.