Hard Graft: Ein Blick in problematische Arbeitswelten

Die Ausstellung „Hard Graft: Work, Health and Rights“ in der Londoner Wellcome Collection erforscht die Auswirkungen von körperlicher, oft prekärer Arbeit auf die individuelle Gesundheit und unsere Gesellschaft.

Die Ausstellung "Hard Graft" erforscht die Auswirkungen von prekärer Arbeit auf die individuelle Gesundheit und unsere Gesellschaft.

[Ausstellung] Von landwirtschaftlicher Arbeit über Prostitution bis hin zu Pflegearbeit im Haushalt: Körperliche Arbeit und die systematische Ausbeutung marginalisierter Menschen hängen oft zusammen, das zeigt die aktuelle Ausstellung „Hard Graft: Work, Health and Rights“ in der Wellcome Collection in London. Das Museum untersucht anhand von historischen Bildern und Dokumenten, aber auch durch zahlreiche zeitgenössische Kunstwerke und Installationen, die Geschichten von Arbeitnehmergruppen, die in prekären und unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Im Fokus stehen dabei auch Protestbewegungen und Widerstand gegen ausbeuterische Strukturen.


Von der Entwicklung des Plantagensystems im 15. Jahrhundert bis zu den Nachwirkungen in Form von Umweltrassismus beleuchtet die Ausstellung die landwirtschaftliche Arbeit und ihre problematischen Bedingungen.
Von der Entwicklung des Plantagensystems im 15. Jahrhundert bis zu den Nachwirkungen in Form von Umweltrassismus beleuchtet die Ausstellung die landwirtschaftliche Arbeit und ihre problematischen Bedingungen.

Arbeit als globale Verflechtung

Mit über 150 Exponaten, darunter historische Artefakte, zeitgenössische Kunstwerke, Filme und eigens für die Ausstellung konzipierte Installationen, lädt die Ausstellung dazu ein, die globalen Verflechtungen von Arbeitspraktiken sowie den anhaltenden Kampf um Arbeitnehmerrechte zu reflektieren. „Hard Graft“ analysiert insbesondere die gesundheitlichen Folgen von harter körperlicher Arbeit und verbindet hierfür historische sowie aktuelle Perspektiven, indem Zusammenhänge zwischen unterrepräsentierten Arbeitsformen, den Menschen die diese ausüben, und ihren Arbeitsorten hergestellt werden.

Im Zentrum stehen vier spezifische Arbeitsorte: die Plantage, das Gefängnis, die Straße und das Haus. Diese Orte repräsentieren Tätigkeiten, die gesellschaftlich oft nicht ausreichend gewürdigt werden, aber essenziell für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind. Beispiele wie die Tee-Ernte oder Reinigungsarbeit regen dazu an, über die Bewertung von Arbeit und ihre Auswirkungen nachzudenken. Die Ausstellung will anhand dieser Beispiele hinterfragen, welche Formen von Arbeit als wertvoll angesehen werden und warum. Beleuchtet werden in diesem Zusammenhang auch die physischen und gesundheitlichen Spuren, die diese Arbeit hinterlässt. Zudem wird in der Ausstellung untersucht, wie Arbeit gesundheitliche Ungleichheiten und soziale Benachteiligungen verstärken kann.

Bei der Konzeption der Ausstellung ließ sich Kuratorin Cindy Sissokho dabei von den Auswirkungen der Covid-19 Pandemie inspirieren, schließlich wurde hier die Bedeutung „systemrelevanter“ Arbeit besonders deutlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Gleichzeitig wurde in der Zeit der Pandemie aber auch die tiefgreifende gesundheitliche Ungleichheit offenbart, die zwischen schlecht bezahlten, exponierten Arbeitskräften und privilegierten Gruppen besteht, die sich isolieren konnten. Die Ausstellung betrachtet deshalb die Zeit vor und nach der Pandemie und würdigt sowohl die Bedeutung der marginalisierten Arbeitskräfte als auch ihre Geschichte, die mit Protest und Widerstand verbunden ist.


Die Ausstellung zeigt zahlreiche aktuelle Kunstwerke, etwa "Mosquito Shrine" von Vivian Caccuri.
Die Ausstellung zeigt zahlreiche aktuelle Kunstwerke, etwa „Mosquito Shrine“ von Vivian Caccuri. Das aufwendig gestickten Werk zeigt, wie Stechmücken, die tödliche Krankheiten übertragen, in der Plantagenlandschaft gedeihen.

Landwirtschaftliche Arbeit als Ausbeutung

Im ersten Abschnitt widmet sich die Ausstellung den Plantagen als zentralem Element frühkapitalistischer Wirtschaftsstrukturen. Seinen Ursprung hatte das System dieser landwirtschaftlichen Nutzflächen im 15. Jahrhundert auf der Insel São Tomé vor der westafrikanischen Küste. Das von portugiesischen und spanischen Kolonisatoren etablierte Modell wurde später von den Engländern auf Wales und Irland übertragen. Mit der Kolonisierung Amerikas und des globalen Südens durch europäische Mächte fand das Plantagensystem dann weitere Verbreitung. Es basierte vor allem auf der systematischen Ausbeutung von versklavten oder zur Arbeit gezwungenen Arbeitskräfte mit dem Ziel, die Profite der Eigentümer zu maximieren.

Bis heute ist die Landwirtschaft, insbesondere auf Plantagen im globalen Süden, ein Ort intensiver und gesundheitlich belastender Arbeit. In der fotografischen Dokumentation „Dark Garden“ (seit 2021) zeigt der Künstler Md Fazla Rabbi Fatiq in der Ausstellung die gesundheitlichen Auswirkungen der Arbeit auf Tee-Plantagen in Bangladesch und verweist damit auf die anhaltenden sozialen und gesundheitlichen Probleme dieses Wirtschaftssystems. Auch die sozioökonomischen und ökologischen Folgen der Plantagenwirtschaft wirken bis in die Gegenwart nach. Zu den langfristigen Auswirkungen zählen die Verbreitung von Krankheiten sowie die Verschmutzung von Luft und Wasser. Wie die Ausstellung zeigt, sind heute insbesondere rassifizierte Bevölkerungsgruppen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, durch Umweltgifte geschädigt zu werden – ein Phänomen, das als Umweltrassismus bezeichnet wird.

Die investigative Forschungsgruppe Forensic Architecture untersucht hierzu in ihrer Arbeit „If toxic air is a monument to slavery, how do we take it down?“ (2021) die geografischen und historischen Zusammenhänge zwischen heutigen Industrieanlagen und ehemaligen Zuckerplantagen im US-amerikanischen Louisiana. Dabei wird insbesondere dokumentiert, wie diese Anlagen auf historischen Friedhöfen für versklavte Menschen errichtet wurden. Der im Museum gezeigte Film beleuchtet zudem die toxischen Belastungen, denen die Nachkommen der auf diesem Land versklavten Menschen durch die moderne Industrie ausgesetzt sind und zeigt die anhaltenden gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen des kolonialen Erbes.


Im Zentrum der Ausstellung "Hard Graft" stehen vier spezifische Arbeitsorte: die Plantage, das Gefängnis, die Straße und das Haus.
Im Zentrum der Ausstellung „Hard Graft“ stehen vier spezifische Arbeitsorte: die Plantage, das Gefängnis, die Straße und das Haus. Diese Orte repräsentieren Tätigkeiten, die gesellschaftlich oft nicht ausreichend gewürdigt werden.

Arbeit im Gefängnissystem

Im zweiten Schwerpunkt widmet sich „Hard Graft“ dem System der Masseninhaftierung in den Vereinigten Staaten. Wie die Ausstellung zeigt, ist diese eng mit den historischen Strukturen der Plantagenwirtschaft verbunden. Die USA besitzen heute das weltweit größte Gefängnissystem, das durch eine unverhältnismäßige Inhaftierung rassifizierter Bevölkerungsgruppen, insbesondere afroamerikanischer Männer, gekennzeichnet ist. Auch die Gefängnissituation in Großbritannien wird in der Ausstellung beleuchtet: Im 19. Jahrhundert diente das amerikanische Separate System, das auf dem Prinzip der Einzelhaft basierte, als Vorbild für die Entwicklung des britischen Gefängnissystems. Inhaftierte wurden systematisch zu harter Arbeit gezwungen, die sowohl als Bestrafung als auch zur Beschäftigung diente. Diese Praktiken hatten erhebliche negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Gefangenen. Die Wellcome Collection zeigt hierzu diverse historische Dokumente aus dem 19. Jahrhundert.

Ausgehend von dieser historischen Perspektive widmet sich die Ausstellung der gegenwärtigen Arbeitssituation in US-amerikanischen und britischen Gefängnissen. In jüngerer Zeit haben private Unternehmen hier begonnen, die Arbeitskraft von Gefangenen für die Produktion und Verpackung von Konsumgütern zu nutzen. In britischen Gefängnissen verdienen inhaftierte Personen durchschnittlich nur vier Pfund pro Woche, die ausschließlich in den von den Gefängnissen betriebenen Läden und Kantinen ausgegeben werden können. Diese wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismen verdeutlichen die Kontinuitäten von Zwangsarbeit und sozialer Ungleichheit innerhalb des modernen Strafvollzugs, wie die Ausstellung zeigt.

Zu sehen ist hier unter anderem „Site / Unseen: The Prison-Industrial Complex“ (1998/2024). Die Arbeit ist Teil einer langfristigen Recherche der Gefängnisaktivistin und Künstlerin Sheila Pinkel, die das Wachstum des Masseninhaftierungssystems in den USA anprangert. Daneben zeigt die Wellcome Collection die „Pain Relief Drawings“ (2016-18) von Ibrahim El-Salahi, die sich auf Zeichnungen beziehen, die El-Salahi während seiner Zeit als politischer Gefangener im Kober-Gefängnis in Khartum, Sudan angefertigt hat. Das Zeichnen half ihm dabei, die Isolation der Haft zu überleben und seine psychischen und physischen chronischen Schmerzen zu lindern.


Zentrales Element des Ausstellungsabschnitts zur Arbeit auf der Straße ist die Installation "Money Makes The World Go Round".
Zentrales Element des Ausstellungsabschnitts zur Arbeit auf der Straße ist die Installation „Money Makes The World Go Round“, eine Multimedia-Installation der Künstlerin Lindsey Mendick, die die globale Geschichte der Sexarbeit von der Antike bis heute würdigt.

Die Straße als prekärer Arbeitsort

Im dritten Abschnitt widmet sich die Ausstellung der Straße, einem zentralen Arbeitsplatz für eine Vielzahl von Tätigkeiten, die von Straßenhandel und Müllsammlung bis hin zur Sexarbeit reichen. Diese Arbeitsformen sind oft Teil eines unregulierten Systems, das für die hier Arbeitenden erhebliche Risiken mit sich bringt. Die Straße ist ein unsicherer und prekärer Arbeitsplatz, wie die Ausstellung anhand von historischen und aktuellen Fotos verdeutlicht. Sie zeigen auch, dass Stadtentwicklung und Gentrifizierung häufig die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Betroffenen verschlechtern. Straßenarbeit wird vielfach nicht offiziell anerkannt und fällt nicht unter den Schutz von Arbeitsgesetzen, das ist insbesondere im Bereich der Sexarbeit in Großbritannien ein Problem. Die Beschäftigten sind aufgrund rechtlicher Einschränkungen, die ihren Arbeitsort und ihre Tätigkeit regeln, zusätzlichen Gefahren ausgesetzt. Kriminalisierung und soziale Stigmatisierung erschweren den Zugang zu Gesundheitsdiensten, erhöhen die Vulnerabilität gegenüber Gewalt und verschärfen die prekären Lebensbedingungen dieser Berufsgruppe.

Die in diesem Kontext in den letzten Jahren entwickelten Aktionen und Kampagnen in Großbritannien haben wesentlich dazu beigetragen, die Stimmen der Menschen, die auf der Straße arbeiten, hörbar zu machen. Die Ausstellung „Hard Graft“ stellt hier anhand von Plakaten insbesondere zwei bedeutende britische Aktivistenkollektive vor, das English Collective of Prostitutes (ECP) und das Sex Workers Advocacy and Resistance Movement (SWARM). Beide setzen sich für die Entkriminalisierung der Sexarbeit ein. Sie argumentieren, dass eine solche Maßnahme nicht nur die Sicherheit und öffentliche Gesundheit fördern, sondern auch einen Beitrag zu Klassen- und Geschlechtergleichheit leisten würde. Beide Organisationen werden von Sexarbeitenden geführt und bieten der Community umfassende Unterstützung, darunter gegenseitige Hilfe, gewerkschaftliche Vertretung und juristische Beratung für Betroffene von Gewalt und Ausbeutung innerhalb der Sexindustrie.

Ein zentrales Element in diesem Ausstellungsabschnitt bildet die Installation „Money Makes The World Go Round“ (2024), die Lindsey Mendick im Auftrag der Wellcome Collection erstellte. Die Installation aus glasierten Keramikskulpturen, Glas, Schlafsäcken und Neonbeleuchtung, die in Kooperation mit Mitgliedern von SWARM entstand, würdigt die globale Geschichte der Sexarbeit sowie historische, aktuelle, persönliche und kollektive Erzählungen zum Thema. Die Installation erinnert in ihrem Aufbau an eine Kirche, als Verweis auf zwei symbolische Akte des Widerstands von Sexarbeiterinnen: die Besetzung der Kirche Saint-Nizier durch über 100 Sexarbeiterinnen im französischen Lyon im Jahr 1975 und die 12-tägige Besetzung der Holy Cross Church in London im Jahr 1982 durch das English Collective of Prostitutes und ihre Verbündeten.


Das Ende der Ausstellung bildet die multisensorische Installation "Care Chains (Love will continue to resonate)" von der Künstlerin Moi Tran.
Das Ende der Ausstellung bildet die multisensorische Installation „Care Chains (Love will continue to resonate)“ von der Künstlerin Moi Tran. Für ihr Werk arbeitete sie mit der britischen Organisation The Voice of Domestic Workers zusammen.

Das Zuhause als Arbeitsplatz

Der letzte Ausstellungsabschnitt widmet sich dem Zuhause, das für viele Menschen auch einen Arbeitsplatz darstellt. Reinigungs- und Hausarbeiten zählen zu den häufigsten Tätigkeiten von Wanderarbeitnehmerinnen weltweit. Diese Arbeit ist insbesondere in Großbritannien häufig nicht dokumentiert und entzieht sich regulierten Arbeitsstandards, wodurch die Beschäftigten einem erhöhten Risiko von Ausbeutung und Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber ihren Arbeitgebern ausgesetzt sind.

Neben historischen Dokumenten zum Thema Hausarbeit, die insbesondere die Rolle der Frau in diesem Arbeitsumfeld dokumentieren, geht die Ausstellung auch auf die International Wages for Housework Campaign (IWFHC) ein, die sich seit den 1970er Jahren diversen politischen und intersektionalen Anliegen widmet, etwa Anti-Rassismus, Gesundheitsgerechtigkeit und die Rechte von Frauen, queeren Menschen sowie pflegenden Angehörigen. Zeitschriften, Flugblätter und Plakate in der Ausstellung dokumentieren die Ziele der Bewegung, insbesondere die Anerkennung unbezahlter Fürsorgearbeit.

Daneben stellt die Ausstellung auch die britische Organisation The Voice of Domestic Workers vor, die sich für die Rechte von Hausangestellten einsetzt, indem sie Bildungsprogramme, Gemeinschaftsaktivitäten und rechtliche Unterstützung anbietet. In Zusammenarbeit mit dieser Organisation entstand die Installation „Care Chains (Love Will Continue To Resonate)“ (2024) von Moi Tran, die eigens für die Ausstellung „Hard Graft“ von der Wellcome Collection in Auftrag gegeben wurde. Sie soll dazu anregen darüber nachzudenken, dass die Arbeit in der Häuslichen Pflege mehr als nur ein physischer Akt ist, sondern auch emotionale Arbeit und Mitgefühl erfordert. In der multisensorischen Installation, die sich am Ende des Ausstellungsrundgangs befindet, untersucht Moi Tran den Körper als Instrument der Kommunikation von Pflege und zeigt hierzu Filmmaterial von 12 Frauen, die als Hausangestellte arbeiten.


Hard Graft: Work, Health and Rights

19.09.2024-27.04.2025
Wellcome Collection, London


Header-Bild: Multisensorische Installation „Care Chains (Love will continue to resonate)“ von Moi Tran, Wellcome Collection, London 2024


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Angelika Schoder

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