Georgia O’Keeffe in der Fondation Beyeler

Eine große Retrospektive zeigt das vielschichtige Werk der amerikanischen Künstlerin Georgia O’Keeffe, von ihren frühen abstrakten Arbeiten über ihre ikonischen Blütendarstellungen bis hin zu ihren farbenfrohen Gemälden von Landschaften aus dem Südwesten der USA.

Die Fondation Beyeler widmet der Künstlerin Georgia O’Keeffe eine große Retrospektive mit Werken, die nur selten in Europa zu sehen sind.

[Pressereise] „Man nimmt sich selten die Zeit, eine Blume wirklich zu sehen. Ich habe sie groß genug gemalt, damit andere sehen, was ich sehe“, so erklärte Georgia O’Keeffe im Jahr 1926 ihre Blumenbilder. Bis heute hält sich teils noch immer die Interpretation, mit diesen Bildern hätte die US-amerikanische Künstlerin eigentlich intime Weiblichkeit abgebildet – was diese jedoch stets verneinte. Aber auch wenn die vermeintlichen Bilder eines „L’Origine du monde“ nur Blumen und Landschaften zeigen (auch wenn das Gemälde „Black Hills with Cedar“ von 1941 wirklich an Courbets Werk erinnert), macht dies die Arbeiten von O’Keeffe nicht weniger tiefgründig. Denn der Künstlerin gelang es stets, ihre Umgebung in eine andere Art von Realität zu übersetzen und damit neue Blickwinkel zu eröffnen. Dies zeigt die Fondation Beyeler nun anhand von rund 85 Werken in einer großen Retrospektive.


„Ich habe beschlossen, dass ich ganz schön verrückt wäre, würde ich nicht wenigstens beim Malen das ausdrücken, was ich wollte, wo es mir doch das Einzige zu sein schien, das ich tun konnte, was niemanden betraf außer mich selbst – was keinen etwas anging, sondern ausschliesslich meine eigene Angelegenheit war.“ [1]

Georgia O’Keeffe in der Broschüre zu ihrer Ausstellung in den Anderson Galleries, New York, 1923

Ein seltener Gast in Europa

Georgia O’Keeffe (1887-1986) gilt als bedeutende Vertreterin und Mitbegründerin der neuen amerikanischen Kunst, die sich zu Beginn des 20. Jhd. als Abgrenzung zur europäischen Avantgarde entwickelte. Im Jahr 1943 fand im Art Institute of Chicago ihre erste Retrospektive in einem Museum statt; drei Jahre später waren O’Keeffes Werke im Museum of Modern Art, New York zu sehen – es war das erste mal, dass das Museum eine Werkschau einer Frau zeigte.

Die meisten von O’Keeffes Arbeiten befinden sich bis heute in öffentlichen und privaten Sammlungen in den USA; in Europa sind nur sehr wenige Gemälde in Sammlungen vertreten. Erst 1993 zeigte die Hayward Gallery in London erstmals O’Keeffes Werke in Europa. Zehn Jahre später widmete das Kunsthaus Zürich der Künstlerin eine große Retrospektive und präsentierte O’Keeffe erstmals in der Schweiz.

Nun bietet sich die Gelegenheit, die Arbeiten von Georgia O’Keeffe wieder in einer umfangreichen Schau im Original zu sehen. Beinahe 60 Jahre künstlerisches Schaffen umfasst die Retrospektive in der Fondation Beyeler, die in einer Kooperation mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid, dem Centre Pompidou in Paris und in Partnerschaft mit dem Georgia O’Keeffe Museum in Santa Fe entstand. Zu sehen sind teils selten gezeigte Gemälde der Künstlerin aus öffentlichen und privaten Sammlungen, von ihren frühen abstrakten Werken über ihre ikonischen Blütendarstellungen bis hin zu ihren farbenfrohen Gemälden von Landschaften aus dem Südwesten der Vereinigten Staaten.


„Eine Blume löst ja bei jedem unterschiedliche Assoziationen aus. Man streckt die Hand aus, um sie zu berühren, oder beugt sich vor, um an ihr zu riechen, oder vielleicht berührt man sie auch mit den Lippen, ohne sich etwas dabei zu denken, oder man überreicht sie jemandem, um Freude zu bereiten. Aber man nimmt sich nur selten die Zeit, eine Blume wirklich zu sehen. Ich habe das gemalt, was mir jede einzelne Blume bedeutet, und ich habe sie so groß gemalt, damit andere sehen können, was ich sehe.“ [2]

Georgia O’Keeffe im Katalog zu ihrer Ausstellung in The Intimate Gallery, New York, 1926

Frühe Abstraktion

Die Ausstellung in der Fondation Beyeler beginnt mit frühen Kohlearbeiten von Georgia O’Keeffe. Ab 1915 schuf sie diese abstrakten Zeichnungen und begann, eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Die Künstlerin stellte hier eine klare Linien- und Formensprache in den Mittelpunkt, um Gefühlen und Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Mit diesen Werken wurde O’Keeffes zu einer Pionierin der abstrakten Moderne in den USA und zog das Interesse der Kunstwelt auf sich – allen voran seitens des Galeristen und Fotografen Alfred Stieglitz, der bereits 1916 eine Auswahl in seiner Galerie 291 in New York ausstellte. Mit zu den frühen Arbeiten zählen auch Georgia O’Keeffes Aquarelle, die zwischen 1916 und 1918 entstanden. Zu dieser Zeit unterrichtete sie an der Universität von Virginia sowie im texanischen Canyon und verarbeitete in ihren Werken ihre Eindrücke aus der Natur mit leuchtenden Farben.

Der Wechsel zur Malerei in Öl markierte für O’Keeffe einen Wendepunkt, ausgelöst durch ihren Umzug von Texas nach New York im Jahr 1918. Zu diesem Zeitpunkt unterrichtete sie nicht mehr und konnte sich, Dank der finanziellen Unterstützung durch Alfred Stieglitz, ausschliesslich ihrer künstlerischen Arbeit widmen. Die Künstlerin versuchte malerisch Geräusche und Klänge umzusetzen; in anderen Gemälden erinnern Spiralen als wiederkehrende Elemente an organische Formen. Zeitgenössische Kritiker sahen hier direkt einen Ausdruck von weiblicher Sexualität. Diese Betrachtung aus psychoanalytischer Perspektive war sicherlich dem Zeitgeist geschuldet, wobei wohl auch die Aktfotografien, die Stieglitz von der Künstlerin anfertigte, zu dieser Lesart beitrugen.

Tatsächlich ist Georgia O’Keeffe eine der am häufigsten von bekannten Fotografen porträtierten Künstlerinnen des 20. Jhd., vergleichbar mit Frida Kahlo und Meret Oppenheim. Einige dieser Schwarz/Weiß-Fotografien zeigt die Fondation Beyeler in einem eigenen Ausstellungsraum. Die Porträts verweisen dabei auf die wichtigen Stationen ihres künstlerischen Lebens und vermitteln auch einen Eindruck der Persönlichkeit von O’Keeffe. Ergänzt werden die Fotos durch vielfältige Zitate der Künstlerin.


„Ich weiss nicht, was es mit diesem Land hier auf sich hat – es scheint mein ganzes Inneres einfach auf den Kopf zu stellen – Egal ob ich draußen auf dem Dach stehe – den Stern betrachte und die klare schwarze Kontur der Mesa vor dem Hintergrund des letzten Schimmers der untergehenden Sonne – oder ob ich wie heute früh im Morgenlicht umherfahre – Und was immer man davon zu malen versucht, ist ja zwangsläufig nur eine kleine Phase dessen.“ [3]

Georgia O’Keeffe in einem Brief an Alfred Stieglitz, Santa Fe, New Mexico, 14. August 1930

Monumentale Blüten und urbane Architektur

Besonders die Blumen-Gemälde von Georgia O’Keeffe, die ab den 1920er Jahren entstanden und die zu ihrem bekanntesten Motiv werden sollten, wurden in der Vergangenheit seitens der Kunstkritik immer wieder mit einer sexuellen Lesart versehen. Tatsächlich, so die Intention der Künstlerin, wollte sie durch ihre monumentale Darstellungsweise von Blüten aber einfach deren Formen und Strukturen malerisch erkunden. Teils sind die Blüten so stark abstrahiert, dass sie auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen sind, etwa im Bild „Jack-in-the-Pulpit No. IV“ (1930), ein Gemälde aus einer Serie, in der O’Keeffe sich der Darstellungen einer in Nordamerika verbreiteten Pflanze widmete. Gerade die stark vergrößerte Perspektive ermöglichte es der Künstlerin, mit Kontrasten und dem Verhältnis von Fläche und Raum zu experimentieren.

Im Jahr 1925 heiratete Georgia O’Keeffe ihren langjährigen Partner Alfred Stieglitz und zog mit ihm in das Shelton Towers Hotel, das 1922/23 als höchstes Gebäude der Welt erbaut wurde. Das Leben im Hochhaus ermöglichte ihr neue Perspektiven auf das urbane New York, die sie auch in ihre künstlerische Arbeit übertrug, etwa in ihrem Gemälde „The Shelton with Sunspots, N.Y.“ (1926). Parallel zu ihren Darstellungen von Hochhäusern entstand in dieser Zeit zudem eine Reihe ungegenständlicher Gemälde, etwa „Black Abstraction“ (1927), das sich auf wenige Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß beschränkt.


„Ich finde es erstaunlich, wie viele Menschen das Gegenständliche vom Abstrakten trennen. Gegenständliche Malerei ist keine gute Malerei, außer sie ist gut im abstrakten Sinne. Ein Hügel oder Baum garantiert ja nicht schon deshalb ein gutes Gemälde, nur weil es ein Hügel oder ein Baum ist. Erst durch die Verbindung von Linien und Farbe können sie etwas ausdrücken. Für mich ist das die eigentliche Grundlage der Malerei. Die Abstraktion ist oft die präziseste Form für das nicht Fassbare in mir selbst, das ich nur mittels der Farbe verdeutlichen kann.“ [4]

Georgia O’Keeffe, 1976

Amerikanische Landschaften

Während Georgia O’Keeffe im Winter und Frühling ihren Lebensmittelpunkt in Manhattan hatte, verbrachte sie in den 1920er Jahren den Sommer und Herbst am See Lake George im Bundesstaat New York. Hier fand sie nicht nur Motive für ihre Blüten-Bilder, sie hielt auch die Landschaft um den See fest, etwa im Gemälde „From the Lake No. 1“ (1924). Auch bei Reisen nach New Mexico fand die Künstlerin neue landschaftliche Motive für ihre Werke. In den 1930er Jahren hielt sie sich hier regelmäßig für mehrere Monate auf; für ihre Expeditionen in die Natur hatte sie sich ihr Auto extra zu einem mobilen Atelier umbauen lassen, um unterwegs arbeiten zu können. Immer wieder tauchten in ihren Werken nun Wüstenlandschaften und sonnengebleichte Tierschädel auf, etwa im Bild „Mule’s Skull with Pink Poinsettias“ (1936).

Nachdem Georgia O’Keeffe in den 1930er und 40er Jahren immer zwischen New York und New Mexiko pendelte, ließ sie sich 1949, nach dem Tod ihres Mannes, ganz in New Mexiko nieder. Zu einem zentralen Motiv in ihren Gemälden wurde schließlich der Tafelberg, den sie von ihrem Haus auf der Ghost Ranch aus sehen konnte. Der Cerro Pedernal (Feuersteinhügel) mit seiner flachen Hochebene, den sie unter anderem in ihrem Gemälde „My Front Yard, Summer“ (1941) festhielt, ist ein Wahrzeichen der Region. Auch die außergewöhnlichen Gesteinsformationen der Bisti Badlands im Navajo-Gebiet faszinierten O’Keeffe. Die Künstlerin widmete ihnen die Bilderserie „The Black Place“, die während der Zeit des Zweiten Weltkriegs entstand. Eine weitere Serie, die in der Ausstellung in der Fondation Beyeler aufgegriffen wird, ist die Darstellung eines dunklen Türeingangs, den die Künstlerin zwischen 1946 und 1960 immer wieder malte. So zeigt „My Last Door“ (1952-1954) den Eingang zum quadratischen Innenhof des Lehmziegelhauses, das O’Keeffe im Jahr 1945 in Abiquiú, einem Dorf in New Mexico erworben hatte.

Im letzten Ausstellungsraum zeigt die Fondation Beyeler nicht nur das Spätwerk der Künstlerin, sondern auch ein Werk eines engen Freundes von Georgia O’Keeffe: „Black Mobile with Hole“ (1954) von Alexander Calder. Sie selbst besaß eines seiner Mobiles aus dem Jahr 1944 und hatte es zunächst in ihrem Zuhause auf der Ghost Ranch und später in Abiquiú installiert. Beide Kunstakteure verband eine große Liebe zu den weiten Landschaften des ländlichen Amerika, welche ihre Kunst beeinflusste und prägte.


Begleitend zur Ausstellung in der Fondation Beyeler erscheint die Publikation „Georgia O’Keeffe“, herausgegeben von Theodora Vischer, 2022 im Hatje Cantz Verlag (ISBN: 978-3-7757-5194-0). Das Buch beinhaltet, neben zahlreichen farbigen Werkabbildungen, Fotografien der Künstlerin und einer Biografie, Texte von Theodora Vischer, Cody Hartley, Didier Ottinger, Mata Ruiz del Árbol, Ariel Plotek, Anna Hiddleston-Galloni und Julia Keller. Auf Englisch liegt der Ausstellungskatalog vom Museo Nacional Thyssen-Bornemisza vor, herausgegeben von Mata Ruiz del Árbol, 2021 (ISBN: 978-84-17173-49-4).


Georgia O’Keeffe

Fondation Beyeler
23.01.-22.05.2022

musermeku dankt der Fondation Beyeler für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Fotos: Angelika Schoder – Fondation Beyeler, 2022


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Zitiert nach: Georgia O’Keeffe, Hg.v. Theodora Vischer für die Fondation Beyeler, 2022, S. 47.

[2] Zitiert nach: Ebd., S. 72.

[3] Zitiert nach: Ebd., S. 112.

[4] Zitiert nach: Ebd., S. 60.


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