Der etwas andere G20-Protest in Hamburg

Zu G20 gab es in Hamburg nicht nur Ausschreitungen, sondern auch kreativen G20-Protest. Mehrere Kunstaktionen übten friedlich Kritik.

Zu G20 gab es in Hamburg nicht nur Ausschreitungen, sondern auch kreativen G20-Protest. Mehrere Kunstaktionen übten friedlich Kritik.

[Debatte] Was vom G20-Treffen in Hamburg Anfang Juli 2017 bleiben wird, sind Bilder von Polizeigewalt und von den Ausschreitungen mal mehr, mal weniger vermummter Gewalttäter. Und leider verkaufen sich Aufnahmen von glotzenden Schaulustigen in Selfie-Pose, inmitten all der Zerstörung, wohl besser, als Bilder von friedlichen Demonstranten, die mit einer Botschaft auf die Straße gingen. Dabei waren letztere in der Überzahl – bei weitem. Zudem gab es auch eine Reihe origineller Aktionen und Performances, die Kritik an gesellschaftlichen Problemen und Mechanismen übten. Wir sprachen mit Teilnehmern und Organisatoren von kreativem G20-Protest.


Das Museum des Kapitalismus

01.-08.07.2017

Wenn sich die Vertreter der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer treffen, muss Kapitalismus-Kritik angebracht sein. Dieser Aufgabe widmet sich das Museum des Kapitalismus, das anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg vom 1. bis 8. Juli 2017 in der Affenfaust Galerie Stellung bezog. Das Museum hinterfragt, was den Kapitalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ausmacht, welche Formen der Diskriminierung dieses System hervorbringt und welche Alternativen es gibt.

Wir sprachen mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin eines Hamburger Museums, die das Museum des Kapitalismus besucht hat. Im Interview mit MusErMeKu betont sie, wie bemerkenswert sie es findet, mit welchem Elan und mit wie viel Liebe die Aktivistinnen und Aktivisten des Projektes die einzelnen Exponate zusammenstellen, sich jedes Mal neu um Finanzierung bemühen und auch in vielen Bereichen eine hohe Professionalität vorweisen. „Ihr grafisches Konzept zum Beispiel, ihre Projektpräsentation, das kann durchaus mit professionellen Museen mithalten oder ist sogar besser“, betont die Wissenschaftlerin. Besonders anerkennenswert findet sie die Haltung, welche die Initiatoren des Museums konsequent vertreten: „Sie sind politisch, basisdemokratisch, achten auf Gender- und Diversity-Aspekte in ihrer Sprache und in ihrer Arbeit. Das erfordert sehr viel Kraft und Energie und trotzdem verzichten sie nicht darauf, obwohl alle Beteiligten die ganze Arbeit komplett ehrenamtlich machen. Das schätze ich sehr.“


Die „Hands-On-Installationen“ im Museums des Kapitalismus animieren zum Ausprobieren und Mitmachen. Das Urteil unserer Interviewpartnerin nach ihrem Besuch der Ausstellung fällt differenziert aus: „Ich würde sagen, dass wenige ‚Exponate‘ aus musealer Perspektive wirklich clever gemacht sind und auch in ihrer Didaktik funktionieren. Aber zum Beispiel der ‚Privilege Walk‘, die ‚Pumpe‘ oder auch das ‚Wertepuzzle‘ am Ende der Ausstellung sind wirklich Elemente, die mich sehr beeindruckt haben.“ Wirklich museumsgeeignet seien die Ausstellungobjekte aber nicht, wie sie ergänzt: „Die Installationen sind nur mit einfachen Mitteln gebaut und würden musealen Ansprüchen mit Ausstellungen, die mehrere Monate gezeigt werden, nicht genügen. Aber das MdK ist ja auch kein klassisches Museum.“

Generell findet die Hamburger Museumsmitarbeiterin solche Kunstprojekte wichtig, um zu zeigen, was Museen schaffen – aber vor allem auch, was sie nicht schaffen. „Das MdK zeigt eigentlich genau unsere Defizite und hält uns einen Spiegel vor. Ich denke, dass viele Museumsmacher auch von oben herab auf das Projekt schauen werden und sicher kann man sagen, dass eine professionelle Ausstellung weder in den Texten noch in den Ausstellungselementen so aussehen dürfte. Aber diese Intervention in die museale Praxis regt zum Nachdenken an und hoffentlich auch zum Einladen. Ich halte das MdK für sehr wichtig und würde mir wünschen, dass viele Museen mit ihnen zusammenarbeiten“, so die Wissenschaftlerin.

Auch im Bezug zu G20 zeigt das Museum des Kapitalismus noch einmal besondere Relevanz, wie sie weiter betont: „Das MdK zeigt, dass Museen nicht von Kapital oder dem Einfluss des Kapitals unabhängig sind. Wie viele Museen achten auf gender- und rassismuskritische Sprache? Wie viele haben eine non-hierarchische Struktur? Wie viele definieren eigentlich komplett unabhängig, worüber sie Ausstellungen machen wollen? Oft entscheiden Museen nach vorhandenen Förderungen, Geldquellen oder Besucher-Erwartungen. Und das spiegelt uns das Museum des Kapitalismus zurück.“


1000 Gestalten in Hamburg

05.07.2017

Am 5. Juli 2017, zwei Tage vor dem Beginn des G20-Treffens, fand am Hamburger Chilehaus die performative Kunstaktion „1000 Gestalten“ statt. Es war eine knapp zweistündige Choreografie mit in Lehm gehüllten Menschen, die, ihrer Kleidung nach zu urteilen, aus allen Teilen der Gesellschaft zu stammen schienen. In ihrer grauen Verkrustung symbolisierten die Gestalten ein dysfunktionales System, das den Glauben an Solidarität verloren hat. Stoisch kämpft der Einzelne hier nur noch für das eigene Vorankommen. Ziel war es, mit der Aktion zu mehr Menschlichkeit und Eigenverantwortung aufzurufen.

Martin Giese erfuhr über eine Freundin von „1000 Gestalten“ und beschloss sofort, als Akteur teilzunehmen: „Die Idee, dass eine andere Welt möglich ist, spricht mich an. Außerdem fand ich die Form einfach und überzeugend. Und drittens waren Veranstalter und Unterstützer für mich glaubwürdig“, wie er im Interview mit MusErMeKu betont. Nach seiner Anmeldung bekam Martin ein Briefing per Mail mit Videos, vor Ort erfolgte kurz vor der Aktion noch einmal eine genauere Einweisung.

Die Vorbereitung für die Teilnehmer der „1000 Gestalten“ war relativ aufwändig, wie Martin berichtet, insbesondere das Schminken und das Anziehen. Dann wurden die Akteure auf drei verschiedene Start-Positionen aufgeteilt. „Von dort sind wir dann sternförmig zunächst am Burchardplatz vorbeigelaufen. Dort gab es ein Pressepodest. Nach einer kurzen Pause sind wir zum Platz geströmt und haben uns dann nach und nach befreit. Das hieß: Die Augen wieder klar und offen, sich der schweren, grauen Kleidung bewusst werden und sie abzustreifen. Darunter trugen wir alle farbige Shirts“, berichtet Martin. Die Reaktionen innerhalb der Gestalten beschreibt er als euphorisch. „Es war anstrengend (nach immerhin 1,5 Stunden langsamem Gehen), aber auch eindrucksvoll. Das Publikum rund um das Chilehaus war auch begeistert. Es gab minutenlangen Applaus vom Platz und aus den Fenstern der anliegenden Gebäude. Wir waren alle recht glücklich.“


Der Neoliberalismus gehört ins Museum

07./08.07.2017

„Der Neoliberalismus ist absurder als Dada, Surrealismus und Fluxus zusammen!“

Bereits am 6. August 2016 hatten Mitglieder des globalisierungskritischen Netzwerkes attac im Rahmen einer politisch-satirischen Performance in Düsseldorf den Neoliberalismus ins Museum gebracht – darunter die „Original-Handtasche von Margaret Thatcher“ und das drei Meter hohe Abbild eines „Homo Oeconomicus“. Damals hatte Alain Bieber, der künstlerische Leiter und Geschäftsführer des NRW-Forum zugesagt, die Performance-Kunstwerke entgegenzunehmen und sie in die Ausstellung „Planet B“ aufzunehmen.

Nach dem Ende der Ausstellung wurden die Objekte wieder an die Leihgeber zurückgegeben und so konnte am 7. Juli 2017 der Neoliberalismus in Hamburg erneut ins Museum gebracht werden. Als Ziele hatte Initiator Thomas Pfaff diesmal die Deichtorhallen und die Kunsthalle Hamburg anvisiert. Beide Museen hatten im Vorfeld jedoch eine Beteiligung an der Aktion abgelehnt. Zudem war ein Demo-Antrag in der G20-Sicherzeitszone nicht bewilligt worden. In einer Guerilla-Aktion wurden die Kunstwerke dennoch wie Reliquien auf einer Trage zumindest kurz in die Deichtorhallen befördert, unter anderem ein Bild, frei nach Sigmar Polke, mit der Aufschrift „Höhere Wesen befahlen: Neoliberalismus ins Museum!“ Der Polit-Karnevalist Rolf Beierling hielt als pink gekleideter „Geldscheinheiliger Bankratius“ hier noch schnell „Neoliberale Fürbitten“, doch dann musste die Kunstaktion vorzeitig beendet werden. „Symbolisch hätten wir die Objekte natürlich lieber an jemanden aus der Hamburger Kunstszene übergeben“, wie Thomas Pfaff im Interview mit MusErMeKu betont.

Am Tag darauf wurden im Rahmen der Demo „Grenzenlose Solidarität statt G20“ noch einmal die Symbole des Neoliberalismus vorgeführt, unter anderem Margaret Thatchers Kroko-Handtasche. Begleitet wurden die „Reliquien“ von Protestschildern mit Aufschriften wie „Armut besteuern“, „Wir brauchen kein soziales Netz! Wir haben Beziehungen!“, „Eure Armut kotzt uns an!“ oder auch „Eure Leistung muss sich wieder lohnen! Für uns…“ Die Aussage hinter der Aktion: Unser derzeitiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist nichts anderes als absurde Kunst – und die gehört eben ins Museum.


Hamburg räumt auf

09.07.2017

G20 in Hamburg, das waren letztendlich auch hilfsbereite Menschen, die nach den Ausschreitungen alles gemeinsam aufräumten, was ihnen „Der Schwarze Block“ und aggressives Partyvolk beschert hatten. Direkt kam Sorge auf, dass die „Putz-Aktivisten“ die Fugen zwischen den noch fest gebliebenen Pflastersteinen am Ende noch völlig wegschrubben würden. So sauber war das Schanzenviertel vielleicht noch nie, unkten manche.

Letztendlich war #HamburgRäumtAuf damit auf gewisse Art auch eine Protestaktion. Kunst war es zwar nicht, aber als soziale Performance vielleicht doch das Beste, was an diesem Juli-Wochenende in Hamburg passiert ist. Und das Peng! Kollektiv schlug bereits via Twitter vor, man könne ja jetzt nach Mossul und Aleppo weiterziehen und da auch alles wieder in Ordnung bringen…


Header-Bild: Zur Verfügung gestellt von Michael Schmalenstroer – Hamburg, 2017


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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