[Debatte] Vor kurzem startete das Berliner Modellprojekt für einen Museumssonntag mit freiem Eintritt. Rund 60 Institutionen sind beteiligt – etwa 20.000 Menschen nutzten laut Angabe der Organisatoren zum ersten Termin am 4. Juni die Gelegenheit für einen Museumsbesuch. Bis Ende 2021 wird das Angebot in Berlin fortgesetzt, immer am ersten Sonntag im Monat. Das Ziel des Modellprojekts, das vom Land Berlin, dem Bund und dem Landesverband der Museen getragen wird, ist klar formuliert: Der kostenlose Eintritt im Museum soll die kulturelle Teilhabe stärken und die Kultureinrichtungen für alle Gesellschaftsschichten zugänglich machen. Kann das funktionieren?
Der ideale Weg zur kulturellen Teilhabe?
Seit 2019 wurde das Thema des kostenfreien Museumseintritts in Berlin immer wieder intensiv diskutiert. Auslöser war die Bekanntgabe von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, sich für einen gratis Besuch pro Monat in den Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einzusetzen. Der Ankündigung war die Ansage des Berliner Kultursenators Klaus Lederer vorausgegangen, dass die Berliner Landesmuseen einen Sonntag pro Monat ohne Eintritt geöffnet sein sollten. Die Bundesmuseen sollten natürlich mitziehen, betonte Grütters damals gegenüber der Presse. Doch damit nicht genug. Zusätzlich zu diesen eintrittsfreien Sonntagen sollte im Deutschen Historischen Museum und im Jüdischen Museum Berlin kein Eintritt mehr für den Besuch der Dauerausstellung erhoben werden, so die Pläne der Kulturstaatsministerin damals. Ähnlich wie in vielen Londoner Museen, sollten dann im DHM und im JMB nur noch Sonderausstellungen Eintritt kosten. „Angesichts der Verwerfungen in der Gesellschaft“ solle der freie Eintritt ein „attraktives Angebot“ darstellen, sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen, so Grütters. Aber reicht freier Eintritt da aus?
Ist es wirklich nur der Ticketpreis, der den Großteil der Bevölkerung davon abhält, Museen zu besuchen? Leider nein. Der Eintrittspreis, der für viele Menschen mit geringem Einkommen wirklich zu hoch sein kann, stellt nur einen Teilaspekt dar, wenn es um Museumsbesuche generell geht. Viele Menschen möchten kein Museum besuchen – nicht mal geschenkt. Dazu hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg bereits im Juni 2019 eine Studie vorgelegt.
Studie zu freiem Eintritt in Museen
Die „Evaluation des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen und das ZKM“ untersuchte exemplarisch drei kunst- und kulturwissenschaftliche sowie zwei naturwissenschaftliche Landesmuseen. Hintergrund war die Frage, wie man Kultureinrichtungen „für neue, auch junge Besucher und für Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen“ weiter öffnen kann. Das Ergebnis der Studie: Freier Eintritt in Museen ist kein pauschal geeignetes Mittel, um mehr Menschen bzw. klassische Nicht-Besucher anzusprechen.
Am Beispiel der ausgewählten baden-württembergischen Museen wurden die Auswirkungen von freiem Eintritt in Dauer- und Sonderausstellungen untersucht. Die Studie zeigte, dass freier Eintritt keine allgemein gültige Lösung ist. Wie gut das Angebot von der Bevölkerung angenommen wird, ist sehr unterschiedlich. Für einige Museen funktionierte freier Eintritt besser als für andere. Zudem gab es große Unterschiede bei den Altersgruppen der Besuchenden und bei der Art der Besuchergruppen. Die Studie zeigte, dass die Erwartungen der Besucher an die Ausstellungsprogramme, an die Vermittlung von Inhalten, an den gebotenen Service oder an besucherfreundliche Öffnungszeiten mindestens ebenso wichtig sind, wie der freie Eintritt an sich.
Ich gehe nicht ins Museum, weil…
Die Studie belegte in einigen Fällen, dass freier Eintritt nicht ausschlaggebend für einen Museumsbesuch ist, wenn:
- das Ausstellungsprogramm nicht auf Interesse stößt,
- Inhalte nicht ansprechend vermittelt werden,
- die Infrastruktur der Einrichtungen nicht ansprechend ist und
- die Öffnungszeiten nicht mit dem Alltag der Menschen vereinbar sind.
In manchen Fällen führte das Angebot eines freien Museumseintritts aber auch zu Erfolgen. Das Stammpublikum kam häufiger und vor allem junge Besucher fühlten sich angesprochen. Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen oder grundsätzlichem Desinteresse an Museen konnten durch freien Museumseintritt hingegen kaum stärker erreicht werden, so die Studienergebnisse.
Das Fazit der Studie war, dass freier Eintritt im Museum nicht als einheitliche Lösung gelten kann, um grundsätzlich mehr Besucher anzulocken, generell ein jüngeres Publikum oder bisher unterrepräsentierte Zielgruppen ins Haus zu bringen. Museen müssen daher genau die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Zielgruppen analysieren, um anhand der Ergebnisse individuelle Angebote für die eigene Institution zu entwickeln. Dies kann bei jedem Museum ganz anders ausfallen.
Flexible Eintrittspreise im Museum
Vielleicht ist der freie Eintritt im Museum nicht pauschal die Lösung, neue Zielgruppen zu einem Besuch zu bewegen. Dennoch stellt der Museumseintritt für viele Menschen eine nicht unerhebliche Barriere dar. Das Ticket für einen Ausstellungsbesuch – vielleicht noch mit der ganzen Familie – muss man sich auch erst einmal leisten können. Aus diesem Grund experimentieren einige Museen nicht nur mit dem Konzept eintrittsfreier Tage sondern auch mit flexiblen Eintrittspreisen. Im Dezember 2019 hatte etwa das Weserburg Museum den Eintrittspreis nach der Dauer des Besucheraufenthalts berechnet und dann Anfang 2020 die Ergebnisse des Experiments vorgestellt. Das Museum wollte herausfinden, ob die Aussicht auf einen vergünstigten Museumseintritt die Bereitschaft steigert, das Museum zu besuchen, wenn man plant, sich hier nur kurz aufzuhalten.
Normalerweise kostet der Eintritt im Weserburg Museum 9,- Euro, ermäßigt 5,- Euro und für unter 18-Jährige und Sozialleistungsempfänger ist der Eintritt gratis. Im Rahmen des Experiments zu flexiblen Eintrittspreisen konnte man pro 10 Minuten für 1,- Euro das Museum besuchen. Hintergrund des Experiments war die Annahme, dass Menschen, die nur wenig Zeit haben bzw. nur schnell eine Ausstellung sehen möchten, vom Preis für ein Tagesticket abgeschreckt wären. Die Aussicht auf einen günstigen, weil schnellen Museumsbesuch könnte also neue oder häufiger wiederkehrende Besucher anlocken, so die Idee. Die Regelung des Weserburg Museums sollte dabei natürlich auch nicht zum Nachteil der Besucher sein, die länger im Museum bleiben wollten. Der Preis des normalen Tagestickets galt als Obergrenze für alle, die einen mehrstündigen Besuch bevorzugten.
Die Chance auf neue Besucher?
Das Eintrittspreis-Experiment des Weserburg Museums sorgte damals für große Aufmerksamkeit und so konnte das Museum 42% mehr Besucher als im Vorjahr im Testzeitraum begrüßen. Die Besucher zahlten im Durchschnitt 5,55 Euro. Das war natürlich günstiger als die üblichen 9,- Euro fürs Tagesticket, doch durch den Besucheranstieg verzeichnete das Museum hier nur 3% Verlust. Verglichen mit den durchschnittlichen Umsätzen aus der Adventszeit der 5 Jahre zuvor lagen die Einnahmen des Museums sogar bei plus 28%. Die Aufenthaltszeit hatte das Bezahlmodell tatsächlich etwas verkürzt. Bleiben die Besucher sonst durchschnittlich für 83 Minuten im Museum, waren es im Zeitraum des Experiments durchschnittlich nur 67 Minuten.
Rund 10% der befragten Besucher gaben an, dass dieses Bezahlmodell explizit der Grund für ihren Museumsbesuch gewesen sei. Für 40% war die Aktion immerhin mit ein Grund für den Besuch. Die Besucherbefragung zum Test des Bezahlmodells ergab übrigens auch, dass sich die Besucherstruktur durch die Aktion nicht verändert hatte.
Wie können Nicht-Besucher erreicht werden?
Wenn Studienergebnisse zeigen, dass ein vergünstigter Eintritt im Museum bisherige Nicht-Besucher nicht ins Haus bringt und sogar ein freier Eintritt hier nicht den gewünschten Effekt erzielt, was kann dann die Lösung sein, neue Zielgruppen zu erreichen? Eines steht fest: Der Eintrittspreis ist zwar ein Faktor, jedoch ist es bei weitem nicht der einzige, der Menschen von einem Museumsbesuch abhält. Bei der Entscheidung für einen Museumsbesuch spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Hierzu zählen etwa ansprechende Inhalte, Zugang zu Informationen zu den Angeboten des Museums und letztendlich auch das Sich-Willkommen-Fühlen an einem Ort, an dem man bisher noch nie zuvor war und an dem man vielleicht nicht weiß, wie man sich hier verhalten soll.
5 Möglichkeiten für Museen, sich für neue Zielgruppen zu öffnen:
1) Das gesamte Museumsteam sollte einbezogen werden.
Die Bereitschaft, neue Zielgruppen in das Museum zu bringen, darf nicht nur von der Museumspädagogik ausgehen. Auch das Kuratoren-Team sollte involviert sein, da Ausstellungen auch auf die Bedürfnisse von bisherigen Nicht-Besuchern zugeschnitten werden müssen. Ebenso sollte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bzw. das Marketing das Ziel mittragen und die Kommunikation entsprechend anpassen. Und letztendlich sollte auch das Aufsichtspersonal geschult sein, um auf alle möglichen auftretenden Fragen von neuen Besuchern freundlich reagieren zu können.
2) Die Kommunikation und Werbemaßnahmen sollten zielgruppengerecht sein.
Wie erwähnt, sollten auch Maßnahmen im Marketing sowie in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit das Ziel mit verfolgen, neue Zielgruppen zu erreichen. Denn wenn für Ausstellungen und Programmangebote immer nur in den gleichen Medien mit einem bestimmten Publikum geworben wird, werden sich so kaum neue Zielgruppen ansprechen lassen. Die Herausforderung besteht darin, auch diejenigen über das Angebot des Museums zu informieren, die bestimmte Medien nicht nutzen.
3) Neue Zielgruppen sollten aktiv und persönlich angesprochen werden.
Museen können aktiv auf neue Zielgruppen zugehen, sie direkt ansprechen und dazu einladen, das Programm mitzugestalten oder inhaltliche Wünsche zu äußern. Wenn die Menschen erst einmal Kontakt zum Museum hatten, zeigen sie vielleicht auch in Zukunft Interesse an dessen Programm und werden zu regelmäßigen Besuchern.
4) Museen sollten Orientierungshilfen für neue Zielgruppen bieten.
Für Museen gilt oft ein unausgesprochener Verhaltenscode. Zwar weisen Schilder oft darauf hin, in der Ausstellung etwa nicht zu fotografieren oder Kunstwerke nicht zu berühren. Doch es gibt auch eine Reihe weiterer Regeln, deren Unkenntnis bei neuen Besuchern zu Missverständnissen führen kann, was gleichzeitig auch andere Besucher stört. Um dies zu vermeiden, sollten neuen Zielgruppen „typische Museumsregeln“ freundlich vor einem Besuch erklärt werden, nicht erst wenn sie dagegen verstoßen.
5) Eintrittspreise sollten zielgruppengerecht gestaltet werden.
Auch wenn die Ticketpreise in Museen nicht die einzige Barriere für Nicht-Besucher sind, so spielen sie dennoch eine gewisse Rolle. Museen sollten daher darüber nachdenken, wie man bisher unterrepräsentierten Zielgruppen hinsichtlich der Eintrittspreise entgegenkommen kann. Nicht jedes Museum kann sich eintrittsfreie Tage leisten, nicht überall werden die Kosten dafür von anderen Stellen übernommen – wie aktuell beim Berliner Museumssonntag. Ein Möglichkeit kann es aber sein, Ermäßigungen für Familien und für bestimmte Gruppen anzubieten. Auch wenn damit pro Kopf die Einnahmen an Eintrittsgeldern sinken, kann so vielleicht die generelle Anzahl der Besucher erhöht werden.
Header-Bild: Angelika Schoder – Kunstmuseum Basel, 2019
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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