Fantastische Tierwesen: Auf den Spuren von Einhörnern, Werwölfen und Drachen

Die Publikation „Fabeltiere“ gibt einen Überblick über die tierischen Fabelwesen aus deutschsprachigen Mythen, Märchen und Sagen. Dabei geht es um ihre historischen Ursprünge und ihre Bedeutung in Kunst und Kultur.

Die Publikation "Fabeltiere" gibt einen Überblick über die tierischen Fabelwesen aus deutschsprachigen Mythen, Märchen und Sagen.

[Rezension] Von „Twilight“ über „Harry Potter“ bis hin zu „Game of Thrones“ – tierische Fabelwesen wie Werwölfe, Basilisken oder Drachen sind heute fester Bestandteil der Popkultur und bevölkern Bücher, Filme und TV-Serien. Doch diese modernen Gestalten haben alle historische Vorbilder in Mythen, Märchen und Sagen, auch im deutschsprachigen Raum. Auf die Spuren dieser Wesen begibt sich nun die Publikation „Fabeltiere“, die sich mit den bekannten, aber auch mit den fast vergessenen fantastischen Tierwesen befasst. Ob Einhörner, Aufhocker, Habergeiß oder Tatzelwurm: Neben historischen Abbildungen bietet die Publikation auch aktuelle Fotografien der Tiere in freier Wildbahn, erstellt von „Forgotten Creatures“-Initiator Florian Schäfer und in Szene gesetzt von der Fotografin Hannah Gritsch. Begleitend beleuchtet die Erzählforscherin Janin Pisarek zusammen mit Florian Schäfer die Phänomenologie und die Geschichte der Fabeltiere.


Johann Heinrich Füssli: Nachtmahr (1781)
Eine der bekanntesten künstlerischen Darstellungen eines Aufhockers stammt von Johann Heinrich Füssli.

Detail aus: Johann Heinrich Füssli: Nachtmahr (1781) – Detroit Institute of Arts – – Public Domain – bearbeitet

Die Faszination des Unheimlichen

In der Vorstellung von Fabeltieren vermischen sich die Angst vor dem Unbekannten mit der Faszination des Fremden und Unheimlichen. Wenn man diesen Gefühlen eine Gestalt und einen Namen geben kann, schafft das ein Stück weit Verlässlichkeit und Orientierung in einer von Krisen und Gefahren geprägten unsicheren Welt, so die Literaturwissenschaftlerin und Mythosforscherin Ruth Neubauer-Petzoldt in ihrem Vorwort zur Publikation „Fabeltiere“. Volkstümliche Überlieferungen bannen damit gewissermaßen den Schauer in Form einer Erzählung, bringen gleichzeitig aber auch das Befremdliche in unsere Alltagswelt. Längst hat sich die Form des Erzählers gewandelt; aus mündlichen Überlieferungen wurden irgendwann aufgeschriebene Märchen und Sagen und mittlerweile Filme, TV-Serien und Games. Die Fabeltiere haben diesen Medienwandel überdauert; bis heute finden sich in unserer Popkultur Zentauren, Drachen oder Einhörner, etwa in den „Percy Jackson“ Büchern und Filmen, in Form von Game-Charakteren, zum Beispiel bei „Baldur’s Gate“, oder als Emojis in unserer Online-Kommunikation.

Die aktuelle Repräsentation von Fabeltieren lässt dabei oft in den Hintergrund treten, dass die Ursprungsgeschichte der Wesen teilweise schon viele Jahrhunderte zurück reicht. Einige tauchten bereits in volkstümlichen Überlieferungen auf, manche scheinen auf der ganzen Welt bekannt zu sein, andere kennt man nur im regionalen Umkreis, etwa das Bachkalb, das in Aachen der Sage nach in der Nacht an einer Wasserstelle angetrunkene Männer anfällt. Die Publikation „Fabeltiere“ geht solchen historischen Ursprüngen nach, ob es nun Schreckgestalten sind wie der Werwolf, scherzhaft gemeinte Fabelwesen wie der Wolpertinger, oder mysteriöse Elwedritsche, mit deren Jagd man arglosen Leuten einen Streich spielen kann.


Conrad Gesner: Einhorn (Monoceros)
In Quedlinburg wurden im 17. Jahrhundert die vermeintlichen Überreste eines Einhorns gefunden. Tatsächlich stellten sich die Fossilien als Wollnashorn und Mammut heraus.

Detail aus: Conrad Gesner: Einhorn (Monoceros), In: Historiae Animalium; liber primus, qui est de quadrupedibus viviparis, Zürich, 1551. – National Library of Medicine – Public Domain – bearbeitet

Fabeltiere vor der Haustür

Die kulturelle Herkunft vieler Fabelwesen ist heute kaum noch bekannt, insbesondere wenn es sich um regionale Phänomene handelt. Wer kennt schon einen Dilldappen, die Kornmuhme oder den Nachtkrabb? Als Fabelwesen können alle Gestalten definiert werden, die der menschlichen Fantasie entstammen und deren reale Existenz wissenschaftlich nicht belegt werden kann. In diesem weiten Feld rätselhafter Gestalten, Geister und Dämonen konzentriert sich die Publikation „Fabeltiere“ konkret auf tierische Fabelwesen und Tierdämonen. Dass Tiere in dieser Vielfalt an sagenumwobenen Wesen einen besonderen Platz einnehmen, ist dabei gar nicht so ungewöhnlich. Schließlich begleiten Tiere den Menschen schon seit Jahrtausenden, als Nahrungsquelle, Arbeitshilfe oder auch als Familienmitglied. Da liegt es nahe, dass irgendwann auch Ängste, Wünsche und Sehnsüchte in tierischer Gestalt oder als Mischwesen zwischen Mensch und Tier zum Ausdruck kamen. Wer sich mit Fabeltieren auseinandersetzt, das betont die Publikation, setzt sich somit auch immer mit unserem Verhältnis zu realen Tieren auseinander und damit, welche Bedeutung wir ihnen bis heute beimessen.

Oft werden den fantastischen Kreaturen dabei magische Fähigkeiten und übernatürliche Eigenschaften zugeschrieben. Die Vorbilder fand man oft im direkten Umfeld, etwa Schlangen und Eidechsen, Kröten und Krähen, aber auch Hunde, Hähne oder Kälber und Ziegen – und natürlich der Wolf, der einst in Mitteleuropa heimisch war und heute wieder langsam in unsere Wälder zurückkommt. Die Fabeltiere treten als vermeintlich reale Tiere in Erscheinung, können aber auch als Geister in Tiergestalt die Menschen heimsuchen. Und schließlich vermischen sie sich auch manchmal, als Chimären mit verschiedenen tierischen Körperteilen, wie der Basilisk, oder als Übergang zwischen Tier und Mensch, etwa der Werwolf. Ihnen gemein ist das Fabelhafte – nicht zu verwechseln allerdings mit der literarischen Erzählform der Fabel, in der Tiere menschlich handeln, um Lebensweisheiten und Lehren zu veranschaulichen. Hiermit haben die Fabeltiere nichts zu tun, um die es in der Publikation geht.


Lucas Cranach der Ältere: Werwolf (ca. 1512)
Der Werwolf ist nicht nur eine Figur aus Mythen und Sagen. Bis heute taucht das Fabelwesen in der Popkultur auf.

Detail aus: Lucas Cranach der Ältere: Werwolf (ca. 1512) – Herzogliches Museum Gotha – Public Domain – bearbeitet

Von historischen Hintergründen bis zur Nachbildung

Einleitend gibt die Publikation „Fabeltiere“ zunächst einen Überblick über die diversen Formen von Volkserzählungen und literarischen Textformen. Es ist quasi die Heimat der Fabelwesen, die hier vorgestellt wird – von den Formen der mündlichen Überlieferung bis hin zu den literarischen Texten, die sich im Laufe der Zeit daraus entwickelten. Im Anschluss folgt ein historischer Überblick über den Wandel, den die Vorstellungen von Fabeltieren im Laufe der Zeit durchliefen. Dieser war immer geprägt von zeitgenössischen Vorstellungen und Kenntnissen, vom Altertum und der Antike über das christlich-religiös geprägte Mittelalter bis hin zur Frühen Neuzeit, als wissenschaftliche Erkenntnisse und Entdeckungen den Horizont der Menschen zunehmend erweiterten.

Spätestens seit der Aufklärung ab dem 17. Jahrhundert verlor der Glaube an Tierdämonen und Fabeltiere im deutschsprachigen Raum an Bedeutung. Die Erzählungen dienten bald nur noch als Unterhaltung, insbesondere für Kinder. In der Zeit der Romantik übten die Fabeltiere zudem eine besondere Faszination auf Schriftsteller und Künstler aus. Bis heute bedienen sich diverse Medien an historisch überlieferten Geschichten von mythischen Wesen, wobei seit dem 20. Jahrhundert auch das reale Interesse an Fabeltieren steigt, in Form des pseudowissenschaftlichen Forschungsfeldes der Kryptozoologie. Hier werden Tierarten untersucht, für deren Existenz es oft nur zweifelhafte Belege gibt, etwa das Ungeheuer von Loch Ness oder Bigfoot.

Im Anschluss widmet sich die Publikation diversen Fabeltieren und ihren kulturellen und historischen Hintergründen, vom Einhorn sowie unheimlichen Dorftieren und Tiergespenstern, über Bahkauv und Werwolf, bis hin zu Hötzelstier, Habergeiß und dämonischen Würmern. Darüber hinaus geht es auch um Fabelwesen, mit denen man sich Scherze erlaubt, etwa die Elwedritsche, Rasselböcke und den Wolpertinger, sowie um die umfangreiche Bedeutung von Drachen und den Basilisk. Schließlich gibt das Buch noch einen Einblick in die Erstellung der nachgebildeten Fabeltiere, deren Fotos die Publikation illustrieren. Florian Schäfer gewährt hier einen Blick hinter die Kulissen seiner Arbeit, von der Recherche über die Modellherstellung bis hin zur Bemalung und Inszenierung der fantastischen Tierwesen.


Die Publikation „Fabeltiere. Tierische Fabelwesen der deutschsprachigen Mythen, Märchen und Sagen“, herausgegeben von Zeitsprünge e.V. im Rahmen des Projektes „Forgotten Creatures“, ist 2023 im Böhlau Verlag erschienen (ISBN: 978-3-412-52757-0). Neben historischen Abbildungen und Fotografien von Hannah Gritsch beinhaltet der Band Texte von u.a. Florian Schäfer und Janin Pisarek sowie ein Literaturverzeichnis.


Header-Bild: Detail aus: The Unicorn Rests in a Garden – from the Unicorn Tapestries (1495–1505) – Metropolitan Museum of ArtPublic Domain – bearbeitet


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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