[Online-Tipp] Die COVID-19 Pandemie hat nicht nur ihre Spuren im Jahr 2020 hinterlassen. Auch 2021 ist noch immer vieles anders und so hat die Berlin Fashion Week ihre Events ins Digitale verlegt. Gemeinsam mit der Stadt Berlin schuf Highsnobiety mit dem Format „Berlin, Berlin“ einen virtuellen Raum, in dem Mode, Musik, Kunst und Design aufeinander treffen. Dazu zählt auch die von Anika Meier kuratierte Gruppenausstellung „Berlin, Augmented Berlin“, in der virtuelle Skulpturen erlebt werden können. Das eigene Smartphone oder Tablet lässt die Kunstwerke via Augmented Reality (AR) Technologie genau dort erscheinen, wo man sich gerade befindet – ob im öffentlichen Raum oder zu Hause.
Berlin, Augmented Berlin
Wer sich mittlerweile an den #BernieMemes satt gesehen hat und Lust bekommen hat, mehr als nur einen Politiker auf einem Klappstuhl in einem neuen Umfeld zu platzieren, kann es nun mit Kunst versuchen. Wie wäre es zum Beispiel mit den virtuellen Skulpturen von acht in Berlin aktiven Kunstakteuren und -kollektiven? Möglich macht das „Berlin, Augmented Berlin“, eine virtuelle Gruppenausstellung, die man genau dort betrachten kann, wo man gerade möchte. Einfach mit dem Smartphone oder Tablet die Website berlinberlin.ar aufrufen, die Kamera aktivieren und schon erscheinen mittels AR-Technologie die Skulpturen zu Hause im eigenen Wohnzimmer oder an der Straßenecke, wenn man unterwegs ist.
Cibelle Cavalli Bastos: Suspended Drop
In künstlerischen Arbeiten sowie in der Forschung befasst sich Cibelle Cavalli Bastos mit den sich verändernden Konzeptualisierungen von Identität, Performativität sowie bildlicher Kommunikation und untersucht dabei die Verbreitung von Verhaltensmustern im digitalen Zeitalter.
In der Arbeit für „Berlin, Augmented Berlin“ geht es vor diesem Hintergrund um das Nachtleben, das seit dem Beginn der COVID-19 Pandemie zum Erliegen gekommen ist. Menschen, die sich in dunklen Räumen aneinander drängeln, schwitzende Körper, die sich im Rhythmus der Musik bewegen, sind im Moment nur eine Erinnerung an eine vergangene Zeit. Für Bastos ist es, als befände sich die Menschheit aktuell in der Schwebe. In der Arbeit „Suspended Drop“ wird dieser Schwebezustand durch eine Gruppe von Figuren verdeutlicht, die der nicht enden wollenden Spannung eines aufsteigenden Sounds lauschen, als würden sie darauf warten, dass der Beat dropped – und es endlich (wieder) los geht.
Bianca Kennedy & The Swan Collective: The Root of Oleander
In ihren Arbeiten befassen sich Bianca Kennedy & The Swan Collective mit der Zukunft der Evolution. Vielleicht entstehen in 1.000 Jahren ja Hybriden, die teils Pflanze, teils Tier und teils Mensch sind? In Virtual Reality (VR), raumgreifenden Installationen und Filmen entwickeln die Künstler ihren utopischen Zyklus „LIFE 3.0“. Mit VR und AR, 3D-Scans und Motion Capture erwecken sie dabei faszinierende Figuren und ihre Umgebungen zum Leben.
Für „Berlin, Augmented Berlin“ erschufen sie mit „The Root of Oleander“ eine Baby-Gestalt mit Fischaugen und Pflanzenzweigen statt Haaren. Das Wesen verweist darauf, dass nach dem Anthropozän der Mensch nicht mehr der wichtigste Einflussfaktor auf der Erde sein wird. Es werden neue biologische Beziehungen entstehen – etwa, wenn die Grenzen zwischen Baby, Pflanze und Tier verschwimmen. Das Ei, das das Baby in der Hand hält und betrachtet, verweist darauf, dass die nahe Zukunft noch von unbeholfenen Menschen und einer durch die globale Krise verunsicherten zukünftigen Generation kontrolliert wird.
Joachim Bosse: OMG
Als Konzeptkünstler beschäftigt sich Joachim Bosse mit dem Konsumverhalten, dem Einfluss der Massenmedien und der Rolle der sozialen Medien im digitalen Zeitalter. In seinen hyperrealistischen Skulpturen mischt er Anspielungen auf die Popkultur mit Ikonen der Kunstgeschichte, um zeitgenössische Identitäten und kulturelle Werte zu hinterfragen.
In seiner Arbeit „OMG“ zeigt Bosse einen an das Fecebook-Logo gekreuzigten Mark Zuckerberg. Gewidmet ist das Werk „den Gläubigen, denen die liken, posten, teilen und kommentieren.“ Egal ob man Essen, sein Outfit oder den Urlaub postet, den Arbeitsalltag ebenso wie die Partys – Bosses Werk richtet sich an Selfie Queens und DM Kings, an Kaffee-Hipster und Fitness-Gurus: „OMG“ ist für die Follower. (Und bitte nicht vergessen, das Posting zu Liken.)
Manuel Rossner: Hotfix
Manuel Rossner gestaltet virtuelle Räume und erschafft mit digitalen Materialien interaktive Architektur, die als räumliche Intervention und virtuelle Erweiterung funktioniert. In der App der König Galerie ist aktuell seine Ausstellung „Surprisingly This Rather Works“ zu sehen.
Für die Gruppenausstellung „Berlin, Augmented Berlin“ kreierte Rossner die AR-Skulptur „Hotfix“, eine Art schnelle Lösung für eine unerwartete Herausforderung. Mit ihren Blasen und Linien ist die Skulptur als spielerische Einführung in die Problemlösung durch Gamification gedacht. Seine Skulpturen erschafft der Künstler übrigens in VR, indem er in die Luft malt und diese Linien von einem Computer in Skulpturen umgerechnet werden. So wird ein malerischer Vorgang zu einem dreidimensionalen Objekt.
Ruohan Wang: Path Dependence
Die chinesische Illustratorin und Malerin Rohan Wang befasst sich in ihren Arbeiten auf Papier sowie im realen und virtuellen Raum mit der Zeit, Bewegungen und der Transformation von Energie.
Mit „Path Dependence“ fragt sie, warum man nicht von einem Weg abweicht, wenn sich die eingeschlagene Richtung als falsch erwiesen hat? Ist es dann zu spät, um ein kurzes Stück weiter zu kommen? Wo endet ein Weg – und wo beginnt dann ein neuer? Ruohan hat dazu eine virtuelle Skulptur geschaffen, die nur aus einem menschlichen Unterkörper besteht. Zwei Beine bewegen sich durch die Umgebung – kopflos, ohne nachzudenken. Sie passieren dabei eine Art spiegelnde Wolke, immer vor und zurück. Der ständige Richtungswechsel sorgt dafür, dass es nie wirklich voran geht. Fast wie der ständige Wechsel bei den Corona-Maßnahmen in den letzten Monaten, der dafür sorgte, dass wir heute noch immer nicht weiter sind in der Eindämmung der Pandemie.
Tabitha Swanson: Nys’ Door
In ihren Werken nutzt die Designerin und Technologie-Expertin Tabitha Swanson 3D-Rendering, AR-Gesichtsfilter und manchmal auch synthetisches Make-up auf ihrem eigenen Körper, um die Vision einer Migrantin aus einer virtuellen Welt entstehen zu lassen.
Für „Berlin, Augmented Berlin“ schuf Swanson die Arbeit „Nys‘ Door“, ein Portal in die Welt von Nys, eine Figur, die die Künstlerin während der Pandemie in sich selbst entdeckt hat und die ihr Energie und Kraft gab. Der Durchgang zu Nys‘ Welt ist beschriftet mit den Mantras „Wer sucht, der findet.“ und „Energie findet sich selbst.“ Man kann das Portal umrunden und von allen Seiten betrachten, betreten kann man es aber nicht. Das Amethyst-artige Innere funkelt geheimnisvoll, bleibt aber undurchdringlich.
Sucuk & Bratwurst: Cherrysmatic Moments
Das Künstlerkollektiv Sucuk & Bratwurst hat sich auf bewegte und unbewegte 3D-Kunstwerke spezialisiert. Für „Berlin, Augmented Berlin“ schufen Alessandro Belliero, David Gönner, Denis Olgac und Lukas Olgac eine fröhlich hopsende, exzentrische Kirsche mit Hut und Perlenketten-Brille. Die Blätter am Stengel der Kirsche dienen ihr bei ihren Hüpfbewegungen als eine Art Antrieb, der sie nach einem energetischen Sprung in die Höhe wieder sanft in die Tiefe gleiten lässt. Wer sich im Lockdown langweilt, kann sich mit surrealen „Cherrysmatic Moments“ ablenken.
Demnächst bei „Berlin, Augmented Berlin“:
ACRONYM: Sakura [god mode]
Bei der Gründung von ACRONYM im Jahr 1994 ging es Michaela Sachenbacher und Errolson Hugh eigentlich um die Vereinigung von Stil und Technologie in der Mode. Für die Gruppenausstellung „Berlin, Augmented Berlin“ entwickelte Errolson Hugh zusammen mit Rod Chong, Michael Tello, Khyzyl Saleem, Bisi Ezerioha, Daniel Bressanutti, Laura Dubuk, Kazuhiro Aihara, Look Mister und David Rudnick nun die AR-Arbeit „Sakura [god mode]“.
Für Hugh ist der Titel des Werks dabei ein Widerspruch in sich:
„Sakura bezieht sich einerseits auf das Gefühl der Unbeständigkeit und auf die Zerbrechlichkeit der menschlichen und planetarischen Existenz. Andererseits verweist der Begriff ‚god mode‘ auf das unbegrenzte Potenzial des virtuellen Raums und der Vorstellungskraft. In dieser AR-Arbeit blicken wir über diese beiden scheinbaren Widersprüche hinweg und spielen mit ihnen.“
Das Werk „Sakura [god mode]“ wurde als eine experimentelle, immersive Reise konzipiert, bei der sich Nutzer durch verschiedene Räume und Ebenen bewegen. Jede Ebene ist dabei so gestaltet, dass sie den Sinn für Ordnung, Orientierung und Realität herausfordert.
Berlin, Augmented Berlin
Seit 22.01.2021
Kostenlos, nutzbar über den Browser via Smartphone oder Tablet
Header-Bild: Detail aus: Manuel Rossner: Hotfix – Berlin Augmented Berlin, Highsnobiety 2021
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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